— 1/1— fie ien Stock, auf den sie sich stützte, nicht fest in die Erde gerammt und nicht alle Kraft des Willens aufgeboten hätte, würde er sie doch geworfen haben. Schneeflocken warf der wilde Jäger ihr ins Ge- ficht, die stachen wie glühende Nadeln. Oft und oft mußte fie stehen bleiben, um zu verschnaufen und das Tuch fester um Kopf und Schultern zu ziehen. Dann aber packte sie es wieder von neuem an und heißer Mutterliebe, die so fest verschlosien im Schrein ihres Herzens ruhte, gelang doch, was fie wollte: sie stand vor dem Ge- richtskretscham. Hier war heute großer Trubel: Der Glück-Karl feierte seinen Geburtstag. Da ging es immer hoch her, alle seine Freunde waren geladen, und August Hoffmann, der Wirt, gab ihnen freie Zeche. Dafür kam dann der Verzählsel-Schuster das ganze Jahr über jeden Monat die paar Abende öfter zu ihm als zu der Konkurrenz, und das brachte die Kosten dieses Abends mehr als doppelt wieder ein. Man hatte an dem großen Rundtisch in der Fenstereck« noch zwei lange Tische anschieben müssen, um allen Gästen Platz zu schaffen; die gute Gelegenheit, auf fremde Kosten sich amüsieren und betrinken zu dürfen, lieh so leicht sich niemand entgehen, der einigermaßen ein Recht zu haben glaubte, zu den Freunden des Schusters sich zählen zu dürfen. Aber auch an den Tischen der großen, rauchgeschwärzten Wirts- stubc, an denen bezahlt werden mußte, hockte manch einer, den man sonst das ganze Jahr in keinem Kretscham sah. und in der Tür drängte sich mancherlei Boll: Mädchen, die auf den Tanz lauerten, junge Burschen, denen es aus einen Schnaps nicht reichte, neu- gierige Weiber. Kinder beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Jahrgänge. Die Geburtstagsfeiern deS Glück-SchusterS waren berühmt im ganzen Kreise; für die hob er sich seine sckjönsten und wirksamsten Stücke auf. und da das Loben und Feiern, das an dem Abende kein Ende nehmen wollte, da das Trumtrum und Trara des Festes ihn in Hochstimmung versetzte, kam man aus dem Lachen überhaupt nicht heraus. Auch andere Genüsse wurden bei diesen Geburtstagsfeiern ge- boten: der Napoleons -Franze. der seinen Namen einer durch den Schnitt seines Barte? noch unterstützten großen Aehnlichkeit mit dem Herrscher des dritten Kaiserreiches der Franzosen verdankte, hatte seine Klarinette mitgebracht, und wenn er auch jahraus, jahrein; dieselben Stücke zum Besten gab: einige Volkslieder, ein paar Tanzweise», nach denen längst kein Mensch mehr tanzte, und zum; Schluß, mit besonderem Gefühl vorgetragen,„das Gebet einer Jungfrau", hörte ihm doch alles gerne zu. Joseph Ouitschalle, ein Pole aus Galizien , der als Saisonarbeiter auf das Dominium in Wirrwitz gekommen und durch Heirat sich im Dorfe seßhaft gemacht hatte, trug ein paar Couplets und Gassenhauer vor. von denen ihm „Siehste nich, da timmt er",„Mutter, der Mann mit dem Koks is da" und„Pflaum', Pflaum', zuckersüße Pflaum'" am besten ge- langen. Die gebrochene, häufig unrichtige Aussprache des sanges- lustigen Slaven und der weiche, auch in den hohen Tonlagen noch ausgiebige Tenor übten starke Wirkung mis. Das beste aber, was olle jungen Mödckien zu dieser GeburtS- tagsfeier herbeilockte, war der Tanz. Wenn man genug gezecht hatte, zogen die Alten, die nicht mehr mittun wollten, sich immer in das Herrenstübel zurück, wo Glück-Karl, da die Stimmung dann schon weit genug fortgeschritten war, auch seine ältesten, bereits abgelegten Kalauer noch anbrachte. Im großen WirtSzimmer wurden die Tische an die Wand gerückt, auf dem großen Rundtisck?e, der damit zum Orchester befördert wurde, nahm der Napoleon- Franze Platz und neben ihm der alte Brendel, der mehr schlecht wie recht auf seiner alten Geige ein paar Polka und Walzer zu kratzen verstand. Diese beiden stellten die Musik zu dem Tanze, an dem sich beteiligen durfte, wer wollte und konnte. Man war ja eine„ge- schlössen- Gesellschaft". Heute wartete man besonders gierig auf dieses Vergnügen, und Unruhe machte sich bereits unter dem jungen Volk an der Tür be- merkbar: es hatte sich herumgesprochen— wer«S zuerst aufge- bracht, wußte niemand zu sagen—. daß der Roiher Paul mit der Glück-Grete heute die erste Polka tanzen werde. fgortsetzung folgt.), I�atur und IMcnfcbcn in Tripolis . Fließ . Regen, fließ. Zerstör das HauS deS Gubbi!*) Regen, du seinrieselnder. Zerstör das Haus deS Pascha l Regen, lieber Schay, Fließ auf meinen Zopf k Mein Zopf ist eingerieben Mit Olivenöl. Regen, fließ in die Rinne. Damit die Freunde trinken I Regen, fließ aus uns herab. Damit unsere Zisterne voll wirdl Regen, fließ auf die Wand, Damit die Oliven Oel ergeben I Gott, laß ihn immerfort fließen, Bis wir ihm ein Fest feiern! Regen, ström gewaltig. Tagsüber und die halbe Nacht I Regen, fließ auf uns herab, Damit das Getreide gut gedeiht I Regen, fließ tagelang, Damit wir Weizen haben! Regen, fließ tüchtig. Damit wir Gerste haben l Regen, fließ in Bächen. Damit die Lämmer kett werden! Regen, stieß aufs Land, Damit sich die Bäume krästigen. ') DeS KrvsuS von Tripolis . Die Königin der Sahara ist Tripolis genannt worden, abe» ihr Reich ist von Gnaden des— Regens, um den in den vor- stehenden tripolitamschen Versen so gefleht wird» Der schmale Küstenstreif, der fruchtbares Land bietet, wird von der Wüste um- klammert, die ihre Herrschaft noch zu erweitern strebt, wie die Wüste ständig weiter ins Meer hinabsintt. Eine locker gefügte Kette der grünen Oaseninseln bildet den Karawanenwcg zum Sudan . Das Regcnwasser, das den Boden tränkt, das Ouellwasser. das den Durst löscht, sind dieser Million Menschen, die das Gebiet — doppelt so groß wie Deutschland — besiedeln, das Schicksal dunkler Willtür. Als in der Hauptstadt Trwolis eine Quellwasserleitung gebaut wurde, sang ein einheimischer Poet verzückte Hvmnen:»Die Stadt hat ihr Wasser! Die Wasserbeförderung auf Eseln und das Kaufen deS Wassers hat deshalb aufgehört. Sie haben den Bau nun vollendet und die Röhren unterirdisch geleitet; fie haben hohe Bogen errichtet und das Hauptrohr ein- gesetzt.... Das Wasser ist nicht trübe, es schmeckt nicht sandig, — frisch schießt es aus den Mundstücken der Röhren. Jetzt brauchst Du nicht mehr Deine Nachbarn in Verlegenheit bringen; Du brauchst sie nicht mehr zu bitten, daß sie Dir ein Schlückchen Wasser geben möchten.... Du lustiges Mädchen mit den blendend weißen Zähnen,— das wohlschmeckende Wasser flieht jetzt in Deine nächste Nähet Wenn das Mädchen Durst hat und es Wasser haben muß, so kann es jetzt einfach im Schalluch hin zum Brunnen gehen." Blendend liegt fast das ganze Jahr hindurch die Sonne über diesem Lande. Die Augen der Menschen müssen blinzeln, u>m das grelle Licht zu ertragen, und diese ewige Schutzbewcgung bildet lausend feine Fält&en in den Augenwinkeln. Erst Ende November beginnen Niederschläge, aber sie währen nur ein paar Monate, und die Regenmenge erreicht noch nicht die Halste des deutschen Durchschnills. Zudem setzt der Regen ganz unregelmäßig ein: bald ist's der Dezember, oft der Januar, zumeist der Februar. in dem der ausgedörrte Boden gcwässerl wird. In dieser Regen- zeit ist das Wetter kühl und unfreundlich; in den unheizbaren Wohnungen wird man nicht warm. Während man drinnen noch friert, stürmt vom Süden der Wüstenwind, der Gibli, heran, der die Luft bis zu 40 Grad Celsius sengen läßt. Eine anschauliche Schilderung dieses Gibli gibt Ewald Banse :«In flammender Röle ist die Sonne geschwunden, purpurn und lila der Himmel. Das Meer ruht in grünlicher Bleischwere. Die Nacht erdrückend sck-wül und heiß. Malt und zerschlagen verlassen die Menschen früh das Hitzende Lager. Draußen glänzt nicht wie sonst das stählerne Gewölbe tiefer Himmelsbläue, sondern graugelber Dunst und Qualm lagert in den engen Gassen der orientalischen Stadt. Feiner Sandstaub fegt gegen die schlechtschließenden Fenster, daß ihr Knarren und Klavpen sich mit dem hohlen Sausen da draußen zu unheimlicher, stetig wachsender Musik mischt. Die Sonne, die immer strahlende und glänzende,»st unsichtbar; nein, dort oben hängt eine maile, kaum erkennbare Scheibe ,n der Luft, mit un- scharfen Rändern, groß, unnatürlich groß, aber so ganz ohne Leben und Feuer.... Wohl dem. der gerade ein schützendes Heim über dem Kopfe hat. er schätzt sich glücklich. Doch wie sieht es in den Dünen aus, wenn die Sturmbraut mit violettem, purpurverbräm- tem Mantel über die halben Monde hinwegfegt I Nichts! Kaum zehn Meter weit dringt der Blick, nirgends erfaßt er auch nur eine scharfe Linie. Das Toben und Tosen des Orkans, die Wände von Staub, obne Unlerlaß wie ein Sandgcbläse stechend zegen die Haut des Gesichis und der Hönde anpeitschend und die Oesf- uungen des Körpers verstopfend, daß man die Lider fest zusammen» pressen muß, die gelbgraue Färbung, das Drehen und Wirbeln des Ganzen versetzen den Menschen in einen Zustand der Auf» regung, des Schwindels. Die Erde scheint aus den Fugen ge- gangen, der Boden, auf dem er steht, er weicht, treibt fort, die Dünen lagern nicht mehr, sie jagen in der Luft; ihre ästthetische Gestalt hat sich in einen zerfließenden Schleier aufgelöst. Dazu die Höllenglut: bv Grad Celsius und mehr.... Ein paar Tage darauf liegen die Slaudhügcl wieder in heiterer Ruhe und Hespe - rischer Schönheii da. die Strahlen des sengenden HimmelsaugeS spielen auf den Rippclmarken(Wcllensurchen) und entlocken bunte Reflexe den Welle» der Erde. Ringsum ist ein zartes melodisches Klingen wie von silbernen Glöckchen der Elfen, wcllauf, wellab rieseln die mikroskopischen Quarzkörnchen, nie erstarrt das Sand» mcer in Unbcweglichkcit, nur fälschlich gilt eS als Bild des Todes." Tausendiöhriger Versall ist die Geschichte von Tripolis . Die an sich mögliche Bewässerung— daS Grundwasser dringt vielfach nahe an die Oberfläche— ist in den primitivsten Formen erstarr» geblieben. Es gibt keine mühseligere Arbeit als die Bedienung der ausgemauerten Bewässerungsbrunnen. auS den in Bocksbeuteln das Wasser mittels eines hölzernen Schöpfrades durch die gleich- zeitige Arbeit eines Diaultiers und des Bauern gefordert wird. „Kaum ist in den neun heißen Monaten deS JahrcS die Sonne erloschen, so beginnt— schreibt L. H. Grothe— der Eingeborene seine Bcwässeruugsarbeit. sie stundenlang, in stumpfer Einförmig- keit und Beharrlichkeit, gleich geduldig wie das Zugtier an seiner Seite, oft lange bis Miiternacht ausführend. Ei» eigentümliches Tönen erfüllt dann die Pflanzungen. Wie ein schweres Stöhnen klingt es, wenn das niemals gefettete oder geölte Schöpfrad sich widerwillig um seine Achse dreht, um den vollen schweren Beutel aus dem Brunnen zu heben. Ter morsche HolzmechanismuS knarrt
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28 (5.10.1911) 193
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