Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 173.

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Donnerstag, den 7. September.

( Nachdruck berboten.)

Vor dem Sturm.

Roman von M. E. delle Grazie.

Der Wirt verzog ganz leise den Mund. Schau," dachte er ,,, bon den anderen weiß er's!" Als ihm der einstige Neben­buhler aber mit einer herablassenden Gebärde das leere Glas entgegenhielt, wedelte ihm der Tscheche wie ein Hund ent­gegen.

Da kam die Einbrennsuppe. Frau Predal stellte sie dies­mal nicht ins Schiebefenster wie sonst, sondern trug sie selbst herein, was Herr Predal nicht gerade gerne sah. Seine Alte war etwas schnudlich und unsauber und hatte durch ihren Anblick schon manchem Gast den Appetit verdorben. Auch Heute knurrte er sie an. Warum hast's denn nit ins Schieb­fenster g'stellt?" Er nahm den Teller und setzte ihn selbst auf den Tisch. Als er sich wandte, gab ihm Maruschka einen Wink mit den Augen. Ja so... er verstand. Das Ehepaar zog sich hinter den Schanktisch zurück und begann in tschechischer Sprache zu reden, erst halblaut, zulegt immer leiser und leiser. Der Jude trant ruhig seinen Schnaps, und der Reitermacher Löffelte in seiner Suppe herum; mit wenig Eifer, doch sie stand nun einmal vor ihm, und etwas mußte er efsen, so wenig Hunger er auch noch verspürte.

Nur der Mexikaner wurde auf das Gezischel der Wirts­leute aufmerksam, und als er nach einer Weile ein helles Lachen durch die offene Tür hörte und gleich darauf eine junge Bauerndirne an dem Fenster vorüberflog, beugte er sich weit vor und starrte mit gelb glinsernden Augen hinter dem Mädchen her, daß die hakennasige Silhouette fast dem Profil eines Habichts glich, der sich bereit macht, im nächsten Augen­blick auf ein ahnungsloses Vögelchen niederzustoßen.

,, War das nicht die Liesl?" fragte er nach dem Schanktisch hin. Frau Predal nickte ihm zu. Dann erhielt er denselben Wink, wie früher der Wirt. Er verstand und erhob sich.

In diesem Augenblick wurde die von der Straße herein­führende Tür mit einer gewissen Gewalt aufgeriffen, und der Merikaner, der sonst niemandem auswich, prallte förmlich zurüd, obwohl es ein ganz gemeiner, sogar ein armer Mann war, der eintrat; den fettigen Schafpelz nachlässig um die Hageren Schultern geschlagen, in der runzeligen Faust einen derben Knotenstock. Er trug feinen eigentlichen Bart, aber Lippen, Kinn und Wangen starrten von weißgrauen Stoppeln und in den Augen fladerte ein unruhiger Brand, ein Blick, der etwas Irres hatte und doch auch einen Hohn, der wie eine Flamme aus dunklen Tiefen emporzüngelte. Rasch, ohne Gruß, trat er ein, dem Wirte gerade nicht zur Freude, wie man sah. Und doch wagte auch Herr Predal nicht, ihm einen einzigen schelen Blick zuzuwerfen; so wenig wie der Merikaner, der rasch und fast lautlos nach seinem Tisch zurückglitt. Für die Wirtin aber mußte das Eintreten des ungebetenen Gastes in diesem Augenblick etwas unheimliches haben. Sie fuhr zusammen, ließ einen scheuen Blick über ihn hingehen und rief unaufgefordert und mit einer gewissen Unterwürfigkeit: Gleich werd't's Euer Selchfleisch hab'n, gleich!" Worauf sie hastig zur Tür hinausschoß und das Schiebfenster zustieß. In der Küche aber schlug sie ein Streuz. Es schien ihr fein gutes Beichen, daß der gekommen war, gerade als man davon sprach. Sie band das Tuch vom Kopf und warf es zur Seite, so bang und heiß wurde ihr plötzlich. Und ich sag', es wird noch ein Unglück!" murmelte sie ein ums andere Mal. Aber so groß auch ihre Angst vor dem ruppigen Gast war, ihre zitternde Hand legte ihm das größte Stück Fleisch auf den Teller, und als das Fleisch im Schiebfenster stand, trug es Herr Predal sofort dem Gast zu. Und auch seine Hand zitterte, wie er den Teller vor dem alten Vagabunden niederstellte.

Wer das sein mag?" dachte der Bursch. Aber er hatte im Augenblick genug mit sich selbst zu tun. Und wußte er denn, ob es nicht bloß ein Unglücklicher war, dem all diese Sorgfalt erwiesen wurde? Ein Narr, den man nicht böse machen durfte? Wer, wie er, jahraus jahrein über Gottes Wege lief, wußte ja, wieviele Schicksale ihre traurige Straße gingen, bis auch sie einmal auf dem Freithof" endeten.

Nur Sami Sami! Der konnte auch jetzt nicht ruhig bleiben.

Wie geht's denn immer, Birron?"

1911

,,, se fürdern mi jo recht guat, do umadum!" Das famt, halb gesprochen, halb gelacht, ein Gekoller, das breit und gut­mütig flang und doch voll schien von einer Drohung, die mur die anderen verstanden.

Ich frag' bloß, weil ich Se hab' schon lange nicht mehr geseh'n!" meinte der Jude.

Der alte Landstreicher hob den Kopf, warf den Schafpelz mit einem jähen Ruck von den hageren Schultern und stemmte beide Arme auf den Tisch. Und während er die rauhen Wangen langsam zwischen die geballten Fäuste schob, sprach er langsam: Doher kimm' i a nur anmol im Johr."

Wieso?" fragte Sami   arglos. Er sah nicht, wie der Wirt hinter dem Schanktisch zusammenfuhr, der Merikaner" nervös an seinem Pfeifenstiel zu kauen begann. Aber der alte Landstreicher sah es, und über das verwitterte Gesicht ging es wie ein Wetterleuchten hin.

Weil's der Tog is, an dem i mein Madl derschoss'n hob'!" erwiderte er init einem höhnischen Gezwinker. Bor netto ochtzehn Johr'n... domols, wia's die Geliabte vom seligen Herrn Grof'n g'word'n is'! Jo, jo," er spuckte aus, do fröhli, drent seli!"

Der Jude erschrak und biß sich in die Lippen. Diese Antwort hatte er nicht erwartet. Das und jenes war auch ihm über die Geschichte bekannt geworden; auch wußte er, daß der alte Vagabund nahezu zwanzig Jahre Zuchthaus hinter sich habe. Aber das grausige Behagen, mit dem er von seiner Tat sprach, die fatte Genugtuung, die ihm noch heute aus den eingefunkenen Augen bliẞte, der stechende Blick, mit dem er den Wirt und den Günstling des Grafen förmlich an die Wand spießte, erfüllte den frommen Hebräer mit einer heil­losen Angst. Da saß er nun mitten in einer Batsche, die er selbst angerührt, und wer weiß, ob der Herr Merikaner" ihm das jemals vergaß.

Einen ganzen Gulden hätte der arme Kerl mit Freude hergegeben, um dem anderen das ruchlose Maul zu stopfen. Aber es war zu spät.

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,, Und an dem Tog fimm' i ollemol her," lachte der alte Zuchthäusler mit einem unheimlichen Gezwinker nach dem Wirt. Grod doher! No, und der Predal und sein Weib fürdern mi, ols wenn sie domols die Kuppler g'mocht hätt'n. Ober domols wor's an Ond'rer!"

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,, Reden Se doch nicht so gottlos," begann Sami   zu sal­badern. Se sind jetzt ein armer Mensch, da hab'n die Laite Mitleid mit Ihnen. Was denn! Und Blut ist Blut. Danken Se Ihrem Gott, daß Se. Majestät Se bat begnadigt!" Wieder jenes dumpfe Gekoller, das ein Lachen sein sollte und sich wie der erste Donner eines heraufziehenden Ge­witters anhörte. Mitload Mitload- Mitload?!" Er erhob sich. recte den mageren Arm in die Höhe. Dos is' eahna Mit­load, wenn mon's wirklich brauchet!" rief er mit einem sausenden Schlag in die Luft. Ongst ist's! Bluat muaßt on Dir hob'n und der Welt und ihr'm Herrgott ins G'sicht loch'n, nacher hob'n s' Di gern, Jud! Ehender nit!"

In der Stube war es totenstill. So still, daß man wieder das Gesumme jener Fliege hörte und den Knarrton des Schiebfensters, das Frau Predal wieder ängstlich zuzog. Sie fonnte das Horchen nicht lassen, wenn der Birren" da war. So bang ihr auch immer wurde.. Auch seine Geliebte sollte damals so nach ihm gestarrt haben, wie gebannt, ohne einen Schritt nach vorwärts oder rückwärts machen zu können. Obwohl sie ihn schon von weitem daherkommen ge­seh'n, mit der Flinte über der Schulter. Muida irgt derschiaßt er mi!"

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Und er stand am Feldrain und schlug an und schoß sie nieder vor den Augen der eigenen Mutter.... Herr'Iuder!" Warum Frau Predal immer wieder daran denken mußte?!

,, Was bin ich schuldig?" fragte der Neitermacher in das dumpfe Schweigen hinein. Der Wirt sprang mit einem Satz hinter dem Schanktisch vor. Noch nie war er für einen armen Teufel so rasch zu Stelle gewesen. Diesmal atmete er förm­lich auf. Eine Supp'n ein Brot."

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Es war eine kurze Rechnung; der Tscheche aber sah so fremd und verstört drein, als hielte ihm eine unsichtbare