entfesselten Sturme. Sie zankte Pavel tüchtig aus und er- klärte ihm, alles müsse ein Ende haben, auch Dankbarkeits- bezeigungen, und wenn er den Verwalter nicht augenblicklich holen gehe, sei es mit der Schenkung nichts. Das brachte ihn zu sich. In der nächsten Minute war er draußen im Hofe. Vor dem Tor stand die blonde Slava, das Häuslerkind schnöden Angedenkens. Sie diente im Schlosse seit ihrer Rückkehr und war jetzt damit beschäftigt, kecke Turteltauben zu füttern, die sichs nicht einfallen ließen, dem heranstürzenden Pavel auszuweichen: er mußte sich in acht nehmen, nicht eine von ihnen zu zertreten. Slava rief ihin einen guten Morgen zu, und er, ganz vergessend, daß es seine schlimmste Feindin war, die zu ihm sprach, erwiderte: Ich Hab ein Feld, die Frau Baronin hat mir ein Feld 'geschenkt." Die Feindin wurde rot bis unter die Haarwurzeln.Das ist aber schön," sagte sie,das freut mich." Jetzt erst besann er sich, mit wem er redete, und eilte ohne Gruß hinweg. So ganz anderes und wichtiges ihn auch erfüllte, neben. bei mußte er doch daran denken, wie gut das Rotwerden ihr gestanden hatte, welch ein bildhübsches Mädchen sie war, und daß es nicht recht sei vom lieben Herrgott, einer so schwarzen Seele Wohnung anzuweisen in einer so holden Hülle. Jeder Unbefangene mußte dadurch irre geleitet werden. Zum Glück war Pavel kein Unbefangener, ihn vermochte der Schein nicht zu täuschen. Er kannte diese Slava, und ob ihre Lippen sich im Sprechen bewegten, ob sie von lieblichster Sanftmut umschwebt aufeinander ruhten, er konnte sie nicht ansehen, ohne der Stunde zu gedenken, in der sie sich geöffnet hatten, und ihn dem Hohn und Spott preisgegeben mit der grau- samsten Frage:Fahrst zum Vater oder zur Mutter?"... Verzeih allen hatten Milada und Habrecht gesagt, und er, wahrlich, er wollte es tun: aber der gemahnt wird zu verzeihen, wird er nicht auch zugleich an das gemahnt, was er zu verzeihen hat? Die Erinnerung bildete die unüberbrückbare Kluft zwischen ihm und jenen, mit denen Frieden zu schließen seine liebsten Menschen ihn beschworen. Die Frau Baronin hielt Wort; die Schenkung wurde rechtskräftig gemacht: Pavel war ein Gutsbesitzer geworden. Das unerhörte Glück, das ihm vom Himmel gefallen, trug allerdings nichts bei zur Verminderung seiner Unbeliebtheit. Niemand gönnte es ihm: sogar Arnost hatte, als ihm Pavel die große Nachricht gebracht, den Mund verzogen und gefragt: -Wie kommst Du dazu?" Auch der Förster und Anton äußerten im ersten Moment mehr Ueberraschung als Teil- nähme. Was den Verwalter betraf, so sprach er der Frau Baronin gegenüber unverhohlen aus� sie habe sich von ihrer Großmut leider hinreißen lassen. Das Geschenk sei ein viel zu namhaftes und müsse in der Dorfbewohnerschaft Neid gegen den Empfänger erregen und Mißmut gegen die Spen- denn. Die Frau Baronin begnügte sich damit, diese Aeuße- rungen der Unzufriedenheit ihres ersten Wirdenträgers zur Kenntnis zu nehmen: als jedoch der Herr Pfarrer dasselbe Lied anstimmte und von edlen, aber gar zu spontanen Ent- schlüssen der Frau Baronin sprach, entgegnete sie: Die Schen- kung an Pavel Holub sei die Frucht eines von ihr ausnahms- weise lang gehegten Entschlusses und durchaus keine zu groß- wütige, sondern die genau entsprechende Spende für einen braven, vom Schicksal bisher vernachlässigten Burschen, der überdies der Bruder der mutmaßlich zukünftigen Oberin eines Klosters sei. Hierauf schwieg der geistliche Herr. Aus dem Kloster war die Frau Baronin nach mehr- kagigem Aufenthalt ganz vergnügt zurückgekehrt, hatte Pavel rufen lassen, ihm zahllose Grüße von seiner Schwester ge° bracht, ihn wegen seiner Sorgen um sie beruhigt und mit unendlicher Liebe und mit unendlichekn Stolz von ihr er- zählt. Die alte Frau wurde förmlich schwärmerisch in ihrer Begeisterung überdas Kind". Der Allgütige selbst hatte ihr, der alten müden Pilgerin, das Kind gesandt, damit es ihr die letzten Lebensjahre erhelle und ihr die Pforten seines Himmels öffne. Mache Dich einer solchen Schwester würdig," schärfte sie Pavel ein, und er faßte die besten Vorsätze, nach diesem Ziel, das ihm das denkbar hichste schien, zu streben, konnte aber den geheimen Zweifel, ob er auch jemals imstande sein werde, es zu erreichen, nicht los werden, Koch kämpfte er redlich und wünschte heiß, daß die Frau Baronin und daß seine Schwester nur noch Gutes von ihm zu hören bekämen. Eine große Aengstlichkeit um seinen Ruf begann sich seiner zu bemächtigen. Tie Sehnsucht, gelobt zu werden, die Freude an der Anerkennung erwachte in ihm, und er ahnte nicht, daß sie ihn so schwach machte, wie einst sein Trotz gegen die Menschen und seine herausfordernde Gleichgültigkeit gegen ihr Urteil ihn stark gemacht hatten. lFortsetzung folgt.) ObmtaUemscbe SinärUcke. Sago Maggiore und Mailand . l. Es geht mir nicht um die Aufzählung der Kathedralen und Bürgertugenden der einen, der Gemütsteinperatnrcn und Mitternachts- stimniungen der anderen Gegend. Was mich vielmehr noch nach« träglich über den Simplon zurückzwingt, ist jener ZwanaSsprung von der.Idylle" zum Grotzstadtlärm, vom Weitblick des hohen Felsgrats zur Rinnsteinperspektive des Mailänder Cafssessels. Jubelt eine Seele so, wenn sie aus derart»reiner Poesie" des ewigen Sonntags in die Prosa der Menschengeschicke zurückkehrt, so muß jene Vorstellung von zauberhafter Schönheit der einsamen Natur so wenig absolute Gültigleir haben, wie die andere von der öden Sinnlosigkeit des Menschen-Alltags. Und das will ich mir nun ansehen, was da vorging. Zunächst ganz weil zurück bis zum untätigen, hoffnungslosen Gang über immer gleich geformte Berliner Trottoirs bis zu einem der kleinen, schnell verwehenden kleinen Aufläufe, die den im Beob- achten und Erspähen vom Sinn im unbedeutenden stets fleißigen Nichtstuer anhalten. Eine eben abfahrende Droschke. Gepäck. Eine winkende Hand. Zu den etwa? zivecklos interessiert Umherstehenden sagt stolz die Portierftau:»Die Beletage. Die fährt an dem Latsche Matschere."»Ach". Dieses Ach derer, die es hören und dann sich ihrer Pflichten erinnernd weitergehen, indem sie noch einen langen Blick nach der fern schaukelnden Droschke mit dem gelbbraunen Koffer obendrauf werfen. Und dann sitzt man eines TageS wirklich am Kamin eines Allogio im Bergnest über jenem See, bereitwilligst durch die engen Maschen der Netze jener Unternehmer in Schlaf und Stoffwechsel ge- lasten, die uns Kleine mitleidig verschmähen und sieht diese Tessiner , die jenes Glück ständig genießen und mißbilligt, daß sie es min- destenS sehr zu verbergen verstehen. Sie husten und spucken, krauchen in ihre steinerne Ställe, in Betten, die man sich nicht gern aus« malen möchte. Ihre Wangen sind eingefallen, sie sprengen einige Felsstücke weg, um drei Quadratmeter mehr flüchtig zu bearbeiten. Sie schaffen in ihren Weinbergen, deren Ausbeute ihnen nicht erlaubt, je jene Fliegenden Blätter-Hosen mit Onadratmeterflicken gegen noch so billige neue zu vertauschen und schauen fleißig auf ihren See, ob er mehr oder weniger Gäste locken wird. Und doch sind nicht sie es. die sich dadurch verbessern. Wie dürftig ist ihre Küche: in der Tat eine»Hand voll Bohnen", dazu Brot und ein Stück Käse, ein Schluck des nicht heiteren Weines, nur Sonntags ein Stück Fleisch und dabei eine Art Zufriedenheit mit einem deutlichen Zug zur Resignation. Und ich ziehe fort von ihnen. sZch ertrage sie nicht, diese Menschen. Etwas in ihrem Leben scheint das unsere zu verspotten. »Seht, wie wir leben beten, eine Handvoll essen. Wir haben unseren See, dazu die Fremden und füge ich hinzu, leben im Dreck, haben zu fünfzig Prozent Schwindsucht, haben unser Leben hingebracht, um den fremden Unternehmern, die sich unsere fetten Plätze nehmen, die Stiefel zu putzen, die Steine fortzusprengen und mit unfern Knochen bequeme Angelplätze nach dem fremden Gold anzulegen. Unser Ort, alles könnte uns gehören, wenn wir nicht zufrieden wären." Und ich ziehe fort von ihnen, zu den harmlosen Ansiedlern.*) Die fassen.einen nach dem andern, den dritten, immer den dritten Rockknopf und predigen mir, ihn drehend:»Wieviel Harnsäure Du hast. Zeig Deine Nägel. Ach, wir dachten es: magenkrank seine Keine Röte im Goldfingernagel). Du mußt absolut Fleisch meiden, vegetarisch leben, schon vom ethischen-- Ich gehe weg von ihnen. Wie? Sie reißen meine große lebensprühende Kohlpflanze mit ihren kraftvollen Adern und Venen aus. zerschneiden und rösten sie lebendig, und sagen sehr ernst: Ihr Fleischesser tötet, eßt Leichen. Schon vom ethischen Standpunkt aus darf man nicht töten. Seht, wie leben wir, Geschöpfe GottcS, in ewigem Frieden, kein Mißton einer Qual in der Harmonie des Un- endlichen--- Mit einem Fußtritt befreie ich mich von ihnen. Ihr Fdeal ist eine abschreckende Lüge, ein kindliches Verstecken und Ohrenverstopfen. »Die Qualen, die wir nicht hören, sind nicht---* und dabei zeriSbeln sie meine Kohlpflanze. Und ihre bessere Verdauung, ihr idyllisches Genügen im sonnigfaulen Wiederkauen, ist es für starke Herzen? Ihr Ideal ist der arglose Wiederkäuer auf grüner Flur. unseren herrlichen Zorn, unseren Willen zur Stärke und zu hohem *) Der Verfasser meint die Kolonie der deutschen Rohköstler, Baumanbeter und Höhlenmenschen, die sich auS der Kultur in die Umgegend von Locarno geflüchtet haben.