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Richard Wagners   Lebens­erinnerungen.

I.

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Der Auszug der ersten Lebenshälfte des Bayreuther   Kunst reformators, instrumentiert von ihm selbst( und wahrscheinlich auch feiner Freundin und Gattin Cosima  ) ist jetzt erschienen, nachdem die mufilalische Welt monatelang vorher durch eine gefäjidte jour­nalistische und buchhändlerische Rellame fünftlich in Spannung ver­fegt war. Die Mitteilungen reichen von der Geburt bis zum Jahre 1864, als durch fürstliche Gönnerschaft eine entscheidende Wendung in Wagners bis dahin äußerlich unter stetem Druck von Not und Sorge verlaufenen Leben eintrat. Der Künstler bat seine Memoiren an langen Winterabenden in seiner Villa Triebschen   bei Luzern   1866-73 jeiner zweiten Frau Cosima Liszt   in die Feder diftiert. Das Diftat wurde dann in wenigen, nur für die Jutimsten der Familie bestimmten Exemplaren durch italienische, der deutschen Sprache unfundige Setzer vervielfältigt. 28 Jahre nach des Meisters Tode, givei Jahre vor dem Freiwerden seiner dramatischen Werte, übergibt nun die Witwe und tatfräftige Verwalterin seines geiftigen Erbes die interessanten Aufzeichnungen der Deffentlichkeit.

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der Erfolg auch für den bürgerlichen Künstler der stärkste politische Regulator ist und in der tapitalistischen Wirtschaftsordnung immer bleiben wird. ES enthüllt das ungeheure Symbol Fafners, des proletarischen Riesen und Kärrners für den pluto fratischen Bauherrn Wotan. Als der im Elend frondete und nach Gold hungerte, da hob er die Faust gegen die göttlichen Beschützer des Bestehenden; als er aber in den Drachenwurm verwandelt das Kapital hütete, da brüllte er dem jugendlichen Umstürzer und Welt erneuerer Siegfried fein berühmtes: Ich lieg' und befizz'. Laß mich schlafen 1" entgegen. Genau so Wagner   selbst, der berförperte 3wielpalt zwischen revolutionären Jugend- Idealen und fattem Philiftertum. Und dieser Zwiespalt schlich sich auch in sein fünft lerisches Lebenswert ein. Der Ning des Nibelungen", das vier teilige Drama vom Fluch des Goldes und von der stärkeren Macht erlösender, opferbereiter Liebe, das musikalisch- dichterisch seine Theorie bom allumfassenden Gesamtkunstwert erhärten sollte, ist inhaltlich ein Zwitterbing geworden, ein Spiegelbild der wechselnden deale des Bolitifers und Soziologen Wagner  . 28 Jahre Tagen zwischen Beginn und Vollendung des Ring- Gedichts. Der Dresdener   Auf stand, Roedel, Balunin, Schopenhauer  , Ludwig II.  , Bismard, der 70er Krieg, die deutsche   Reichsgründung lagen dazwischen. Die Jdeen des Laubeschen revolutionären Jungen Deutschlands   flingen noch deutlich an bis zum Siegfried". Aber im legten Teil: Die Götterdämmerung" ist Wagner   ein anderer geworden und verleugnet mit Bosannen und Trompeten feine politische Vergangenheit auch als Tertdichter. Nicht Siegfried war gekommen, sondern Bismard, nicht das Walhall der freien Geister, sondern die Zwingburg der fapitalisierten Gründerzeit. Shaw drückt diesen inneren Bruch ber

deutsche Nationaldrama" zerflüftet, so aus: Senn die Be te Deutschlands von 1849 bis 76 die Geschichte Siegiried und tans gewesen wäre, nur transponiert in die Zondit Des gegen wärtigen Lebens, so würde die Götterdämmerung   die logische Boll endung des Rheingolds und der Walküre gewesen sein, statt des opernhaften Anachronismus, der fie tatsächlich ist".

Man darf ein Fragezeichen dahinter machen. Denn der große Revolutionär in der Kunst W., war niemals ein Revolutionär in Politif, Leben und Gesellschaft. Er fofettierte mit Führern wie Bafunin und Lassalle, die er wie alle Menschen, die er auf seinen fteilen Lebensfurven an sich vorübergehen sah, nur zur Folie seiner persönlichen Eitelkeit benutzte. Die Siegfriede bon 1848 waren für ihn hoffnungslose politische Mißerfolge, während die Wotane und Alberiche und Loge hervorragende politische Erfolge waren." Der am fünstlerischen und wirtschaftlichen Ziel feines Lebens angelangte alternde Wagner   wünschte nichts wie den Bestand einer gesellschaft lichen Organisation, die ihm Glanz, Ruhm, Protektoren, Fürstengunft, Wohlleben und volle Jfoliertheit gegen Berührung mit den niederen Boltstlassen" garantierten. Dieses Jdeal schien ihm die Krönung der deutschen theokratisch- tapitalistischen Epoche in Wilhelm I.   zu fein. Und er feierte das Ereignis mit der Komposition des Kaiser­marsches".

Offenbaren nun die 900 Drudjeiten, deren vornehmster Wert, wie Wagner   selbst behauptet, in der schmudlosen Wahrhaftig feit" beruhen soll, der Nachwelt wirklich so Unerhörtes? Gelvinnt man neue Kenntnis von dem ungeheuren Tatsachenmaterial des Wagnerfchen Lebens, das doch die Maulwurfsarbeit zahlloser Bio­graphen und Kommentatoren schon bis in die engsten alter but forscht hat? Oder find diese Erinnerungen, vergleichbar en großen Bekenntnisbüchern, Quellen zur Erkenntnis der Triebbates große Männer? Nein, Wagners Leben" wird feinen Blaser Belts literatur" finden, wie der Verleger gern möchte, es wird nicht ben erzieherischen Wert von Lebensbeichten haben, die geniale Menschen mit der erlösenden Kraft eines schmerzlichen feelischen Geständniffes, mit dem Mat ber Selbstvernichtung durch rücksichtslose Offenheit, Wahrheit und Ehrlichkeit abgelegt haben. Geniale Menschen, die zugleich große Charaktere waren. Und der war Richard Wagner   nicht. Ihm fehlt trotz allem scheinbaren Realismus, trotz zeitweise durchbrechender Selbstironie die immer ein Zeichen des über der Sache Stehens, des objektiven Humors ift die legte Ehrlichkeit vor sich selbst. Er schreibt jede Beile für die Unsterblich feit, er spricht zur fosmopolitischen Gemeinde überzeugter Gläubiger, die in blindem Vertrauen zu ihrem Heros aufblicken sollen. Eine Lebensbeichte aber legt man nur vor fich felbft ab. Dem Stünstler, dem dramatischen Gestalter der deutschen Mythologie, dem tönenden Verkünder menschlichen Seelenlebens, dem Wieder erweder Hans Sachsens, dem Reformator der Oper, dem großen Mufiler Wagner   nimmt bas Buch nichts bon feinem bleibenden Wert, aber den Menschen Wagner   stellt es auf ein recht niedriges Piedestal. Ja, es bedeutet in vielen rein­Nein, Wagner   war nie ein Revolutionär. Seine eigenen Memoiren menschlischen, gesellschaftlichen und persönlichen, in allen politischen zerstören die Legendenbildung seines politischen Märtyrertums Dingen eine komplette Entthronung. Das pangermanistische Kultur­Idol der Chamberlain, Bolzogen, Haufegger und Glasenapp, der gründich, wenn sie wirklich mit schmuckloser Wahrhaftigkeit" ge­theoretische Berlinder der erlösenden chriftlichen Lehre des Mitleids schrieben sind. Das Milieu, dem Wagner   entstammte, ist auch nie und Mitleidens schrumpft in eigener Beleuchtung bedenklich zusammen und revolutionärer Gesellschaftsfritif. Eher günstig für die Entwide­besonders günstig gewesen als Nährboden politischen Radikalismus zu einem Bilde, dessen menschliche Züge fast durchweg abstoßen. lung von Strebern, Kannegießern, Barbenüs und papierenen Dema Und das, trozdem der Schauspieler in Wagner  , der Szenitor par excellence", wie ihn Nietzsche  , sein tiefster Renner, genannt hat, gogen. Und als Sohn einer fleinen Leipziger   Beamtenfamilie der Vater war Polizeiaftuarius, der Großvater Toreinnehmer am jeden Abschnitt, jeden Satz inhaltlich( nicht stilistisch, denn das unbes Ranstädter Tor in Leipzig   hat der Gymnafiaft, der Jüngling, der holfen- schwülstige Oberlehrerbeutsch mit seinen Schachteljäßen ist Studiosus musicee, der opatere Leipziger   Korpsstudent zunächst nichts weniger als effektvoll) auf Effelt komponiert hat, auf Wirkung feinen größeren Ehrgeiz als sich möglichst enge und zahlreiche Ver­nach außen. Trogdem das einzige große Leitmotiv des Buches der Egoismus ist und der große Künstlerwahn mit dem Ich als Welt- bindungen mit dem wohlhabenden und einflußreichen Leipziger  mittelpunkt, die Selbstbespiegelung und der Wille, auch über Leichen Patriziat zu verschaffen. Man hört ordentlich den Barvenü sprechen in folgenden Säßen: Die sonderbarsten Schicksale sollten mich num zu schreiten, um nur sich selbst durchzusetzen. Daß dieser weniger in in dieser Osterferienzeit treffen, in welcher ich wirklich das einzige in feinen Mitteln wie in seinen Erfolgen geniale Künstleregoismus als Leipzig   zurückbleibende Glied der fächsischen Landemannschaft war. Diese Schuhwehr gegen fremde Einflüsse und Hinderniffe notwendig war, steht Berbindung bestand ursprünglich meist aus Adligen und diesen schloß sich freilich auf einem andern Blatte. Der Musiker und dramatische Künstler der elegantere Teil der Studentenschaft an; alle gehörten ansehnlicheren Wagner  , dessen revolutionäre Kunsttaten mit elementarer Straft und wohlhabenderen Familien Sachiens und namentlich der Haupt­den stagnierenden deutschen Kunstfumpf der nach- flaffischen stadt Dresden   an..." Und bei Erwähnung seiner Freundschaft Beriode" aufwühlten, fab wie sein Siegmund gegen sich die Welt in mit dem reichen Leipziger   Patriziersohn Theodor Apel  : fein Um Waffen wüten. Er sah seine ganze Zeit gegen fich; der deutsche Indifferentismus in idealen Dingen hat sich nie schmerzlicher be- gang bot mir die in meinem Leben nicht häufig vorkommenden Bunkte der Berührung mit dem höheren bürgerlichen Komfort: während währt als im Fall Wagner  . Also mußte die zähe und gewaltige meine Mutter diesen Umgang der hochgeachteten Familie gern fah, Naturkraft, die in dem unscheinbaren Manne mit dem Aeußern eines fühlte ich mich wiederum geschmeichelt durch das Juncwerden der fleinen sächsischen Schulmeisters steckte, alle ihre Widerstands herzlichen Wärme, mit welcher ich in solchen Kreisen aufgenommen energien frei machen und bis zur Brutalität gegen gleichstrebende ward". Das flingt ebensowenig nach Jch- Bewußtsein und Künstler­Kunstgenossen, bis zur Kriecherei gegen Geldmänner und einflußftolz wie folgende Auslassung soziales Fühlen verrät. Da der junge reiche Machthaber sein großes Ziel: Reform der deutschen Opern Studiosus Wagner nun einmal dem eleganteren Teil der Studenten­bühne, Gründung eines deutschen National- Theaters für das schaft" angehörte, machte er im überschäumenden Kraftgefühl des Wagnerfche Drama zu erreichen fuchen. Denn auch Wagner   war wildgewordenen Spießers alle Flegeleien der Leipziger Privilegierten nur das Produkt der Verhältnisse. mit und beteiligte sich auch an einem Bordellsturm. Aber eines schickt sich nicht für alle: Das gefährliche Beispiel, welches von der Jugend gegeben worden war, verführte jedoch an den folgenden Abenden auch die niederen Volfsklassen, namentlich das Arbeiter proletariat zu ähnlichen Exzessen gegen mißliebige Fabritherren und dergleichen: nun wurde die Sache ernster, das Eigentum war bedroht, der Kampf zwischen Arm und Reich stand grinsend vor den Häusern. Jezt waren es die Studenten, welche zum Schutz gegen das niedere Boll herbeigerufen wurden

Der Wert des Buches liegt meines Erachtens weniger in der nach Möglichkeit getreuen Widerspiegelung individueller und zu­fälliger Geschehnisse, als im Typischen. Es zeigt mit vorbildlicher Deut­lichkeit die Entwidelung und den Werdegang des deutschen Stünstlers im Zwiespalt mit der bürgerlichen Gesellschaft. Es beweist, daß

*) Mein Leben von Richard Wagner  . 2 Bände. 900 Seiten. Brosch 20 M., geb. 25 M. F. Brudmann, München   1911.

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