Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 89.
Mittwoch, den 10. Mai.
( Nachdruck berboten.)
24] Das Gemeindekind.
Erzählung v. Marie v. Ebner- Eschenbach . Am Vorabend des für Habrechts Abreise bestimmten Tages suchte er ihn auf und fand ihn in der Schulstube, wo er, am Fenster stehend in ungeduldiger Erwartung auf die Straße blickte. Als der Eintretende ihn anrief, sah Habrecht sich um und sprach:
-
Sie sind's gut, gut; es ist mir lieb, daß es kein anderer ist."
,, Welcher andere denn?"
1911
und lud es mit Mladeks Hilfe auf seine Schulter. Jede andere Dienstleistung, besonders das Geleite zum Wagen, verbat er sich und eilte davon, ohne einen Blick zurückzuwerfen nach der Stätte seiner langjährigen Tätigkeit. Keine Regung der Wehmut beschlich beim Scheiden seine Brust." Fahre!" rief er dem ihn begrüßenden Bäuerlein zu ,,, und wenn Dich jemand fragt, wen Du fährst, so sag- einen Bräutigam, fag's getrost; es ist schon mancher zur Hochzeit gefahren, der nicht so guter Dinge war wie ich." Damit fletterte er in den Wagen, streckte sich der Länge nach in das dicht aufgestreute Stroh und kommandierte jauchzend:„ Hü- e!"
Die Dorfleute kamen an dem Tage etwas früher als Nun, der Pavel, wissen Sie. Aufrichtig gestanden, ich sonst vom Felde zurück; sie hatten Eile, ihre Anstalten zum beabsichtige, mich heute schon und zwar ohne Abschied davon Abschiedsfest für den Lehrer zu treffen. Der Schlot des zu machen... des Burschen wegen. Ich gehe freudig von hier Wirtshauses qualmte schon seit einigen Stunden; die ein fort, fann's nicht verbergen, und das tut ihm weh. So habe Wort mitzureden hatten, gingen dem Stand der Dinge in der ich mich bei der Frau Baronin und beim Herrn Pfarrer Küche nachsehen; andere hielten sich in der Nähe, um wenig empfohlen und fahre ab, bevor Pavel nach Hause kommt. stens den guten Bratengeruch zu schnuppern, der die Luft Habe mir ein Wägelchen bestellt- drüben an die Gittertür..ringsum zu erfüllen begann. Die Buben sammelten sich es sollte schon da sein..." schwarmweise, und weil es ihnen bevorstand, beim morgigen Festzug eine gute Weile friedlich in Reih und Glied zu wandeln, entschädigten sie sich dafür und prügelten einander heute noch in aufgelöster Ordnung gehörig durch. In den Häusern und vor den Häusern flochten die Mütter den Mädchen die Haare mit roten Bändchen ein, und in den Ställen taten die Bauernburschen dasselbe an den Mähnen ihrer Rosse. Da entstanden eine Unzahl dünner 3öpflein, so steif wie Draht, die den Köpfen der Mädchen und den Hälsen der Pferde etwas sehr Nettes und Gutgehaltenes gaben. Mit einem Worte, die Vorbereitungen zur Feierlichkeit waren im besten Gange, als sich die Kunde von der stattgefundenen Abreise Habrechts verbreitete. Anfangs wollte niemand an dieselbe glauben; erst als der Bauer, der den Lehrer nach der Eisenbahnstation gebracht, von dort zurückkehrte und dessen herzliche Abschiedsgrüße an die Dorfbewohner bestellte, mußte man wohl oder übel zu zweifeln aufhören.
Er eilte wieder an das Fenster und bog sich weit über die Brüstung. Der Wind zerzauste ihm die spärlichen Haare, in dünnen Strähnen umflogen sie seinen Scheitel und sein Gesicht, das so alt aussah und so wenig harmonierte mit der noch jugendlich schlanken und beweglichen Gestalt. Er trug den schwarzen Anzug, den ihm sein Vater zur letzten Prüfung hatte machen lassen, und der, auf eine förperliche Zunahme des Besitzers berechnet, die nie eintrat, die hageren Glieder um so fläglicher schlotternd umhing, als das Tuch fadenscheiniger und seine Falten weicher geworden waren.
Mladek musterte ihn durch die scharfen Gläser des Bwiders und sprach: Wie lang sind Sie denn hier Schulmeister gewesen?"
,, Einundzwanzig Jahre."
„ Und nach einundzwanzig Jahren machen Sie sich aus Jem Staub, als ob Sie etwas gestohlen hätten? Verderben den Kindern die Freude einer Abschiedshuldigung und den Erwachsenen die eines Festessens... und das alles, um Ihren Pavlicek nicht weinen zu sehen? Sonderbar!... es muß ein eigenes Bewandtnis mit Ihnen haben, Kollega... Wie?" Habrecht erbleichte unter dem inquisitorischen Blick, der sich auf ihn richtete. Was für eine Bewandtnis?" fragte er, und die Zunge klebte ihm am Gaumen.
„ Erschrecken Sie doch nicht vor mir- mir ist nichts Menschliches fremd," entgegnete Mladek voll Ueberlegenheit. Aufrichtig, Kollega, bekennen Sie! War die Mutter Ihres Pavlicek, die übrigens jezt im Zuchthaus sißen soll, ein schönes Weib?"
Nur Pavel ließ sich, als er nach vollbrachtem Tagewerk heimkehrte, in seiner Ueberzeugung, Habrecht sei da, müsse noch da sein, nicht irre machen. Er würdigte die, die ihn deshalb verhöhnten, keiner Antwort, lief zur Schule und trat ohne weiteres in die Wohnstube, in der er Mladek fand. Diefen fragte er kurz und barsch:" Wo ist der Herr Lehrer?"
"
Mladek, der an einem Briefe schrieb, wandte den Kopf: Da ist der Herr Lehrer," sprach er, auf sich selbst deutend, und ohne anzuflopfen, tritt man bei ihm nicht ein, das merk Dir, Du Lümmel."
Pavel stotterte eine Entschuldigung und bat nun, ihm zu sagen, wo der frühere Herr Lehrer sei.
"
Keine Antwort; auch hier alles still, und nun begriff Pavel, daß er seinen alten Wohltäter vergeblich suchte.
Habrecht begriff die Bedeutung dieser Frage nicht gleich, Abgepascht und auch Du pasch ab!" lautete die Antwort. als sie ihm jedoch klar wurde, lachte er laut auf, lachte immer Bavel schritt langsam die Treppe hinab, trat in das munterer, immer heller und rief in fröhlichster Erregung: Schulzimmer, blieb dort eine Weile stehen und wartete; und Nein so etwas! D, Sie Kreuzköpferl, Sie! Nein, daß als der, den er erwartete, nicht fam, ging er ins Gärtchen, in ich heute noch einen solchen Spaß erlebe... Herr Jesus , was dem er auf- und abwandelte, auslugend, horchend. Plötzlich Sie doch gescheit sind!" Er brach in ein neues Gelächter aus. schlug er sich vor die Stirn... Dummkopf, der er war, daß Der frankhaft empfindliche Mann, den die leiseste Anspielung ihm das nicht früher eingefallen!... Bei ihm, in seinem auf einen auf ihn selbst erregten Argwohn in allen Seelen- Hause befand sich der Lehrer, um ihm ihm ganz allein tiefen verwundete, fühlte sich durch den jeder Veranlassung Lebewohl zu sagen. Auflebend mit der rasch erblühten Hoffentbehrenden wie gereinigt. Rein Lob, feine Schmeichelei nung, rannte er durchs Dorf nach seiner Hütte und rief, bei hätte ihn so herzlich beglücken können, wie jenes Nachfolgers ihr angelangt:„ Herr Lehrer!" falsche und nichtsnukige Vermutung es tat. Er bemerkte nicht, daß er beleidigte mit seiner Lustigkeit; er wurde förmlich übermütig und rief: Ich wollte, Sie hätten recht: Es In der Mitte der Stube stand der Tisch, an dem er so wäre besser für den Burschen. Aber Sie haben nicht recht, und oft ihm gegenüber gesessen hatte, sein dünnbeiniger Lehnsessel sein Vater ist wahrhaftig am Galgen gestorben. Ein Unglück davor, und an der Wand sein altersbrauner Schrank... Der für den Sohn, das ihm als Schuld angerechnet wird. Man Anblick dieser Sabseligkeiten schnitt Bavel in die Seele und muß ihn in Schuß nehmen gegen die Dummheit und Bosheit. reizte seinen Born. Er schleuderte den Sessel in die Ecke und Ich hab's getan, tun Sie es auch; versprechen Sie mir das." führte einen Fußtritt gegen den Tisch, daß er krachend umMladek nickte mit sauersüßer Miene; im Innern aber stürzte... Was brauchte Pavel das Zeug?... Was brauchte blähte er sich giftig auf und dachte: Zum Lohn dafür, daß du er Erinnerungen an den, der ihn so treulos verlassen hatte? ohne nur Fort, fort, sein einziger Freund!... Fort mich seinetwegen verspottet hast! Das wird mir einfallen!" Inzwischen vernahm man durch die Nachmittagsstille gesagt zu haben: behüt dich Gott !... Was für ein Mensch das langsame Heranhumpeln eines Reiterwagens. Meine war er denn, daß er das vermochte? Meine war er denn, daß er das vermochte?... Besser tausendmal, Gelegenheit!" sprach Habrecht, hob das Felleisen vom Boden er wäre gestorben, daß man an seinem Sarge weinen und
"
-