Unter allen deutschen wildwachsenden BZumen hat die Linde die Rotzkastanie ist kein ursprünglich deutscher Baum die schönste, ja eine wirklich schöne Blüte. Der fünfblättrige Kelch ist hinfällig. fünf kleine gelbliche Blumenblätter umschließen zahlreiche Staub- gefätze. Der Fruchtknoten trägt einen Griffel mit fünf Narben und wird zu einem fast erbsengrotzen Früchtchen. Da bei der Sommer- lwde bis drei, bei der Winterlinde bis zwölf solcher Nützchen bei­sammenstehen, sich auch bei der Reife von dem gemein- famen Stiel nicht ablösen, sondern an und mit diesem selbst ab- fallen, scheint die Erhaltung der Art mit Schwierigkeiten verbunden zu sein. Dennoch gibt es zwei Umstände, die sie erleichtern. Der erste liegt in dem' bekannten, papierdünnen, zungenförmigen Deckblatt, dem der gemeinsame Blütenstiel teilweise als Mittelrippe dient, und da? für den gesamten Blüten- und Fruchtstand zum Flügel wird, den der Sturmwind packt. Der zweite, die Verbreitung der Linde fördernde Umstand ist die Zeit, in der sie ihre Früchte verliert. DieS geschieht nicht, wie es bei den meisten Bäumen der Fall ist, mit der Reife und dem Laubfall, sondern erheblich später. Man kann längst entlaubte Linden noch mit Fruchtbüschelchen behängt sehen; erst die Winterstürme fegen diese herab und führen sie weit hinweg. So finden wir gesunde, keimfähige Lindenfrüchte oft in Menge auf Schneeflächen liegen, von wo sie durch das Schmelzwasser weitergeschwemmt und zugleich zum besseren Keimen angequellt werden und dann im April und Mai leicht aufgehen. In unseren Parkanlagen, in denen zwischen den Linden� das Erdreich hinlänglich trocken ist, gehen alljährlich viele Tausende kleiner Linden auf, von denen aber kaum eine einzige ihr zweites Lebensjahr erreicht, denn die Linde ist ein Lichlbaum und verträgt wenigstens in der frühen Jugend durchaus keine Be- fchattung. Mögen aber auch Millionen Lindenpflänzchen verkümmern und verkommen, einige ringen sich doch durch den dichten Pflanzen- wuchs, der den Waldboden gemischter Laubholzbestände zu bedecken pflegt, und werden anfangs langsam, dann etwas schneller zu einem weitschweifigen Busch, an dem man aber nichts findet, das auf eine Anlage zu einem stattlichen Baum deuten könnte. Endlich macht sich der eine oder der andere dicht über der Wurzel entspringende Zweig vor den übrigen geltend und strebt aufwärts. Dieses Hindurchdringen und Emporkommen von der niederen Stufe des Busches zum Baumrange dauert allerdings geraume Zeit, nament- lich wenn es sich um einen Emporkömmling des dichten Waldes handelt. Um uns richtig zu verstehen, mutz hier eingeschaltet werden, daß, wenn wir von der Linde als einem allgemein bekannten, keiner weiteren Beschreibung bedürfenden Baum reden, wir den Botaniker gegen uns haben, denn der unterscheidet wenigstens zwei bei uns als Wald- bäume wildwachsende Lindenarten, die Winterlinde CKlia parvifolia), auch Berg- und Steinlinde genannt, mit kleinen Blältern, die auf der Unterseite von einer entschieden anderen Farbe als oben, nämlich blaugrlln sind und in den unterseitigen Blatlwinkeln rost- braune Haarbüschel tragen, und die grotzblättrige Sommer- linde(Tüm grandifolia) mit beiderseits gleichfarbigen, lebhast grünen und aus der gesamten Unterseite fein behaarten Blättern, denen die farblosen Haarbüschel aber auch nicht fehlen. Durch das massenhafte Erscheinen der Blüten an dem voll- ständig belaubten Baume bringen sie eine bedeutende Wirkung her- vor. Ihr Duft ist so lieblich, datz ihnen kanm eine einheimische Pflanze gleichkommt. Wo mehrere große Linden neben- einander stehen, ist zur Zeit der Blüte die ganze Gegend mit ihrem Dust durchwürzt. Auch hat die blühende Linde etwas Zauberhaftes an sich. Der starke, süße Duft in warmer Sommer- bist, das Summen der Tausende von Bienen und anderer Kerfe in der weit ausgreifenden Krone, das geisterhafte Ansehen eines voll» blühenden Baumes in heller Mondnacht, alles das vereinigt sich zu einer außerordentlichen Wirkung auf die Sinne, und eS ist wohl zu verstehen, wenn Verliebte am liebsten unter Linden kosen. Sagt doch Heine: Sieh' dies Lindenblatt I Du wirst es wie ein Herz gestaltet finden, Darum sitzen die Verliebten am liebsten unter Linden.' Ein anderer Dichter, Ludwig Pfau , fingt: Komm mit mir unter die Linde, Herzallerliebster mein I Komm setz' Dich an meine Seite, da woll'n wir lustig sein l' Aber auch Weh und Herzeleid sah der Lindenbaum, heitzt's doch im Stuartlied: Am Abend war'S, leicht wogte das Korn, Sie küßten sich unter der Linde. Eine Nachtigall sang und ein Jägerhorn Ich bin ein Kind der Sünde 1' Außer Verliebten und Verlobten lassen sich aber auch andere Leute gern im Schatten der Linde nieder. Fahrlgesellen sind es. die imLindenbaum", dessen Schildgerechtigkeit bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen mag, stohe Einkehr halten, um den Staub der Straßen mit kühlem Trünke hinabzuspülen. Und manch einem von uns mag's ergangen sein wie dereinst dem Sänger derLieder von der Land- straße": Vor ihm stund ein volles GlaS, Neben ihm Frau Wirtin saß _ Unter der blühenden Linde!'_ Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin. Druck u. Verlag: Kleines Feuilleton. Medizinisches. Blinddarmentzündung und Nationalität. Die Blinddarmentzündung, die heute jeder Aengstliche, der einen leichten Darmkatarrh hat, schon fürchten zu müssen glaubt, hängt nach einer interessanten Statistik von Prof. Orsen F. Williams- Liverpool (Med. Klinik' 1911, Nr. 2i) in ihrer Verbreitung wesentlich von den verschiedenen Nationalitäten ab, vermutlich nach dem Matzstabe des mehr oder minder hohen Fleischkonsums, dessen Steigen auf die Häufigkeit der Blinddarmentzündungsfälle gleichfalls steigernd einwirkt. Unter 22 009 ländlichen Rumänen mit meist vegetarischer Lebensweise kam nur ein Fall bor , bei den Stadtbewohnern ein Fall auf 221 Kranke. Während die fast ausschließlich pflanzliche Kost der Japaner und Inder einen gewissen Schutz gegen dieses Leiden zu bieten scheint, kommt es in Philadelphia in den wohlhabenderen Kreisen sehr oft vor. Dr. Frank Wehr- mann von der britischen Gesandtschaft in Abessinien, hatte während seiner achtjährigen Tätigkeit daselbst keinen einzigen Fall von.pxsudiaitis(Blinddarmentzündung). Er führt dies darauf zurück, daß die Eingeborenen sich hauptsächlich von Teff, einer einbeimischen Gctreidesorte, nähren und häufig einen abführenden Aufguß gegen eine dort oft vorkommende Bandwurmart einnehmen. In Peking ist die Blinddarmentzündung gleichfalls selten. In Hong- long kamen auf 8379 Todesfälle 3 auf Appendizitis, unter 2149 Sektionsberichten wird das Leiden nicht einmal erwähnt, ebensowenig wie bei 21S chirurgischen Operationen im Regierungsspital; dagegen kamen unter 1293 Ausländern des Shanghai Ge« neral Hospital 21 Fälle vor. Nach der Versicherung eines Mukdener MissionSarztes. der 2S Jahre lang dort tätig war, müßte China , ivenn Ruhr, schlecht verdauliche Nahrung und mangelhaftes Kauen überhaupt eine ursächliche Bedeutung dafür hätten, sehr viel Blinddarmentzündnngen aufweisen, so daß wir, da das Gegenteil vorliegt, eine gewisse spezifische Immunität der Chinesen in dieser Hinsicht annehmen dürfen. In Island , Däne­ mark und England tritt die Krankheit häufig auf, vielleicht infolge deS hohen Fettkonsums, noch mehr in Schweden ; in Rom und Italien überhaupt ist die Erkrankungsziffer trotz des relativ geringen Fettverbrauchs auch ziemlich hoch, ebenso in Athen . In Aegypten konstatierte man 1997 bei 6989 Spitalpatienten nur 6 Fälle von Blind- darmentzündung; das Hauptnahrungsmittel der dortigen Bevölkerung ist Brot, Gemüse, Käse, Milch, wenig Fleisch. In Persien ist die Er- krankungsziffcr unter den Europäern und in den westlichen kultivier- teren Orten ungleich höher als in den übrigen.wilderen' Landes- teilen. Wenn wir hier in Betracht ziehen, daß die Einwohner sehr viel Früchte genießen und auch häufig, wie in Abessinien, Abführmittel zu sich nehmen, so kommen wir notgedrungen zu dem Schluß, daß. in weit größerem Maße als der Einfluß der vegetarischen Ernährung, die Regelmäßigkeit im Ablauf des Verdauungsaktes eine wichtige Rolle in der Verhütung dieser so.modernen' Krankheit spielt. Technisches. Der T e l e p h o n o g r a p h. Es ist gar nicht schwer, die ideale Richtung zu erkennen, in der sich die Vervollkommnung der technischen Erfindungen vollziehen wird oder wenigstens vollziehen sollte. Jules Verne mit seiner großartigen Einbildungskraft hat bei seinen phantastischen Reisen ins Weltall. inS Erdinnere oder in die Tiefen der Ozeane manche Erfindung vorausgenommen, die später tatsächlich gemacht worden ist. So hätte eS wohl auch nicht allzu fern gelegen, eine Vervollkommnung des Fernsprechers derart vor- auszusagen, daß ein eigentlich vollendeter Zustand erreicht wird. Durch eine Erfindung, die jetzt der Pariser Akademie der Wissenschaften mitgeteilt worden ist, scheint eine solche Leistuno tatsächlich vollbracht worden zu sein, und zwar durch eine Verbindung des Fernsprechers mit dem Phono- graphen. Gerade darauf war man bisher nicht verfallen, vielmehr hatte das Streben der Erfinder sich darauf gerichtet, die Fernschreib- apparate möglichst weiter zu entwickeln. Es kann wohl aber keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, datz die Paarung von Fernsprecher und Phonograph dem höchsten Ideal entgegen- strebt. Der Phonograph nimmt die zugesprochene Mitteilung auf, ohne daß sich jemand an den Apparat zu begeben braucht, und der Empfänger kann sie sich jederzeit in der Stimme deS Sprechers wiederholen lassen. Man kann dagegen freilich einwenden, daß es bei der Mehrzahl der Ferngespräche auf Rede und Gegenrede ankommt, aber in vielen Fällen wird es, wenn die gewünschte Person nicht anwesend ist. vorteilhafter sein, ihr wenigstens den Gegenstand der Anfrage zukommen zu lassen, zumal sich deren Be- antwortung dann auf demselben Wege vollziehen könnte, ohne daß der Frager sich deswegen zu Hause zu halten braucht. Die bis- herigen Versuche sind lediglich innerhalb des Gebäudes der Pariser Akademie von einem Raum zum anderen angestellt worden, und haben befriedigende Ergebnisse gehabt. Ob der Apparat auch bereits soweit vervollkommnet worden ist, daß er ohne weiteres auf größere Entfernungen benutzbar ist, steht noch nicht fest. vorwärtsBuchdruckerei u.VerlagSanstalt Paul SingertCo.,Berlin S W.~