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Anterhaltungsblatt des Vorwärts
sid am
Nr. 213.9
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Donnerstag den 2. November.
( Nachbrud berboten.)
Vor dem Sturm.
1911
„ Hochwürd'n," schluchzte Nest auf.„ Es wor so guat g'moant... ober" Sie verbarg ihr Gesicht in der Schürze. In diesem Augenblic trat Jury aus der Stube. Er hatte alles mitangehört. Nun lag ihm ein doppelter Alp auf der Roman von M. E. delle Grazie Seele: die Angst, daß der gereizte Mitwisser nun vielleicht Birron trat noch tiefer in die Küche zurück; suchte förmlich reden werde von der Schande seines Hauses! Oder hatte Schutz in der Dämmerung, die sich aus dem Herdwinkel lang- farrer plötzlich daher und brauchte Worte, die auch schon ein er schon gesprochen, irgendwie, irgendwo? Warum kam der sam über den niederen Raum zu verbreiten begann.„ Der Pfoff woaß oll's!" fuhr es ihm durch den Sinn. Aber das halbes Wissen waren? Wort wurde ihm wieder feige, mitten in der Kehle. Wohl - tat's an'm schon!" stieß er heiser hervor. So tut Ihr desgleichen," nichte der Pfarrer, irgend
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Wieder versuchte Birron aufzulachen. Aber, es war entseblich. der helle Blick fand ihn auch da, hielt ihn fest, spießte ihn förmlich an das dunkle Gewissen, das sich wie eine verwundete Bestie in seiner Seele zu frümmen begann.
Endlich fand er doch ein Wort:' n irder tuat, wos er fonn, Hochwürd'n. Und mehr därf a unser Herrgott uit verlonga von an'm Sunst brauchet er jo dös oll's nit erst g'scheh'n loss'n!" Den ruppigen Kopf zwischen den Schultern, stieß er es hervor, und seine Blicke züngelten zur Seite wie giftiges Gewürm, das nach einem Ausweg sucht. Sollte er mit dem Pfaffen am End' noch fromme Reden tauschen? Sich durch ein paar salbungsvolle Worte von dem Tisch drängen lassen, den ihm die Angst deckte, von dem Schauplab hinwegstoßen, an dem sein Haß fich satt aß? War er dafür der Birron? Wieder lachte es in ihm auf. Aber seltsam! Dem Blid des„ Pfaffen" fonnte er noch immer nicht standhalten. Und nun lächelte der Pfaff" gar, lächelte ihn an, mit einer leisen, heimlichen Gewißheit, die weher tat als das schlimmste Wort, das er ihm geben konnte.
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is a feltene Ehr „ Küß d' Hond, Hochwürd'n," murmelte er verlegen ,,, dös ." Er öffnete die Tür, um den Pfarrer eintreten zu lassen. Du bleibst draußt," herrschte er Rest
an, die Miene machte, mite'nzutreten.
Ober a Liacht muaß i do onzünd'n," meinte Rest un
schlüssig. „ Liacht...!" Er sah sie bloß an und diesen Blick bis zulegt auf sie gerichtet, schloß er ihr die Tür vor der Nase zu. Die Bäuerin seufzte auf und troch wieder in ihren Herdwinkel zurück. Licht! Er hatte ja recht! Das, was jetzt bei ihnen daheim beredet wurde, sprach man besser ins Dunkel hinein.
Ihr habt da einen seltsamen Besuch gehabt," sagte der Pfarrer, nachdem er sich niedergelassen.
Jo," erwiderte Jüry, während sein Blick durch das Fenster auf die Straße hinausflüchtete, wos an'm unser Herrgott holt schickt, Hochwürd'n."
„ Er kommt also öfter?"
Sürys breite Brust hob und senkte sich. Wie ein Kampf wie ein glogäugiges Ungeheuer auf dem Herzen hockte, Zag war es gegen die unerträgliche Last des Schweigens, das ihm und Nacht und Nacht und Tag... und noch gehegt und bewahrt sein wollte! Aber es mußte wohl stärker sein als rys Kraft und guter Wille, so stark, daß er es mit feinem Wort mehr von der Seele wälzen konnte.
fromm und gottergeben. Aber er fannte auch den Stolz des Mannes. Fast ein halbes Menschenalter hindurch war züry Ortsrichter gewesen, von allen verehrt, aber auch gefürchtet. und dieser Stolz war es, der nun die Schmach seines Hauses hütete; sich lieber von einem Mörder knechten ließ, als von dem Mitleid der anderen erniedrigen. Da hieß es vorsichtig sein. Ganz leise, fast ehrfürchtig an die Pforten des Schweigens pochen, hinter dem sich diese franke Mannesseele verkrochen. Cyrill Weiß war nicht umsonst so lang im Beichtstuhl gesessen. Er wußte zu gut, daß die menschliche Scham gar viele Antlige hat. Und das feuscheste, das rührendste unter allen trug der gebrochene Stolz einer Mannesseele.
,, So... meint Ihr!" nickte Cyrill Weiß.„ Wenn Gott Ein inniges Mitleid quoll in dem Herzen des Priesters aber nun manchen bloß darum ein legtesmal zu Tisch ließe, auf. Aber er beherrschte sich. Das Wort, das der Aermste um zum legtenmal zu seh'n, woran er sich satt ißt: ob am nicht fand, er mußte es ihm auf die Lippen legen, damit diese Guten oder am Bösen? Um ihm danach auch drüben ein- gepreßte Seele endlich, endlich einmal aufatmen fönne. Cyrill mal den Tisch zu decken? Habt Ihr darüber noch nie nach- Weiß wußte, daß Jüry bisher ein frommer Christ gewesen; gedacht, Birron? An eben diesem Tische?" Oll's woaß er," dachte Birron. O's und no mehr! Ober zwinga winga loß i mi deßtweg'n do nit." Ein wildes Geleucht glomm in seinem Blick auf, die Zähne fnirschten leise aneinander. Er wußte, daß er alles verloren hatte- hüben und drüben, alles verlieren müsse, um seines Haffes willen. Aber dieser Haß war das einzige, was er be faß. Diesen Haß liebte er. In Schande und Verzweiflung hatten fie ihn gejagt, um dieses Hasses willen. Nun brachte er ihnen Schande und Verzweiflung zurück mit seinem Haß! Wer hatte ihm verziehen? Und dann... wohin er auch blicken mochte, da war feine ruhige Stätte mehr für seinen Unfrieden, fein Glück, darin zu rasten und zu vergessen. Und feltjam: gerade so, wie sein Leben geworden gerade so liebte er es jest! Die Menschen fürchteten sich vor ihm nun hatte auch Gott um ihn vergeblich geworben. War er wirklich so start? Er allein? Oder war das immer so, wenn man sich einmal aus Gott und den Menschen nichts mehr machte? Er wußte es nicht. Auch war das Denten nie seine Sache gewesen. Bloß die Zähne hatte er der Welt bis heute gezeigt und ihr damit Respekt eingejagt. So wollte er es auch weiter halten. Mehr brauchte er jetzt nicht! Und plötzlich kam das Gefühl einer geheimnisvollen Kraft über ihn, einer lachenden UeberTegenheit, die ihre Stärke und ihren Mut aus Empfindungen holte, von denen die anderen noch keine Ahnung hatten. Eine plöbliche Sehnsucht nach der Freiheit, die er bis heute genossen... die Sehnsucht eines wilden Tieres, die etwas von der dunklen Gewalt der Brunst in sich hat.
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Seine Finger frampften sich um den Knotenstod zufammen, in seinem Blick fladerte ein grünlicher Schein auf. " Ich weiß nicht, was geschieht, wenn Du mir jetzt den Weg vertritts..." Er sprach es nicht aus. Bloß seine Augen drohten es mit dem ersten, troßigen Blid, mit dem er dem Pfarrer standhielt, Und Cyrill Weiß wich unwillkürlich zurück, als er jo an ihm vorüberging: sicher wandelnd im Geruch des Blutes, das er vergossen.
Dumpf und schwer fiel hinter ihm die Tür ins Schloß.
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Wie um dem Augenblick einen Anschein von Behagen zu geben, zog der Pfarrer feine silberne Schnupftabatdose und reichte jie dem Bauer hin:„ Eine Prise, Jilly- Better? Ja, und was ich noch sagen wollte, weg'n des des Birron...." Er sah weg, tat, als merke er nicht, wie die Finger erzitterten, die soeben den Tabak faßten. Es macht Eurem Christenherzen nur alle Ehre, daß Ihr das mit dem Birron so nehmt." Jüry senkte das Haupt, und deutlich merkte der Pfarrer, daß es nicht bloß des Schnupftabaks halber geschah. Der Blick des Bauern war rasch und argwöhnisch über sein Antlit geglitten. Als wolle er sich die Beruhigung verschaffen, wieviel der andere etwa wisse, und ob das, was er scheinbar harmlos gesagt, auch wirklich so gemeint war. Nun lag sein Blid wieder fest auf der Erde, und während er den Tabak langsam in die Nüstern 30g, sprach er, gleichsam aufhorchend:" Wie sollt' i' s denn nehma, Hocht.ürd'n?"
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Nun," erwiderte Cyrill Weiß, ich meine, jeder andere wäre vielleicht etwas vorsichtiger im Verkehr mit dem Birron, als als Jhr! Jemand, der so lang' im Zuchthaus gesessen, hat sich alle möglichen Kniffe angeeignet, von denen hr, lieber Wetter, in Eurer schlichten Ehrlichkeit Euch gar nichts träumen lasset."
Im Antlig Jürys zuckte etwas auf, wie ein letter, schwacher Hoffnungsstrahl war es, der über einen Abgrund dunkler Traurigkeit hinglitt und dem Antlitz des alten