IwterhaltMgsblatt des DorwärtsNr. 205. Sonnabend den 21. Oktober. 1911lNachdruck h«kSsl«l.>g?) Vor clem Sturm.Roman von M. E. d e l l e G r a z i e.„Ich kann nit mehr los", klagte sie in den Wind hinein,„wie ich's auch dreh und wend".Sie mußte wohl etwas zu laut geworden sein, dennWettl spitzte die Ohren, kehrte das Haupt nach ihr; sah siemit dem einen Auge an, so von der Seite her, mit demguten, klugen Blick, der ihr eigen war.„Ach was!" rief Lolette plötzlich mit einer heftigen Bc-wegung.„Das beutelt man halt ab, weg'n den Leut'n...PählEin leichtes Getätschel auf Wettls Hals, und sie wußte,was es galt: heim ging's lVor Sonnenuntergang schwankten die letzten Erntewagendurch den Wirtschaftshof zur Scheuer. Des Jahres Segenwar geborgen I Wie erlöst atmeten alle auf, und nun diesaueren Tage des„Schnitts" vorüber, der letzte Schweiß vcr-gössen war. schien sich plötzlich niemand mehr müde zu fühlen.Alt und jung half mit, die letzten goldenen Garben unter dasDach der hochgefüllten Scheune zu bringen. Gelächter flogdabei auf und derbe, bodenständige Witze, wie sie das Volkliebt und selbst die Weiber bei solchen Gelegenheiten miteinem munteren Kichern hinnehmen. Wo aber ein paar Armefür einen Moment feierten, griff sich der Bursch rasch dienächste Dirne zum Tanz heraus und wirbelte mit ihr über dieglattgestampfte Tenne hin. Der„Schnitthahn" winkt—und die Aussicht auf das reichliche Mahl und einen„gutenTrunk", die nach landesüblichem Brauch die letzte Mühe derArbeiter lohnten, machte die Leute noch einmal so froh.Zuletzt halfen alle mit. nur um fertig zu werden. Selbst deralte Preincr war sich nicht zu gut. stand da und gabelte,während die senffarbenen Gamaschen um seine düxrcn Beineschlotterten. Bloß den„Livreerock" hatte er abgelegt, undschien ihm ein Scherz etwas allzu derb, hielt er es für seineChristenpflicht, die Stirne zu runzeln; aber den Spaß wollteanch er heute niemandem verderben.In der Küche briet und brotzelte es. Stak auch keinHahn am Spieße, so war es doch ein saftiges Stück Ochsen-fleisch. Dazu gabs Erdöpfelschmarrn und Sauerkraut und„Ummurken"(Gurken). Hauptsache aber war das„Bacht".Auf großen, flachen Tellern, die breite, blaue Ränder hatten,standen all' die guten Bissen da, die sich der bäuerlicheGaumen zu festlichen Gelegenheiten wünscht:„Fleck'n" und„Bucht'ln" und„Hobelschatten" und zwei gewaltige„Prügl-krapfen", die den ganzen Nachmittag über die Geduld der„Hasenhündlin" in Anspruch genommen. Denn die Hasen-hündlin war richtig wieder eingezogen, zugleich mit dem„Schnitthahn", und wo wäre weit und breit eine.Köchin zufinden gewesen, die solche Prügclkrapfen backen konnte wiedie Hasenhündlin? Das wußten die Leute zu schätzen, undd'rum ging es noch einmal so rasch mit der letzten„Orwat"(Arbeit).Als die Suppenteller klapperten und die Schnitter undSchnitterinnen um den großen Gesindetisch saßen, erschienLolette. fragte mit einem gnädigen Lächeln, ob es ihnen auchtüchtig schmecke, sah zu, daß jedes sein gehöriges Teil nahmund ordnete zuletzt an, daß zum„Bacht" heuer ein„extra-guter Tropfen" aus dem Keller zu holen sei.„Der?!" meinte der Wirtschafter erstaunt, als Loletleden Jahrgang 1834 nannte—„der liegt ja schon im Herr-schaftskellcr!"„Ganz recht", lächelte Lolette.„eben den mein ich. Unddamit die Leut' nit allzu lang d'rauf warten müssen, kannder Klamert mit ihm hinunter gch'n!" Damit zog sie einenklirrenden Schlüsselbund aus ihrem Retikül und reichte ihn— dem Klamert! Der Wirtschafter biß sich vor Verdruß indie Lippen und ging etwas brummig ab, nahm aber doch diezwei größten Steingutkrüge mit. Wer hätte heute einenSpaß verdorben?War das Mahl zu Ende, wurde auf das Wohl der gnädi-gen Herrschaft getrunken und der Schloßfrau der Erntekranzüberreicht. Das geschah im Hof, mitten unter den blühendenLinden, und der Ncbl Franz inußte dabei die„Harps'nzupf'n", damit sich das„Sprüchl" besser anhörte. Schonlange vorher wurde unter den Dirnen hin und her gestritten.welche das Sprüchl„aufsagen" solle? Die Männer meinten,daß es die„Sauberste" tun müsse, die Weiber, die einersolchen Auslese nicht hold waren, blieben dabei, daß es immer„die älteste Dirn' gewesen", so lang man denken konnte.Wenn es aber darauf ankam— wollte wieder keine dieälteste sein!„Wonn's nit bold stad seid's mit engern Brosontir'n.loss' ich im Kirchenbuch nochschlog'n", hatte der Rentmeistecdiesmal droh'n müssen. Dann hatte sich endlich eine gefunden.Als die Leute ihr„Bacht" gegessen, ordneten sie sich inReih und Glied und zogen, jeder sein Glas in der Hand, inden Hof hinaus: voran die Dirne mit dem Erntekranz.Lolette hatte unterdes ihren schönsten und lustigstenStaat angelegt: ein weißes Batistkleid, das dustige„Falbeln"zierten und breite Zwischensätze echter Valcncicnnespitzen sodurchsichtig machten, daß man darunter die Seide des kost-baren Unterrocks schimmern sah. Nacken und Hals warenentblößt, die reiche Fülle der blonden Locken hielt nur einweißes Band zusammen. Kein Reif zierte ihre runden Arme.selbst die Ohrringe hatte sie abgelegt. Hoch, schlank, schönstand sie vor ihrem Spiegel, nur vom Sonnenglanz ihrerblonden Schönheit übergössen, vom seidigen Perlmutter-schimmer dieser Haut, die selbst wie ein kostbares Gewebe inder rosigen Dämmerung des Abends ausleuchtete. So schrittsie hinab unter die Linden.Als sie erschien, zupfte der Nebl Franz die„Harps'n",Schnitter und Schnitterinnen schwenkten ihr die Gläserentgegen.„Hoch soll sie leben— hoch soll sie leben— dreimalhoch I"Das wollte ein Tusch sein. Dann wurde es still.Die Dirne trat vor, den Kranz in der Hand, machte einentiefen Knix, strick etwas verlegen ap ihrer Sckiirze herunterund begann endlich, ihr Sprüchl herzusagen, laut, fest, ehrlich— wie ein Kind, das brav gelernt.Do lcg'n mir dir den Kronz zu d'Füaß—Long loor'n die Tag' und groß die HiatzDoch hob'n m'rs broat un san irtzt frohlind rus'n:„Uns« Frau Gräfin hoch!"Und„hoch— hoch— hoch" scholl es- der schönen Herrinentgegen, als sie die Hand nach dem dustigen Gewinde streckte,das ihr die Dirne reichte.Die schwersten und goldigsten Nehren waren zum Kranzgewunden— der letzte Mohn des Feldes, blaue Chanen undrosige Wicken, ivas die Scholle sich selbst als Schmuck in ihrenSegen flicht, nickte aus dem Gold der Nehren hervor. Sonstwar es Sitte, daß die Herrin, sowie sie den Kranz empfangen.ihn an einen Haken der Tenne hing, wo er als Zeichen derFülle und des Segens bis zum nächsten Erntefest prangte.Diesmal tat Lolette anders. Langsam hob ihre Rechte denKranz, höher und höher bis er wie eine Krone über ihremeigenen blonden Haupte schwebte. Sie hob auch den linkenArm— und während sie das goldene Gewinde mit beidenHänden fest in ihre Locken drückte, lächelte sie dem zu, den sieliebte— süß, gewährend wie der Sommer, der diesen Kranzgewunden, den Kranz aus Blüten und Früchten.Die Leute, schon erregt von der Erwartung des Tanzes.der dem„Schnitthahn" folgte, merkten es nicht. Aber er, demder heimliche Liebesgruß gegolten, erbebte vom Scheitel biszur Sohle.Als die Arme Lolcttcs von dem blonden Haupt herab-sanken, fielen sie geradenwegs in die heißen Hände Klamerts.der sie mit einer artigen Verbeugung um den ersten Tanz bat.Tie Sonne war hinter Wolken untergegangen und derkühle Hauch, der vor dem Abend herging, fegte die letzteSchwüle des Tages hinweg. Noch dämmerte es, aberzwischen dem fliehenden Gewölk blinkte schon der volle Mondhervor und streute seinen Glanz wie große, silberne Wunder-blüten in das Dunkel der breitschattenden Linden. Dann undwann zuckte ein Wetterleuchten am Horizont auf, verirrte sichdas Murren eines fernen Gewitters in den Frieden desAbends. Aber die Nachtigallen im Schloßpark sangen nocheinmal so laut, und von den blühenden Linden ging ein Duftans. der etwas Schwüles und Berauschendes hatte. Selbst