Set Nebel-Franz schien's zu spüren, wie er so dasaß und die Harpf'n zupfte". Wenigstens entsann er sich nicht, daß ihm derSchönbrunner Walzer" jemals so leicht aus der Klampf'n'gauga war'". Uwd von den Klängen der unsterb- lichen Weise beflügelt, empfanden es auch die anderen. Die schwerfälligen Bauerndirnen flogen förmlich erdleicht an ihm vorüber, die Schnitter wiegten sich, als wär ihnen niemals der Rücken steif und die Beine schwer geworden, und dort, das junge, strahlende Paar Lolette und der Klamert. War das überhaupt noch ein Tanz? Die wirbelten ja ordentlich dahin, daß es dem Musikanten ganz schwindlig wurde, wenn er nur zusah. Zwei- oder dreimal schon hatte er denSchönbrunner" zu Ende gespielt, aber immer wieder war ihm von einer festen, männlichen Stimme ein befehlendesWeiterl" zuge- rufen worden. Der Ncbel-Franz kam nicht oft in das Schloß und deshalb war es ihm nicht recht klar, von welcher Seite her dieser Befehl heute ausging. Denken konnte er fich's wohl, und als ihm ein viertesWeiterl" zugerufen wurde, wußte auch der Nebel, wie er dran war.Mir scheint, heunt spiel i a a Wengerl dem Teuf'l auf," dachte er. Denn der Nebel war fromm. Wenn er sich aber besann, daß es das gnädige Fräulein" war, der er den Krug herrlichen Weines dankte, der ihm, auch wie auf Befehl, immer aufs neue gefüllt wurde, gab er alles andere dem lieben Gott anHeim. Der mußte ja endlich und schließlich doch auch wissen, was er geschehn ließ. Wie aufgelöst hing Lolette in des Burschen Arm, der sich immer fester, immer heißer um ihren Leib legte, mit einem Dr-lck. der sie selig machte und so schwach, wie sie sich noch nie gefühlt, als spräng' ihr die Glut des begehrenden Mannes Funke um Funke ins eigene Blut hinüber, so daß auch sie nur mehr wollen konnte, was er wollte. Ihre Locken hatten sich gelöst, ihr Haupt war zurückgesunken, in den dunklen Pupillen der weit und starr geöffneten Augen schwamm das Silber des Mondes wie eine blaue, magische Flamme. Noch vermied sie es, dem Blick zu begegnen, bei eine solche Gewalt über sie hatte, auf ihr ruhte, fest und zielbewußt, mit der ganzen Brutalität des Wissenden. Aber es war nicht Scham, die sie diesen Blick meiden ließ, vielmehr Klugheit, die letzte Klugheit des Weibes, das instinktiv empfand, daß es dem Gc- liebten auch eine lebte Illusion lassen müsse, daß diese flüchtige Entsagung eines Augenblicks alles, was kommen müsse, noch einmal so süß und wonnig machen würde . lFortsetzung folgt.> (Nachdruck CccdcKn.) Der erste Zote» Novelle von Karl Buss?, Es steht ein Staunen und tiefer Schreck in Kindcraugcn. die einen Toten sahen. Oft mußte die Schule am Sarge singen aber der Sarg war stets geschlossen, ehe wir Kinder in die Stube hineingelassen wurden. Der Lehrer hatte dann den schwarzen Rock an und den hohen Hut auf. Er räusperte sich leise, hielt die Stimuigabel ans Ohr und begann. Walter, der Stärkste, hielt das Kreuz. Wir anderen drückten uns, die Hüte in der Hand, um ihn herum und sangen, während die Augen scheu über den schwarzen Sarg, über seine Kränze und silber- neu Borten gingen. Wir sangen die alten Choräle, wir schritten zu zweien oder dreien dem Sarge voraus, geführt von dem Kreuze, i>as vor uns schwankte, wir standen an offenen Grüften und hatten doch nie einen Toten gesehen. Da wuchs immer mehr ein heimliches Grauen und eine selb- ifame Frage in uns. Wie sieht das aus, was hinter den schwarzen Wrettern liegt? Wie sieht das aus, das reden konnte und nicht mehr reden kann, das ging und lief und nicht mehr zu gehen und zu laufen vermag? Das möchte ich wissen," sagte Manne Philipp, mein Schul- lsimerad.Wenn ich mal einen seh', ruf ich Dich." lind wir gaben uns gegenseitig ein festes Versprechen. Nicht lange darauf Hab' ich dann wirklich den ersten Toten ge- sehen. Die Philipps waren eine betriebsame Familie. Sie wohnten <am Turnplatz, der hinter der Kirchenmauer lag. Es gab dort Reck, Warren, Leitern, auch einen Bock zum Springen und Bäume zum Klettern. Daran schloß sich der Garten, der rntzlich bepflanzt war. In dem dazu gehörigen Häuschen wohnte der Schuhmacher Philipp. Er war ein gewöhnlicher Flickschuster, gerade noch gescheit flenug, um kranke Sohlen durch gesunde zu ersetzen. In seiner Glaskugel brannte das Licht. Manchmal könnt' er sich auch im Glase spiegeln. Da sah er selber, daß seine Frau recht hatte. .Philipp", sagte fie, wenn sie mit aufgekrempelten Acrmeln und k dampfenden, gedunsenen Händen hineinkam,Du bist ein Schwein! Früher hatte sie ihm wohl den vorbeigeratenen Schnupftabak au? den Falten der Lcderschürze geklopft das ließ sie jetzt.Einige» wir uns auf ein Meerschioein, Tile," pflegte er zu antworten> es klingt feiner." Und er sah wieder in die Kugel. Es lag bei ihm an der Nase. Sie hatte«ine merkwürdige Form« und die Nasenlocher waren gleichsam schwarze Höhlen. Das kam vom Schnupfen. Es wuchsen Hänchen aus diesen Nasenlöchern, aq denen die feinen Tabakkörnchen hängen blieben. Aber das ivar nicht die einzige Eigentümlichkeit von Schuster Philipp. Er hatte daneben eine bedeutsame Gabe. Er konnte daI Miauen und Fauchen einer Katze großartig nachmachen. Er be- hauptete, dreißig Jahre daran studiert zu haben. Doch er ging sehr sparsam mit dieser Kunstfertigkeit um; tagelang mußte mau oft betteln.Es strengt an und ist kein leichtes Ding, sonderlich nicht für den Menschen," sagte er.Für die Katzen bietet es keine Schwierigkeit." Aber tvcnn er auf der Straße jemanden erblickte, der der» funken dahinschritt, und er selbst hatte gerade nichts vor, dann ging er leise an dem anderen vorbei und ließ ein jämmerlichesMiau" erschallen, daß der Einsame erschrocken auffuhr und um sich spähte. Schuster Philipp tat desgleichen. Es scheint eine große Katzenplage hier zu sein," murmelte einst der Lehrer Höhne, dem es so ergangen war. Und Philipp:Man sollte die Luders totschlagen. Kein Sing, Vogel bleibt am Leben." Darob konnte er sich Wochen ergötzen. Das also war der Meister. Er pflegte, wenn gerade keing Arbeit vorlag, auch den Garten. Derweil stand sein angetrautes Weib am Waschfaß. Dampf erfüllte den Raum, es roch nach grüner Seife, die Fenster waren immer beschlagen von heißem Brodem. Und Tile Philipp wusch und rieb, rieb und wusch, daß ihr graues Zöpfchen lose in den Nacken hing, daß die Hände rot und wund wurden, daß die Brust nur so keuchte. Ihre Kundschaft bestand aus den Junggesellen der Stadt; jeder junge Gerichtsherr übergab mit seinen übrigen Rechten und Pflichten auch die Waschfrau seinem Nachfolger. Die dritte Person war Amanda, die Tochter. Sie war längs das einzige Kind geblieben und deshalb sehr verwöhnt worden, so daß sie zu grober Arbeit verdorben war. Aber dann kam noch ein Junge. Im Handumdrehen änderte sich alles. Die feine Amanda war eine Nebensache und mußte mit heran..Erst verdienen, dann essen," sagte der Schuster, da steckte er die Tochter in ein Geschäft. Zum Dienstmädchen war sie zu vornehm. Sie nannte sich also Modistin " und trug schön geputzte Kleider, auch Stiefelchen mit hohen Absätzen. Wenn sie mit ihrem trippelnden Gang über den Turnplatz kam, heulten die Jungen im EhoruS: Amanda geht auf Stöckelschuh'», Amanda ist Modistin " Das Lied ging noch weiter ich hab's vergessen. Sie rümpfke nur die Nase, ohne etwas zu erwidern. Manne Philipp war der vierte, eben der spät und unerwartet eingetroffene Junge. Er war auf i>«m Turnplatz mein Spiel-, in der Sckule mein Klassenkamerad. Er tauschte Knöpfe(blanke!) gegen Reifen. Bilderbogen, Marmelkugeln um. stahl seinem Bater die Birnen vom Baume und war eine Seele. Außerdem hatte er Kaninchen, die fortwährend jungten. Ein Meerschweinchen mußte er weitergeben, da sich der Alte getroffen fühlte. Wenn er die fertigen Stiefel austrug, gab es oft ein Trinkgeld. Dafür erstand er beim Krämer Schokoladenpulver. Manne war des VaterS Liebling. Es kam bor , daß der Schuster ertra zur Belustigung seines Jungen sogar miaute. Auf seinem Schemel, auf dem Schusterschemel, wo schon so viele tiefdenkerisch geworden sind, hatte er herausgebracht, daß große Gaben in seinem Sohn schlummerten. Und eine stille Hoffart hatte ihn gepackt: es standen rings gar viel Schusterkinder auf der Kanzel und dem Katheder warum sollte sein Junge das hohe Ziel nicht auch tu reichen? Ich selbst habe Manne Philipp durchaus nicht als großes Kirchenlicht im Gedächtnis. Er verließ sich mit Vorliebe auf seine guten Augen und Ohren. Ein fünfter Hausbewohner schließlich der interessanteste für uns war Julius. ES war ein Unglücklicher, der sich sehr glücklich fühlte. Es war ein harmloser Geisteskranker, den man zu den Philipps in Privatpflege gegeben hatte. Ein Riese von Gestalt, trug er einen verwilderten Bart und marschierte, statt zu gehen. Alle Glieder schienen nur lose in den Gelenken zu liegen. Er warf sie seit- sam, sie schlenkerten hin und her. Mit gutmütigem Grinsen schleppte er von früh bis spät Wasser nach der Waschküche. Wenn er mit den randvollen Eimern über den Turnplatz kam, dann schrien wir Jungens:Achtung. Julius? Präsentiert das Gewehr!" Und Julius stand steif wie ein Stück Holz. Augen rechts!" Man sah das Weiße, so verdrehte er sie.Bataillon marsch!" Da setzte er mit den schweren Eimeru zum Parademarsch an. Er war, wie gesagt, harmlos und gutmütig. Wollt er mal störrig werden, so brauchte der Meister Pfriemstccher nur den Knie- riemen loszuschnallen und ihn durch die Luft sausen zu lassen« Dann zitterte der Riese am ganzen Leibe, suchte mit scheuen, irren Augen die Ecken ab und holte wieder Wasser,,. Wasser.., Wasser... Nun geschah es, daß eines Tages Manne Philipp in der Schuls fehlte. Die Mappe noch auf dem Rücken, kam ich in die Schusterei. Mit den ewig aufgekrempelten Arrmcln ging Mutter Tile umher,