Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 215.

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Sonnabend. den 4. November.

( Nachdruck berboten.)

Vor dem Sturm.

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Noman von M. E. delle Grazie ,, Sirrt( Siehst), so g'follst m'r," sagte Birron , während er ihn von der Seite ansah. Sloan bist' word'n so floan, daß d'r nit amol unser Herrgott mehr helfen konn. Und der d'r no helf'n funnt aus seiner Brust quoll ein tollerndes Lachender, sirgt, hot a mir amol g'holf'n!"

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1911

derten immer mehr Zeitungen und Flugschriften mit und den alte Hilmer sorgte, daß sie auch unter die Leute kamen. Noch hatten die Bauern Zeit, sich auch um das zu fümmern, was ,, draußen in der Welt" vorging. Die lange Winterruhe hatte auch das Ihre getan. Wenn man stundenlang so im Dämmen des Herdwinkels saß, kamen Gedanken und Sorgen von selbst. und nicht jedem war es gegeben, auch die Zukunft nicht anders zu sehen, als die Vergangenheit. Diese Tausende und Tausende von Menschen, die man in der Stadt und auf dem bedruckten Papier immer bloß das Volk" nannte, waren in ihrer Art Wieder kam es über Jüry: dunkel, schrecklich, fühlbar wie auch wie die Erde. Nur daß ein längerer Winterschlaf auf die Nähe des Entfeßlichen, den Birron genannt. Aber nein ihnen gelegen- ein jahrhundertlanger Winterschlaf, der sie nein. Seinen Beiniger durfte er nicht niederschlagen! Den wie in einem Bann festgehalten und starr und unfruchtbar er mußte er ertragen. Nicht er hatte ihm das Fürchterliche gefcheinen ließ wie draußen die Schollen. Nun ging aber plöt tan. Und so durfte sich auch sein Haß nicht auf ihn werfen. lich ein leijes Regen über die Lande. Niemand hätte noch Das wäre Mord gewesen und eine Feigheit dazu. Der, den sagen können, woher es kam, niemand, wohin es treiben würde. sein Arm einmal finden durfte, weilte jett ferne, dort, wo Aber der Bann wich die toten Schollen bekamen Leben und seinesgleichen das Geld verpraßte, mit dem ihnen der Schweiß fanden sich mit Keimen schwanger, von denen sie selbst nichts der Bauern die Taschen füllte. Und auf den mußte er geahnt. Noch hätte keiner von all den Tausenden sagen warten. Warten und schweigen und geduldig sein. fönnen, was ihn bewegte und Mut gab, dies zu denken und " No," lachte Birron , host D's' s endli überlegt, wos besser ist: den Pfoffen in's Haus z' ruaf'n- oder mi weiter- ienes gar auszusprechen. Und doch war es ein einziger heili­ger Mut, der wieder einmal über die Menschen fam, und er fam mit dem Frühling ein Frühling!

füattern?"

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Geh," feuchte Jüry, geh und fimm, wonn's Di g'freut. Nur irkt loß mi alloan."

Wonnst willst, daß i furt soll, muaßt Du wieder schön vor meiner hergeh'n...," gebot Birron.

Süry zuckte zusammen. Ahnte der Strolch, was ihm in der schweren Stunde durch die Seele gegangen, oder fam ihm diese Sorge über das eigene böse Gewissen her? Er erhob sich. " Du moanst do nit am End', daß i Dir was ontoan will?" Es sollte verächtlich flingen, fam aber leise und unsicher heraus.

Sie traten gerade auf die Schwelle und das Mondlicht, das den ganzen Hof überflutete, lag hell und falt auch auf den Antliken der beiden. Die Hand fest um den Griff seines Knotenstodes gelegt, stellte sich Birron dem Bauer gerade gegenüber.

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Die Tage wurden länger und länger, aber der Bauer konnte noch immer früh Feierabend machen. So geschah es, daß sich allabendlich beim Hilmer der und jener einfand. Und dann gingen die Blätter des Studenten von Hand zu Hand. auch einige Schönbacher famen herüber, um zu hören, was eigentlich los fei, drent in Wean". Und natürlich war auch der Schriftensteller" unter ihnen. Ja, der Schönbacher Schreiber war jogar Mitabonnent, und nur weil er wußte, daß Justitiär und Herrschaft und Gendarmerie mit scheelen Augen auf ihn sahen, ließ er sich die für ihn bestimmten Zei­tungen und Bücher in der Wäsche des Studenten zuschmuggeln. Auch Jürh hatte schon dies und jenes gehört, aber immer nur gleichgültig hingehorcht. So ganz von seinem Schmerz um­flammert, von seinen Racheplänen umstridt, zeigte er nur Mein Liaber!" sprach er hämisch. wos so aner wia Du wenig Sinn für das, was alle anderen immer mächtiger zu oder i toan möcht' oder nit toan möcht' woaß er' lett! erregen begann. Was focht es ihn an, ob das System Moanft, i hätt' domols g'wüßt, ob i den Grofen d'schiaß'n will Metternich über kurz oder lang in die Brüche gehen mußte", oder mein Madl? bin holt' rumgonga wia a wild's Tier. wie jeder zweite, dritte Artikel dieser Blätter begann oder Ober mein Madl, firrt, die hot's g'müßt. G'spürt muaßendete? Ob die Zensurdirektion und das Zensurkollegium", hob'n, wem's gilt, wia s' mi nur g'jeh'n hot von weit'n. So, mit dem ersten Februar ins Leben getreten, tatsächlich nur wer woaß, ob i nit do den Grof'n d'rschoss'n hätt', wonn fie ein Schachzug perfider Diplomatie" seien, bestimmt, unter mir domols nit 3'erst vor'n Lauf fäma war. Na, schlof guat dem Schein eines Zugeständnisses den verhaßten Zwang noch und" wieder follerte sein Lachen in die Stille der Nacht zu verschärfen". Nicht einmal die Drohung mit dem Staats­bankerott" rüttelte ihn auf. Das Brot, das er brauchte, brachte hinein und loß d'r nix trama!" ihm die Erde, der er seinen Schweiß gab. Ein paar silberne Notgroschen" barg Resl in ihren alten Strümpfen. Papier­geld kam fait nie in seine Hand oder ging für Löhne und Nach schaffungen so rasch auf, daß der Bauer selbst nicht wußte, wo­bin es gekommen. Brauchte man etwas vom Strämer, trug man ihm Eier und Mehl zu und handelte dafür das Nötige ein. Und ein Hungerjahr wie das von 1846 würde ja so bald nicht wieder kommen.

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Wie ein Schatten glitt er aus dem Hof. Süry schlich noch einmal in den Stall zurück. Wie scharf man das Böse sah, wenn man einmal Böses getan. Würde es auch ihm so gehen dann? Aber wie lang er auch ins Dunfel starrte, er fah nur immer einen Weg vor sich. Es war der Weg des Birron. Wieder gingen Wochen hin. Aber für Jürh und die Seinen änderte sich nichts. Birron erschien, wann es ihm be­liebte, blieb, so lange er wollte, und daß zuweilen auch der Pfarrer fam, war höchstens für das Gerede der Leute gut. Ein Haus, in dem Cyrill Weiß so oft aus und ein ging. konnte nicht schlecht sein, wenn auch ein Birron dort täglich abge­füttert wurde. Der Pfarrer erfuhr deshalb doch nicht mehr, als Jüry wollte, und die Bäuerin zog sich nach dem üblichen Handfuß in die Küche zurüd. Auch gab es jetzt wieder von Woche zu Woche mehr zu tun. Ein milder Februar zog über das Land hin, brachte Sonne und die ersten schüchternen Keim­regungen der Scholle. In den Wäldern qucten die Schnee­glödchen aus dem Moos. Und als die ersten warmen Sonnenstrahlen die Schneedecke von den Feldern zogen, sahen die Bauern mit Freude, wie hoch und schön diesmal die Winter­saat stand. Es hatte nicht zu viel Frost gegeben und immer diesen weichen, lockeren Schnee. So fonnte es ein gutes Jahr werden. Nur von Wien famen allerlei seltsame Nach richten. Hilmers Student sandte nach wie vor seine Wäsche nach Hause. So fein aber auch die Nase der Wiener Spigeln" war die schmutige Wäsche eines armen Bauernjungen roch ihnen doch zu übel, um sie auch da hineinzustecken. So wan­

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Da war eine Reihe grüner Hefte, Die Grenzboten" ge­nannt, an denen sich der alte Hilmer fast blind las. Wenn en aber seine Kopfschmerzen davon hatte, mußte ihm der Schön­bacher Schreiber erst Wort für Wort erflären, was er gelesen, Sibyllinische Bücher" gab es, die dem Fassungsvermögen der Bauern ebenso ferne lagen wie die Apokalyje". Denn hinter jedem diejer Schattenriffe" stand irgend ein Großföpfiger" der Staatskanzlei. Was aber wußten Jürn und seinesgleichen von diesen Großkopfeten" und den Irrtümern ihrer inneren und äußeren Politif"? Wie es im Himmel und in der Hölle aussah, glaubte ganz Schönbach und Lorowit zu wissen, und den lieben Gott fonnte man sich nach den Bildln" vorstellen. Von der Politik des- lieben Vaterlandes aber ließ sich noch keine Bauernseele etwas träumen. Nur den Drud seiner Ver­waltung hatten all diese Tausende dumpf empfunden, ächzend ertragen.

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So war es felten ein Verständnis, das sie sich aus diesen Blättern und Flugschriften holten immer nur die vage Empfindung, daß es endlich, endlich anders werden müsse. Aber diese Empfindung wurde zur Sehnsucht, die Sehnsucht