Hlnterhaltungsblatt des WorwSrls Nr. 174. Freitag� den 8. September. 191t (Nachdruck verSolen.) e] Vor dem Sturm. Roman von M. E. delleGrazie. 2. Das Kunkellehen. Das gnädige Fräulein von Schönbach hatte Besuch. Ihre jüngere Schwester war ganz unvermutet vorgefahren, gerade als man im Schloß die Löffel in die Suppe tauchte. Ihre Gnaden konnten sich diese Einfälle gestatten. Sie waren Prä- bendarin des hochadeligen Stiftes auf dem Hradschin und bezogen als solche eine Summe, die in der Provinz kaum aufzubrauchen war. Die paar Wochen, die man jedes Jahr in Prag zubringen mußte, um den Bedingungen des Stifts- briefes zu genügen, zählten nicht. Die übrige Zeit saß die Gräfin Miette in Nikolsburg , hielt sich Wagen und Pferde und Diener, und lief auch nicht immer mit dem großen Kreuz der Stiftsdamen herum. So lebte man friedlich dahin und geriet weder in Schulden noch in einen Klatsch. Ja, wenn man es nur recht anzustellen wußte, konnte man es sogar dahin bringen, daß einendie guten Nikolsburger" für eine halbe Heilige hielten. Ihre Gnaden hatten es so weit ge- bracht. Gräfin Miette zählte sechsundzwanzig Jahre, war blond und in allem das Gegenstück ihrer Schwester, der nach ihrer Meinung noch immer die Haltung fehlte, so herrisch und eigenwillig sich Gräfin Lolette auch zeitweise gebärden konnte. Sie ist bloß dem Rechte nach die Erbin," dachte Gräfin Miette, so oft sie einen Blick in die verfahrene Wirtschaft des Kunkellehens tat.Den Qualitäten nach wär's ich!" Und diese geheime Wertung ihrer eigenen Vorzüge hatte ihr im Laufe der Jahre über vieles hinweggeholfen, sogar über den Neid. Es war dies eine Genugtuung, die zugleich eine gewisse Herablassung gestattete, und Gräfin Miette hatte es merkwürdig rasch gelernt, auch der Schwester gegenüber herablassend zu sein. Wenn man das Kreuz des Hradschin trug, die Vertraute derErzherzogin Aebtissin" war und in Nikolsburg den Ruf einer Heiligen genoß, durfte man sich schon einiges gestatten. Und endlich dieses ganze Kunkellehen l Wie lange würde es Lolette noch vor der Gant bewahren können? Eines Tages mußte sie froh sein, wenn die Stiftsdame ihren ehrwürdigen Mantel über soviel Leichtsinn und üble Nachrede schlug. Darum fuhr Gräfin Miette stets als Stiftsdame vor, wenn sie kam: mit dem großen Kreuz, den weißen Handschuhen und dem lang nach- schleppenden, schwarzen Seidenkleid. Für die Schönbacher aber war's nie ein guter Tag, wenn sie eintraf. Gräfin Lo- lette war immer so gereizt nachher. Selbst der Verwalter bekam das zu fühlen. Heute war Gräfin Miette geradezu mit der Absicht er- schienen, die Suppe zu verstärken. Sie hatte durch eine Be- schließerin erfahren, daß es seit einiger Zeitzwischen Ihrer Gnaden und dem Verwalter" nicht mehr stehe wie früher. Und Miettes Tugend machte sich mit allen Segeln auf. die ohnedies schon brüchigeLiaison" so sanft als möglich zu lösen. Bei Lolettes Temperament wußte man ja nie, was zuletzt geschehen konnte. So blieb wenigstens das Dekorum gewahrt. Die Beschließerin war eigens nach Nikolsburg gefahren, um dasIhrer Ehrwürden" mitzuteilen. Aus Haß gegen den Verwalter, der es durchgesetzt, daß die alte Dienerin Knall und Fall davongejagt wurde. Denndie Hasenhündlin" lebte noch von Zeiten derGräfin Mutter" her auf dein Schloß und hatte nie über sich gebracht, den dahergelaufenen Günstling alsHerrn" zu estimieren(schätzen). Dies war ein Grund. Noch schlimmer für die Hasenhiindlin aber war, daß sie dem beutelustigen Favoriten(Günstling) zu scharf auf die Finger sah. Das mußte ihr endlich den Hals brechen, wie es nun einmal zuging bei ihrerjungen Herrschaft". Natürlich war Miette so klug, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Die Sache mußte sich selbst machen. Auch konnte man ihrer Ansicht nach nie genug Takt haben. Ihre Hand fiel nie schwerer auf eine Sache, als mit der Gebärde eines leichten Fächerjchlages. Dann klappte man den wirk- lichen Fächer auf und markierte dahinter ein Gähnen, einen Seufzer oder sonst eine diskrete Pause, die den Angegriffenen Zeit ließ, sich zu einer vornehmenReplik"(Gegenrede) zu sammeln. Auch das hatte Gräfin Miette erst auf dem Hrad- schin gelernt. Als die Stiftsdame diesmal aus ihrerVoiture " (Wagen) glitt, wußte sie im vornhinein, mit welchemMot" (Wort) sie zu beginnen habe. Das war sonst weniger leicht gewesen. Denn so oft sie auch um diese Stunde erschienen war, immer hatte sie den Verwalter am Tisch der Schwester getroffen. Und immer war erzufällig" geladen gewesen, um in ihrendeiner charmanten Weise dieMeriten"(Ver- dienste) des braven Mannes zu würdigen, wie Gräfin Lo- lette sich ausdrückte. Daß derbrave Mann" aber seit einiger Zeit nicht mehr zur Tafel gezogen wurde, hatte Gräfin Miette schon gestern abend gewußt. Und als sie heute morgen in ihre Voiture gehüpft war, kam ihr mit dem zierlichen Sprung auch das richtige Mot. Und das war viel wert in einer so peniblen Affäre. Das Zimmer, in dem die Herrin des Kunkellehens gc- wöhnlich zu speisen pflegte, lag dem Parktor gerade gegen- über und sah über schaukelnde Zweige und flatternde Ranken noch ein gutes Stück in die Landschaft hinein und auf die Landstraße hinaus. Es ist so lustig da drinnen," pflegten Ihre Gnaden zu sagen, obwohl sie noch nie gesagt hatten, was sie eigentlich gerade an diesem Zimmer so lustig fanden, um sich und die servierenden Diener tagtäglich so weit zu inkommodieren. Denn der eigentliche Speisesaal lag in einem anderen Teil des Hauses und war sowohl der Küche als den Salons näher. Der Verwalter freilich wußte genau, warum gerade dieses Zimmer solustig" war. Der Trakt des Schlosses, in dem sich daslustige Zimmer" befand, stammte noch aus der Zeit Josefs I.. und Decke, Fries und Paneele wiederholten die vornehmen Barock- motive der Paläste, die Fischer von Erlach damals den Großen Wiens baute. Die zahlreichen Nippes aber, die auf Schränken und Konsolen aufgestellt waren, erzählten von den sonnigen Tagen des Rokoko und lebten Welt von Frankreich n�och immer die blumigen Stunden der Schäfcrspiele desPetit Trianon ". Zwei Bilder von Watteau hauchten Farbe und Sinnlichkeit über die goldgepreßten Tapeten. Als Gräfin Miette in die lustige Stube trat, ließ sie erst einen befremdeten Blick über das einsame Gedeck der Schwester gehen. Dem Blick folgte ein wie erlöstes Auf- atmen, dabei legte sie die Linke unwillkürlich an das große Stiftskreuz. Und während die veilchenfarbigcn Augen einen Blick andächtigen Dankes zum Himmel sandten, hauchte sie leise:klnkin seule"(Endlich allein). Die dunklen Brauen Lolettes schoben sich trotzig zu- sammen.Weil es mir heut' eben s o gepaßt hat," erwiderte sie eigenwillig. Sie kannte die giftigen Stiche des schwester- lichen Neides und hielt dafür jederzeit denselben Hieb parat: die selbstsichere Genugtuung ihrer Unabhängigkeit. Das begrüß' ich ja eben," lächelte Miette fein,daß Dir das Passende wieder einmal paßt!" Willst Tu am Ende die Chapcronne(Nonnenkutte) machen?" fragte Lolette gereizt. Sic wollte noch etwas hin- zufügen, weil aber in diesem Augenblick der Diener eintrat, kam es nur zu einem Wetterleuchten des Hohns, das stolz und drohend über das herrische Gesicht fuhr. Leg' er ein zweites Gedeck auf, Preiner," befahl sie. Preiner verschwand. Da bin ich wohl auch ungelegen gekommen," begann Miette, wieder einlenkend. Sie hatte ihre langen Handschuhe abgestreift und zupfte nun mit den runden Fingerchen ihr Retikül(Handtasche) aus, um den Fächer hervorzuholen. Hielt sie den schwarzen Fächer in Händen, war dieOberst- hofmeisterin" fertig, wie man auf dem Hradschin behauptete. Und Rede und Gegenrede kamen so soigniert heraus, daß auch die allzu temperamentvolle Lolette gar bald die Segel strich... Das wollt' ich durchaus nicht andeuten," verteidigte sich die Schwester,Aber schließlich,,. ich bin die AeUereV