— 763— JffaftloS fiel sie ift die Kissen zurück Und drehte sich det Wand ßU- Sie sah ihn nicht mehr an, reoete nicht mehr mit ihm, stöhnte nur oft unter wütenden Schmerzen leise vor sich hin, antwortete auch nicht, als er fragte, was er dem Arzte berichten sollte. So stand er ratlos am Bett und drehte unschlüssig die Mütze in Ben Händen, bis die alte Schmidten, die wieder hereinkam, ihn fort- schickte. Da trottete er mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern Mach Alt-Heinrichau, um Sanitätsrat Härtung herbeizurufen. Sein Schädel war noch wüst von den Dünsten des ungewohnten Alkohols, und das Denken fiel ihm schwer, tat ihm weh; aber der Mutter Zorn ließ ihm nicht Ruh, er mußte sich immer tiefer hinein- bohren in den Gedanken:»Was sie bloß hat gegen den Glücks- Schuster?" Zu einem Ergebnis kam er vorerst nicht, erst der Joseph brachte seine Gedanken auf einen neuen Weg. Pauls Stimmung war auch am Vormittag nicht die beste: der Doktor hatte ein ernstes Gesicht gemacht, etwas verschrieben und gesagt, daß er morgen wiederkommen werde. Die Mutter, die der Bursche reumütig hatte versöhnen wollen, behandelte ihn, als wäre er Luft: auf all seine Reden und Fragen sollte sie ihm noch ein Wort antworten. Das konnte ihn schon gerade in Wut bringen: Dann halt nicht! Da sollte sie das Reden eben lassen! Da brauchte er ja auch nichts mehr zu sagen! Wütend warf er den Putzhobel auf, daß er von der Bank ab- springend zu Boden fiel. Aufstöhnend strich er sich über das Haar. »Was hats denn?" fragte hämisch lächelnd der Joseph, der an der anderen Werlbank polierte. »Laß mich zufriede!" »Nu, nu, friß mich ock nich gleich!"' Der Geselle näßte seinen Lappen mit Politur, und als habe der .Geruch des Spiritus ihn auf den rechten Weg gebracht, fragte er: »Du Haft wohl Haarwurzel-Rheumatismus, hä?." »Was is denn das nu wieder?" »Ter Kopf tut Dir weh. na gell?" Der Paul knurrte ärgerlich. „Da mußte Hundehaare auflegen, das hilft!" »Du... gelt... mach mich nicht schlecht!" begehrte der Bursche hitzig auf. und seine Augen sprühten.„Joppen kann ich nu grade schon am besten vertragen, das weißte!" »Nu, nu," begütigte der Geselle, dem an einem Streit heute nichts gelegen war,»man sagt doch asu? Kennste das nich, hä?" Fragend iah der Paul zu ihm hinüber. »Da trink! Da haste Hundehaare!" Der Joseph reichte ihm die Schnapsflafche, die er mitten unter den Politurflaschen stehen hatte. „Nee!" »Trink ock! Erst schmeckts nich. wenn man'n Kater hat, dann ober tuts gut, kannsts mir glauben!" »Die Mutter is so schon tücksch auf mich!" Der Joseph lachte. »Brauchsts ihr ja nich gleich zu beichten!" »Du weißt doch: die merktS. Die riecht a Schnaps auf hundert Schritt!" „Kau halt a paar Kafsebohnen, da is der Geruch aus'm Munde gleich weg!" (Fortsetzung folgt.! 8z. Versammlung deutscher JVatur- forscbcr und Herzte. Karlsruhe , den 29. September 1911. Gestern fanden noch zahlreiche Abteilungssitzungen statt. Hoch- bedeutsam waren eine ganze Reihe von Vorträgen in der Ab- teilung für Physik, wo über grundlegende Fragen unserer ge- samten Weltanschauung verhandelt wurde. Die„neue Mechanik", nach der„absolute Bewegung" nicht möglich und nicht erkennbar für uns ist und die zu der merkwürdigen Folgerung führt, daß auch die Zeit nichts.Absolutes" sei. sondern von der Geschwindigkeit abhänge, erfreut sich bei den Physikern einer immer größeren An- hängerschaft; aber die experimentellen Grundlagen dieser neuen Anschauung sind noch keineswegs so gesichert wie es vielen scheint, und wurden von Prof. Budde-Berlin einer scharfen Kritik unterzogen. Großes Aussehen Hat vor einigen Jahren die Entdeckung der »flüssigen Kristalle" gemacht, die dem Karlsruher Physiker. Pro- fessor Lehmann, gelang. Die Versuche, aus denen die kristallinische Struktur vieler Flüssigkeiten hervorgeht, sind ungemein schwierig anzustellen und ihre Wiederholung ist keineswegs überall geglückt, so daß vielfach die Existenz flüssiger Kristalle noch in Zweifel ge- zogen wurde. Namentlich war es in Frankreich der Kristallograph an der Bergakademie in St. Etienne . Prof. Friede!, der diese An- schauung vertrat. In Paris dagegen sind die Versuche mit vollem Erfolge von Prof. Manguin wiederholt und erweitert worden und Manguin trug die Ergebnisse seiner Untersuchungen in der Physi- kaiischen Abteilung vor. Sie sind so schlagend, daß auch F r i e d e l jetzt seinen ablehnenden Standpunkt aufgegeben hat und die jlüssigen Kristalle als etwas Tatsächliches anerkennt. Ueberaus glänzende Versuche führte Bons- Berlin vor. ES ist ihm gelungen, die Koppelung bei der sogenannten Stoß. funken st recke erheblich zu verbessern, wodurch die Anwendbar- Ieit_ dieser Apparate für die drahtlose Telegraphie sehr wesentlich erhöht wird. Es konnten Wechselströme erzielt werden, die nahezu eine Million mal in der Sekunde die Stromrichtung ändern. Brachte man eine luftleere, mit ein wenig Quecksilber gefüllte Glasröhre in ein solches elektrisches Feld, so strahlte sie ein Licht von mehr als 1909 Kerzen Stärke aus, das den verdunkelten Saal vollständig erhellte. Wurde eine Teslaspule erregt, so gingen von ihrem Kopfe Entladungen aus, bei denen förmliche Lichtstrdme bis zu 1999 Funken in der Sekunde mit lautem Tönen in die Um» gebung entsandt wurden— ein für Auge und Ohr gleich eigen- artiger Eindruck. In der Abteilung für Hygiene hielt Dr. Hans Kampfs« meyer-Karlsruhe einen Vortrag über: »Die deutsche Garten st adtbewegung und ihre Bedeutung für die Volksgesundheit." Das Ideal der Hygiene ist, führte er aus, die Bevölkerung in weiträumig gebauten und mit blühenden Gärten durchsetzten Klein, hausquartieren unterzubringen. Den wichtigsten Beitrag hierzu hat die Gartenstadtbewegung geleistet. Eine Gartenstadt ist nicht eine beliebige Stadt oder Vorstadt mit ein paar Gärten, sie hat auch nichts mit Villenkolonien zu tun, die von findigen Terrain» spekulanten so bezeichnet werden, um die öffentliche Meinung für ihre keineswegs gemeinnützigen Gründungen zu gewinnen, eine Gartenstadt ist vielmehr eine planmäßig gestaltete Siedelung auf wohlfeilem Gelände, das dauernd im Eigentum der Gemeinschaft erhalten wird, so daß jede Spekulation mit dem Grund und Boden für immer ausgeschlossen ist und der Wertzuwachs der Gemein- schaft gesichert bleibt. Dadurch wird in der neu entstehenden Stadt der Garten auch für den Minderbemittelten erhalten. Im Jahre 1992 hat sich die deutsche Gartenstadtgesellschaft gebildet, die sich, bereits zu einer leistungsfähigen Organisation entwickelt und schöne Erfolge erzielt hat— in der Nähe einer ganzen Reihe von Groß» städten sind Gartenstädte entstanden oder ini Entstehen begriffen, so daß man, ohne als Utopist zu erscheinen, der Gartenstadtbewe» gung eine große Zukunft prophezeien kann. Wenn sie auch nicht! die Wohnungsfrage lösen wird, so wird sie doch für die Forde» rungen der Hygiene neues wertvolles Material beibringen undi durch ihre praktischen Erfolge dazu beitragen, daß die Forderungen der Hygiene in immer weiteren Kreisen der Bevölkerung und der Behörden anerkannt und verwirklicht werden. Heute vormittag fand die zweite Allgemeine Versammlun'g statt, in der zunächst Prof. W i n k l e r- Tübingen einen Vortrag über: ..Pfropfbastarde" hielt.— Die Frage, ob es möglich ist, bei Pflanzen Bastarde, also Organismen, deren beide Eltern verschiedenen Arten ar gehören, außer durch Kreuzbefruchtung auch durch Pfropfung, also aus un, geschlechtlichem Wege, zu erzeugen, hat die Botaniker und Bio- logen seit dem Jahre 1825 auf das lebhafteste beschäftigt. Ii» diesem Jahre erhielt nämlich der Gärtner Adam zu Vitry bei Paris einen Bastard zwischen Goldregen(E�tisuz lakurnumj und Cxlisus purpurtns, von dem er angab, er fei durch Pfropfung entstanden. Merkwürdig war das häufige Auftreten von Rück- schlügen an der Pflanze, es erschienen oft ganz plötzlich und un- vermittelt Triebe an dem Strauche, die den Bastardcharakter auf- gaben und ganz rein die eine oder andere Elternart darstellten. Alle Versuche, die Bastardpflanze von neuem durch Pfropfung zu erhalten, schlugen fehl und die meisten Botaniker neigten der An- ficht zu, daß dieser Cxtisus Ackarni(des Adam) auch kein Pfropf, bastard, sondern ein sexuell entstandener Bastard sei. Freilich gelang es auch nicht, ihn durch Kreuzbestäubung der beiden Eltern- arten wieder zu erhalten. Im Jahre 1999 tauchten wieder Pflanzen auf, die als Pfropf- bastarde gedeutet werden konnten, und zwar zwischen Mispel und Weißdorn; wo die Unterlage und das Reis miteinander verwachsen waren, sproßten nicht weniger als drei verschiedene Mittelbildun- gen beider Pflanzen heraus. Aber auch hier ließ sich trotz ge- nauester Untersuchung nicht feststellen, ob nicht doch Bastardie auf sexueller Grundlage vorlag. Seither hat aber Winkler(der Vor- tragende) durch systematisch unternommene Versuche die Möglich- keit von Pfropsbastarden endgültig bewiesen: durch Pfropfung der Tomate auf einen Nachtschattenkeimling entstand ein Sproß, der in der Weise Eigenschaften von Tomate und Nachtschatten besaß. daß alles, was links von der längshalbierenden Fläche lag, To, matencharakter, alles, was rechts lag, Rachtschattencharakter trug. Es war also so, wie wenn aus Kreuzung von Pferd und Esel nicht ein Maultier entstand, sondern ein Füllen, das links von der Wirbelfäule rein Pferd, rechts rein Esel gewesen wäre. Solche! Organismen gibt es nicht in der Natur; es war also eine ganz neuartige Kategorie von Lebewesen in die Erscheinung getreten, zu denen die Analogien nur in den antiken Fabelwesen nach Art der Centauren oder Chimäre vorlagen. Bei den späteren Versuchen von Winkler entstanden zunächst immer wieder Bastarde von dieser eigentümlichen Art. Aber bei Fortsetzung der Versuche entstand dann doch eine Mittelbildung zwifchen Tomate und Nacht» jchatten, die völlig einem durch Kreuzbestäubung erhalienen glich»
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28 (3.10.1911) 191
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