Wnterhattlmgsblatt des Jorwürls Nr. 135. Sonnabend, den 13. Juli. 1911 (RatS&ciut SccüoUoJ 31] pelle der Srobercn Lehrjahre. Bfoman öon M. Andersen NexZ. i>?och gemütlicher kann es an Werktagsabenden sein. Da trennt das Feuer auch noch nach acht offensichtlich im Ofen. die Lampe strahlt, und Marten ist auch da. Dann kommen sie von allen Seiten und sprechen einen Augenblick vor. und die hindernde Kälte weckt alle großen Erinnerungen in ihnen. es ist, als ziehe sich die Welt selbst in der warmen Werkstatt zusammen. Jeppe beschwört seine Lehrjahre in der Haupt- stadt herauf und berichtet von dem großen Bankrott! ganz bis in den Anfang des Jahrhunderts führt er sie zurück, in eine alte, wunderliche Hauptstadt, wo alte Leute mit Perücken gingen, wo das Tariende immer in der Luft hing und sich herumdrehte, und die Lehrlinge ihr Leben fristeten, indem sie des Sonntags vor den Türen der Bürger bettelten. Ja, das waren Zeiten! Und er kommt in die Heimat zurück und will sich als Meister niederlassen, aber die Zunft will es ihm nicht gestatten, er ist zu jung. Da geht er als Koch auf See und kommt da hinunter, wo die Sonne so heiß brennt, daß das Pech in den Fugen kocht, und man sich auf dem Verdeck die Füße verbrennt. Eine lustige Bande find sie, und Jeppe steht nicht hinter den anderen zurück, so klein er ist. In Malaga stürmen sie eine Wirtschaft, werfen alle Spanier aus den Fenstern hinaus und treiben ihre Kurzweil mit den Mädchen, bis die ganze Stadt über sie herfällt, und sie 1p das Boot fliehen müssen. Jeppe kann nicht mitkommen, und das Boot stößt ab: er muß ins Wasser springen und zu ihnen hinausschwimmen. Die Messer fallen platschend um ihn herum ins Wasser, und eins setzt sich zitternd in seinem Schulterblatt fest. Wenn Jeppe bis hierher gelangt, fängt er immer an, den Rock abzustreifen und die Narbe zu zeigen, Meister Andres hält ihn zurück. Pelle und Morien haben die Geschichte mehrmals gehört, können sie aber immer wieder hören. Und Bäcker Jörgen, der die meiste Zeit seines Lebens Bootsmann auf den großen Nord- und Südmeerfahrern ge- Wesen ist, wirft mit Handspille und Eisbären und schwarzen Schönen aus Westindien um sich. Er setzt die Sville in Gang, so daß der mächtige Dreimaster auf der Reede von Hanava die Segel lichtet, und in einem jeden Zuhörer wer- den die Segel gelichtet. O, hoi. ho, Ihr Leute, Die Spille in Gang! Laßt weinen das Mädel, Stimmt an den Gesang! So wandern sie rund herum, zwölf Mann, die Brust gegen die schwere Hairdspane geklemmt; der Anker wird ge- lichtet und das Segel füllt sich mit Wind, und hinter feinen Worten schimmern die Züge eines Liebchens in jedem Hafen hervor. Bjcrregrav kann nichts tun, als sich bekreuzigen, er, der nie etwas ausgerichtet hat, als für die Armen zu fühlen; aber in den Augen des jungen Meisters reist alles— rund um die Welt hermn, rund um die Welt herum. Und Holzfuß- Larsen, der im Winter der wohlhabende Rentenzehrer in blauer Seemannsjacke und Pelzmütze ist, im Frühling aber aus seinem hübschen, massiv gebauten Hause als armer Leier- kastenmann in die Welt hinausfliegt, berichtet von dem Tier- gartenhügel und der abenteuerlichen Holmstraße und von sonderkmren Wesen, die sich aus den Kehrichtkasten in den Hinterhöfen der Hauptstadt ernähren. Aber in Pelles Körper knackt es. wenn er sich nur rührt. die Knochen schieben nach und verlangen, sich zu strecken, er hat Wachstum und Unruhe an allen Ecken und Enden. Er ist der Erste, zu dem der Frühlig kommt, eines Tages meldet er sich in ihm als Verwunderung darüber, wie er wohl aus- sehen mag. Pelle hat sich nie zuvor diese Frage gestellt, und die Spiegelscherbe, die er sich von dem Glaser erbettelt hat, bei dein er Schabeglas holt, sogt ihm nichts Rechtes. Er hat im Grunde selbst daS Gefühl, daß er unmöglich ist. Er fängt an, auf die Auffassung, die andere von seinem Aeußeren haben, zu achten, hin und wieder sieht ihm ja nial ein Mädchen nach, und seine Wangen sind nicht mehr so dick« daß sich Witze darüber machen lassen. Das blonde Haar istl gewellt, die Gliickslocke in der Stirn verrät sich noch als! kleiner, widerspenstiger Strich; die Ohren sind noch immer schrecklich groß, und es nützt nichts, daß er die Mütze darübev zieht, um sie an den Kopf zu pressen. Aber er ist gut ge». wachsen und groß für sein Alter, die Werkstattluft hat seine Frische nicht unterkriegen können; und vor nichts in der Welt ist er bange, namentlich wenn er wütend wird. Er ersinnt hunderterlei Arten von Sport, um die Forderungen deS Körpers zu befriedigen, aber es verschlägt nicht. Wenn ey sich nur nach dem Haimner niederbeugt, so spricht es in alle» Gelenken mit. Aber dann birst eines Tages das Eis und treibt inS Meer. Die Schiffe werden aufgewkelt und proviantiert und gehen denselben Weg, und die Leute in der Stadt erwachen zu Vorstellungen von neuem Leben und beginnen an grünende Wälder und Sommerputz zu denken. Und eines Tages kommen die Fischerboote! Sie kommen aus Hellavik und Nogefund und aus den anderen Orten da» drüben an der schwedischen Küste, über das Meer dahin- gestrichen. Keck durchqueren sie das Wasser mit den wunder» lichen lateinischen Segeln in schrägem Flug, gleich hungrigen Seevögeln, die das Meer mit der einen Flllgelspitze streifen bei ihrem Spähen nach Beute. Eine Meile seewärts nehmen die Fischer der Stadt sie mit Flintenschüssen in Empfang, sie erhalten keine Erlaubnis, im Bootshafen vor Anker zu gehen, sondern müssen sich einen Platz in dem alten Schiffshafen mieten und ihre Fanggerätschaften zum Trocknen nach Norden zu ausbreiten! Die Handwerker strömen zusammen und reden über diese fremden Räuber, die aus einem ärmeren Lands kommen und den Kindern der Stadt das Brot vor dem Munde wegnehmen, abgehärtet, wie sie sind, voll Mut, bei jeglichem Wetter und mit Erfolg auszufahren. Das tun sie in jedem Frühling, und wenn sie sich mit Heringen versorgen wollen, so handeln sie mit den Schweden , die verkaufen billiger als die Einheimischen.„Vertragen unsere Fisck?er vielleicht ledernes Schuhzeng?" fragte Jeppe,„die gehen an Sonn- und Wochen» tag in Holzschuhstiefeln, das tun sie. Mögen die Holzschuh» macher mit ihnen handeln, ich kaufe, wo es am billigsten ist." Es ist, als komme der Frühling in eigener Person an» gestiegen in diesen mageren, sehnigen Gestalten, die singend durch die Straßen gehen, um den kleinlichen Neid der Stadt herauszufordern. Jedes Boot hat Frauen mit, um die Gerät» schaften zu reinigen und auszubesiern, und sie ziehen in« Scharen an der Werkstatt vorüber, um die alten Logis draußen im Armenvicrtel bei„Krafts" aufzusuchen. In Pelles Herzen kommt und geht es beim Anblick dieser jungen Weiber, mit hübschen Pantoffeln an den Füßen, mit schwarzen Tüchern um die ovalen Gesichter und vielen schönen Farben in der Klcidertracht. Es taucht so vieles in seinem Innern auf, dunkle Erinnerungen aus seiner Kindheit, wo olles dagelegen hat, wie ausgelöschte, hingehauchte Sagen von etwas, das er erlebt hat und dessen er sich nicht mehr entsinnen kann, es ist wie ein warmer Atemhauch aus einem anderen, unbekannten Dasein. Geschieht es dann, daß die eine oder andere ein kleines Kind auf dem Arm hat, so hat die Stadt was zum Reden. Ist es wieder Kaufmann Lund, so wie im vergangenen Jahre. er, der seitdem nicht anders als der Heringshändler heißt? Oder ist es ein sechzehnjähriger Lehrling, eine Schande füv Pastor und Lehrer, die ihn eben erst entlassen haben? Dann zieht Jens von bannen mit seiner Handharmonik«� Pelle beeilt sich mit dem Aufräumen, er und Morien eilei» hinaus nach demGalgenhügel, Hand in Hand, denn Morien wir!* es sckpver, so schnell zu laufen. Alles, was die Stadt an anspruchsloser Jugend besitzt, ist da; aber die schwedischen Mäd» chen gehen allen voran. Sie können sich schwingen, daß bis Pantoffel fliegen, kleine Kämpfe werden um sie ausgekochten, Aber des Sonnabends gehen die Fischerboote nicht in See, dann kommen die Männer mit funkensprühenden Brauen und« fordern ihre Weiber, und dann werden große Schlachten geschlagen. Pelle geht mit Haut und Haar hierin auf, hier findet er die Bewegung, die sein Körper bei seinem Handwerke so hart entbehrt hat. Er hat einen wahren Heißhunger auf Held«»»
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28 (15.7.1911) 135
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