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gangener Zeiten; hier und da ist auch ein Viehwagen darunter. Als ich dann fehe wie fich so viel Menschen in ein Haus hinein Bom Bahnhof aus führt eine schattige, alte Ulmenreihe ins otädtchen, drängen, als würden bort die funkelnagelneuen echten 20- Markstüde das mit dem rehgraunen Tone der Ziegelsteine, woraus die Häuser verschenkt, erwacht in mir die Neugierde. Da stehe ich nun auch ausschließlich gebaut find, und den weißgestrichenen Fensterrahmen mitten in dem Haufen und kämpfe um Einlaß. Endlich bin ich freundlich anmutet. Asphaltierte Straßen, elektrische Bogenlampen, drinnen und stehe in der Reihe Wartender, die am Schalter einer großstädtisch anstrebende Schaufensterauslagen lassen beim ersten nach dem andern rasch abgefertigt werden. Ich frage jemand, was Anblick nicht den Wallfahrtsort vermuten. das auf sich habe. Man belehrt mich, daß dort die Einzahlungs fasse für die Seelenmessen sei. Ich sehe, wie mit geschäftlicher Routine hier die Taler eingestedt werden; das geht so fix, als wenn man an ein Fahrtartenschalter tritt. Ich höre den metallenen Klang der Silberstücke, wenn sie in den Geldkasten fallen. Geht hier nicht Tezzel um?

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Wo aber die innere Stadt beginnt, erblickt man schon nichts anderes mehr in den Schaufenstern als Wallfahrtsartikel. Eben kommt über den Gnadenweg"- das ist die Straße der Beter eine Pro­zeffion dahergezogen. Boran Chorfnaben mit weißroten und weißblauer Gewändern. Ihnen folgt ein Mann, angetan mit einer gelben Schärpe und einem Zweispiz, der eine buntseidene Fahne trägt. Ein Geistlicher im Drnat, dem der Schweiß über das runde Gesicht läuft, dann einige dürre, ärmlich gekleidete alte Frauen, verhuzelte Greife, Kommunikatenmädchen mit dem Unschuldsblütenkranz im Haar. Mittagsschwüle lagert darüber. Schleppend zieht sich der eintönige Gejang hin. Nur hin und wieder bringt eine helle Stimme eines Drdners mit einem Christusbarte, der ge wichtig mit seinem Stabe durch die Reihen schreitet, ein flotteres Tempo hinein. Seine Stimme lockt förmlich die Stimmen vieler an und reißt sie mit, wenn er anhebt: In Freuden und Leiden ihr Diener ich bin." Macht er eine Bause, um Luft zu schöpfen, dann geht's sogleich auf die alte Leier weiter, bis er wieder einfällt: Du bist ja die Mut- ter, dein Kind will ich sein... Die Prozession ist vorbeigezogen. Aus der engen Gasse hört man noch die freischend helle Stimme des Vor­fängers. Zur Linken erhebt sich eine Kirche. Aus den weit geöffneten Zurmtüren dringt Weihrauchdunst. Vor dem Hause ist eine Andachtsstation, an der Iniende Wallfahrer Gebete murmeln. Nun kommt wieder eine Prozession längs dem Gnadenweg daher. Lange Reihen Männer und Frauen, die ihrer Kleidung nach durchweg dem Arbeiterstande angehören. Die Männer tragen viel­fach ihre abgeschabten schwarzen Brautanzüge, die ihnen nun, da fie in der Jugend voller und träftiger waren, zu weit geworden find. Die Frauen mit ihren früh gealterten und verhärmten Zügen tragen gleichfalls meist schwarze Kleider, als gingen sie zum Be­gräbnis.

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Dazwischen schreitet ab und an ein Trupp junger Mädchen in hellen Gewändern mit dem freien sorglosen Blick der Jugend.

Sobald das Geld im Kasten flingt

Durch Aushang war angezeigt, daß an dem Tage mit Extra­zügen über 12 000 Bilger angekommen waren. Um aber dem Leser ein Bild von der Größe des Betriebes zu geben, sei gesagt, daß in der vorjährigen Walfahrtsperiode, außer den fahrplanmäßigen Zügen und außer den vielen Fußprozeifionen 579 Sonder- und 358 Bedarfs personenzüge in Kevelar eingelaufen sind. Die Zahl der mit der Bahn angekommenen Personen betrug 355 000. Um diesen Massen Azung und Unterkunft zu gewähren denn viele Prozessionen bleiben tagelang dort sind eine große Anzahl Gasthäuser erforderlich, die durchweg auf den Massenverkehr eingerichtet sind.

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Jm Gasthaus Zum heiligen Joseph" figen die Pilger an den langen weißgedeckten Tischen und warten auf das Mittagsmahl. Eine blasse Frau tritt ein, die ein Kind auf dem Arm trägt und fich müde und abgespannt niederläßt. Die Badenknochen erheben sich wie Höcker über die eingefallenen Wangen; ein Zug bitteren Leids spielt um den Mund; Kummer und Sorge haben tiefe Furchen in das frühverblühte Antlitz gegraben. Das Interesse der An­wesenden hat sich dem Kinde zugewendet: ein Strüppelchen, das sieht man schon. Nach dem feinen schwarzen Lockenköpfchen zu schließen, mag das Kindchen vier Jahre alt sein, doch muß es noch getragen werden, da es kein Glied bewegen kann. Als nun die Frau mit Fragen überstürzt wird, erzählt sie die Leidensgeschichte des Kindes, wie sie damit sogar nach Lourdes gepilgert sei und doch nirgends, nirgends Rettung gefunden gefunden hätte. Nun auch wieder hier hin! Enttäuschung und Kummer lag auf ihren Zügen. Tiefe, nachdenkliche Stille ringsum. War's nun doch nichts mit den wunders baren Heilungen?

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Nach Kevelaer ging mancher auf Krücken, Der jetzo tanzt auf dem Seil, So mancher spielt die Bratsche,

Dem früher fein Finger war heil.

Eine alte Frau erzählte von einem Wunderdoktor, der da irgendwo im Münsterlande wohne, der schon so manche ähnlich schwerliegende Fälle geheilt habe. Das Krüppelchen schien alles zu verstehen. Gesichtchen, das aussah wie das Engelchen auf dem Josephbilde dort Ein hoffnungsfrohes Lächeln glitt über das feine an der Wand der Wirtsstube.

Wie die Prozeffion vorbeigezogen ist, gehe ich den Gnaden­weg entlang durch die Häuserreihen, der in gewöhnlichen Formen gehaltenen Wallfahrtskirche zu. Hier drängt sich Laden an Laden, Wirtschaft an Wirtschaft; und wo irgend ein Pläzchen frei, ist eine Bude mit Wallfahrtsartikeln aufgeschlagen. Da stehen auf­gestapeit: Christus, Marien- und Heiligenstatuen aus Holz und Gips, durchwegs unkünstlerische Fabrikware, auf den Maffenverlauf berechnet; grellfarbige Deldrude, billigster Waren hausschund; bazwischen Honigfuchen mit Heiligenbildchen be­flebt, Aufichtspoftfarten, Rosentränge und dergleichen. Die Kevelaerer scheinen gute Geschäftsleute zu sein. Da ist z. B. ein Wirt, der zu beiden Seiten der Haustüre seinen Stand aufgeschlagen hat. Er verkauft Schnaps, Bier, Liköre, Zigarren, Honigłuchen, Rosenkränze, der Eifel hantierte den Schöpflöffel, als wenn sie daheim wäre. Nun wurde die Suppe aufgetragen. Eine resolute Frau aus Kruzifire, Kerzen, Wallfahrtsartikel, Ansichtspostkarten und wer weiß was alles noch. Sein Nachbar gegenüber hat's ihm abgeguckt, und am Tische. Mit seinen diden, ungelenten Arbeitsfingern erfaßte Ihr Mann, der Knelles mit einem Buckel, saß ihr gegenüber das Geschäft hat sich so weiter fortgepflanzt die ganze Straße eut er die Papierserviette, befab fie fich mit recht wunderlichen Augen lang. Aber auf dem Kirchplatz vor der Wallfahrtskirche ent- und fragte, zu seiner Frau gewendet: Baat es dat dann für'n widelt sich erst der rechte Kirmestrubel. Hier wird gehandelt Däng?"" Do fannst Du Döch de Schnüß mett abpozze, dann und gefeilscht, hier find in Dutzenden von Buden die Wallfahrts - tannftet mätt no Hus nämme un Briäf druff schriäwe", anto artikel in allen Variationen zum Berkauf ausgestellt, vom Pfeifen- wortete die Bäuerin schlagfertig. Anelles legte aber die Serviette Topf mit dem Gnadenbilde bis zur fußhohen Christusstatue. Ein wieder neben den Keller und ließ fie unberührt. dichter Menschenschwarm wogt auf und ab. Wieder zieht eine Pro­zeffion vorüber; immer das gleiche Bild. Das ist keine tiefe An­dacht, die aus dem inneren Erlebnis drängt; es ist nichts anderes als geheuchelte und vorgetäuschte Frömmigkeit, bei der sich das Herz

nichts denkt.

Müde und abgespannt schleppen sich die Menschen in der prallenden Sonnenglut dahin, wie marode Soldaten, die nur von der Disziplin aufrecht erhalten werden. Hehlige Maria Moder Jordes" beten die Frauen. An dem Akzent erkennt man die Rheinländer. In das Laute Stimmengewirr der Beter, den Litaneifingfang, den Klang der Mufillapellen mischt sich das Läuten der Gloden zu einem ohren­betäubenden Tohuwobohu. Da stehen eine Reihe Tische, an denen gelbe Wachskerzen in allen Größen aufgestellt sind, die stark begehrt werden; denn die Käufer gehen damit in die naheliegende Kerzen tapelle, um sie zu opfern. In früheren Jahren wurden hier die Gaben an Wachs und dergleichen entgegengenommen. Ich dränge mich mit hinein. Eine unbeschreibliche stidige Luft empfängt einer. Auf zwei Kandelabern stehen Hunderte von brennenden Kerzen, und immer werden neue hinzugestellt. Das brenzeliche Schwelen der Kerzenglut, untermischt mit Weihrauch und der stickigen Menschen­ausdünstung erzeugt eine Atmosphäre, die man erst recht begreifen fann, wenn man bedenkt, daß es an dem heißesten Julisonntag war, sehe

Wie ich die Menschen beim Mittagsmahl beobachte, ihre Unter­haltung anhöre und sehe, wie sie sich so nett und natürlich geben, da scheinen sie mir andere zu sein, als die da über den Gnadenweg zogen mit dem mattgleißenden, in sich gelehrten Betschwesternblic oder mit der Duiderdemut der Heiligen, Gebete murmelho und Litaneien fingend.

Die

Run schritt ich wieder die Straße entlang dem Bahnhofe au. Unterwegs schob sich noch eine holländische Prozeffion vorbei. Bastöre Frugen Kniehofen und lange Shwarze Mäntel. Ein Mufit­forps, das in einer phantastischen Militäruniform gekleidet war, blies ein Kirchenlied, dessen Refrain gesungen wurde.

Unter hohen Ulmenbäumen feitwärts der Straße ftand eine Kapelle. Durch das weit geöffnete Tor sah man vier junge Mädchen in weißen Kleidern mit gelbseidenen Schärpen, vor einem Mutter­gottesbilde nien. Nun erhoben sie sich und fangen ein Marienlied, atar obne fünstlerische Schulung, sowie Bauernmägde ein Volkslied fingen, aber ihr Gefang war so ausdrucksvoll; es lag eine wunder­bare Stimmung darin; und das wird meine angenehmste Erinnerung an Kevelaer bleiben.

M. P. That Se boat sichn

der wohl jedem in der unangenehmften Erinnerung ist. Ich ſebe Der Kampf gegen die Nabrungs­

noch, wie ein altes Mütterchen ein dünnes, billiges Kerzchen hinzu steckt; dann aber drängt es mich hinaus Luft zu schöpfen. Drinnen war ja die reinste Hölle!

Und wer eine Wachshand opfert,

Dem heilt an der Hand sie die Wund,

Und wer ein Wachsfuß opfert,

Dem wird der Fuß gesund.

mittelfälfchung,

der heute eine so wichtige Frage der Voltsernährung bildet, reicht in seinen Anfängen bis in die Frühzeit der Geschichte zurüd. Wie Dr. Edward Gudeman in einer inhaltsreichen Abhandlung