Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 163.
Donnerstag den 24. August.
1911
Die Erzählung des Ingenieurs.ngen verachtete fie es, fich- wie wir anderen- des
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( Nachdruck berboten.) und Dreieck so sachgemäß handhaben sehen wie Majory Lane; Bausen waren berühmt; und bei schwierigen Berech Rechenschiebers zu bedienen. Frauen erreichen rasch Uebung in der Rechenkunst, sie bilden schnell neue Bewußtseinslager für die mechanische Fertigkeit und werden hierin nicht wie Männer von einer neubildenden Phantasie gestört. Bald stieg denn auch ihr Ansehen. Der Bater, stolz auf Majorys Schönheit, Liebreiz und Tüchtigkeit, ließ sie schon 1901 bei der Einweihung des neueröffneten Hochtunnels vom Eigergletscher durch die Jungfrau die Firma repräsentieren, und Majory Lane stand auf dem Vorperron von Lane Bros' elektrischer Lokomotive, die feinen Finger um den Hebel des Kontrollors gespannt.
ch hörte, wie Majory und Sarah ihn laut verhöhnten und verlachten; sie wußten, daß er von veraltetem Modell sei, und sie drohten ihn zu pensionieren. Von den anderen Maschinen aber sprachen sie bewundernd mit einer Mischung bon Sachverständnis und kindischer Phantasterei. Sie nannten die zehn Dynamos„ Die lustigen Männer" nach der Bezeichnung, die R. L. Stevenson in ihrem Lieblingsbuche der gefährlichen Sandbank an der schottischen Küste gegeben, wo die Brandung jubelnd im Sturme hüpft und tanzt. Die Lustigen Männer, die tanzenden Männer!
Oder sie tamen in die Versuchshalle, deren Chef ich war. Sie kannten jeden einzelnen der sieben großen Gleichstrom Motore, die nebeneinander auf ihren starken Fundamentrahmen aufgestellt waren. Da standen sie dann, die Hände auf dem Rücken, und betrachteten die leise schwirrenden Kohlenbürsten, die wie große Hummeln über die Strom wender hintanzten. Dann und wann nahm ich sie hinein in den verbotenen Verschlag und ließ die Leitungen auf Ebonit platten schlagen, so daß ellenlange Funken gleich einem tranz blinkender Bajonette in die Luft sprühten. Oder ich ließ sie die Kraft der kleinen Maschinenmodelle erproben, unter deren Stößen sie vor Schmerz und Behagen die dünnen Lippen verzerrten. Sie verlangten noch stärkere Ströme und Stiegen bis zu sechzig Volt. Ich wunderte mich, wieviel sie aushalten fonnten.
Wie junge Spürhunde, mit vorgestreckten Nasen, schnaubend vor wilder Energie, jagten sie über das weitgedehnte Fabriksareal, von Gebäude zu Gebäude, zur Modelltischlerei, wo die Bandsägen an den weißen Brettern, die auf Schlitten herbeigeführt wurden, zischend auf und nieder fuhren, in die Schmieden, wo es aus hundert Essen lohte und brannte und die Werkführer ihnen Ringe und Armbänder aus Bessemerstahl schmiedeten. Sie schritten vorsichtig durch die metall staubverschleierte Feilenwerkstatt, wo Eisenfeilspäne knöchelhoch auf dem Boden lagen, und hatten ihre Löcher in den hochgetürmten roten Sandbergen der Gießerei, von deren schlackenbedecktem Gewölbe lange Spinnwebgardinen sich hinausspannen in die schwefelgelben Metalldämpfe.
Oft traf der Vater fie, rußig und mit Schlamm und Del beschmiert auf den Kohlenwagen sigend, die auf einem Schienenweg die Viertelmeile zu den Lagerplägen des Bahnhofes hinabrollten. Einmal aber sprang er hinzu und zog fie hinweg, als sie in dem jährlichen Schüßenaufzug der Arbeiter mitgingen, mit Vereinsabzeichen und Kantonfarben gefchmückt, an der Hand des berüchtigtsten Raufbruders und Unruhestifters der Fabrik.
Eines Tages aber sahen wir Majory allein, und ihr Kleid war seit dem Tage zuvor bis zu ihren Knöcheln gewachsen; sie bewegte die Füße ungewohnt und gezwungen unter der neuen Kleiderform, aber das Kinn saß stramm und energisch über dem Kragen, und der Ausdruck ihrer Augen war erwachsen und bewußt. Sie blieb vor den Werkstätten stehen und ließ sich bewundern, ging aber nicht hinein. Und im Verlauf desselben Tages teilte sie mir mit, daß sie nach Beratung mit dem Vater beschlossen habe, sich auf der Hochschule in Zürich zum Ingenieur auszubilden.
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Sie fuhr nun auch täglich in der Frühe mit dem Motorwagen ihres Vaters nach Zürich , und des Nachmittags arbei tete fie unter meiner Leitung in den Konstruktionssälen. Mit einer Heftigkeit und Energie, die häufig mein Bedenken erregte, warf sie sich auf ihr neues Studium. Es ist nun einmal die Art der Frau, sich auch in der Wissenschaft unbesonnen und rückhaltlos hinzugeben. Es war ein Glanz in ihren Augen, eine zärtliche Geschmeidigkeit in ihren Bewegungen, wenn fie, als wäre sie hier daheim, zwischen Beichentischen und Berechnungstabellen umberging, jenes Beben, halb Zorn und halb Schmachten, das die Siebzehnjährigen kennzeichnet, wo immer sie sich hingeben in Sport, Studium, Ballnächten oder Liebe. Uebrigens zeigte fie anerkennenswerte Tüchtigkeit. Ich habe wenige Neißfeder
Im Jahre 1902 besuchte Elliot Clyne zum erstenmal Lane Bros' Fabriken. Er hatte im Alter von dreißig Jahren eine der epochemachendsten Erfindungen unserer Zeit gemacht: einen elektrischen Akkumulator von nahezu idealem Modell, von sehr großer Leistungskraft und berhältnismäßig ge ringem Gewicht. In Amerika hatte er durch den Verkauf von Patenten Millionen verdient. Nun war er zu Lane Bros gekommen, um mit der Firma wegen Uebernahme fämtlicher europäischer Patente zu verhandeln. Elliot Clyne ist kein Amerikaner, er ist nationalitätslos; er ist sein ganzes Leben gewandert, seitdem er, zwölf Jahre alt, von einer deutschen Brigg in Singapore desertierte. Ich vermute, daß er deutscher Herkunft ist und ursprünglich Klein geheißen hat. Er war zu jener Zeit ungefähr fünfunddreißig Jahre alt, aber bereits gezeichnet von einem higigen und ent nervenden Arbeifsleben: bon Not und Entbehrung in früheren Jahren, später von Nachtstudien und tagelanger Arbeit in Laboratorien und Konstruktiossalen bis die Aufgabe gelöst war und das Glüd ihn traf, schwer wie der unvorhergesehene Abschluß eines rastlosen Gewohnheitslebens. Und der Bewegungstrieb, der sich bisher in der übermäßigen täglichen Arbeitsmenge ausgelöst hatte, ergriff ihn nun und jagte ihn ohne Widerstand und heimatlos auf Reisen von Land zu Land.
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Er hielt sich einige Monate in Direktor Lanes neuerbauter großer Villa auf, die Römerburg" getauft und nach dem Plan eines antiken Kastells auf dem alten römischen Lagerplat nahe den warmen Quellen angelegt war. Wir wurden eine Art Freunde, und treffen einander mit jahrelangen Unterbrechungen auch noch jetzt zuweilen. Zwischen Majory und ihm knüpften sich wohl schon zu jener Zeit Beziehungen, die während seines Besuches im nächstfolgenden Jahre gelegentlich eines Banketts für sämtliche Ingenieure der Fabrik bekannt gemacht wurden.
Majory Lane arbeitete indessen wie früher in ihrem Bureau, ohne auch nur auf eine Stunde ihrer täglichen Arbeitszeit Berzicht leisten zu wollen. Clyne sahen wir stundenlang einsam in den Parks umherwandern, oder er saß im Zeichenzimmer, Zigaretten rauchend, und betrachtete feine Verlobte mit schweren Blicken, ohne auch nur ein einsiges Mal ihren Augen zu begegnen. Es lag übrigens eine gewisse träge Melancholie über ihm, die häufig irritierend wirfte, wenn ich auch das Quälende der Ruhestellung ,. in der er sich gegenwärtig befand, sehr wohl begreifen konnte: mit einem abgeschlossenen großen Werke hinter sich und dem unbegreiflichen Wesen eines Weibes als Kompaß für seine Zukunftsbahn.
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Ich erinnere mich eines Tages im Juli, als Sarah Lane bon rückwärts zu mir geschlichen fam. Sie strich mit ihrer Hand über die meine und schickte sich an, mich auf meinem Gang durch die Werkstätten zu begleiten. Was habt ihr in diesen Tagen nur vor?" fragte sie. Ihr seid alle so geheimnisvoll. Seitdem Majory sich verlobt hat, seid ihr übrigens immer geheimnisvoll, und ich fühle mich ausgeschlossen von allem, was ihr plant."
,, Sarah," sagte ich, wir baben wirklich Geheimnisse. Wir bauen in diesen Tagen einen Wagen, der von dem Elliot Elyneschen Akkumulator getrieben werden soll. Des balb ist der Versuchssaal geschlossen;- selbst für Sarah Lane"
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