Mnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 203. Donnerstag den 19. Oktober 1911 85] (Nlichdrua Dccsorcn, Vor dem Sturm. Roman von M. E. d e l l e G r a z i e, >> Zuleht brach sie in Tränen aus und schlich todmüde nach ihrem Lager, fand aber keinen Schlaf. Draußen begann der Morgen zu säuseln. Stern um Stern erblich, im Wirtschafts- Hofe krähten die Hähne. Plötzlich hörte sie eine Tür knarren. „Wer kommt denn schon so früh heraus?" dachte sie. Die Eifersucht— da war sie wieder. Rasch schlüpfte sie in ihre Pätschelchen, schlich ans Fenster, schob leise, vorsichtig die Gar- dine zurück. In diesem Augenblick schlug unten der schwere Stalleinier an den Brunnenrand. Mit einem leisen Schrei fuhr Lolette zurück. Aber ihr Antlitz strahlte förmlich. „Schau", dachte sie,„ist er auch der erste auf im Haus!" Und nach einer Weile:„Das wär' ein Herr! Den Unterweger Hab' ich oft fast aus dem Bett werfen müssen!" Ja, so einen Mann konnte das Gut wohl brauchen. Wenn er nur bloß kein— Reitknecht gewesen wäre! Wie betäubt schlich sie nach ihrem Lager zurück, suchte wieder zu schlafen... umsonst. Endlich warf sie die seidene Decke von sich, lag da, bloß in dem dünnen, spitzenüberrieselten Nacht- gewand. Das Zimmer begann sich langsam mit dem ersten Licht des Morgens zu füllen, aus der Dämmerung blitzte ihr die kristallene Fläche des großen Spiegels über dem Kamin entgegen, gab ihr Bild zurück, in all seiner aufgelösten Schön- heit. Die blonden Haare, die wie leuchtendes Aehrengold auf dem gestickten Linnen der Kissen lagen— das rosige Weiß ihres Halses, den üppigen Ansatz der vollen Büste. Aus den weiten Flügclärmeln leuchteten ihre runden Arme hervor. lieber dem einen Bein hatte sich das Nachthemd verschoben und ließ die alabasterne Beuge des Knies frei. „Heiß ist's!" hauchte Lolette.„Schon in aller Frühe so heiß!" Da unten aber stand ein armer Teufel, füllte seinen Eimer und hatte keine Ahnung, wie reich er war— schon in aller Frühe! „Vielleicht sollt' ich doch wieder einmal beichten gch'n", erwog Lolette,„denn das nimmt und nimmt kein gutes End'. Und katbolisch ist man auch!" Ja, katholisch war sie geblieben, trotz alledem: gut katholisch. Als es Nachmittag wurde, ließ sie wirklich die Pferde vor die Kutlche spannen, zur Freude des alten Preiner, der eine fromme Seele war und noch immer auf die endliche Einkehr seiner Herrin hoffte. Wenn das gnädige Fräulein nach Znaim fuhr, saß er am Bock, und deshalb wußte er, daß sie auch wirklich beichtete— bei den ehrwürdigen Dominikanern. Es war zwar schon lange nicht mehr gcschch'n. Aber... und er zog seine beste Livree an, suchte seinen ehrwürdigsten Rosenkranz hervor, und als er sich zu Mittag an seiner Ge- sindetafel niederließ, meinte er mit einem„so beiläufigen" Blick nach dem Reitknecht:..Heut' fahr'n wir aus— beichten!" Aber der Klamcrt„rührte kein Obrwaschl". Ganz müde von den vielen Tränen, die ihr der rücksichtslose Sermon deS alten Dominikaners erpreßte, kam Lolette an jenem Tage heim: voll der besten Vorsätze und plötzlich so ganz Dame, daß sie nicht einmal für die ergebene Dienst- bcslissenheit des alten Preiner eines ihrer vielen, liebens- würdigen Worte fand.„Das muß jetzt ein End' haben", dachte sie,„und mit einem muß ich ja anfangen." Nach dein Abendcsien holte sie sofort ihr Gebetbuch hervor— um ihre „Büß" zu erledigen. Wie Magdalena saß sie da, nur den Goldmantel ihrer a»fgelösten Haare um die nackten Schultern, denn es war wieder heiß, sehr heiß. Wort für Wort beteten ihre Lippen herunter und ihre Augen starrten mit einer Art Verzweiflung in die zuckenden Lichter der Girandolcs. Der Beichtvater hatte ihr aufgetragen, jeden Abend die„voll kommenc Reue" zu erwecken. Aber wo die nur so schnell her nehmen? Nun das zornige Gezische! des Mönchs ihr nicht mehr im Ohre klang, fand sie auch nicht eine Träne. Und dann... ihre armen Augen I War es nicht genug, daß sie schon mehrere Tage keinen rechten Schlaf gekostet hatte? Warum sie der Herr gar so hart strafte?„Immer und immer versucht er mich!" dachte sie. wie mit einen, leisen Schmollen. Aber richtig— die vollkommene Reue! Sofort begann sie wieder zu beten, und weil ihr keine Tränen mehr kommen wollten, seufzte sie, bis ihr Papagei in seiner Voliere erwachte, seine Herrin einen Augenblick ganz verdutzt anstarrte und sich dann höchst nachdenklich hinter dem Ohre kraute. Die eufzer, die er sonst in stillen Nächten gehört, waren and'rer Art gewesen. „Jetzt Hab' ich's!" dachte Lolette plötzlich.„Wenn ich das Licht auslösch' und in der Dunkelheit weiterbet', von nichts anderm abgelenkt— find' ich sie vielleicht doch, die voll- kommenc Reu'!" Unterdes hatte der alte Preiner gar auferbauliche Worte für die Zerknirschung seiner Herrin gefunden; Worte, die wieder alle nach dem neuen Günstling hingcsprochen waren, damit der dolkerte Kerl" sich ja nichts einbilde. Da und dort blinzte eine Dirne der anderen zu. Die Köchin, die noch immer„vom Unterweger her" im Haus war und demnächst wieder der„Hasenhündlin" weichen sollte, schnitt eine Grimasse. Aber die Kammerjungfer, die Ihrer Gnaden bei der Nachttoilette geholfen, gab dem alten Preiner recht und schließlich... gerade über die Rückkehr eines Sünders war ja im Himmel bekanntlich mehr Freude als über neunund» neunzig Gerechte? Ter Reitknecht tat, als merke er nichts, sprach nach dem Essen ruhig sein Tischgebet, wie es in der Gesindestube Ord» nung war, und machte sich auf, wieder nach seinen Pferden zu sehen. Unter den Mägden befand sich auch eine„Hanna- kin", ein überreifes, lüsternes Ding, das schon allerlei hinter sich hatte. Die gesunde Frische des Burschen, seine kühle Art, sich von ihresgleichen ferne zu halten, hatten sie schon lange gereizt.„Der red't heunt Wosser auf mein' Mühl'," dachte sie, als der alte Preiner so erbaulich von der Beichte der Gräfin sprach. Wer weiß— vielleicht gingen dem Klamert doch endlich die Augen auf, daß er auch noch andere sah als die eine! Nicht einen Blick ließ sie von ihm, während der Kammerdiener daherschwatzte; und als der Karl über den dunklen Schloßhof auf den Stall zuschritt, stand sie plötzlich an seiner Seite. Ein Zufall fügte eS, daß Lolette gerade in diesem Augen- blick die Fenster ihres Schlafgemaches schließen wollte. Sie hatte sich zwar fest vorgenommen, nie mehr wieder„dorthin" zu schauen, aber ein Blick inußte ihr doch entwischt sein— mitten aus der vollkommenen Reue heraus und so sah sie, was sie bisher noch niemals zwischen der Stalltür geseh'n, ein Frauenzimmer! Darüber fiel auch der Rest ihrer vollkomme- neu Reue sozusagen kopfüber vom ersten Stock herunter— gerade zwischen die Stalltür. Der Klamert schien zwar noch immer seine Ruhe zu bewahren, aber die Hannakin lachte und girrte...„Wie eine Taub'n kudert sie", dachte Lolette em- vört, sah aber doch zu ihrer großen Freude, daß der Klamert sich hielt.„So ein Mistmensch I" murmelte sie.„Warum er sie nit wegjagt?" Aber freilich, was blieb ihm übrig, wenn sie— beichten ging? „Jetzt Hab' ich's!" schluchzte sie außer sich, und plötzlich waren sie wieder da— die Tränen der„vollkommenen Reue". „Die muß weg", sagte sie fest, als die zwei endlich mit einem lachenden„Gute Stacht!" voneinander schieden.„So was kann ich doch nicht dulden in ineinem Haus. Und mit dem Klamcrt red' ich gleich morgen!" Damit schlich sie nach ihrem Lager, wieder gefaßt, auch in dieser Nacht keinen Schlummer zu finden. Aber war's das erleichterte Gewissen, oder der echt christliche Vorsatz, künftig auch bei ihren Leuten auf Zucht und Ordnung zu schauen— kurz, Lolette schlief ein und erwachte erst, als die Tränkcimer des Reitknechts wieder an den Brunncnrand schlugen. Etwas verdutzt rieb sie sich den Schlaf aus dcu Augen. War sie gestern wirklich in Znaim gewesen, um sich von einem alten, nach ordinärem Schnupftabak riechenden Dominikaner so hcrunterkanzcln zu lassen? Wie der Morgen da in ihre Stube hereinlachte und im ganzen Haus alles weiter ging. sowie sie es wollte, konnte sie'S fast nicht glauben. Und wenn sie nach einem Jahr vielleicht wieder nach Znaim fahren mußte....„Ein Jahr ist lang", dachte sie,„und wer weiß. wer weiß..
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28 (19.10.1911) 203
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