Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 176.

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Dienstag den 12. September.

( Nachdruck verboten.j

Vor dem Sturm.

Roman von M. E. delle Grazie. Lolette sah ihr mit hellem Vergnügen zu. So weit war fie herausgefahren, Ihre Ehrwürden, um einer Maria Magdalena Buße zu predigen, und den Anstand, für den man auf dem Hradschin bezahlt wurde- und nun saß sie da: bleich, froissiert, halb ohnmächtig vor Scham und Aerger. Arme Chaperonne!"

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Lolette konnte sich nicht helfen auch das mußte heraus. Und als Miette mit dem Gepfauch einer Kate emporfuhr, etwas sagen wollte und nur noch mächtiger losheulte, lehnte fich Lolette zurück und ließ den goldenen Moffalöffel mit feinem Kling- Klang an die Meißener Schale schlagen. Pink pink pink Sie zählte die Tränen der Schwester. Daß sie nicht allzu lange weinen würde, wußte Lolette. Gräfin Miette hatte Angst um Teint und Augen.

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Vor den Fenstern schaufelten sich die frühlingsgrünen. Zweige hin und her. Da und dort blühten Kirschen- und Aprikosenbäume auf. Ihre weißen und roten Blüten hingen wie farbige Wölkchen zwischen dem zarten Grün. Die ur­alte Rastanienallee des Parkes, die bis auf die Landstraße hinauslief, begann eben ihre Blätter aufzuwickeln. Wie riesige Schmetterlinge baumelten sie von den Zweigen nieder, noch wie müde von dem langen Knospenschlaf. Die Sonne ging jetzt schon spät unter und ihre goldenen Ringel huschten wie die Reifen eines Elfenspiels über den blißblanken Ries der Alleen. Krokus- und Tulpenbeete stachen wie leuchtende Farbflecken aus dem Grün des Rasens, und die Hyazinthen dufteten so heiß, daß ihr Atem zu den offenen Fenstern herein­schlug. Weit, weit über die grünen Saaten, die rechts und links von der Landstraße lagen, grüßten aus blauem Duft die Berge von Polau herüber.

Lolette wußte nicht, woran es lag, aber der Frühling machte sie immer halb frank vor Sehnsucht und ließ fie, von dem dumpfen Drud ihres Blutes bedrängt, in diesen Wochen ihre Koffer paden, um nach Wien   zu fahren und sich dort ein bißchen zu amüsieren sie blieb nie lange in Wien  .

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Ich weiß nit, wie's fommt," pflegte sie zu sagen, aber die Leut' sein alle so blutarm in Wien  !" Und eines Morgens saß sie wieder in Schönbach, rosig und blütenfrisch, und ach! immer unterwegs, eine neue Dummheit zu machen.

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1911

die Zeit selbst eine schöne, junge Tänzerin, die man mit sich reißen müsse im kreisenden Wirbel der Sinne! Und diese verglasten Augen, wenn so ein Bursch die Frau Gräfin" im Arm hielt! Mit der dumpfen Lust eines Tieres, das den feineren Bissen wittert. Diese göttliche Blödigkeit der dummen Jungen", die jeden Sonntag rudelweise in die Kirche marschierten, alle Ostern brav zur Beichte gingen und selten eine Dirne anders ansahen, als im Spenzer", wie die unschöne, schwarze Jacke hieß, die über einem mörderischen Mieder angelegt bis zu den Ohren reichte.

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Wenn aber Ihre Gnaden" erschien mit flatternden Locken und Schärpen, noch duftend vom letzten Bad, das weiße Batistkleid nie ohne Dekolletee; Herrgott! Diese Augen und Mienen und das wechselnde Rot und Blaß der Wangen  ! Manchen hatte sie so toll gemacht in diesen blühenden, lauernden Frühlingsnächten, daß er am nächsten Morgen wie verstört um die Mauern des Parkes schlich. Sie aber stand hinter irgendeinem Fenster und spielte mit Gedanken, die so jung und heiß und gesund waren wie Zolettens Blut.

Wo sie das nur her hat," jammerte Miette, wenn ihr ein on dit"( Gerücht) eine neue Affäre der Schwester bis Nikolsburg   wehte. Und einmal sprach sie es sogar aus. Aber Liebste," hatte Lolette damals aufgelacht, es wird doch auch in unserem Schlosse einen gesunden Reitknecht gegeben haben." Und als die Stiftsdame sich anschickte, in Ohnmacht zu fallen, setzte sie malitiös hinzu: Oder einen Hauskaplan, der gesundes Bauernblut in sich hatte, das auch toll wurde, wenn die Aepfel blühten!"

Der Hausfaplan das war's! An ihm wurden die Nerven der Stiftsdame immer wieder zuschanden.

Wenn Lolette in ihre Reverien"( Träumereien) ver­fant, war fie umgänglicher. Miette wußte das und versuchte einen neuen Vorstoß. Denn, mon Dieu( mein Gott), so fonnte das doch nicht weitergehen!

Und wenn Du Dich noch lo lustig machst über mich," begann sie mit einem Seufzer besser als ich meint es Dir doch niemand!"

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Lolette nickte versöhnlich in den Frühling hinaus. Im Grunde war sie ja derselben Meinung und allzu viel Galle gab sie auch nicht gerne ab. Das machte einen gelben Teint. Was willst Du anfangen mit dem Unterweger?" hauchte Miette diskret.

Davonjagen," fam es frisch zurück.

Aber ohne- Eflat( peinliches Aufsehen), wenn ich bitten darf! So- peu- à- peu( nach und nach) laß die Sache geh'n. Solche Mannsbilder haben oft ein Maul!"

Ich hab' seine Rechnungen," lachte Lolette, Tachte es plötzlich so frisch und frei in den Frühling hinein, daß in der Seele der Stiftsdame unwillkürlich ein leiser Verdacht auf­stieg. Entweder sie hat einen anderen oder sie sieht je­manden daherkommen, der sie animiert.

Wenn die Obstbäume blühten, wurde der Schönbacher Kirchtag gefeiert, und seine lustigste Tänzerin war Gräfin Rolette. Mit blizenden Augen und brennenden Lippen flog sie in den Armen der Bauernburschen dahin und machte durch ihre Natürlichkeit zuletzt auch dem Blödesten Mut, den sehni­gen Arm so fest um die schlanken Hüften zu legen, als drehe er die nächstbeste Bauerndirn im Kreise. Das waren noch Männer, mit denen einen der Tanz freute! Jung und sonn­verbrannt ein jeder und jedem noch das Leben so neu! Wenn fie an die Feten in Wien   dachte, vom Hofball angefangen bis zur legten, Soirée dansante"( Tanzabend)... Herrgott! Welches Meer von Langeweile, welche Dede und Fadaise! Und diese Männer: blasiert, müde, spindelbeinig und fahlföpfig oft schon in jungen Jahren oder aufgeschwemmt vom allzu reichlichen Dinieren. Wahrhaftig, wenn man nicht gerade einen Neustädter Akademiker als Tänzer erwischte oder einen Lolette zuckte die blühende Schulter, die immer wieder jungen Erzherzog, den der Oberhofmeister noch nicht allzu unter der weißen Blondenecharpe(-Schärpe) herausschlüpfte. Tange vom Zügel gelassen, alles andere war der reine Toten- Gottschaut man denn auf die Händ', die einem die Zeit tanz! bertreiben?"

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Lolette sah durch die Kastanienallee auf die Landstraße hinaus; so tat Miette das gleiche. Aber nein, da war nie­mand zu sehen als Sami  , der Häutljud", und neben ihm ein Drahtflicker oder was er sonst war, dem ein ganzer Huckepad blizender Siebe auf den Schultern lag. Miette war be­ruhigt.

" Da hat der Unterweger wohl arg gehaust?" fragte ste refigniert.

Hier in Schönbach gab es noch Jugend Jugend und Miette errötete für die Schwester. Es war das Er­Freude am Leben, die in allen Bulsen hämmerte, in allen röten einer soignierten( besorgten) Seele, das ihr noch immer Schläfen pochte, sich oft mitten in der Raserei des Tanzes zu Gebote stand. Lolette sah es und lächelte, so boshaft ge­in einem wilden Schrei ausatmete, schrill, toll, wie ein be- mütlich, wie sie es nur fonnte. Machst wieder die Schmink­freiter Raubvogel. büchsen der Tugend auf?" Nicht einmal der Geruch der Leute störte sie. Dieser dampfende Schweiß, der etwas vom Brodem der Scholle hat wenn sie trächtig ist von der keimenden Saat. Sie hatten nur den Sonntag für sich, die Leute, und ab und zu ein anderes Fest. Darum gaben sie sich so hin, stürzten sich förm­lich topfüber in den Wirbel der Lust, die ihnen ein hartes Leben allzu kurz bemessen. Nur ja feinen Augenblick ver­fäumen, jede Minute packen und ans Herz drücken, als wäre gegenüber)!"

Miette seufzte. Nein, nein.... In Gottes Namen, wenn man gewisse Dinge schon nicht lassen kann, wie Du aber darüber sprichst, Lolette! Es ist doch auch das Materielle zu bedenken!"

Dainit bleib' mir vom Leib!"

Aber endlich muß auch das besprochen werden, sonst siehst Du Dich eines Tages vis- à- vis de rien( dem Nichts