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Gleich darauf trat Lolette mit etwas herrischer Miene in den Pferdestall.

den Ecce homo. G

I.

Der Dominikaner   hatte ihr ein- für allemal jeden ,, außer­ehelichen Verkehr" untersagt, bei Verweigerung der Abso­lution. Was bleibt mir denn da übrig, als ihr endlich zu heiraten?" dachte sie mit Genugtuung. Unsere heilige Religion ist ja selbst auf meiner Seit'n! Freilich, meine Mittelalter die geistige Zivilisation zerreißt, bat fich in unferen Das Schidfal eines ungeheuren Widerspruchs, das seit dem Leut'" Aber war sie nicht Herrin von Schönbach, freie, Tagen in der Tragödie eines einfamen Träumers verdichtet, wie in unumschränkte Herrin, trop Schwester und Better? Gleich einem furchtbar zusammengedrängten Erlebnis der seelischen Martern heute wollte sie den ererbten Boden wieder so recht fest unter von Jahrtausenden. Das Christentum mit seiner müden und weichen, ihre klippenden Seidenstöckl nehmen. Und schön, stolz, entfagenden und gefühlichwelgenden Weltflüchtigkeit wurde auf­morgenfrisch kam sie hinab. Eine Stunde später verließ die gepfropit auf eine derbe, rohe Barbarenzeit, die in jeder Tat des Hannakin das Schloß. wirklichen Lebens die überfinnliche Lehre Lügen strafte. Der Widerspruch zwischen Lehre und Leben erzeugte jene quälende Instinktunsicher heit, die fich zu Zeiten bis zur Massenentaltung, bis zur Bereiterung des öffentlichen Geiftes steigerte. Wie die heilige und reine Lehre zum Werkzeug der sozialen Vergewaltigung ward, das ist eines der erschütterndsten Zwischenspiele auf dem schweren Wege der mensch lichen Entwickelung. Babrhaft err ist die christliche Stimmung in ibrer Reinheit niemals über die Menichheit geworden. Die Versuche der Menschheit, sich von jenem taufendjährigen Widerspruch zu be freien, waren ziviefach gerichtet. Die Heldengestalten christlicher Gesinnung bemühten sich, die Idee in ihrer Reinheit zur wirklichen die christliche Weltanschauung überhaupt aus den Gehirnen zu tilgen. Seele der Menschen durchzusetzen. Die moderne Zeit aber versuchte In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schien der Antichrist gefiegt zu haben. Die Welt rang fich zur Einheit des Denkens und Lebens durch. Das 19. Jahrhundert fehrte zum Widerspruch zurüc und vertiefte ihn noch. Das 20. Jahrhundert hat diese Erbschaft unlöslichen Zwieipalts übernommen.

Er kann mir die Wettl satteÏn!"

Der Klamert errötete und machte sich etwas verwirrt ans Werk. Als er aufsprang, glitt ihm ein Buch aus den Händen.

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Was hat er denn da?"

Fast beschämt hielt ihr der Bursch das Buch hin. Um das Buch genauer anzusehen, schritt Lolette aus dem Stall und setzte sich auf eine Bank unter den Linden des Schloß hofes. Die Kultur der Buderrübe", las sie, und fast wäre das Buch nun ihr aus der Hand gefallen. Na hör' er", rief sie lachend zum Stall hinüber, woher hat er denn das Buch?"

Der Bursch trat befangen vor sie hin:" Der Sami   hat mir's von Znaim   gebracht!"

Ja, aber wozu denn?"

Er blickte fie an, schwieg. Plöhlich tippte fie fich an die Stirn. Ach so, wegen unseres Gesprächs von neulich! Ja, geht ihm denn die Sache wirklich so nah?" Sein Blick irrte zur Seite. Das ist doch meine Sorg'!"

Weil's schad ist."

Er zuckte bloß die Achseln. Ich hab' nur gemeint. und weil Euer Gnaden ohnedies genug Sorgen haben. Und wie der Rentmeister neulich davon gesprochen hat, hab' ich mir das halt so ausgedacht."

Na ja!" gab Lolette mit einem Seufzer zu. Die Wirt­schaft geht seit Jahren zurück." " Der Grund wär' auch da", fuhr der Bursch fort. Der beste Rübengrund, den man sich wünschen kann. Wo ich da­heim bin, find die Herrrschaften noch einmal so reich geworden durch den Zucker."

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Sie stand, lauschte, sah ihn an. Ein Kluger, nachdenk­licher Blid war es diesmal, durchaus nicht der werbende des Weibes, das sich diesem Manne verfallen fühlte. Red' er nur weiter", nickte sie, als der Bursch, sich plötzlich befinnend, einhalten wollte. Seine Intelligenz begann sie zu fesseln, die Art, wie diese Intelligenz fich ihr hingab, ihr und ihrem Wohl. Vielleicht hat er mich doch gern", dachte sie, und er traut sich nur nicht recht. Courage muß ich ihm machen.... Sein Aug' leuchtete auf. Wenn's erlaubt ist! Also auch a hundert Joch Wald könnten Euer Gnaden aus­schlagen lassen. Das wäre bares Geld, viel bares Geld, gleich auf einmal. Damit wären die ersten Auslagen für die Rüben­fulturen gededt. Wenn die Baulichkeiten unter Dach wären, könnt' man eine Hypothek aufnehmen. Am besten wär's, wenn auch nur zum Shein, den Grund gerade nach der Seiten zu fultivieren, die sie heut' oder morgen für die Bahn brauchen. Um so teurer müßt' er abgelöst werden. Denn da herüber müssen sie einmal. Wir aber hätten dann die große Verkehrsstraße. Das gäb' eine gute Bringung, auch fürs Holz. Der Förster Der Förster" Er hielt ein.

Sie schloß die Augen, wie um innerlich besser zu seh'n, was alles er ihr in die Luft baute. Aber es leuchtete ihr ein, und als er wieder stockte, rief sie fast heftig: Was ist's mit dem Förster?"

Er drehte seine Kappe bescheiden zwischen den Händen herum. Ich wollt' nur sagen... dem wird's natürlich um sein Wild sein und um seinen Wald. So alte Leut' können sich nicht leicht in das hineinfinden, was eine neue Zeit braucht."

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Rolette sah auf wußte nicht, ob sie lachen oder staunen follte, die neue Beit!" Es war ihr Reitknecht, der ihr davon sprach und ein Wort sprach, das sie zum erstenmal hörte: " Die neue Zeit." Wie ferne Musik klang's. Vielleicht nur, weil ihr Blut mitfang. Vielleicht.. Aber gehörte ihre Liebe nicht auch schon in eine andere in diese neue Zeit? Wie ein ungeahntes Licht blikte es plötzlich über ihre Seele hin. ( Fortfegung folgt.

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Aber je eifriger und fanatischer die herrschende Gesellschaft die chriftliche Lehre zu erhalten suchte, indem sie sie verdarb und ver wirrte, um fo größer ward die Kluft zwischen dem wirklichen Leben und der altchristlichen Myitik. Die heutige Welt des erbarmungs­lofen Kapitalismus, der schlechterdings auf irdische Arbeit, auf Reich tum und Glanz, auf Lebensbejahung und sinnliche Lust gerichtete Geist bat nichts gemein mit den frommen Weisen, die in Büchern und Kirchen ihr eigenes Daiein leben. Gerade in dieser Zeit aber der größten Ohnmacht der herrschenden Religion für die Gestaltung des wirflichen Daseins in der Gesellschaft erstand jener deutiche Gedankendichter, der ein Jahrtausend zu spät, voll frantem Wahn, in dieser entkräfteten Lehre den Todfeind unserer heutigen Kultur verfolgte; und mit einer unerhörten Kraft der Leidenschaft und der Sprache, der Bilder und Eingebungen, die Idee des Christentums niederzuringen unternahm die Idee, die doch eben nur Idee geworden war. daß er als Antichrist eine neue Epoche der Weltgeschichte in einer Es ist die Tragödie Friedrich Nichiches, geit einzuleiten geglaubt hat, da diese ganze Zivilisation der bürgerlichen Gesellschaft selbst der leibhaftige Antichrist geworden war.

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eines Erotifon Niegiches Ecce homo" als teures Luguswert zuerit Vor drei Jahren war in der, etwas lärmenden, Ausstattung veröffentlicht worden; der nur in fleiner Auflage vom Jufel- Verlag herausgegebene Drud gewann auf dem Büchermarkt bald einen un­erschwinglichen Preis. Erst jetzt erscheint das Werk in der Samm­lung von Nieziches Schriften( auch in der billigen Oftab- Ausgabe), und damit erst wird eine der seltsamsten Urkunden dieser bürger­lichen Kultur am Ausgang des 19. Jahrhunderis der Deffentlichkeit endlich zugänglich. Die Blätter sind bereits Ende 1888, als der taum drei Wochen niedergeschrieben. Diefe Lebensbeichte, in der er Dichter 44 Jahre ward, während seines Aufenthaltes in Turin   in ohne jede Rücksicht und Menschenfurcht mit bohrender Biychologie in einer beschwingten Sprache von schmiegiamer Leichtigkeit ohnegleichen über sein Leben, über sein Wesen und fein Werk Rechnung ablegte, war schon damals in die Druckerei gewandert. Als dann aber un­mittelbar darauf die geistige Nacht über den Schöpfer hereinbrach, hielt die ängstliche Familie die Veröffentlichung zurüd.

Man wird nicht leicht in der Literatur ein Wert von so era schütternder menschlicher Tragit finden. Die Blätter sind entstanden in jener atemholenden Pause, da das beranichleichende Verbängnis gleichsam den Unfeligen in Sicherheit fullte, um ihn desto fester un­entrinnbar zu vaden. Niegiche feiert fich bier nicht mir als den größten, sondern auch als den gefündesten Menschen seiner, ja aller die Bilder und Visionen zu. Was aber dem gefegneten Urheber als Beiten. Ohne jede Hemmung quollen ihm damals die Einfälle, Zeichen blühender Geneiung und wiedergeborener Urkraft schien, das war gerade das trügende Borſpiel feines naben Verfalls. Nicht um­sonst begrub ich heute mein vierundvierzigstes Jahr, ich durfte es be­graben was in ihm Leben war, ist gerettet, ist unsterblich. Das erste Buch der Umwertung aller Werte, die Lieder Zarathustras, die Gößen Dämmerung, mein Verfuch, mit dem Hannner zu philosophieren alles Geschenke dieses Jabres, ja, sogar seines letzten Viertel jahres! Wie follte ich nicht meinem ganzen Leben dankbar sein?- und so erzähle ich mir mein Leben." So schrieb der Dichter auf das erste Blatt, ein Einsamer, den zu jener Zeit faum einer in Deutschland   fannte. Als er aber am Schluß das Vorwort hinzu fügte, da grinst schon aus diesen verzerrten Zeilen der Wahnsinn. Das Buch der Gesundheit wird zu einer Urkunde der Gehirn erweichung. Und durch alle Blätter dieser Schrift steckt die Geistess frankheit ihre Frage hervor.

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Ecce homo" das Wort von dem christlichen Erlöser, will Nietzsche   auf sich selbst als den Antichrist anvenden. Siehe ein