Anterkaltungsblatt des Horwärts Nr. 171. Dienstag� den F. September. 1911 »t (Rai&btua Det5c«n.) Vor dem Sturm. Roman von M. E. belle Grazie, Ein flachshaariges Bübel lief ihm über den Weg. Das fragte er nach dem Wirtshaus. Zem unt'n beim Predal," gab der Kleine scheu zurück, und lief spornstreichs ins nächste Haus hinein. Selbst die Kinder wichen ihm aus... dem Vagabunden! O einmal, nur einmal das alles den Menschen heim- zahlen können! Und dort hing das Kreuz und der Heiland daran, der für alle geblutet. Mit einem Ruck schob er die Mütze in die Stirne. Nein, er hatte ihm nichts zu danken. Nicht einmal das bißchen Nächstenliebe. Zem unt'n, beim Predal!" Fehlgeh'n konnte man hier gewiß nicht. Also vorwärts! In der Schänke hatte er noch immer einen gefunden, dem es noch schlechter ging als ihm. Das war auch ein Trost. Der Wirt war ein rothaariger Tscheche, der aber gut Deutsch   sprach und die Augen wie scheue Vögel umherschickte. Man munkelte allderlei über ihn, wußte aber doch eigentlich nichts Rechtes. Und schließlich in die Kirche ging er doch! Einmal, vor langen Jahren, hatte er als Reitknecht in den Diensten des Grafen gestanden, dem das Dominium Lorowitz gehörte. Ter junge Graf war damals fast noch ein Knabe gewesen. Aber der Predal hatte ihm nicht bloß das Reiten beigebracht. Und als es die Eltern merkten, war es zu spät. Nun wurde der Graf nach Heidelberg   geschickt,.studieren. Ter Besitzer des Tominiums Lorowitz saß im Rat der Krone. Da loar es nur billig, daß der junge Majoratsherr auch ein wenig von diesen Dingen verstand, um die er sich einmal, wenn auch nur dem Scheine nach, kümmern sollte. Werder Predal" fand aus irgendeinem Wege auch nach Heidelberg   und dort ging es noch einmal so lustig her. Der alte Graf war ein passionierter Reiter und machte sich von Zeit zu Zeit das Vergnügen, die hohe Freitreppe des Schlosses mit seinem Hengst in ein paar Sätzen zu nehmen. Wenn Ihre Gnaden, die Frau Gräfin  , mit einem entsetzten Sprung hinter die Türen flüchteten, hatten der Herr Graf immer einen Hauptspaß! Es war doch auch zu drollig: drinnen das spiegelnde Parkett des Gartensalons, mit den zierlichen Rokokomöbeln und den feinen Nippes auf Schränken und Etageren, und nun plötzlich trapp trapp trapp Se. Gnaden mitten drinnen! Der ins Gebiß schäumende Hengstkopf voran! Es wird einmal mein Tod sein!" jammerte die Gräsin. Aber es wurde sein Tod. Eines Tages brachen der Herr Graf das Genick... bei demselben Spaß! Weil ein Majoratsherr zur Hand war, machte sich die Gräfin nicht allzu viele Sorgen. Mit dem Majoratsherrn kam aber auchder Predal" zurück und noch einer, den sie denMexikaner" nannten, weil er einmal in Amerika   ge- Wesen sein wollte. Sicher war nur, daß er in der Fremden» legion gestanden und sich später jahrelang in Frankreich   und Deutschland   herumgetrieben hatte. Wenn man einer dunklen Kunde glauben durste, war er zuletzt der Besitzer eines der- rufenen Hauses in der Studentcnstadt gewesen. Dort hatte der junge Majoratsherr ihn kennen gelernt und einfach mit- gebracht, alsdl-ütre de plaisir"(Spaßmacher). Er mußte seine Sache wohl verstehen. Gelang es doch nicht einmal der Gräfin, ihn zu entfernen. Und als sie starb, blieb er erst recht im Schlosse. Der Kerl hatte ein braunes, verwittertes Gesicht, aus dem die Nase wie ein krummer Haken stach: rechts und links tiefe Rinnensaltcn, die sich bis in den ruppigen Bart verloren. Denn er ließ sich den Bart nie abnehmen, obwohl es nicht gerade Mode war. einen zu tragen. Die Augen. klein und scharf, gingen einemdurch und durch", wie die Bauern sagten: und wenn sie länger als üblich an einer Bauerndirnc herumsuchten, bekam die Dirne und ihre ganze Sippschaft Angst. Im Dorf sprach niemand Französisch. nicht einmal der Herr Pfarrer; aber was einilaltre de plaisir" war, wußten alle, seit der Graf denMexikaner� mitgebracht. Eine Zeitlang hatte sich die alte Gräfin mit dem Ge» danken getragen, daß ihr Sohn und die Herrin des Kunkel» lehens Schönbach einmal ein Paar würden. Aber es war seltsam! Weder der Graf noch das hochadelige Fräulein schienen an ihresgleichen Gefallen zu finden. Und die letzte Sorge, dieIhre Gnaden" ins Grab nahmen, war die Angst vor einer Mesalliance. Als der Reitermacher in die Wirtsswbe trat, nahm der Mexikaner gerade ein Schnäpschen. Er liebte es, von Zeit zu Zeit bei dem ehemaligen Nebenbuhler einzukehren, und der Tscheche wußte diese Ehre gar hoch zu schätzen. Wenigstens tat er so. Denn von den Heidelberger Tagen her lebte noch ein heimlicher Groll gegen den Mexikaner in ihm, der ihn damals so rasch aus der Gunst seines jungen Gebieters der- drängt.Hütt' der mich nicht aus dem Sattel gehoben, könnt' ich jetzt Verwalter oder Rentmeister sein," pflegte der Wirt zu sagen. Weil er aber auch so nicht übel gefahren war, suchte er aus der herablassenden Freundschaft des anderen wenigstens noch herauszuschlagen, was sich herausschlagen ließ. Und er bat selten umsonst. Auch war es nicht bloß die Fülle der lustigen und schmutzigen Erinnerungen, die beide noch immer verband. Wenn der alte Kuppler das Herrschaft- liche Schloß verließ, um eine Stunde beim Predal zu schnapsen", hatte er immer ganz bestimmte Absichten. In der Schenke wurde alles zusammengetragen, was im Dorf geschah. Und Seine Gnaden, der Herr Graf, hatten oft ein Jnteresie, zu wissen, wann und wo diese oder jene schöne Bauerntochter zufällig allein zu treffen wäre. Auch was die Bauern untereinander sprachen, begann den Patronatsherrn zu interessieren. Die Leute begannen sich nämlich seit einiger Zeit allerlei Unsinn in den Kopf zu setzen. Da und dort war die Unzufriedenheit sogar schon zu einer kleinen Revolte aus» geartet. Es war immer gut,informiert" zu sein. Man konnte seine Maßregeln treffen und den dummen Kerls mik Hilfe des Justitiärs klarmachen, daß es ganz überflüssig sei, auch ihre Köpfe und Mäuler zu strapazieren. Die Herrschaft war mit ihren Händen vollkommen zufrieden. Der Mexikaner hatte natürlich einen eigenen Tisch für sich einen Tisch, dem die Bauern nicht bloß aus Respekt ferne blieben. Heute aber war ein Wochentag und niemand sonst in der Stube, au deren Decke immer eine schwarze Rauch- wölke hinzog, die nach Sauerkraut und Selchfleisch roch und nach dem schlechten Tabak des Wirtes. Darum erregte der Reitermacher einiges Interesse, als er eintrat. Erstens war er einZugereister" und dann.... Man wußte ja nie, wer und was heutzutage in einem solchen Kerl stak. Und weil der Reitermacher noch in jeder Wirts- stube demselben Mißtrauen begegnet war, hatte er sich an- gewöhnt, in jede mit demselben Gruß einzutreten:Gelobt sei Jesus Christus!" Der rote Schädel des Wirtes fuhr empor. Machte sich jemand einen Spaß mit ihm? Zuletzt besann er sich doch, daß er nicht mehr in Heidelberg   war, und gab ein mürrisches In Ewigkeit Amen" zurück, das der junge Handwerker jedoch kaum hörte, denn er sah im Augenblick nur den Mexikaner. Und als auch dieser den Mund auftat, um den frommen Gruß zu erwidern, ward demReitermacher" trotz aller Unfromm- heit ganz seltsam zumute.So müßt' der Teufel aus» schau'n, wenn erGelobt sei Jesus Christus" sagen muß!" dachte er. Und:Der Kerl könnt' einem das Gruseln lehren!" Aber es war das erste pfisfige Gesicht, das er seit Wochen gesehen hatte, ineilenweit, im ganzen Znaimcr Kreis. Stieß man nicht zufällig unterwegs auf einen Land- streicher, die Bauern da herum sahen ja drein, als könnt man ihnen die Dummheit faustdick von der Stirne wischen. Kann ich eine Suppe haben?" fragte der Bursch. Der Mexikaner warf dem Wirt einen Blick zu einen Blick aus den Heidelberger Tagen.Laß mich erst losgeh'n, mein Lieber..." so beiläufig. Und wie nebenbei sagte er:Die Geselchte" ist immer recht g»t da!" Der Bursch blinzte ihn von der Seite an. Oha! Wollte der ihm so kommen? Nun wenn er seinem frommen Gruß nicht traute, er würde ihm wieder in die Selchsuppe