»Aber Chile  l Chile   hat eine Universität. Vor einiger Zeit habe>ch gelesen: ein Milliardär hat 3S Millionen für die Uni- versität gestiftet. Was sagst Du nun? Chile I... Chile   hat eine jCper, Zeitungen, Elektrizität... Und meinst Du etwa, da fitzen solche Windbeutel in den Zeitungen wie hier bei uns? Ja, Kuchen! Da ist das nicht so. Oho!" Frau Zipkes sah prüfend an sich herab, überschaute die zwei majestätischen Busenhügel, die jede Unebenheit des Pflasters genau registrierten, rückte die kürzlich in Wien   gekaufte Pelzboa zurecht und sagte: Nächsten Sommer könnten wir eigentlich einmal nach Chile  fahren." Mit Dir würde ich gerade weit kommen", nickte Lasar Mironowitsch. »Warum denn nicht?" Na. ganz einfach weil Du seekrank wirft. Du scheinst zu glauben, man fährt nach Chile   mit der Postkutsche." 3ch weiß vielleicht bester als Du, wie man fährt." So, so. Aber Du vergißt ganz, daß Du schon auf dem Fluß feekrank wirst." Bei dieser Andeutung entsann sich Frau Zipkes eines halb- vergessenen unliebsamen Vorkommnisses. Das macht nichts", sagte sie tapfer.Ich werde mich diesmal zusammennehmen." Zusammennehmen!" höhnte Lasar Mironowitsch.»Du, aus- gerechnet Dul" Du wirst ja sehen." «Ich danke", sagte der Konsul.Ich will lieber nicht sehen." «Und Du selbst?l" brach Klara Moissejewna los.Du bist mir gerade der Rechte! Du wirst Wohl nicht seekrank, he, Colum- tms? Ach. mein Lieber, Dir wird ja schon schlimm und weh, wenn Du vom Boulevard aufs Meer hinanssieW!"' Wer der Konsul hatte das Seine getan; streiten wollte er sich «icht; er schwieg still und winkte ab. Klara Moissejewna aber bedauerte im Stillen, durch ein so unerquickliches Gespräch ihre und ihres Mannes Laune getrübt zu haben. Na, da wären wir ja", sagte sie versöhnlich Unter Betätigung von Ellenbogen, Busen und aller übrigen dazu erschaffenen Körperteile arbeitete sie sich zähe und mühevoll bis zum Chor durch Sie nahm an einer Säule Aufstellung und vertiefte sich in die strahlende Gruppe der hohen Würdenträger und Beamten, in deren Mitte auch Lasar Mironowitsch stand. Der Stadthauptmann... der Landesgerichtspräsident... ein alter General... eine Gruppe hoher Offiziere... Evau leiten und Orden... o, was für Ordenl... Und da der Präsident der Handelskammer... der Sanitätsinspektor... hohe Beamte ... lauter gewichtige Persönlichkeiten... und die Gruppe der Konsuln!... der englische... der österreichische... der deutsche ... und inmitten aller Lasar Mironowitsch!... Ein Daumel unaussprechlichen Glücks packte Frau Zipkes. ?hr Gesicht strahlte und Tränen des Dankes und der Rührung drängten sich ihr in die Augen. Erreicht!" flüsterte sie vor sich hin, während sie das Spitzen- tuch graziös an die Augen führte.Boruch Ato Adonoi Eloheinu..." In unwiderstehlichem tiefempfundenen Drange, einem gütigen Geschick zu danken, begann sie plötzlich inmitten des Domes mit all seinem christlichen Pomp zum Gesang der Chorknaben die uralten Worte tausendjähriger jüdischer Gebete herzusagen... kFortiepnug tolgt. i Die Macht dce Qnbcfcanntcn.') Bon Fridtjof Nansen  . Im Anfang war die Welt den Menschen ein Märchen; alles, was außerhalb des Kreises des Genaubekannten lag, war«in der Phantasie geweihtes Heim, ein Tummelplatz der Fabelwesen aller Mythen; ganz draußen aber lag das Reich des Dunkels und der Nebel, wo Meer und Land und Himmel in eine geronnene Masse zusammenflössen und dahinter öffnete sich der ungeheure Schlund des Wgrunds und der leere Raum des Schreckens. Aus dieser Märchenwelt haben die nüchternen Linien der nordischen Landschaft sich im Laufe der Zeiten langsam empor- gehoben. Mit unsäglicher Mühe ist das Auge des Menschen Stück für Stück nach Norden vorgedrungen, über Berge und Wälder und Tundra und durch die Nebel längs der öden Eismeerküsten in die große Stille, wo so viele Kämpfe und Leiden sich abspielten, so manche traurige Niederlage, wo so mancher stolze Sieger spurlos unter der weichen Schneedecke verschwand. Wenn der Gedanke in wachem Traum suchend durch die *) Nansen  , der Entdecker der wahren Natur des Nordpols, Nansen  , der Held der Tat, bat endlich wieder ein Buch geschrieben. In seinem soeben bei Brockhaus erscheinenden zweibändigen Werk N e b e l h e i m" bewährt er sich auch auf einem neuen Gebiet als erfolgreicher Entdecker, indem er die Geheimnisse der Entdcckungs- geschichte der nördlichen Länder und Meere entschleiert. Das Ein- lcitungskapitel mag das Buch hier charakterisieren. Zeiten zurückeilt, so zieht, ein einziges gewaltiges Epos auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, sich einer Idee hinzugeben, fei sie richtig oder verkehrt, an uns vorüber ein endloser Zug kämpfen- der, mit Reif bedeckter Gestalten in dicker Kleidung, einige schlank und kräftig, andere gebeugt und so schwach, daß sie sich kaum vor den Schlitten weiterschleppen können, viele abgezehrt und Otf Hunger und Kälte und an Skorbut sterbend; aber alle blicken sie in die Ferne, nach dem Unbekannten, jenseits der untergehende» Sonne, wo das Ziel des Ringens zu finden sein soll! Wir sehen einen Pytheas, klug und mutig, über die Säule» des Herkules hinaus nordwärts steuern, um Britannien und Nord- europa   zu entdecken; wir sehen starke Wikinger mit einem Ottar, einem Leif Eiriksson  , in offenen Schiffen über große Meere in Eis und Unwetter hineinsegeln und den Nebelschleier von einer ungesehenen Welt hinwegziehen; wir sehen einen Davis, einen Baffin nach Nordwesten, einen Barents nach Nordosten vordringen und neu« Straßen erschließen, während ein Hudson, den Eis und Winter nicht besiegt hatten, durch eine erbärmliche Schandtat seiner Begleiter an ödem Strand ein einsames Grab findet. Wr sehen die glänzende Erscheinung eines Parry da, wo er vordringt, alle überwinden, einen Nordenskiöld ruhig und sicher neuen An- sichten Bahn brechen und einen Toll auf rätselhafte Weise in trei- bendem Eis verschwinden. Wir sehen Männer, von der Verzweif- lung getrieben, einander erschießen und auszehren, aber wir sehen auch edle Menschen, die wie«in De Long sterbend ihre Tagebücher vor der Vernichtung zu bewahren suchen, bis sie dabei zusammen- brechen. In der Mitte des Zuges schreitet eine lange Prozession, hundertunddreißig Männer, die schwere Boote und Schlitten wie- der südwärts schleppen, doch sie brechen im Gehen zusammen; sie bleiben unterwegs liegen, einer nach dem anderen, und bezeichnen den Weg durch ihre Leichen: das sind Franklins Leute. Und dairn das letzte Drama, der Grönländer Brönlund, der sich durch Kälte und Winternacht über die Eisfelder schleppt, nach- dem der Führer Mylius-Erichsen   und sein Kamerad Hagen   auf langen, hoffnungslosen Eilmärschen im Schnee erfroren sind. Er erreicht das Depot, nur um dort den Tod zu erwarten; aber er weiß, daß die Karten und die Aufzeichnungen, die er treu dahin getragen hat, gefunden und gerettet werden. Er bereitet sich ruhig vor, den stummen Gast zu empfangen, und schreibt in seinem lückenhaften Dänisch in sein Tagebuch: Kam am Fjord 79 um, nachdem ich versucht hatte, über das Inlandeis heimzukehren, im Monat November. Kam hier bei abnehmendem Mond an und konnte nicht weiter wegen er- frorener Füße und wegen der Dunkleheit. Die Leichen der anderen liegen mitten im Fjord vor Glet- schern(ungefähr 2,/l> Meilen). Hagen   starb am 15. November und Mylius ungefähr zehn Tage danach. Jörgen Brönlund." Welch eine Geschichte in den wenigen Zeilen! Die Kultur senkt ihre Fahnen am Grabe dieses Eskimos. Was suchten sie alle im Eise und in der Kälte? Schon jener, der vor sechshundert Jahren den Königsspiegel schrieb, antwortete: Wünschest du zu wissen, was Leute in jenem Lande suchen oder warum Leute bei so großer Lebeusgefahr dorthin fahren, so wisse. daß eine dreifältige Natur in dem Manne ist. die ihn dazu treibt. Ein Teil ist Wetteifer und Neigung zur Berühmtheit; denn es ist die Natur des Mannes, dorthin zu ziehen, wo Aussicht auf große Gefahr ist, und sich dadurch einen Namen zu machen. Der zweite Teil ist Wißbegierde; denn es ist auch die Natur des Mannes, daß er die Gegenden, von denen man ihm erzählt hat, kennen und sehen und auch wissen will, ob es dort so ist, wie man ihm gesagt bat oder nicht. Der dritte Teil ist Gewinnsucht; denn die Leute suchen überall nach Geld und Gut und gehen dortbin, wo sie hören, daß man es gewinnen kann, wenn auch große Gefahr dabei sein sollte." Die Geschichte der arktischen Entdeckungen zeigt, wie die Eni- Wickelung des Menschengeschlechts stets durch große Illusionen gc- fördert worden ist. Wie die Entdeckung Westindiens   durch Ko­lumbus einem groben Rechenfehler zu verdanken ist, so lockte die fabelhaste Insel Brazil einen Cabot auf das Meer hinaus, und er fand Nordamerika  . Phantastische Illusionen über offene Polar- meere und offene Durchfahrten nach den Reichtümern Khatais jen- seits des Eises trieben trotz der Mißerfolge Leute immer von neuem dorthin; die Polargegenden wurden nacheinander erforscht. Jedes vollständige Aufgehen in einer Idee gibt uns etwas, selbst wenn es etwas anderes ist, als erwartet wird. Bor allem ober ist die Geschichte der Polarfahrten eine einzige große Entfaltung der Macht des Unbekannten über das menschliche Gemüt, vielleicht größer und deutlicher erkennbar, als sie es in irgendeinem anderen Teile des Lebens des Menschengeschlechts ist. Nirgends find wir langsamer vorgedrungen, nirgends hat jeder neue Schritt vorwärts so viel Anstrengung, so viele Leiden und Entbehrungen gekostet, und nirgends haben die errungenen Eni- dcckungcn wohl weniger materielle Vorteile versprochen und dennoch standen jederzeit neue Kräfte bereit, um vorwärts zu stürmen und die Grenzen der Welt noch weiter hinauszurückcnl Doch hat dies Kämpfe gekostet, so schenkt es auch Freuden. Wer vermag das Gefühl in Worten auszudrücken, wenn die letzte schwielige Eisscholle besiegt ist und vor dem Auge daS Meer nach