So wußten denn dt« neuen Ankömmlinge auch, daß die, die sich ungeheure Laufstrecken angeeignet hatten, nur solche Parzellen wirk- lich beanspruchen dürften, aus denen sie Bohrungen vorgenommen hatten. Also ließen sie sich von den aufgepflanzten Formularen nicht ins Bockshorn jagen, sondern nagelten einfach nzue Besitz- notizen an die Pfähle. Das aber wollten sich die anderen nicht ge- fallen lassen. Ein frischer Kampf um den Boden, der oft 20 000 Mark pro Morgen wert war, der aber beiden nicht gehört, ent- spann sich. Ganze Heere wurden aufgeboten, um das Land zu be- wachen. Postenketten verwehrten mit geladenen Gewehren jeder- mann den Zutritt. Wer die meisten Söldner aufbieten konnte, dem gehörte nicht nur das bewachte Land, sondern auch das Land anderer, die mit bewaffneter Hand verjagt, deren Bohrtürme um- gerissen, deren Bohrlöcher zerstört wurden, um sie an der Ent- deckung von Petroleum, das ihnen Besitzrecht gegeben hätte, zu vcr- hindern. Während einer warmen dunklen Mainacht wurde unser Kraftwagen, mit dem wir die Oelfclder durchfuhren, erst ein dutzendmal von Wachtposten mit angelegter Flinte angehalten und gezwungen, einen Umweg zu machen. So wild war der Kampf ums schtvarzflüssige Gold geworden. Aber es wurde noch schlimmer. Der Bundesregierung gingen plötzlich die Augen für die große Bedeutung des kalifornischen Pe- troleuntgebietes auf. Sie zahlte ja in Panama monatlich eine halbe Million Mark für Rohpetroleum, das beim Kanalbau die Dampfkessel heizte. Und dieses Petroleum stammte größtenteils von den Ländercien des San-Joaguin-Tals. die der Regierung� ei- gentlich gehörten. Weiter kaufte sie jährlich viel Ocl für die Hei- zung der Bundcsgebäude und für die im Stillen Ozean statio- nierten Kriegsschiffe. Und dieses Oel hatte man der Regierung eigentlich vor der Nale fortgenommen. Um dem Unfug und den Diebstählen aber ein Ende zu machen, ordnete die Äundesregie- rung an, daß bis auf weiteres alles dem Bund gehörige Petro- leumland der Besitznahme durch Privatleute entzogen sei. Aber die Petroleumgräber kümmerten sich um die Anordnung nicht. Sie setzten ihr Treiben ruhig fort, bohrten neue Brunnen auf Rcgierungsland und ließen sich den Appetit nicht verderben. Noch heute spielen sie das gleiche Spiel, denn es ist der Regierung nicht gelungen, die Diebe von ihrem Lande zu vertreiben. Und ob «S je gelingt, ist noch eine große Frage. Im Jahre 18SS lieferte Kalifornien 2 000 000 Faß Rohpetroleum. Im Jahre 1910 hatte es mit einer Gesamtmenge von 70 000000 Faß alle Nebenbuhler geschlagen. Vor zehn Jahren importierte Kalifornien Kohlen aus Australien . Heute versorgt das Südendc des San-Joaquin-Tales die gesamte Westküste von Alaska bis Panama mit Rohpetroleum, und viele Schiffsladungen werden nach Japan verschickt. Zwei Drittel dieses Reichtums ent- stammen Landstreckcn. die von der Regierung unentgeltlich ver- schenkt wurden. Rohpetroleum im Wcrtr von 600 Millionen Mark wurde in einem Jahrzehnt auf diesem verschleuderten Lande geför- dert, und trotzdem steckt die Oelindustrie noch in den Windeln. Nur ein geringer Teil des Tales ist biS jetzt erforscht. Alle Anzeichen deuten auf das Vorhandensein ungeahnter Petroleumschätzc unter dem Boden des einstigen Meeresarmcs, der sich inS San-Joaquin- Tal erstreckte. An vielen Stellen in der Wildnis, weit, weit ab von jeder menschlichen Behausung, erheben sich schon die schwarzen Türme der Schatzgräber, die schwarzes Gold wittern. Riesengroß ist das noch unerforschte Gebiet, doch der schläfrige Onkel Kam muß sich beeilen, falls seine schlauen Neffen ihm den Schatz nicht vor der Rase forttragen sollen- kleines Feuilleton. Literarisches. Die Erbsünde. Roman von HanS Kirchsteiger (Berlin , I. Singer u. Co., 1911). Der Verfasser, ehemals ein römisch» katholischer Geistlicher, ficht mit seinem neuesten Erzählungs» werke gegen zwei Fronten: 1. Volksverdummung, hervorgerufen durch die päpstliche Avantgarde im Beichtstuhl und auf der Kanzel. 2. gegen da« Dogma von der.Erbsünde". Die» Dogma besogt: Daß kirchlich eingesegnete Eheleute die Pflicht haben. Kinder in die Welt zu setzen, ganz gleich, ob diese krüppelhaft geboren werden oder die Mutter, weil sie physisch zu schwach, darunter zugrunde geht. In solchem Falle, heißt es weiter, hat aber der Geistliche— als Hebamme oder Arzt in einer Gestalt— die Pflicht, den FotuS noch im Mutterleibe mittels einer Hohlnadel mit Weih- Wasser zu bespritzen, damit die Seele des kleinen Lebewesens, bevor der leibliche Tod eintritt, für den Himmel gerettet verde. ES kommt aber vor allem darauf an, daß bei der für diesen Akt vor- geschriebenen Gebetsformel kein.und" weggelassen werde. Viel- mehr stehe fest, daß, weil zwei.und"-Wörtchen bischöflich approbiert find, auch zwei.und" wirklich gesprochen werden. Man kann also diesen Roman in gewissem Sinne einen.Modernisten"- Roman nennen, was denn auch bereits geschehen ist. Geistliche, die, freiwillig oder gezwungen, den Boden ihrer Kirche verlassen haben, gibt'S ja in beiden Lagern— lutherisch-protestantische und römiich- kathofische schon genug Bürgerliche Ideologie möchte nun freilich in jedem dieser Renegaten einen Sozialdemokraten erblicken. Wir pflegen kritischer zu sichten; denn die Erfahrung lehrt doch, daß die wenigsten sich vollständig mausern. Kirchsteigers Vevamw. Redakteur: Richard Barth , Berlin. — „sozialistische� Auffassung wollen wlr gleich auf est» Beispiel fest- nageln. Der fteidenkerische Kaplan Hell— übrigens eine dem Anzengruberschen Pfarrer Hell ziemlich nahestehende Figur und außerdem der Verfasser selbst— läßt sich da auf Seite 82 folgender- maßen aus:.Würden fie(die Arbeiter) doch einmal zehn Jahre lang nur um die Hälfte weniger Kinder produzieren, dann wurden auch bald die Produkte ihrer Hände einen besseren Lohn finden." Im übrigen geht Kirchsteiger der katholischen Klerisei und ihrer Irr- und Verdummungslheorie recht tapfer zu Leibe. Zu natürlich auch. Er kennt dock, die.Scvwarzen", die fich überall— auch in Oesterreich , wo dieser Roman sich abspielt— gleich find. Der alte hier- a r ch i s ch e Dorfpfarrer ist sogar ganz ausgezeichnet geschildert und recht eigentlich ein„Prachtkerl". Er ist ein Lehrbeispiel für die Doktrin: die Religion muß dem Volke erhalten bleiben. Sie selber, diese wohlgenährten Herren sind recht weltlich, recht mammonistisch veranlagt und gönnen, frei nach Heinrich Heines Wort, den Himmel lieber den Spatzen. Bon den beiden jungen Hilfsgeistlichen vertritt der Kaplan Jung den fanatischen Gehorsamstypus, der ja unserer Arbeiterschaft au§ Max Halbes ,Jugend"-Drama bekannt ist. Der andere, Kaplan Hell:' daS ist der eigentliche MiitelpunktSheld. Kirch« steiger hat ihn, finde ich, allzu.sympathisch" ausstaffiert. Mit kapla- nistischen.Z'widerwurz'n" von solcher Färbung pflegt die bischöfliche Polizei kurzen Prozeß zu machen. Kirchsteigers Kaplan Hell scheint sieghaft zu bleiben. DaS heißt, wir wissen eS nicht; denn hier geht der Roman aus, wie daS bekannte Hornberger Schießen. Und der Verfasser tat klug, diese Frage unbeantwortet zu lassen, weil denn anders die Aussicht auf eine Romanforlsetzung vereitelt worden wäre. Ich finde auch, daß die Kirchweih zu.dick" aufgetragen wurde. Vier Erstochene auf einmal— na, na,„was z' viel iS, iS z'viel", sagt Nestroy in seiner Tannhäuser-Parodie. Als Roman kann die Geschichte nicht gut angesprochen werden. Hierfür ist der Verfasser zu wenig Dichter. Wäre er'S mehr oder gar durchaus, dann würde er trachten, daS Rohmaterial feiner zu verarbeiten. Aber als Kampfschrift gegen die kulturwidrige Herr- schaft der Tonsurierten kann KirchsteigerS Buch Nutzen stiften.«. k. Hygienisches. Lehren für daS Herz. Der Herzmuskel de? Menschen hat eine ungeheure Arbeit zu leisten. In jeder Minute zieht er fich 00 bis 140 mal zusammen und dehnt sich dann wieder au». Wenn man die einfache Rechnung ausführt, die Zahl der Zusammenziebungen zunächst für einen Tag. dann für ein Jahr und schließlich für ein Menschenleben von durchschnittlicher Länge zu bestimmen, so kommt man zu ganz außerordentlichen Ziffern. Es ist fast wie eine Maschine, die keine Ermüdung kennt, die aber andererseits freilich ihre Ueberanstrengung auf» deutlichste verrät und ihrem Besitzer durch die Erzeugung peinlicher Angstzustände eine kräftige Warnung zuteil werden läßt. Ein hervorragender Erforscher der Herzkrank- heiten, Prof. Goodall, hat an der Universität Binningham einen Vortrag gehalten, worin er die Art de» Blutkreislauf« ein wenig anders erklärt, als eZ bisher geschehen ist. Er meint nämlich, daß daS Herz bei seiner Zusammenziehung nur daS Blut nach den Geweben hin treibt und daß die anderen Muskeln des Körpers durch ihre Zusammenziebung daS Blut zum Herzen wieder zurück schaffen. Auf Grund dieser Anschauung hält der Gelehrte auch die bisherige Behandlung von Herzkranken für unrichtig. Bi« jetzt pflegte diese darin zu bestehen, daß man Krank« in einer tiegenden Stellung erhielt und dem Herzen so wenig Arbeit wie möglich zumutete. Auf diese Weise wird aber auch die Muskel- tätigkeit der Glieder verhindert, durch die das Blut zum Herzen zurückgetrieben wird, so daß gleichzeitig eine Schädigung eintritt. Das beste ist natürlich, wenn jeder alles dazu tut, sich selbst vor einer Ueberansttengung des Herzen» in acht zu nehmen. Die Zeit, die man dadurch gewinnt, daß man eine Straßen- bahn gerade noch im Laufen erreicht, oder eine Trepve in die Höhe stürmt, ist viel zu gering, um die damit verbundene Ueberanstrengung des Herzen» zu rechtfertigen. Man braucht dur-bau» kein Hypochonder zu sein, um e» sich namentlich im Großstadtlcben zum Gesetz zu machen, alle körperlichen Be« wegungen mit einer gewissen Ruhe auszuführen. Si» in einen Wettlanf begeben, beißt die Leistung des Herzen» ungefähr um die Hälfte steigern. Höchst lehrreich find in dieser Hinsicht die Be- obachtungen an Radfahrern gewesen. Wenn jemand 3'/« Minuten einen Hügel auf dem Rade hinauf fährt und dabei«inen Weg von rund 900 Metern zurücklegt und eine Steigung von 1 zu 10 über« windet, so bat sein Herz dabei eine Ueberarbeit zu leisten gehabt, die dem Heben eine» Gewichts von mehr al» 20 Zentnern um einen Fuß entspricht. Daß solchck Ueberanstrengungen, namentlich wenn sie sich häufiger wiederholen, nicht- ohne Folgen für den Zustand dieses wichtigsten aller Muskel bleiben können, muß jedem Verstände einleuchten. Professor Goodall legt zur Pflege des Herzens daS größte Gewicht auf reich- lichen Schlaf. Wenn jemand am Abend statt um 12 schon um 10 Uhr zu Bett geht, ohne deshalb früher aufzusieden, so spart er seinem Herzen in einem Jahr eine Arbeit von 2920 Meterzentnern. Werden die Grenzen einer normalen LeislungSfährgkei: des Herzen» andauernd außer acht gelassen, so meldet sich«in Herzklopfen, Kurzatmigkeit und daS Gefühl häufiger und schneller Erschöpfung. Aendert der so Gewarnte seine Lebensgewohnheiten auch dann nicht, so stellen fich weitere Folgen. Schlaflosigkeit und Sinnestäuschungen, ein._ Druck u. Verlag: 1jorwärtsBuchdruckcreiu.VerlagSanstaltPaulSingerkEo.,BerlinSVV.
Ausgabe
28 (3.8.1911) 148
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