22. Dft genug rnuszte Pelle es bereuen, bah er sich mtf fünf Fahre als Lehrling verdungen hatte. Er hatte während feiner Lehrzeit hundert, wohl auch zweihundert Jungen in die Reihe der Gesellen ausrücken sehen; dann wurden sie sofort auf die Straße gesedt, während neue Lehrlinge vom Lande und aus der Stadt die Zahl wieder vollmachten. Da standen sie dann und sollten auf eigene Faust anfangen. In den meisten Fällen hatten sie nichts Ordentliches gelernt, sondern hatten nur dagesessen und das tägliche Brot für den Meister erarbeitet: nun sollten sie plätzlich dem Fach gegenüber die Verantwortung übernehnien. Emil war vor die Hunde ge- gangen, Peter war Landbricfträger und verdiente eine Krone den Tag: dafür mußte er fünf Meilen gehen. Wenn er nach Hause kam, konnte er sich mit Pfriem und Pechdraht hinsetzen und den Rest für den Lebensunterhalt während der Nacht ver- dienen. Viele verließen das Fach ganz. Sie hatten ihre besten Jugendjahre nutzlos mit Arbeit verbracht. Jens war es nicht besser ergangen wie den meisten. Er saß da und machte Flickarbeit als kleiner Meister: sie hungerten geradezu. Das Mädchen hatte kürzlich eine Fehlgeburt gehabt, und sie hatten nichts zu beißen und zu brechen. Wenn Pelle zu ihnen herauskam, saßen sie in der Regel da und starrten einander mit roten Augen an: über ihren bangen Köpfen hing die Polizei wie eine Drohung, weil sie ja nicht verheiratet waren. „Wenn ich mich nur auf Erdarbeiten verstünde," sagte Jens, „so würde ich aufs Land hinausgehen und bei einem Bauern dienen." Bei all seiner Sorglosigkeit konnte Pelle nicht um- hin, in all den andern sein eigenes Schicksal zu sehen: nur seine Anhänglichkeit an Meister Andres hatte� ihn verhindert, jgeißaus zu nehmen und etwas anderes anzufangen« .(Lortsctzung fo!gt.x Viplomatifcbe Verltäncligung. i. Cambon: Ich stelle also im Namen Frankreichs die Frage, auf die alles ankommt: Was will Deutschland in Agadir ? K i d e r l e n: Ich werde die Frage beantworten, sobald Sie mir gesagt haben werden, was Frankreich in Fez will. Der Ver- trag von Algeciras ...... C a m b o n Weiß schon, weiß schon. So kommen wir nicht weiter. Ich werde nicht sagen, was Frankreich will, Sie werden nicht verraten, was Deutschland will. Damit würden wir die Verhandlungen vor ihrem Weginn abbrechen muffen. Das wäre das Ende— Kiderlen:— unserer Herrlichkeit. Wenns keine VerHand- lungen gibt, werden die Völker fragen, wozu sie Diplomaten de- zahlen? C a m b o pj Sehen Sie, lieber Kidcrlcn, wir kommen uns sckon näher. Stellen wir die Frage so: WaS wollen Sie persönlich? Kid e r l en: Das Gleiche, wie Sie, verehrter Kollege. Zu« nächst vollständige Geheimhaltung unserer Verhand- lungen. Kein Sterbenswörtchen in die Presse! C a m b o n: Aber natürlich. Was würde man sonst von uns sagen! Uns Staatsmännern glaubt man nur so lange, daß wir Weltgeschichte machen, als niemand erfährt, w l e wir sie machen. K i d e r l e n: Das wäre Verrat von Geschäftsgeheimnissen. Das wäre der Krieg— Cambon:— gegen alle Diplomaten. K i d e r l e n: Ehrenwort, ich bringe kein Wort hinaus. Cambon(gibt ihm die Hand): Ehrenwort! (Kiderlen schickt an August Scherl folgende Note:.Die Vcrhandtungen zwischen dem französischen Botschafter und Herrn von Kiderlcn-Wächter haben unter den freundlichsten Auspizien begonnen. Ueber die wichtigsten Vorfragen wurde bereits in beiderseitigem Entgegenkommen eine völlige Einigung erzielt.) II. Kiderlen: Deutschland besteht auf einem Vertrag. Wir müssen einen billigen Vertrag schließen. Cambon : Darf ich mir die Frage erlauben, welchen In- Halt dieser Vertrag haben soll? K i d e r l e n: Das ist uns Wurscht. Tie Hauptsache ist-in Vertrag. Cambon: Hat Teutschland nicht an Algeciras genug? Kiderlen: Was wäre ich ohne Algeciras ! C a m b o n: Ah, ich verstehe. Wir brauchen Verträge, wn wechselseitig behaupten zu können, daß sie verletzt werden. K l d e r l c n: Natürlich, gäbe es keine Verträge, so gäbe cS keine RechtSgründe, die wir anführen können, wenn wir Konflikte brauchen. Tie Staatsmänner wären überflüssig. Wir können ohne die internationale Moral nicht leben. C a m b o n: In der Tat, wir müssen eine Moral haben, um uns ihre Mißachtung vorwerfen zu können. Ich sehe die Notwen» digkcit eines neuen Vertrages ein. K i d e r l e n: Er ist die Vorbedingung für die Fortsetzung unseres Handwerks. C a m b o n: Aber ein Vertrag braucht sozusagen doch auch einen Inhalt. K i d e r l e n: Da liegt die Schwierigkeit. C a m b o n: Denken wir darüber nach. K i d e r l e n: Das ist sehr schwer... (Die„Kölnische Zeitung " meldet offiziös: Die Ver- Handlungen sind leider ins Stocken geraten. Die Schwierigkeiten einer Verständigung sind groß, wenn auch die Hoffnung nicht auf- gegeben zu werden braucht, daß sie nicht unüberwindlich find, Kaltes Blut und trockenes Pulver!) III. Kiderlen: Ich Habs. In dem Vertrag muß etwas von Kompensationen stehen. Cambon: Ganz meine Meinung: Kompensationen sind das Brot der Staatsmänner Kiderlen:— wie der Krieg unser Lebcnsclixier. Wenn wir den Leuten nicht einreden können, daß wir den Krieg zu ver» hindern vermögen, sind wir verloren. C a m b o n: Und wenn wir den Leuten den Krieg selbst nicht einreden könnten, wären wir auch nicht imstande, ihn durch Kom» pensationcn zu verhüten, und unser Betrieb wäre abermals bankerott. Kiderlen: Also, Frankreich muß uns als Kompensation eine Kolonie geben. C a m b o n: Mit Vergnügen. Indessen, wenn wir Deutsch- land eine Kolonie schenken, könnte man meinen, wir wären besiegt, wir hätten uns aus Angst unterworfen. Das erträgt die nationale Ehre des französischen Volkes nicht. K i d e r l e n: Unser deutsches Volk ist nicht so anspruchsvoll. das kümmert sich um solche Tinge nicht. Aber Majestät will einen Erfolg. Cambon(verbindlich): Dazu will ich gern behilflich sein, aber niemals auf Kosten der Ehre. Kiderlen: Wenn Sie uns keine Kolonie geben können» so müssen wir eben Kolonien tauschen. Cambon: Aha, weder Sieger noch Besiegte! Ein Ausweg! Was wollen Sie aber haben? K i d e r l e n: Wenn wir um ein Bißchen Kongo bitten dürften? Cambon: Und was bieten Sie dafür? K i d er l e n: Togo ?! Cambon: Mein Herr, Sic wollen mich foppen. Kiderlen(inständig): Nehmen Sie Südwest-Afrika. Cambon: Um keinen Preis der Welt. Kiderlen(flehend): Nehmen Sie Kamerun ? Cambon: Sagen Sie lieber: Nehmen Sie uns Kamerun ab! Kider len(bettelnd): Tie Marianen, Karolinen , Samoa ?! C a m b o n:(zuckt die Achseln)..... Kiderlen(entschlossen): Deutschland besteht darauf, daß wir alle unsere Kolonien an Frankreich abtreten. Cambon: Das ist keine Kompensation, das ist eine Bclei» digung, und ein Raub obendrein! Kiderlen(bedeutsam): Wollen Sie unsere Kolonien haben oder nicht? Cambon(heftig): Nein, zum Teufel mit Ihren Kolonien. Wir habe» genug an den nnserigcn. Kiderlen: Sie müssen unsere Kolonien haben.(Feierlich): Wir Deutschen fürchten Gott, sonst...... C a m b o n: Sic vergessen, mein Herr, daß wir in Frankreich den Staat von der Kirche getrennt haben. Ich bin mithin ver« pflichtet, den lieben Gott aus dem Spiel zu lassen. Wie Fran- zoscn fürchten dagegen die deutschen Kolonien. So reich sind wir nicht, um uns den Luxus zu erlauben. Kiderlen: Entweder— oder... C a m b o n: Oder nicht... (Der„Matin" meldet aus Berlin : Tic Verhandlungen find ab- gebrochen. Die Ansprüche Deutschlands sind uncrsüllbar.) IV. Kiderlen: Wenn Sie unsere Kolonien nicht haben wollen. so müssen wir auf den Tausch verzichten. Dann nehmen wir auch nie und nimmer den Kongo. C a m b o n: Aber wir müssen doch zu irgend einem Ergebnis kommen. Wie ständen wir sonst da! ES gibt immer noch ein Mittel. Kiderlen: Ich weiß keines mehr C a m b o n: Der Status quo! Kiderlen(strahlend!: Daß mir das nicht gleich eingefallen! Der Status quo— das hilft uns beiden aus der Klemme. Aber der Status quo— mit Vertrag und Kompensationen! C a m b o n: Reden wir also von— Marokko . Kiderlen: Lassen wir Marokko aus dem Spiel, Majestät---- C a m b o n: Ich bin unterrichtet. Trotzdem ist Marokko eine ewige Fundgrube, eine unerschöpfliche Quelle für weitere diplo, malische Verwickelungen.
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28 (8.8.1911) 151
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