Sie w« wütend.»Schöne Krankheit." grolle sie.»wenn«r sich den Leib mit grünen Pflaumen vollschlägt! Und gerade jetzt liegt jröi Haufen Wäsche da— nicht zum Durchkommen!" Der Alte klopfte tiefsinnig Holzstifte ein.»Er liegt drinne," sagte er und wies mit dem unförmig breitgedrückten Daumen nach der Tür. Manne hatte ein heißes Gesicht. Nach der Schule fragte er nur so nebenbei. Aber ob die Kaninchen Kost hätten, ob Tehdchen Liebsch die fünfzig Knöpfe für ihn mitgebracht, ob die Pflaumen unterdes— seit einem Tage— schon blauere Farbe hätten! Wehe, wenn ein anderer sie stahl! Das wollte er selbst besorgen. Es vergingen Tage und wieder Tage— Mannes Platz in der Klasse blieb nach wie vor leer. Doch als ich eines Tages gerade vom Mittagessen aufstand, klopfte es, Schuster Philipp wollte zum Vater. Sein Junge wollte mich sehen und hätte nach mir gefragt.»Vielleicht erlauben Sie's, Herr Kanzleidirektor." Unheimlich sah heut' die Nase mit den beiden schwarzen Höhlen aus. Vielleicht, weil das Gesicht blasser war. »Nehmen Sie ihn gleich mit, Nachbar," sagte mein Vater und blickte über die Brille weg zu mir. So schritt ich neben dem Meister. Mir war beklommen, weil der Alte kein Wort sprach. Daß es meinem Schulkameraden schlecht ging, merkte selbst ich. Er warf sich im Fieber hin und her und erkannte niemanden. Wir warteten lange im Zimmer. Die feine Amanda stand am Fenster und zerdrückte eine Träne. Finster, mit schwerem Tritt, den sie dämpfte, ging Mutter Tile auf und ab. Der Vater starrte in die Glaskugel und auf seinen Sohn. Der Kranke war nicht unheimlich, die Stille war es. Endlich riß Männe, als blende ihn ein Licht, die Augen auf. Er sah mich lange an. Er erinnerte sich wohl schwer. Ich gab ihm die Hand. Er nickte. „Die Kaninchen." murmelte er. «Sie haben wieder gejungt, Männe," sprach der Meister.»Wir haben schon den ganzen Stall voll." »Ja. ja!" Plötzlich wurden seine Augen irr. Er schrie, schlug um sich. „Lauf zum Dokwr, Mandchen," sagte der Schuster verzweifelt. „Wenn er nicht bald kommt—" Die feine Amanda lief. Wieder die Stille. Nur vom Turn- platz kamen die Stimmen der Knaben. Sie verkündeten bald darauf, daß die Tochter zurückkehrte. Ich war statt ihrer ans Fenster getreten. »Amanda geht auf Stöckelschuh'it, Amanda ist Modistin —" tönte es jetzt lustig. Da blieb die Person mit dem trippelnden Gang plötzlich stehen, hob den Arm, ballte die Faust. „Hundsfötter!" schrie sie wild— die feine Amanda. Es schien, als wollte sie sich auf die ganze Bande stürzen. Dann, sich besinnend, ging sie der Haustür zu, während die Jungens mit verdutzten Ge- sichtern ihr nachsahen.» Der Arzt wollte kommen, bestellte sie. Der Arzt war nicht mehr nötig, das Licht war am Erlöschen. Sie wußten es auch alle. Immer starrer wurde des Schusters Gesicht. Amanda weinte. Die Frau hielt sich am besten. Da öffnete Männe die Augen wieder.»Geh hin," sprach der Meister,„er ruft Dich!" Aber als ich vorm Bett stand, suchten die Blicke des Kranken den Vater. Der stellte sich mir zur Seile. Zweimal versuchte Manne zu reden. Er war schon zu schwach. Dann brachte er es doch heraus:»Die Katz'... mach' die Katz', Vater!" „Jung," stammelte der Alte. Sein Gesicht verzerrte sich. Er zwang sich zum Lächeln, während die Tränen ihm langsam über die Backe liefen. Er zwang sich zum Lächeln, und— er miaute. Es klang furchtbar. Es klang gequält, unheimlich:»Miau, mi ,». au..." Es durchschnitt die Herzen. „Mann!" rief Tile, während ich zurückwich und in sein Gesicht starrte. Er war ganz verzerrt, alles arbeitete darin.»Miau... miau.. Auch Männe hatte ein jähes Entsetzen in den Augen. Er wollte die Hand heben, sich aufrichte», da sank sein Kopf. Der magere Körper schüttelte sich, streckte sich lang, die Finger faßten in die Bettdecke. Tile war zugesprungen. Sie hielt ihren Sohn. Sie horchte. In einzelnen Pausen miaute der Schuster noch immer. Er wollte seinem Sohn die letzte Freude machen. Der hörte längst nicht mehr. Der Arzt sah es sofort, daß er tot war. Tile hielt sich den Kopf.„Deshalb muß die Wäsche doch ins Faß," sprach sie dann und ging sckiver hinaus. Aber der Schuster wollte es nicht glauben. Mechanisch bewegten sich noch immer die Muskeln von Zeit zu Zeit: er machte die Katz'. Da lief ich verstört, entsetzt hinaus, die furchtbaren Laute noch Immer im Obr. Julius schleppte wieder die Eimer und übte Paradcmarich. � Bevor er in den Sarg gelegt wurde, sah ich Manne noch ein» mal. Der erste Tote! Er loollte mich rufen. Seitdem wüßt' ich, wie das aussieht, was hinter den schwarzen Brettern liegt. Bor Vielen wachsbleichen, eingefallenen Gesichtern mußte ich später noch stehen. Ich hatte kein Grauen vor ihnen. Aber mit Grauen horcht« ich, ob etioa auch hier das furchtbare Miau tönen würde, Zu den Philipps bin ich nie wieder gegangen. fran2 Liszt. Das Charakterbild des MufikerS, zu dem als SäkularheroS bis sogenannte gebildete Welt im Oktober dieses Jahres, mit der üblichen Begeisterung der Fenilletonisten und der falenderische» Huldigung durch eine Sturmflut von musikalischen LiSzt-Gedenkfeiern in den Konzertsälen aufblickt, beginnt in der Geschichte zu schwanken. Nicht sein Charakterbild als Mensch. Das strahlt ungetrübt: es hat nie einen selbstloseren, gütigeren, edleren und hilfreicheren Künstler von Weltruf gegeben wie Franz Liszt . Sehr zum Unterschied von seinem Schwiegersohne Richard Wagner . Aber die öffentliche Wertung LiSztS als Schaffender ist in den letzten Jahren auffallend gesunken. Nicht so sehr vielleicht in den Registrier- und Meßapparaten der zünftigeil Kritik wie in der Schätzung dcS gebildeten musikalischen Publikums. Nachdem in den 90er Jahren Leute der Propaganda begeisterter Lisztianer, wie Porges, Neuß , Göllerich. Pohl, die Koilzerisäle von den 12»Symphonischen Dichtungen", von„Dante" und„Faust", von„Christus" und der„Grauer Festmesie' wider- hallten, wobei die langmähnige Legion seiner Schüler uns die Liebe zu ihrem geistigen Vater mit Liszt �nud Gewalt durch piauistische Husareuritle einbläuen wollte, O ebbte die künstlich gemachte Hausse auf dem Musikmarkte rapide ab. Heute wir dürfen es auch an diesem Tag mit objektiver Ruhe aussprechen — steht Freanz LisztZder Komponist wieder auf der innerlich be- rechligten Stufe des Virtuosen, ans der er stand, ehe eine voreilige Persvektive ihn in die gleiche Front mit geistigen Neuschaffern wi« Goethe, Verlioz. Wagner oder gar Beethoven rangierie. Rein der Liszt, der als Wunderkind, als„lejietit Litz" die SalonS in Pest und Paris entzückt hatte, der spater auf seinen Triumphzügcn den Ruhm Chopins und PaganiniS verdunkelte und als Klavierspieler von unerreichter Meisterschaft im Technischen, von unerbörter Poesie des Anschlags wie geistiger Durchdringung des Stoffes die elegante Welt entzückte, er hat nicht die Geschichte de? verkannten GenieS um ein neues schmerzliches Kapitel bereichert. Auch nicht als den zur Ruhe gekommenen Meister, der sich nun ganz der Komposition, dem Unterricht im höheren Klavierspiel und der Wagiier-Propaganda widmete, die beschaulich« Luft Weimars, die mit programmatischen Ideen geschwängerte kosmopolitische Atmosphäre Bayreuths umfing. Dieser LiSzt„der zweiten Periode", der wie ein feuriger Meteor aus dem glänzenden Paris des zweiten Kaiser- reicks verschwunden war. um mit den„kleinen Weihen deS Welt« Priesters" ver'ehen hinter den Wolkenvorhang des romantischen Deutsch- land als Regiffeur Wagners und seiner Getreuen fortan zu wirken, hat zwar ini Anschluß an Hektar Verlioz der sinfonischen Musik neue Wege gewiesen, er hat ihr Formengebiet und ihr seelisches Sprach- vermögen bereichert, indem er als literarischer Musiker in seinen Progranunmusiken die schildernde Tonknnst mit politischen Ideen und Vorwürfen verschwisterle. aber er konnte die neue Forin nicht aus- füllen. Liszts melodische Ersindungs- und thematische GestaltungS- kraft stand nicht auf der Höhe des GenieS, daS er sonst in allen musikalischen, geistigen und menschlichen Dingen war. Winzige, eng- brüstige Motive ohne rechte gefiihlsbesiimmende Kraft, eine auf dem synnnelriichcn Prinzip des Dualismus beruhende Architektur, Mangel an künstlerischer Kontrastwirkung, Sucht nach äußerlichem Prunk und lärmenden Theatercffeklen in den Schlüssen. eine von Wagner sklavisch übernommene Harmonik, ein sprunghaft rhapsodischer Stil, eine blendende an Raffinement für seinen späteren Vollender Rich. Strauß vorbildliche JnstrumentationSpalette: da? kennzeichnet den Sinfoniker LiSzt. sAuch in seinen geistlichen Werken!) Neber allen,, was Liszt , der Fruchtbare, je schrieb, schwebt jencS mondäne Parfüm ftanzösischen und ungarischen Salons, in denen er sich wohl fühlte, aus denen er seine Lebensgefährtinnen holte. ES sind alles kleinere und größere Salonstücke mit der Technik deS Fran- zoseu gemacht, Rhapsodien ä la hongroise oder Virtuosensachen& la Paganmi. Der Pole Chopin war deutscher als der Ungar Liszt , der zwischen den Raffen stand und ein heimatloser Kosmopolit der Kunst war. Ei» Victor Hugo der Musik mit weitgestccktcn Zielen und überschäumender Tatkraft, wollte er die deutschen Romantiker über- flügeln, indem er Mendelssohns Lieder ohne Worte ins Orchestral« übersetzte, aber es blieben aufgebauschte Klaviertronskriptionen. Und Schumann, der feinsimiige musikalische Poet, der in seinen unaus- gesprochenen Klavierdichtungen ohne„Programm" viel mehr in kleineren Formen z» sagen ivußte wie der großartige»Reformator der Sinfonie" Liszt . blieb dem deutsch -, i H-rzen viel näher. Denn seine Phantasie war elementar, sein Gefühl echt»nd keusch, seine Lyrik einfach wie die deutsche Landschaft, seine Technik wurde nie virtuoser Selbstzweck. So ist das Phönomeii Liszt die Tragödie deS reflektierenden Virtuosen, der die Schranken seines ihm eingeborciie» Stils mit aller Gewalt verneinen wollte, mit jener Gewalt, die der Idealismus seines edlen KünstlerherzenS ihm enrgab, dem aber die Kraft, die letzten Ziele zu erreichen, fehlte. In der Kunst aber ist Können alles, Wollen nichts. Das Wollen LiSztS war monumental auf allen Gebieten. Er flog hinab in Dantes Hölle, er entzündete sewe Phantasie an GoetheS Faust und schuf wirklich in den drei Charakterbildern etwaS, vielleicht das einzige Bleibende. Er trollte die Leidensgeschichte Christi im Oratorium dar«
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28 (21.10.1911) 205
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