DaZ erste hatte der Hannes bekommen und tvar nicht wenig stolz: wie schön der Josef schreiben konnte! Er tat sich groß damit und schickte in seiner Freude dem Jungen gleich etwas, um sich ein Extra anzutun. Denn daß er die schlechte Kost gar nicht ver- tragen könne und schon drei Tage im Lazarett habe liegen müssen, schrieb der Josef. Den zweiten Brief bekam Michel, aber er zeigte ihn nicht, denn der Josef schrieb, daß er Malheur mit den Karten gehabt hätte, die der Michel ihm mitgegeben, und machte ihm Vorwürfe darüber. Da schickte der Michel auch rasch was nach Köln . In jedem weiteren Brief, der in Scheidweiler einlief, standen tv eitere Klagen; es war erstaunlich, wie oft der Josef krank war— wer hätte gedacht, daß er so schwach wäre! Und war er nicht krank, so hatte er sonst irgendein Pech. Und wollte er nicht zu sehr von den Kameraden gehänselt werden, so mußte er, was von Hause, verteilen unter die auf der Stube, und der Unteroffizier peinigte ihn bis aufs Blut, wenn er nicht ab und zu seiner Frau ein Präsent machte von Wurst und Speck. Es war ein Glück, daß gerade jetzt die Zeit des Schweine- schlachtens zu Scheidweiler war. Sie schickten ihm alle etwas. Man konnte den armen Teufel, der so anhänglich schrieb, daß man ein ganz seltsames Gefühl im Herzen dabei verspürte, doch nicht im Stich lassen! Aber man zeigte die Briefe nicht mehr, jeder behielt seinen Brief für sich. Und damit die anderen nicht merk- ten, was man dem Josef schickte, rannte jeder Gott weiß wie weit auf vie Post; der Michel nach Osflingen, der Hannes nach Hont- heim, dieser nach Hasborn, jener nach Wispelt. Die beiden Brüder vom Mücklencr liefen sogar bis hinab nach Bad Bertrich . Ein goldener Herbsttag war es, an dem der Scheidweiler Josef bom Militär wieder heimkehrte..Die Scheidweiler hatten es sich eigentlich anders gedacht, aber nun er einmal wieder da war, konnte man ihm den Willkommen doch nicht versagen. Er hatte ja auch nichts Unrechtes getan. Denn was ein paar Bursche aus der Nachbarschaft, die zu gleicher Zeit mit ihm gedient hatten, in Umlauf setzten, daß er im Arrest gesessen hätte mehr als einmal, daß er ein schlapper Soldat gewesen sei, das war frech gelogen. Freilich, Unteroffizier war er nicht geworden; nicht einmal die Knöpfe hatte er bekommen! Sie sahen ihn doch au mit leisem Mißtrauen. Aber das Mißtrauen wurde schnell wieder zum Wohlgefallen, als der Heimgekehrte sich jeden seiner Gönner beiseite nahm: „Jesses, wat sein ech esu froh, dat ech Eich Widder zu sehen kriehn! On esu wohl seht Ihr aus, net e bißche geäldert! Oh, wat hau ech esu oftmals an Eich gedaach!" Wie er einen anlachen konnte! Ja. und solch ein bewegliches Mundwerk hatte seine Mutter auch gehabt. Ach, und die konnte betulich sein und so lieb schmeicheln! Das hübsche Bild der schwarzen Anna stieg lebendig wieder heraus— die samtschwarzen «ugen blickten zutraulich keck—. wer konnte da Vorwürfe machen?! Der Josef gab es auch zu. er hatte sich nicht sonderlich geführt beim Militär, das Exerzieren war ihm verdammt sauer gefallen, und dann das Maulhalten. Aber wie schwer hatte ers auch ge- habt, gerade zu ihm waren sie immer niederträchtig gewesen. Frei« lich, das wußte man ja. ein Kujonieren wars ohnegleichen! An diesem ersten Abend betranken fic sich, betranken sich mit bem Josef zusammen. Als sie am andern Tag aus dem Mords- rausch erwachten, der Alltag wieder da war, der Willkomm vorbei, ba hätten sie freilich gern anders gesprochen, aber nun wars zu spät. Wie ein froh Empfangener, wie ein Gerngefehener stolzierte bereits der Josef durchs Dorf. Guter Laune war er. Die Mädchen, die an den Haustüren standen, ihm neugierig nachguckten, hielten sich kichernd die Schürz« vors Gesicht— ein dreistes Liebeswort rief er ihnen zu. Das war nun einmal nicht anders beim Militär, bei den Soldaten lernen sie so etwas! Es kitzelte sie heimlich; da war auch nicht eine, die ihm seinen Zuruf übelgenommen hätte. Hübsch sah der Josef aus, hübsch, und ein Mann war er geworden! (Fortsetzung folgt.). Vie j�aturanl'ckauungen cles IVlittelaiters.� „Würde der Satz 2x2�4 irgendwelchen Interessen der Menschen widersprechen, er würde dann auch nicht für wahr ge- halten-,— der Philosoph, der dieses Wärt prägte, hatte unstreitig einen guten Blick für die Abhängigkeiten, in denen sich die ideelle Gedankenwelt von der Welt der materiellen Bedürfnisse befindet. Diese Abhängigkeiten, die wenn auch nicht gottgcgeben, so doch recht fühlbar sind, muß man stets im Auge behalten, will man die Ver- irrungen und Seitensprünge des menschlichen Geistes, an denen die Kulturgeschichte so überreich ist, auch begreifen und nicht nur •) Nach 91. D. White; Geschichte der Fehde zwischen Wissenschaft und Theologie in der Ehristenheit. 2 Bände. Leipzig , Th. Thomas Verlag. mit dem stolzen Bewußtsein seiner eigenen Unfehlbarkeit von der Kanzel herab verurtoften. Zu einer solchen Ueberhebung haben wir wirklich keinen Anlaß. Denn die Verirrungcn, die in der bürgerlichen Sozial Wissenschaft von heute gang und gäbe sind, gleichen in ihrer Lächerlichkeit bis aufs Haar denjenigen, die im Mittelalter auf dem Gebiete der Natur Wissenschaft begangen wurden. Und wenn wir jetzt die Naturanschauungen des Mittel- alters vor uns wollen Nevue passieren lassen, so werden wir doch dabei keineswegs vergessen, daß aus ihnen nicht nur die Unfertigkeit des damaligen Wissens, sondern auch der Geist der Kasten- und Klassenherrschaft spricht. Obgleich das mehrere Jahrhunderte während- Mittelalter rechts verschiedene Kulturstufen umfaßt, so haben sie doch alle den gemein« samen Zug, daß ihre Gcistcskultur vorwiegend eine Kirchenkultur gewesen ist. Die kirchlichen Lehren assimilierten die noch leben- digcn Reste der heidnischen Volksanschauungen und machten sich auch die Lehren der heidnischen Denker zunutze. Das auf diese Weise entstandene Jdeengemisch erlangte, trotz mancher Um« formungen, eine solche Tätigkeit, daß seine Reste sogar bis in die neuere Zeit hineinragen. Besonders gilt das von der allgemeinen Weltansicht, von den Vorstellungen über das Werden und Vergehen der sichtbaren Welt. Hier hatte man in der chaldäo-babylonischcn Tchöpftingssage, wie sie in dem ersten Buche Mofis niedergelegt ist, eine fertige Welterklärung, die um so leichter ins allgemeine Bewußtsein übergehen konnte, als sie im wesentlichen mit dem entsprechenden Jdeenkreise der altgermanischcn, altskandinavischen usw. Mythologie übereinstimmte. Die Arbeit des mittelalterischen Denkens ging in diesem Punkte dahin, die etwaigen Unklarheiten aufzuhellen und die allgemeinen Sätze ins einzelne auszuspinnen, und da dies alles auf dem Wege der spitzsindigsten Spekulation geschah, so förderte diese Arbeit recht wunderliche Dinge zutage. Man quälte sich z. B. mit der Frage, wann eigentlich die Welt von Gott erschaffen worden ist, und beantwortcre sie schließlich dahin, daß„der Mensch von der Dreieiriftzkcit erschaffen wurde am 23. Oktober 4004 v.(Thr., um 9 Uhr morgens-. Viel gelehrten Streit gab es auch um die Frage, wer von den drei Personen der Gottheit der eigentliche Schöpfer sei; man diskutierte leidenschast» lich über die Zeitdauer der Schöpfung, den dazu verwendeten Stoff usw. Das abgerundeteste Bild der mittelalterischcn Vorstellungen vom Weltgebäude gibt uns die.Summa Theologika" von Thomas von Aquino «die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts). Hier schwebt die Erde wie eine Kugel mitten im Weltall ; durchfichtige Sphären umkreisen sie, von Engeln um die Erde geschwungen. Im zehnten H'mmel, in einem Lichte, in das niemand dringen kann, sitzt der dreieinige Gott auf dem Thron, und die Sphärenmusik dringt, wie sich alles bewegt, zu ihm hinauf. Das ganze Weltgebäude wird von den Engeln bewegt, versorgt und verwaltet. Diese Engel bilden eine wohlgeordnete Hierarchie, die lebhaft an die Standeshierarchie der mittelalterischen Gesellschaft erinnert. Unter der Erde ist die Hölle. Ihre Verwaltung liegt in den Händen der von Gott ab» gefallenen Engel. Diese aufrührerischen Engels schassen den guten Engeln mancherlei Leid, sie bringen Blitze, Sturm, Dürre und Hagel, wieder andere plagen die irdische Gesellschaft und verführen die Menschen zur Sünde. Wenn wir in diesem System die richtige pythagoräischc Vor- stcllung von der Kugelgestalt der Erde antreffen, so war sie doch wiederum mit den abenteuerlichsten geographischen Ansichten ver» bundcn.„Wie das Herz mitten im Körper, so liegt Jerusalem in- mitten der bewohnten Erde, und so kam es, daß Christus auf dem Mittelpunkt der Erde gekreuzigt wurde", lehrt im 13. Jahrhundert ein vielgelesencr kirchlicher Schriftsteller. Daß mit ciner solchen Vorstellung die Lehre von den 9lntipoden nicht vereinbar ist, ist selbstverständlich. Sie wurde auch das ganze Mittelalter hindurch als ketzerisch, naturwidrig, unbillig, der Schrift zuwiderlaufend ver- warfen und verpönt.„Den Aposteln ward befohlen, in alle Weltj zu gehen und jeglichem Geschöpf die frohe Botschast zu tünden- Sie gingen aber nicht zu irgendeinem Äntipoden-Wcltteile undi predigten da zu keinem Geschöpfe; also es gibt keine Antipoden-, — diese Schlußfolgerung wurde von der Kirche noch zur Zeit deSl Kolumbus ausgestellt. Die Verquickung der kirchlichen Lehren mit dem Grundsatz der Aristotelischen Naturlehre, daß die Natur nichts ohne Zweck tue, Hätz die seltsamsten Blüten auf dem Gebiete der Biologie gezeitigt« Einerseits stichte man die damals bekannten Tatsachen mit der biblischen Schöpfunyssage in Einklang zu bringen, andererseits aber alle Eigenschaften der Tiere als zweckvoll und den menschlichen Interessen dienend darzustellen. Und� wenn die Tatsachen nicht ge« horchen wollten, desto schlimmer war es für sie: sie wurden um« geformt oder durch Phantastereien ersetzt. Wie viel Mühe machty z. B. die Frage, warum ein gütiger Gott Tiger und Schlangen, Dornen und Disteln erschaffen hatte. Peter Lombard , der groß« Gelehrte des 12. Jahrhunderts, gibt darauf folgende Auskunft? .nichts Erschaffenes würde dem Menschen geschadet haben, hätte e« nicht gesündigt; es wurde schadenbringend, um das Laster zu schrecken und zu strafen und die Tugend zu versuche» und zu erhöhen". Wie man überhaupt Wissenschaft und Bibel vereinigte, zeigt ein Beispiel aus dem„Physiolojus"(dem großen naturwissen, schastlichen Lehrbuch des Mittelalters) über die Stelle im Buchs Hiob, die vom alten Löwen spricht, der aus Beutemangel �stirbt« Weit entfernt von dem Versuche, ein ungewöhnliches hebräische» Wort zu erklären, geriet man aus einen sonderbaren Jrrtzu»«M
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28 (13.7.1911) 133
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