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Der Bursche aber war schon hinaus, und die Haustür fiel| 3weifel ein bedeutender Fortschritt über das Hebbeltheater hin schwer ins Schloß hinter Mutter und Sohn.

Da pacte das Mädchen eine sinnlose Wut. Den schlanken Leib mach vorn gestredt, die Fäuste zornig auf und nieder schlagend, so stand sie und starrte mit glühenden Augen durch die Tür­öffnung in den dunkeln Schlund des Hausflures.

" Du... Du...!" stieß sie zwischen fest aufeinander gebissenen Zähnen hervor.

Plöhlich aber warf sie den Kopf zurück und brachy in ein gelles, hartes Lachen aus. Verzweifelt flang es und wie ein Schluchgen; doch löste sich in diesem tollen Lachen die Wut, es wurde freier und leichter. Bater!" schrie die Grete und wirbelte wie toll um sich selbst: Jeht will ich tanzen!"

10.

Mutter und Sohn gingen in den nächsten Tagen stille neben­einander her und redeten nicht von dem, was vorgefallen war. Sie fühlten beide: das Band, das früher sie verbunden, und das durch das Erlebnis des Paul mit der Grete vom Glück- Schuster zerrissen worden, war noch immer nicht neu geschlungen; sie hatten beide das Vertrauen zueinander verloren.

Das empfand die Mutter schmerzlich; fie sehnte sich nach des Sohnes Liebe, die sie, wie sie wohl wußte, nicht mehr lange würde genießen können. Und mit banger Gorge fragte fie sich, was werden sollte, wenn sie nicht mehr war. Wenn sie seine Liebe nicht wiedergewann, sein Vertrauen zu ihr, den Glauben an das Gute ihres Wollens, dann war all das Schwere vergeblich gewesen, das fie für ihn getan, und wenn er ihres Zwanges fich ledig fühlte, würde er doch wieder der Macht des Schusters verfallen. Ihr Ein­fluß auf ihn, der Zwang ihres Willens mußte für ihn bestehen bleiben, auch wenn ihr Leib im Grabe moderte. Sie mußte im Leben bleiben um ihn und in ihm, auch über den Tod hinaus. Während die Mutter in schwerer Sorge um ihn sich auf ihrem Lager wälzte, nahm der Baules stumpf und gleichgültig hin, daß etwas zwischen ihm und ihr stand, was sie nicht zusammentommen ließ. Er konnte den ersten tiefen Schmerz seines Lebens so schnell nicht verwinden, und nicht gleich wieder Wege finden zu der, die ihm, hart und grausam, sein schönstes Glück zerstört hatte; er fonnte es um so weniger verwinden, als er niemand hatte, mit dem er sich aussprechen konnte. Das hatte ihn immer am ehesten befreit, wenn er reden durfte von dem, was auf ihm lastete. Dem Joseph hatte Frau Rother gleich am nächsten Morgen Arbeitsbuch und Geld, das er zu verlangen hatte, neben die Kaffee­taffe legen und ihm sagen lassen, in einer Stunde möge er das Haus verlassen haben. Da sie den Paul, um ihn von dem Gesellen fernzuhalten, zu Sanitätsrat Hartung nach Alt- Heinrichau geschickt, hatte der Joseph keine Gelegenheit gefunden, den Geifer seiner But von sich zu speien und dem jungen Burschen das Schidjal seines Baters zu verraten. Aber sie wußte, über kurz oder lang würde er einem der beiden, dem Berzählfel- Schuster oder dem Joseph doch in die Hände laufen, und wenn die ihm erst ihr Gift ins Chr träufelten, war ihr des Sohnes Liebe ganz verloren.

Sie mußte darum reden, und es wurde ihr doch so unsäglich schwer, zu reden von dem, was ihres Lebens Schicksal gewesen war und heute noch fast ebenso schwer auf ihr lag als am Anfang. So verschob sie es von einer Stunde zur anderen, von einem Tage zum anderen, und wurde ständig unruhiger und aufgeregter. ( Fortsetzung folgt.),

Kleines feuilleton.

Architektur.

aus.

Die dort angewandten Prinzipien kamen hier zur Reife. Fragen wir: wodurch charakterisiert sich Kaufmanns neuer Theaters bau als ein spezifisch moderner.

Zunächst dadurch, daß er die Gesetze, die wir allgemein von der Art unserer Zeit fordern, befolgte. Das Haus wurde als ein Raumgebilde und als ein Gefüge aus Stein gedacht. Während die Theater der schlimmen Zeiten dem blöden Puppenspiel und der Kulissenreißerei, dazu dem Schwulst an Dekorationen und Flittern berfallen waren, wirbt Kaufmann um die reine Form. Er will nicht durch symbolische Weiber, die über den Türen fleben und an den Wänden hinaufklettern, der Sinn des Hauses deuten; die nackten Mauern sollen den Rhythmus feierlicher Stunden und heiterer Feste verkündigen. Gewiß, auch Kaufmann läßt den Pla­ftifer gewähren, auch er profiliert und gibt den Flächen schönen Reichtum. Das Entscheidende aber geschah, bevor die Dekoration gedacht wurde; oder, richtiger gesagt: die Dekoration blieb nie zu­tat, ist stets architektonisches Glied. Daher kommt es, daß man die Fassade als eine Einheit empfindet und zugleich als Projektion der dahinter liegenden Räumlichkeit. Durch ein halbes, sich hera vorwölbendes Obal, das im Parterre fünf Türen zum Kassen­raum, im Oberteil die hochstoßenden Fenster des Foyer enthält, entfaltet sich ein gebändigtes Pathos. Das Haus erhebt seinen Anspruch als eine Sonderheit, als eine Stätte der seltenen Stun­den, angeschaut zu werden; es tut dies mit doppeltem Erfolg, weil Kaufmann sehr geschickt durch eine kleine aber wirksame Blazz­bildung ihm Raum im Straßenbild schuf.

Die gleiche Baugejinnung waltet im Innern des Hauses. Hier entscheidet sie sich am Grundriß, an der Disposition der Räume. Es gibt kaum etwas Schwierigeres, als den Grundriß eines Theaters zu bestimmen. Unzähligen Baragraphen, zu einem großen Teil sehr notwendigen, ist zu genügen. Der Willkür sind enge Grenzen gesetzt. Gerade darum aber bewährt sich an diesem Teik der Aufgabe die Fähigkeit des Architekten, deffen Beruf ja dahin geht: Sonventionen zu variieren, ihnen immer wirksamere und geistreichere Lösungen zu finden. Solches Lob darf Kaufmann für das Bremerhavener   Theater verlangen. Den offenbaren Fehler des Hebbeltheaters, das Zusammenstoßen der Billettkaufenden mit den Passanten zum zweiten Rang, hat er flug vermieden. Und nicht etwa dadurch, daß dieses Theater überhaupt keinen zweiten Rang bekam. Es bekam dafür ein großes Hinterparkett; zu diesem find die Zugänge von dem Hauptkassenraum abgesondert worden, fie wurden unter ihm hindurchgeführt. Damit sichert Kaufmann dem Theater eine möglichst schnelle Entleerung, eine bequeme Bir­fulation. Das aber ist die Absicht jener Vorschriften und die Fors derung mannigfacher Erfahrungen. Dazu kommt die Disposition des eigentlichen Bühnenapparates. Auch hier hat Kaufmann mit relativ geringen Mitteln viel erreicht. Die Magazine für die Dekorationen liegen so, daß jede unnüze Arbeit vermieden und das Zutragen und Fortstellen möglichst schnell vollzogen werden fann. Die Garderoben der Schauspieler befreit Kaufmann von der Ungebühr verwintelter Enge; wir treffen menschenwürdige, hygienisch untadelige Zimmer.

Diese Andeutungen werden genügen, um zu zeigen, daß Kauf­mann das Programm eines modernen Theaters erfüllte. Er tat es in Schönheit. Dafür zeugt vor allem der Zuschauerraum. Wiederum: ein Raum und fein Rummelplay. Die Wandungen umfangen uns mit ihrem blonden Leuchten; wir fühlen uns gut aufgehoben. Wir fühlen uns dem Alltag um einige Grade ent rüdt; wir fühlen den Zwang zur Bühne. Alle Linien, die Brüstungen der Logen, die Tendenz der Seitenwände, besonders die monumentale Flächigkeit des Proszeniums, alles drängt, die Bühnenöffnung anzuschauen. Ein schwerer Rahmen aus Ebenhola steht fest und feierlich in Erwartung der fommenden Bilder.

Aus der Vorzeit.

R. B.

Gin modernes Theater. Die Errichtung eines neuen Theaters gehört zumeist weniger der Architektur als dem Bau- Die Deutung prähistorischer Wertzeuge. Auf geschäft. Die meisten Theater werden von solchen Leuten gebaut, ein neues Gebiet in der vergleichenden Forschung, in dem voraus die gute Beziehungen zum Kapital haben. Weit mehr als bei sichtlich noch viele Ueberraschungen für den Prähiftoriter zu erwarten anderen Objetten entscheidet bei der Vergebung eines Theaters die find, verweist Dr. H. Pfeiffer- Weimar in zwei längeren Abhand Frage: fann der Bewerber ein Erhebliches zur Finanzierung bei lungen, die fürzlich in der Zeitschrift für Ethnologie erschienen find. tragen. Und daneben spielen oft genug die Beziehungen zur Bau- Pfeiffer zieht systematisch noch im Gebrauch befindliche Geräte polizei und zu ähnlichen Instangen eine entscheidende Rolle. Man heimischer und fremdländischer Kultur zur Bestimmung und Er­darf getrost behaupten, daß der Theaterbau so recht und gottes- flärung prähistorischer Objekte heran. Er geht dabei von der fürchtig im Zeichen der Schiebungen steht. Wenn ein Beispiel ber- durchaus begründeten Annahme aus, daß die typische Grundform langt wird, so sagen wir: die Charlottenburger   Oper. der Geräte für die einzelnen manuellen Berrichtungen sich­der moderne Zum anderen üben die Mäcene ihren nicht gerade immer nüß- folange geltend Maschinenbetrieb sich nicht lichen Einfluß. Das gilt besonders für die Hoftheater. Sprich: machte erhalten mußte; denn der technische Angriff auf Berlin  . Da erben sich die Unfähigen nebst den Pompöfen wie eine das Arbeitsmaterial hat seit Jahrtausenden mit stets fich gleich ewige Krankheit fort; und wir sehen mit Schaudern Mißgeburten, bleibenden Faktoren rechnen müssen, als da sind z. B. die physita­wie die von Kiel   oder Freiburg  .

Bei solcher Konstellation am Theaterhimmel ist es dann doppelt erfreulich, wenn einmal ein Neubau in die richtigen Hände kommt. Das gelang bereits hier und da; wir denken an die Bauten von Littmann, besonders an das Charlottenburger   Schillertheater, wir denken an das Haus der Kammerspiele von William Müller  , an Kaufmanns Hebbeltheater  . Wir dürfen künftighin auch das neue Stadttheater von Bremerhaven   zitieren, abermals ein Werk von Oskar Kaufmann  .

Dieses Theater wurde am vergangenen Sonnabend eröffnet und brachte dem Baumeister einen großen Erfolg. Es ist ohne

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lischen Geseze für die Spaltung des Feuersteins, die gleiche Struktur von Knochen, Holz uft." Gewiß, es find auch schon Bersuche ge­macht worden, prähistorischen Geräten auf Grund von modernen eine Deutung zu geben; das hat aber au manchen falschen Schlüssen geführt, da man nur die oberflächliche Achnlichkeit in Betracht zog. Bfeiffer hat nun eine Methode angewandt, die in ihrer verblüffenden Einfachheit wie das Ei des Kolumbus   wirkt. Es genügt ihm nicht die Aehnlichkeit der Formen, ihm tommt es auf die praktische Ver wendbarkeit an, darauf, ob die zu bestimmenden Werkzeugtypen für den ihnen zugeschriebenen Zwed tauglich waren. Das kann natürlich am besten durch praktische Nachprüfung am Arbeitsmaterial selbst unter Bu