lebendig in ihm gewesen und mit seinem Fortgehen von ihm ge-wichen wäre.Darum war Glück-Karl jetzt viel im Tischlerhause, jeden Tag,oft, wenn es sich nötig machte, vom Morgen bis zum Abend. Erging im Hause umher, als wäre es sein eigenes, wenn Essenszeitwar, setzte er sich mit an den Tisch, nach dem Mittagsmahle hielt er,wie er das gewöhnt war, auf dem Sofa sein Schläfchen, und hatteer sehr pressiert zu tun, brachte er gar sein Handwerkszeug und dieArbeit mit und klopfte in der Wohnstube lustig Pfeifend seineSchuhe, während Rother in der Werkstatt drüben tat, wozu der Willedes Freundes ihn zwang.Willig hatte die Meisterin sich alle Geschäfte aus der Handnehmen lassen, wenn sie heimlich auch über allem wachte und daund hier eingriff, wo etwas ins Stocken geriet, auch sofort ein-sprang, wenn der Meister seine schlimmen Stunden bekam. Auchden Schuster, der ihr in der Seele zuwider war, duldete sie imHaufe, ohne eine Miene zu verziehen, vielleicht nur, weil sie sah,dah er einen günstigen Einfluß auf ihren Mann auszuüben vcr-mochte, den sie nicht mehr besaß.Nur eines ließ sie sich nicht abnehmen, worauf die beidenMänner es am meisten abgesehen hatten: die Kasse. Zwar flössen,da der Meister nun wieder einen größeren Teil des Tages in derWerkstatt stand, manche Läpperbeträge für Reparaturen undkleinere Arbeiten in seine Tasche; größere Summen aber, über dieRechnung ausgestellt und quittiert werden mußte, kassierte dieFrau selbst ein. Sie hatte die Kunden, die alle wußten, unterwelchem Kreuz sie seufzte, gebeten, Zahlungen nur an sie zuleisten, und fast alle kamen dieser Bitte nach zum Aerger der beidenUnzertrennlichen, die ihren Plan vereitelt sahen. Nur die Hoff-nung auf eine günstige Gelegenheit ließ sie ihr Ziel auf dem ein-mal betretenen Wege weiter verfolgen..». rtFortsetzung folgt.))Das Schaffen des Schau fpiclers.Die Thcatersaison mit ihren Aufregungen und Ueberraschungenhat begonnen; die ersten Premierenschlachten sind geschlagen; aufden weltbedeutenden Brettern sind Helden und Heldinnen derBühne in Liebe und Haß, in Lust und Leid nun wieder vereint,um das bunte Abbild des Lebens im Schein des Rampenlichtes her-aufzubeschwören. Ter faszinierende Zauber schauspielerischerKunst, der uns für kurze Stunden die Wirklichkeit vergessen läßt,wirkt von neuem mit voller Stärke auf uns ein und wir fragenerstaunt, welch besonderen Kräften der Mime seine Macht vcrdankr,aus welch rätselvollen Tiefen der Seele das Gebild seines Schaffensemporwächst. Wenngleich über jeden geistigen Zcugungsprozcß einSchleier des Geheimnisvollen und Unbewußten gebreitet ist, soliegen doch die Verhältnisse bei der Schöpfung des Schauspielersnoch besonders dunkel und kompliziert. Er ist zugleich reprodu-zierender und produzierender Künstler, Instrument eines fremdendichterischen Willens und Gestalter ganz neuer künstlerischer Werte;sein Material, das er formt, ist kein objektiver Stoff, sondern seinePersönlichkeit, sein Körper selbst; er kann sein Werk nicht fertigaus sich herausstellen für alle Ewigkeit, sondern muß es stets vonneuem gebären. Subjektives und Objektives sind hier seltsam mit-einander vermischt. Das Problem des schauspielerischen Schaffensist daher eines der schwierigsten und anziehendsten auf dem Ge-biete der Psychologie des genialen Menschen; es ist vielfach, vonden Künstlern selbst und den Aesthetikern, erörtert worden, wobeisich die Meinungen oft direkt widersprechen und in mancher Hin-ficht keine Klarheit erzielt worden ist. In großen Umrissen aberkann man doch aus der verwirrenden Fülle der Zeugnisse einlebendiges Bild von den einzelnen Impulsen und Entwickclungs-stufen gewinnen, in denen eine Rolle aus dämmerigen Ahnungenund langen Studien zu ihrer plastischen Erscheinungsform auf derBühne emporgehoben wird.Wie jedem Beruf, der alltäglich ausgeübt werden muß, haftetauch der Schauspielkunst etwas Mechanisches, Handwerksmäßigesan. Der Mime, der ein paar Monate hindurch Abend für Abendin denselben oder in ganz ähnlichen Rollen beschäftigt ist, wirdvielfach ganz automatisch seine Aufgabe erledigen, den eingeübtenPart gleichsam von selbst sich abrollen lassen. Aber er ist dann auchkein Künstler mehr, kein Schöpfer. Bei unserer Betrachtung kannes sich nur um den bedeutenden Schauspieler handeln, der wirklicheSchönheitswerte schafft und von dem jeder echte Komödiant ei»Stück in sich haben muß. Phantasie und Verstand, das sind diebeiden Mächte, die, wie bei jeder künstlerischen Leistung, so auchbei der des Schauspielers die eigentlich hervorbringenden Gewaltendarstellen. Sein erstes, fundamentales Erleben findet der Bühnen-darsteller natürlich im Versenken in das Drama. Schon hier zeigensich bedeutende Unterschiede des Eindrucks. Der denkende Schau-fpieler, bei dem die Reflektion überwiegt, wird nur ganz vage, ver-schwommene Vorstellungen haben; wir wissen das von Seydel-mann, von Kainz u. a. Er muß erst alle möglichen Zugäugezu dem Werk und der Gestalt suchen, langsam in die Stimmungund die Details eindringen; das ist dann nicht selten die Arbeiteines Lebens. Aus stets neuen Nüaneen setzt sich das Mosaik desSpiels zusammen. Solche Schauspieler sind halbe Gelehrte, Riesenan Fleiß. Meister der beherrschten Technik, die auf ihrem mühSvollen Wege langsam und hartnäckig zu den Gipfeln ihrer Kunstaufsteigen, ein Elhof, Seydelmann, Dessoir, Lewinsky, Kainz, OskarSauer.Ganz anders stehen die„Lieblinge der Phantasie", schon beimersten Einleben in ihre Aufgabe, dem Werke gegenüber. Auch siesind nicht etwa mühelose Improvisatoren, denen alles auf denersten Wurf glückt, aber es drängen sich ihnen sogleich sinnlichblutvolle Gestalten ihrer Einbildungskraft auf, mit denen sie sichimmer mehr befreunden, bis diese zu ihrem„zweiten Ich" werden,Rellstab hat uns den dämonischen Ludwig Devrient so iminneren Zwiegespräch mit einem neuen„Seelenbruder", einerneuen Rolle, geschildert. Ueberall, in der Kneipe und auf derStraße, zog er das Buch aus der Tasche und redete auf diesen„verrückten Kerl", der sein eigen werden sollte mit allen Fibernund Fasern, wie auf einen leibhaftigen Kumpanen, ein. Und baldging dann mit ihm selbst eine merkwürdige Verwandlung vor;Haltung, Gebärden, Sprachion erhielten eine völlig andere, charak-tcristische Prägung: er machte den„tollen Burschen", den er vorseinem geistigen Auge sah, nach und so redete er, lebte er, wühlteer sich in die Rolle hinein. Bei allen großen Schauspielern, derenGrundtalent ein heißer Drang zum Kopieren ist, kann man dieseArt des Schaffens beobachten: sie ahmen ihre inneren Gesichte so-lange nach, bis sie in den Körper dieses imaginären Wesens hin»eingeschlüpft sind. So schufen Schröder, Döring und M a t-k o w s k h, und wenn sie sich nebenbei noch in tieffinnige Grübe»leien über das Stück versenkten, so war darauf nicht viel zu geben,denn im entscheidenden?lugenblick siegte doch die Gewalt des Phan-tasiegebildes, das sich ihnen unvergeßlich eingeprägt hatte. Nochstärker lebt das intuitive Element in Künstlern, die schon bei derLektüre des Werkes von dem Rausch des Schafsens unwiderstehlichergriffen werden. Von der Wolter erzählt man uns, in welchwilder Erregung sie beim ersten Studium der Rolle gewesen sei.„Plötzlich springt sie auf; sie beginnt zu agieren, zu spielen. DieHandlung zieht an ihrer Seele vorüber; ihre Gebärden verraten,daß sie alles durchlebt. Sie leidet unter dieser Qual des Fühlens,des Ausdrückenmüssens, Tränen rollen über ihre Wangen, abernoch scheint sie sich nicht im Mittelpunkt der Handlung zu fühlen.Da plötzlich sprühen und blitzen die Augen, die Gebärden werdenbefehlend, drohend; jetzt zuckt sie auf, der Körper krampft sich zu-sammen; der Mund öffnet sich und qualvoll langsam entringt sichein niarkerschütternder Schrei ihrer Brust— dann sinkt sie ermattetund laut schluchzend aufs Sofa. Lange weint sie und heftig, bisdie Krise vorüber ist. Aber den innersten Gefühlsgehalt der Rollehat sie sich nun für immer erobert." Es folgt nur noch die ver-standesmäßige Ausgestaltung und Durcharbeitung. Noch momen-taner war das Erfassen der Grundstimmung bei M i t t e r»w u r z e r.„Ich versenke mich mit aller Sammlung in die dar-zustellende Dichtung," erklärte er.„Wirkt sie überhaupt auf michein, so befällt mich bald ein eigener Zustand, in dem ich die Ge«stalten, die ich darstellen möchte, leibhaft, greifbar, in allen ihrenbeschriebenen und nicht beschriebenen Lebensformen nicht vor mirsehe, sondern i n mir. Was ich sein soll und wie iob es sein soll,das steht eigentlich mit cinein Schlage vor meiner Seele." SolcheKünstler haben dann jähe Visionen, in denen plötzlich eine Gestaltvöllig fertig vor ihnen auftaucht. Mitterwurzer sah so den Mephisto,dessen Bild sich ihm nie vorher klar gezeigt, als triumphierendstolzen Fürsten der Hölle, während er auf einer amerikanischenGastspieltournce in Milwaukee zu Mittag aß; die Schröder-Devrient den Romeo in aller heldenhaften Anmut, als sie nachder ersten Aufführung erschöpft und zitternd auf dem Sofa lag.Es gibt Künstler, die den stärksten Impuls des Schaffens erstauf den Proben empfangen, in der anregenden Bühnenatmo-sphärc. So hat Kainz manche Idee aus den zufälligen Kom-binationcn und Situationen der Probe geschöpft. Ilebcrhauptspielt die äußere Umwelt, die Kulissenluft, spielen Kostüm undPublikum eine große Rolle im Schaffen des Schauspielers. Seydel»mann sühlte sich haltlos ohne seine raffiniert ausgeklügelte Maske,und Matkowsky konnte nur ganz Held sein in Stulpenstiefeln, mitdem Schwert in der Faust. Die Requisiten sind ein beseelendes,der Applaus ein anfeuerndes Moment.„Freilich ist alles nurPlunder und Kram," meinte die Schröder-Devrient vonden Kulissen,„aber das Zeug muß zu dem werden, lvas ich w i l l.Es muß vergeistigt werden, bis es wirklich lebt." Von der ganzenUmwelt geht eine suggestive Wirkung aus. deren der Schauspielerbedarf, um sich völlig einzufühlen in die Seele seiner Rolle. Ausdem Phänomen der Htzpnose hat man denn überhaupt dasRätsel der schauspielerischen„Transfiguration" erklärt. MaxMartcrsteig führt in einem interessanten Buche die wundersameVerWandlungsfähigkeit, die dem großen Schauspieler eigen ist, aufeine Art Sclbsthypnosc zurück, wobei der Künstler unter dem Ein-druck einer ästhetischen Suggestion sein Jchgcfnhl aufgibtund ganz in dem Geist und Wesen seiner Rolle aufgeht. DieSchilderungen mancher Künstler, so Mittcrwurzers, der Du s e,lassen wirklich auf einen solchen Zustand schließen. Von Fleckwird berichtet, er habe bei seinem Spiel nicht selten einem Nacht-Wandler geglichen; Christine Hebbel schilderte ihrem Gatten ihreEmpfindungen als Lady Macbeth:„Mir war während des ganzenStückes, als wenn ich die Augen nicht auftun könnte"; von LudwigDehrient sagt E. T. A. Hoffmann,„in ihm sei ein höherer Geisterwacht, gestaltet wie die Person der Rolle, und diese, nicht er, habedann weiter gespielt, wiewohl von dem Ich, dessen Bewußtsein ihm