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und Phantafient, aber ich hatte Grund, anzunehmen, daß sie| untereinander sich Vorstellungen, ja sogar merkwürdige Sagen von diesen Maschinen bildeten, und jedenfalls weiß ich, daß sie für jede einzelne von ihnen ihre besonderen Namen hatten.
Da war vor allem die große Zentralhalle mit ihren zehn Dynamos. Sie war wie eine ruhig schaukelnde See, die ihre Sturmkräfte streng gefesselt hielt eine durch die mahlenden Turbinen bewerkstelligte Stromverpflanzung der ruhigfließenden Limmat . Hie und da aber hatten sie bemerkt, wie in diese ruhige Bewegung ein Teufel fuhr, gleichsam ein Kräfteanprall an verborgenen Stahlriffen. Es kam aus der Mitte des Saales, wo ein zweitausend Pferdekräfte starker Maschinenkoloß von veraltetem Modell unter einer Ankerbrücke von doppelter Manneshöhe seine schwarzen Speichen schwang. Sein Brüllen übertönte das aller anderen und verursachte uns Qualen; er war wie der Großvater der übrigen, ein zorniger Poltergeist, der der Zeit zu folgen nicht imstande war, stets feine eigenen Wege ging und gegen die wahnsinnige Haft der Jektzeit wütete.
( Fortsetzung folgt.)]
Wunderkind.
Novellette von May Treut.
Karl! Komm mal sofort herauf!" ,, Gleich, Onkel!"
( Nachdrud berboten.)
Aus dem lärmenden Kinderschwarm auf dem kleinen, von hohen Häusermauern umschlossenen Hose löste sich ein etwa achtjähriger Knabe und eilte in das Haus. Mit großen Schritten sprang er vier Treppen in die Höhe, riß dann atemlos eine Tür auf, stürmte in das Zimmer und rief:
.Da bin ich, Onkel! Was soll ich denn?" Dann aber erschrak er fast. Der Onkel, ein alter, Hagerer Mann von etwa fünfzig Jahren, war nicht allein. Im Zimmer befand sich ein Gast, ein elegant gekleideter älterer Herr mit bleichen, müden Gesichtszügen. Prüfend ließ dieser seine Augen über den eben eingetretenen kleinen Wildling gleiten, dessen blühend- schönes, fuges Gesicht bei dem so unerwarteten Anblicke des Fremden noch röter geworden war.
" Der Herr," so nahm der Onkel das Wort," hat Dich neulich auf Deiner Geige spielen hören. Er möchte Dich jetzt gern noch
einmal hören.",
" Ich will aber nicht! Ich will mit den anderen Jungen spielen!" entgegnete Karl trotzig.
Das kannst Du ja nachher, mein Junge," sagte der Fremde mit fühler, ruhiger Stimme und legte seine Hand auf das blonde Lockenhaupt des Knaben. Sieh mal, ich will heute nacht von hier abreisen, und da hätte ich keine Zeit mehr, Dich zu hören."
Karl sah den Sprecher groß an. Was ging denn den sein Geigenspiel an? so mochte er wohl denken. Da könnte ja schließlich jeder kommen und könnte ihn vom Hofe wegholen, damit er hier zur Geige griffe! Als aber jetzt der Onkel wiederholte:„ Spiele uns doch etwas vor, Karl!" da langte der Trotzkopf doch nach der Geige. Mit findlich herausfordernden Blicken sah er den Fremden an, als er den Bogen ansette, als nun Ton um Ton dem Instrument entquoll, bald weich und träumerisch, bald frisch, keď und lebendig.
Der Fremed aber hatte keine Augen für Karl; er sah nicht, er hörte nur. Das Haupt in die Hand gestützt, die Augen geschlossen, die Lippen fest übereinander geklemmt, so saß er, etwas vornübergebeugt, im Sessel und lauschte den Akkorden, die des Knaben Hand dem Instrument entlockte. Ebenso still saß der Onkel da, und als Karl merkte, daß ihn beide nicht störten, da blitte es in seinen Kinderaugen auf, und schneller, kräftiger ließ er den Bogen über die Saiten gleiten. Bald wendete er in einem vor ihm liegenden Notenhefte Blatt um Blatt um, bald spielte er frei aus dem Stopf, aber immer waren es köstliche, seelenvolle Töne, die er hervorzauberte. Endlich legte er den Bogen beiseite; er schien er schöpft. Wie aus tiefem Traum erwachend, sah der Fremde auf. " Bravo!" sagte er," Bravissimo!"
" So," entgegnete Karl,„ nun gehe ich aber toieder in den Hof!" Und eins, zwei, drei war der Wildfang zur Tür hinaus. Bald hörte man vom Hofe her die jubelnde Kinderstimme, froh und hell, und aus ihr heraus hörte das schärfere Ohr den Jubel köstlicher, freudiger Kindheit. Derweil aber wurde oben im Zimmer des Onfels ein seltsamer Handel abgeschlossen. Der Fremde, ein Unternehmer, der Karl zufällig hatte spielen hören und auf ihn aufmerksam geworden war, wollte den Knaben mitnehmen und ihn in den großen Städten vor dem gebildeten Publikum auftreten Jajjen.
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Ja, warum sollte man um solchen Preis nicht einen Menschena handel abschließen dürfen? Topp also- es galt!-
Die Hauptperson bei der Geschichte freilich hatte man gar nicht gefragt, und so war es kein Wunder, daß besagte Hauptperson, als sie nach einigen Tagen von Signor Rubino zur Reise abgeholt merden sollte, sehr energisch protestierte und sich mit Händen und Füßen dagegen sträubte. Selbst die schönsten Bonbons des Signor und die besten Schmeichelworte des Onkels konnten ihn nicht anderen Sinns machen.
" Ich will nicht wegfahren!" tobte Karl. Ich will im Hofe spielen!"
einen und Schreien, wurde der Kleine Blondkopf in ein EisenAber schließlich mußte er doch nachgeben und, halberschöpft bom bahnabteil gepadt- 1. klasse natürlich und vorwärts ging die Fahrt.
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Bald schlief Karl in den weichen Polstern ein. Signor Rubino betrachtete ihn. Wie selig lächelte sein frisches, blühendes Gesicht im Schlafe! Gewiß träumte er von seinem Hofe, von seinen Kameraden, von seinen Kinderspielen. Und bald träumte auch Signor Rubino. Der träumte freilich von anderen Dingen: von Lorbeern, von Beifallssalven, von Gold, recht vielem Golde. Im Zimmer des Onkels aber stand der alte Kreisphyfikus Dr. Romberg, sah ihn mit seinen durchdringenden Augen an und sagte:
" Schämen Sie sich, Rost, daß Sie einen solchen Menschenhandel eingehen konnten! Wissen Sie, was Sie tun? Sie bringen das Kind um die schönste Zeit seines Lebens, um seine Kindheit!"
„ Sollen denn aber seine Talente nicht ausgebildet werden?" fragte der Onkel zögernd.
Papperlapapp! Damit hat's noch lange Wege! Der Junge hat Talente, große Talente, das ist wahr, und Sie als Erzieher sind vor Gott und Menschen verpflichtet, diese Gaben auszubilden! Auszubilden, merken Sie sich das, aber nicht auszubeuten! Wenn ein Kind Talente hat, so sind allerdings die Kindheit und die Jugend dazu da, dieſe Talente zu fördern, aber nicht im Laufschritt, sondern hübsch langsam! Nachher, wenn dann einer erwachsen ist, hat er Zeit genug, mit seinen Gaben vor der großen Welt zu glänzen und Kapital daraus zu schlagen; er hat Beit genug, und vor allen Dingen, er hat die Kräfte dazu! Die hat aber so ein Kind nicht, das geht meist elend zugrunde dabei! Seht Sie Euch doch an, die Wunderkinder! Wie sehen sie denn aus! Krank und bleich und übernächtig und pah! was weiß ich! Aber das weiß ich, daß es eine Sünde und Schande ist, wenn Eltern und Vormünder ihren Kindern und Schutzbefohlenen ihre Jugend rauben; die kann ihnen nachher keiner wiedergeben!
Adieu!"
Krachend fiel die Tür in das Schloß. Der Onkel aber zählte die blanken Goldstücke nach, die er von Signor Rubino erhalten hatte. Und dabei nickte er mit dem Kopfe.
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Karl sollte zum ersten Male öffentlich auftreten. Er war doch befangen, als er nun vor dem tausendäugigen Publikum stand, und die Tränen wollten ihm in die Augen treten. Mein Gott! Das sah doch hier so ganz anders aus als daheim in seinem Hofe! Lauter geputzte Herren und Damen, Hunderte von Lichtern, ein Gesumme beinahe fing Karl an zu zittern. Da stand aber von Stimmen, auch schon Signor Rubino neben ihm, und nun machte Karl eine einstudierte, steife Verbeugung, das Publikum flatschte, und Karl hörte ganz deutlich, wie einige dicht vor ihm sitzende Damen zus einander sagten:
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Ach Gott, welch entzückendes Kind!"
Und nun nahm dieses entzückende Kind" seine Geige, Signor Rubino setzte sich an den Konzertflügel, um zu begleiten, und dann ging das Spiel los. Mäuschenstill wurde es im Saal; aller Augen hingen gebannt an dem Knaben, der so sicher und feck den Bogen zu führen wußte.
Ein Wunderkind!"
So flüsterte man sich zu, als Nummer 1 des Programms zu Ende war. Und Karl hörte das wieder, und ein seltsames Gefühl kam über ihn. War er denn wirklich etwas Besseres als Peter und Frize und Hannes, feine Kameraden daheim, die er doch so sehr geliebt hatte? Ja freilich, jetzt hatte er ein prächtiges Samtkostüm an, tadela los neu, während die anderen zu Hause mit Löchern in den Hosen herumliefen, und er spielte hier vor feinen Leuten, wo der Duft von Patschuli und Ylang- ylang zu ihm aufstieg, und er bekam Beifall und Komplimente zu hören, während die zu Hause auf dem Sandhaufen spielten und höchstens einmal, wenn fie gar zu laut wurden, ein Donnerwetter des gestrengen Herrn Hausverwalters zu hören bekamen.
Es mußte doch wohl ein Unterschied zwischen ihnen sein! Und dann spielte Karl sein Programm weiter. Und als endlich das Konzert zu Ende war, da wollte das Beifallklatschen nicht aufhören. Immer und immer wieder mußte Karl vortreten und steife, ungelenke Verbeugungen machen.
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Ach, ein reizender Junge, wie füß!" hörte er sagen. Dann tam ignor Rubino zu ihm und sprach:" Du hast deine Sache vortrefflich gemacht, Carlo" er sagte nämlich immer „ Carlo" zu ihm ,, nun müssen wir noch ein kleines Abendessen mitmachen. Herr und Frau Kommerzienrat Schulze haben uns eingeladen; die Equipage wartet draußen auf uns. So etwas kann Der Fremde Signor man nicht ablehnen; tomm, Carls!"
„ Es ist ein Wunderkind!" sagte er zu dem Onkel, der nach der Eltern frühem Tode den Knaben erzogen hatte. Der Onkel nickte.
Und dann wurden sie handelseinig. Rubino, bot Geld, viel Geld!
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Jezt aber wurde Carlo rebellisch.