Wenn ich eckend» bei Freunden in Per«, im Viertel Njas Pascha, in dem Terrassengarten sah oder in dem Fenster, au» dem man wie aus einer breiten Loge auf die minavcttschlanke Zypresse nnd auf den Bosporus blickte, dann leuchteten die Lichter Asien » herüber und lockten geheimnisvoll. Und eines Freitags fuhr ich von der Stambulbrücke mit dem Dampfboot nach Skutari, die heulenden Derwische zu besuchen. Vom Landungsplatz ging es in kleinen klapprigen Holzwägelchen Mlf staubiger Strasse an braunen Holzhäusern mit Holzgitter- fenstern, vorgebauten Balkonkästen wie angehängten Vogelbauern, Ml Kramgewölben und Marktständen, die in der Mittagsstille ruhten, vrbei und bergan. Zur Rechten breiten sich unendlich weit türkische Begräbnisstätten aus, am Wegesvand, unter Zypressen, von keiner Mauer eingehegt, versunkene Hügel mit schief starren� den Steinen, vom Turbanknauf gekrönt, Schrifttafeln und Schil- dern mit ornamentalem, farbig blau und gold illuminiertem Schriftsatz, verwandt den Seiten künstlerisch geschmückter Bücher. Und dann hält der Wagen vor einem Gehäus, braun wie eine alte Geige, mit einem ftiedlichen, urväterlichen Garten. Durch einen Seiteneingang tritt man in einen Raum aus grünen Holzwänden, einem Umgang mit Sitzen und einer Galerie darüber. Der viereckige, durch Ballustraden von den Sitzen der Zuschauer abgeschlossene Raum ist noch leer. Er ist mit Matten imi> Fellen ausgelegt, und vor der Gebetsnische, dem nach Osten gewendeten Mihrab, stehen flankierend zwei grosse Kerzen, und in einer Seitenkapelle ragen hochrückig grün verhangene, mit dem Tudwn bedeckte Särge auf. In dem Umgang hat sich allmählich eine grosse Zuschauermenge angefunden, viel Familie-Buchholz-Typen, GemeinschaftSreise- i ndler im Zeichen des verbrüdernden Flanells, die das Kuriositäts- r'verwir absolvieren, aber auch pikante Levantinerinnen, mit sinn- i'. /en Capricegesichtern unter dem aufs Ohr gestülpten spitzigen �ierrothuL Nun öffnet sich eine seitliche Pforte und die Derwische ziehen ein. Voraus ein Alter, blossfüssig, in himbeerfarbenem Talar, mit ioallendem Patriarchenbart, ein rotes Turbantuch um den weissen Fez getvunden, die anderen schwarz. Sie machen die Gebärde des Erdeaufnehmens zu Stirn und Brust, sie neigen sich und beugen sich, stellen sich längs der Ballustrade auf, und der Scheich hockt wie ein Buddah in der Gebetsnische nieder. Eine Schar Andächtiger, ein kleiner Gemeindechor, lagert sich in dem heiligen Bezirk, Sol- daien sind dabei, kleine Mädchen mit roten Schleifen, ein dick- köpfiger fletschender Mohr mit schwarzweiss umwickeltem Turban. Durch die Fenster sieht man auf grüne in der Sonne nickende Kaumzwcige, und hier nicken die Köpfe pagodenmässig. Die Zeremonie beginnt mit dem eintönigen Psalmodieren der Koran -Suren. Der Scheich ist erkältet und hustet und schluckt. Bei den Abschnitten werfen sich die Beter lang auf den Boden. Es ist recht eintönig. Doch jetzt kommt durch die Pforte ein türkischer Offizier, ein stattlicher, älterer Mann, straff soldatisch, gelbbraun, das cisengraue Haar kurz geschoren, er hat dem RituS gemäss die Stiefel abgelegt und geht in Strümpfen, darüber die Stiefelhose mit roten Biesen. Er stürzt sich vor dem Scheich nieder, küsst ihm inbrünstig die Hand und stellt sich dann in die Reihe, die fromme Üebung zu teilen, vielleicht zur Lösung und Busse einer Sünden- schuld. Jetzt werden die dunklen Turbans gegen weisse eingetauscht, amd in immer sich steigerndem Rhythmus biegen die Derwische sich kreiselnd von links nach rechts. Das Psalmodieren und Murmeln Wird zum Kreischen, Heulen und Brüllen, und nur der eine Laut »la illah ill allah" weht auf- und abschwellend durch den Raum. Eine Pause, und nun brandet ein tiefes Bassgesumme, wie Orgelton. Der Chor bildet jetzt eng Schulter an Schulter eine Kette, er schwankt geschüttelt, geschleudert hin und her. In seiner Mitte der Offizier; der stösst leidenschaftlich die Gebetschreie auS mnd stampft, dah der Boden bebt. Den Waffenrock reisst er ab, eine gelbe Kutte wird ihm angetan und statt der Lammfellmütze xin weisser Leinenturban aufgefetzt. Die Ekstase wächst, das Heulen wird zum Röcheln und Gurgeln. Die Züge verzerren sich. Die Augen starren glasig und die Reihe schlingert wie im Sturmwirbel hin und her. Der Schaum tritt vor die Münder, die weit aufgerissen die Zähne zeigen, und»la jllah ill allah" dröhnt es. Man kann Untersckncde machen in dieser Schar. Nicht alle sind bei der Sache. Sicher verrichten manche den Kult mechanisch ür das Publikum, das ja sein Entree zahlt und ihnen ein ganz ein- räglicheS Geschäft ermöglicht. Viele sind aber doch fanatisch am Werk und rasen sich in ein Trance hinein. Vor allen jener Buss- gast, der Offizier und auch der magere fiebersüchtige Diener des Scheichs, der sich nicht genug tun kann. In epileptischen Zuckungen schlagen seine Glieder, sein aufgerissener Mund stösst die Heullaute auS wie ein wildes Tier, und gleich einem Tollwütigen schnappt er in die Lust, während ihm die Augen weih verdreht aus dem Kopfe guellen. Doch würdevoll, nur in leiser Hüftbewegnng sich wiegend. hockt das Buddahbild des Scheichs in seiner Nische. Da tritt ein schwarzer Kuttenmann vor ihn, er trägt'ein weiss eingewickeltes Kindchen wie ein Püpplein auf dem Arm. Er legt es zu Füssen und der Scheich tritt auf das Kind. Ein anderes wird vor der heulenden und schaukelnden Front vorbeigctragen, auf dass das Fluidum der heiligen Ucbung als SegenSwirlung es anhauche. Und jetzt stürzt sich der Offizier mit flackernden Blicken und beben- Kerantwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin. Druck u. Verlag: den Lippen an» der Reih«, wälzt sich vor dem Tchetch hin und lässt sich von ihm auf den Rücken treten; ein Stöhnen rasselt ihm au» der Brust, er erhebt sich wie im Schwindel und taufntlt hinaus..- Der Chor ebbt ab, das Heulen erstirbt in Murmeln, der dumpfe Raum entleert sich rasch. Draussen leuchtet durch di« Zypressen der Friedhöfe Nach» Mittagssonne, und auf den schimmernden Grabsteinen zwitschern die Vögel. Unter einem zweiggedeckten Vordach vor dem lila Agri- cini-Nanken hängen, bannt man mit schwarzem Kaffee und Zigaretten den Spuk. Auf der Strasse aber kommt ein Mann da- her, er führt ein Pferd am Zügel. Man erkennt ihn, es ist der anatiker, der Diener des Scheichs, er biegt mit dem Ross feines errn in eine Gräbergasse ein, setzt sich auf-vinen halbeingefallenen Hügel und-- heult weiter...,, kleines Feuilleton. Kulturgeschichtliches. Finanzkünste au» der»guten alten Zeit'. Di« Fürsten des Absolutismus brauchten Geld. Geld und nochmal» Geld, um ihr Glanz« und Prunkbedürfm» zu befriedigen, und sie nahmen es, woher sie es bekamen. Da wurde denn zuFinanzkünsten' aller Art Zuflucht genommen und Serenissimus suchte höchst persön- lich seinen getreuen Untertanen die Taschen nach Kräften zu er» leichtern. Ein kurioses Beispiel dafür wird in einem vor kurzem er» schiencnen Werke angeführt, in dem Karl Lohmeher einem vergessenen Architekten des Rokolo, Friedrich Joachim Stengel , wieder zu wohl­verdienten Ehren verhelfen will. Stengels Meisterwerk ist die Ludwigskirche zu Saarbrücken . Wer heute diesen entzückend graziösen Bau betrachtet, wird nicht mehr daran denken, wieviel Mühe cS dem Fürsten von Nassau- Saarbrücken gekostet hat, daS nötige Geld dafür zusammenzubringen. Ausser ihm hatt« sich eine grosse Anzahl von Untertanen verpflichtet, zu dem Kirchenbau in jedem Jahre einen gewissen Beitrag zu liefern. Der Baumeister selbst zahlte jährlich 20 Fl. Such auswärtige Sammlungen wurden veranstaltet, aber es kam nicht genug zusammen, so dass der Herrscher schliesslich dazu überging. Leute, die sich etwas zu» schulden kommen liessen, zur Zahlung von Geldern für den Bau zu zwingen. Da muß ein Handelsmann»wegen geführten falschen Maasen� 170 Fl., da der»Herr Berginspektor Woorst wegen üblen Betragens mit dem Verwalther Weitzel" 10 Fl. zahlen usw. Stengel erhält Gelder für Erlassung der Strafschanzarbest, für Ver» geHungen gegen einen in herrschaftlicher Livree befindlichen Diener, wegen Ehebruch, Hazardspiel, wegen der mannigfachsten Uebeltaten. Die Metzgerzunft muh 1702 wegen»bezeigter grober Widerspenstigkeit" 200 Gulden entrichten. Als ein paar Bürgerssöhne ohne Erlaubnis auf die Entenjagd gehen und dabei«inen Raben schiessen, diktiert Seine Durchlaucht:»Jeder von den ingezogenen BürgerSbuben gibt 30 Thaler dem Herrn Cammerraht Stengel gegen OuiUung zur neyen Kürche, und sollten sie sich nochmals geltsten lassen, mit Flinten auf meiner Jacht zu erscheinen, so trackrier man sie als die ander wildbrest diebe." Selbst Verstösse in der Küche werden dazu benutzt, um Geld für die Kirche zu erhalten. Sa müssen der Mundkoch Andrae und der Lehrloch Gold beide je»einen neuen ftatzös. Thaler' beitragen, weil sie»mit übel aptirter Sauce an einem Ahl' Serenissimus erzürnt haben. In grösseren, Stil führten andere Fürsten ihre.Finanzkllnste' auS. Es kann als ein ziemlich typisches Verfahren gelten, dass man einen geschäftskundigen Mann mit allerleiPrivilegien ausstattete, diesen sich dann nach Kräften mit dem Geld der Bürger vollsaugen liess und dann bei Geldm tden Schwamm ausdrückte'. In vielen Memoiren der Zeit hören wir davon, so z. B. in den Erzählungen Mosers und des Ritters Lang . DaS stärkste in dieser Art leistete wohl Karl Eugen von Württemberg , als er dem thüringischen Gerber» gesellen Lorenz Wittleder den Aemterhandel in seinen Ländern übertrug. In Ludwigslust eröffnete dieser, wie B e l s ch n e r berichtet, eine offene Verkaufsbude, in der Aemter jeder Art. von den höchsten bis zu den niedrigsten, schriftlich und mündlich auSgeboten und an den Meistbietenden verkauft wurden. Wer Geld hatte, konnte sich jede beliebige Stelle auswählen. So wurden Jägerburschen zu Expeditionsräten gemacht und Knaben zu Oberamtleuten. Den Be« Werbern antwortete er etwa:»Wenn Er dem Herzog 500 Fl. bezahlt und mir 1000, so kann er daS Dekret abholen.' Um neue Stellen war er nie verlegen, die wurden in Fülle von ihm geschaffen. Aber die Stunde kam, wo der skrupellose Aussauger selbst.bluten" musste. Im Jahre 1760 wollte der Herzog nach Venedig reisen; alles war da, was er dazu brauchte, nur eins fehlte: das Geld. In diesem Dilemma war er aber um Rat nicht verlegen; er schickte einen Regierung«- rat zu Wittleder und forderte von ihm ein Darlehen von 30000 FI. Der wurde zur Zahlung gezwungen und erhielt dafür eine sichere Ver- schreibung eingehändigt. Kaum hatte Karl Eugen das Geld in den Händen, so licss er durch einen neuen Abgesandten dem Wittleder die Schuldverschreibung abnehmen und ihn deö Landes verweisen? bald darauf starb dieseGeissel Württembergs' eines elenden Todes. Der Herzog aber fuhr mit seinen 30000 Gulden nach Venedig und liess sich auch wegen der 13 Millionen FI. Schulden, di« er sonst halte, keine grauen Haare wachsen._ vorwartsBuchdruckerei u.VerlagSanstalt Paul Singer�Co., Berlin SW*