'Mein iieuer Schwager," fuhr sie fort,'-scheint mir überhaupt ein rätselhafter Mensch zu sein. Majory ist weit davon entfernt, ihn zu verstehen, und ihr Benehmen ihm gegenüber erscheint mir höchst unrichtig. Nun müssen Sie mir aber erklären, worin seine Erfindung eigentlich besteht. Ich bin geWitz nicht ganz und gar unsähig, sie zu verstehen, wenn ich auch nicht so gelehrt bin, wie Majory aus irgend- einem Grund zu werden es für gut befunden hat." Ich gab ihr eine populäre und daher nur halbwegs lorrekte Erklärung.Das bedeutet also," schloß ich,daß ein Wagen von jetzt ab von der bisher üblichen Betriebsart befreit ist und seine Kraft mit sich führt, wie der Reiter einen Futtersack, wie die Lokomotive einen Kohlenwagen. Elliot Clyne ist ein technischer Revolutionär, sehen Sie, Sarah, denn er haßt die abgesteckten und sanktionierten Wege. Aber warum halten Sie ihn für einen rätselhaften Menschen?" Sie lachte, schwieg aber. Ihre Augen waren ganz ruhig, 'sie blickten mich mit einer unbehaglichen Souveränität an, sie waren undurchdringlich und zugleich klar, von dunklen Ringen umgeben. Sie fand mich offenbar nichts weniger als rätselhaft, ich interessierte sie nur in sehr geringem Grade. /Zum ersten Male fiel mir auf, daß ihre Stimme in eine tiefere Lage hinabgestiegen, daß das Antlitz verlängert war, ohne ein rechtes Verhältnis zwischen den einzelnen Zügen aufzuweisen: es war bleich, mit einem kleinen bläulichen Anflug, und guckte aus dem dicken Haarbusch hervor wie aus einem schwarzen Dickicht, unbekümmert und neugierig wie kin Tier, das sich sicher glaubt. j .lLortsetzung folgt.x (naafcriid BttSoKn.) Sin Hbcnd in einem englischen Nachtasyl. Don B o z a P o I a k. sAus dem Tschechischen übersetzt von Otto Pick  .) Georg irrte bereits einige Wochen durch die Straßen Londons  , auf der vergeblichen Suche nach Arbeit. Er wohnte im Proletarier« viertel und geriet sogleich in den Sumpf der Großstadt hinein. In den schmutzigen, engen Gäßchen von Whitechapel, wohin die Sonnen- strahlen selbst am schönsten Sommertage nicht dringen, im jüdischen Biertel, wo alles dumpfig roch, in einer Höhle, wo die Not sich lauert und Verbrechen geboren werden, übernachtete er. Er versprach sich nicht viel von London  ; aber die rauhe Wirk- lichkeit überraschte ihn doch, lastete auf ihm und drückte ihn nieder. Ihm war, als fiele er im Zweikampf mit einem rücksichtslosen Gegner, der auf seiner Brust kniete und ihn nicht freigeben wollte. Und dieser rücksichtslose, harte Widersacher war die Not. Sein Geld ging zu Ende, er hatte keine Bekannten; die Fremden aber, an die er sich wandte, waren hart und ablehnend gegen ihn. Täglich begab er sich auf einen langen und herben Jrrgang nach irgendeiner Arbeit; er bot seine Hände und Fähigkeilen an, ging von Geschäft zu Geschäft, von einem Fabriktor zum anderen. Ueberall vertrieb ihn eine kalte, abweisende Höslichleit; überall dieses einförmige Achselzucken und ein ins Hirn sich bohrendes: ,,I um very sorry." sBedaure sehr.) Georg kehrte zurück, kraftlos und matt vom Herumlaufen auf dem sengenden Pflaster und zwischen Häusern, welche die Sonnen- Hitze ausatmeten gleich glühenden Platten. Er ging nach der Herberge. Zwischen stinkenden Fleischerläden wand er sich hindurch, an un- reinen, Ekel und Widerwillen erregenden Verkäufern vorüber, an geöffneten Bars, wo zerlumpte Trunkenbolde und kreischende Weiber im Kreise standen. Er ging stumpf, ohne Gedanken; nur die Müdigkeit lastete bleiern auf ihm. Sich irgendwo hinwerfen, schlafen, nichts sehen, nichts fühlen. Gleichviel wo.--- In der ebenerdigen Herberge bereitete sich eine Schar von Nichtstuern und Schmarotzern das Abendessen beim flammenden Herde. Es war ein weiter, düsterer Raum, in dem außer zwei großen schmierigen Tischen, einigen Bänken und im Winkel aufgeschichteten Strohsäcken nebst Decken keine anderen Möbel standen. Hier versammelten sich und hausten Leute, von denen manche noch immer eifrig einen Erwerb suchten und nur infolge langer Be» schäftigungslosigkeit in diese Versenkung gestürzt waren, Menschen, die mit der Zeit sich verändern und von den Abfällen Londons   zu leben lernen, falls Arbeit und Verdienst sie nicht rechtzeitig vor dem Abgrund retten. Hier waren Menschen, aus denen, wenn sie«S noch nicht find oder der Zufall es will. Verbrecher werden; Menschen mit harten Mienen, und solche auch, deren Antlitz einen gesunkenen In- telligenten verriet. "Georg hatte hier keinen, mit dem er sprechen, nichts, woran er sich festhalten konnte; und er litt oft unter dem Bedürfnis, sich einer verständnisvollen Seele mitzuteilen. In seiner Brust quoll oft ge- waltiger Schmerz und unausgesprochene Sehnsucht auf, wenn er so allein durch die Gassen ging, aus denen ihm überall Hoffnungs« losigkeit entgcgenstarrte. Manchmal war ihm, als müßt? er laut hincinschreien in den Lärm des Straßenverkehrs, der sich zu be- weglichen Maspn von Menschen, Ou�.ibusien, Wagen und Autos steigerte; während seine schmerzlich ausgepeitschte Seele nach einem Menschen rief. Ja, nach einem Menschen mit einem Herzen in der Brust, nach einem der Freundschaft und Liebe fähigen Menschen; denn er fühlte, daß ihm nur durch Liebe und Freundschaft, nur durch den inneren Wert menschlichen Gefühls geholfen werden könnte, wenn er nicht kleinmütig versinken sollte. Viele Schlafgängcr strichen bis zum Abend in den Gaffen um« her und kehrten oft berauscht in der Nacht zurück, störten die anderen, lärmten und wälzten sich oft auf die Schläfer, welche dann nach ihnen hackten, und blieben schließlich angekleidet auf dem Fußboden liegen. Der Eintritt jedes verspäteten BettgehcrS war von Schimpf» Wörtern. Flüchen und manchmal gar einer Rauferei begleitet. Eines NachtS war Georg so aufgeregt und angewidert, daß er ailfstand, als eine wüste Szene in dem Düster des nur von einem blinzelnden Oellämpchcn erleuchteten Raums ihn störte. Ein paar Männer schleppten Weiber von der Gaffe herein, zerrten sich gemein in einem Winkel mit ihnen herum und feijschten unr eine Flasche Schnaps. Eine verprügelten sie und warfen die Kreischende dann hinaus. Georg hatte sich der Dirne annehmen wollen als er sah, wie roh die Hiebe auf ihren Körper fielen und wie das Blut aus ihrem stumpfen Gesicht floß. Doch kaum hatten die Kerle seine Absicht bemerkt, als sie auf ihn losstürzten. Er entkam ihren Fäusten nur durch rasche Flucht ins Freie, wo ihm noch die Person, die sie soeben vor die Tür ge- warfen und die er geglaubt hatte beschützen zu müffen, zornig und frech nachschrie. Er irrte die ganze Nacht durch Londons   Straßen hin. Am Themsekai, in den unbeleuchteten Gäßchen und Winkeln der Lager- Häuser, gewahrte er bald hier, bald da ein ärmliches Weib, das gierig und listig den Männern auflauerte, im Finstern sich duckte; und er eilte beklommen den, Stadtinnern zu, um den Blicken lasier- hafter, in Fetzen gehüllter Subjekte zu entgehen, deren Lagerstadt Londons   Pflaster und die Parkgebüsche sind. Zum ersten Male stand Georg der Not Aug' in Aug' gegen« über i er stählte sie an seinem Leibe und begriff nun den ungeheuren sozialen Kampf, dessen unterirdische Triebkräfte ihm bisher unzu- gänglich fremd gewesen und jetzt erst klar geworden. Von hier, aus diesen dunklen Tiefen, erhebt sich jener gewaltige Riese, welcher Elend heißt, zuerst als eine grausame Anklage, dann aber schon als eine bewußte Kraft, welche gerechte Richter fordert, Richter, in deren Herzen die rote Flamme der Begeisterung und des Glaubens an die Zukunft brennt. Richter, denen die breiten Massen des zum'Selbstbcwußtsein erstarkten Volkes ausübende Macht verleihen werden. Georg fühlte sich in diesem Moment emporgehoben. DaS sitt­liche Schwergewicht seines ganzen Wesens gegenüber der Armselig- keit und Inhaltslosigkeit des Lebens der anderen wie das reinigende Bewußtsein des eigenen Duldens erweckten den Richter in ihm; und die Anklage formulierte sich in seinem Hirn, stieg empor, breitete sich aus, wurde eindringlicher, weil sich ihr ein neues schmerzliches Kapitel zugesellte, das nimmer zu verwischen geht, noch verblaßt. Die ganze Nacht irrte er in den Gaffen umher, um gegen Morgen erschöpft auf den Rasen im Hhdepark niederzusinken. Ein Weilchen nur. Dann begann die Suche nach einem Erwerb aufs neue------------------- In der Herberge wars düster. Nur das Herdfeuer flackerte und färbte die Gesichter der bei ihm versammelten Männer rot. Die warme Vertraulichkeit des Familienkreises leuchtete aus ihren Wangen und Augen, welche ver- langend aus den über der Flamme schwebenden Keffel blickten. Sie waren schön in ihrem gesunden Hunger. So rein menschlich. Die Rüstern weiteten sich im Dufte, der dem Kessel wie einer großen Weihrauchpfanne entströmte und ein bedeutsamer Augenblick der Andacht, vergleichsam der Weihe des kirchlichen Abendmahls, rückte mit dem wachsenden Sieden der Speise heran. Georg saß auf einer Bank an dem großen Tisch und blickte stumpf, ohne Jntereffe vor sich hin. Alle» edle Streben der Menschheit erschien ihm jetzt zwecklos, ohne Wert, und da war nur eine höchste Macht, eine böse hinter­listige, die Not-- und nur ein Despot, der Hunger und nur eine Religion, deren neuer Bekenner er war, eine niedrige und doch natürliche und wahre und darum sittliche, weit sittlichere als jene unnatürliche und lügenhafte Religion des gefüllten Kessels. Georg gegenüber hockte ein ziemlich herabgekommener Jüngling. Er hatte einen schön geformten Kopf, der tief zwischen den Schultern saß; ein ausdrucksvolles blasics Gesicht unter einer hochgcwö'.bten Stirn und Augen wie erlöschende Sterne. In ihnen war ein unbesiegtes Lodern, das bescheiden, Verhalten aus der Tiefe großer Trauer strahlte, während ein gebändigter Trotz still dahinter glomm. Die Gruppe am Herde verzehrte ihr Nachtmahl. Auf dem Strohsack neben deni Tisch lag ein älterer Mann mit