Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 221.
2]
Dienstag den 14. November
( Nachdrud verboten.)
Die Grete von Pippsdorf am Rhein . Wenn dem nun auch nicht so war, hatte diese Sitzung doch einen Schwanz, und ihr Echo verhallte nicht so rasch wieder im Umkreis von Gutenburg. Sämtliche Nachbargemeinden begannen Sturm zu läuten.
In der geheimen und wichtigen Situng faßten die Stadtväter von Gutenburg einen einstimmigen Beschluß. Sie wollten den Findling auf irgendeine der Nachbargemeinden abschieben. Und dies machte bös Blut in der Umgegend.
Einstweilen mußte der Bub es gut haben". Die Hebamme sollte ihm zuhalten, ganz gleichgültig, was die Kosten waren. Bei diesem Beschlusse blinzelten die Räte einander zu und hielten sich für ganz geriebene Schlauberger. Die gefamte Rechnung stellten dann zum Schluß ja die Räte aus. Diese Nachbarsgemeinde, welcher das Glück beschieden war, den Findling abzubekommen, sollte ein blaues Wunder erleben. Beim Lesen der Rechnung sollten dem Empfänger die Augen übergehen.
Auf den Abschiebungsversuch der Gutenburger schüttelten fich alle Nachbarsgemeinden wie ein Mann vor sittlicher Entrüftung. Und obendrein spielten sie noch die Beleidigten und drohten mit Klage. Da wurde den Stadtvätern von Gutenburg ein wenig anders zumute. Doch hielten sie sich immer noch für die Gescheiteren. Sie horchten in den verschiedenen Nachbarsgemeinden herum, welches Mädchen in Tester Zeit im Verdacht" gewesen sei, um den Findling als von der Landstreicherin gestohlen hinzustellen zur Freude der Mutter. Den verschiedenen Spuren, die fich boten, gingen die Räte von Gutenburg so lange nach, bis einige Burschen genug hatten und die Ausspürer ganz elend durchbläuten.
Nach einigen Wochen war der Großteil des Gemeinde fasseninhalts der Hebamme zugeflossen. zugeflossen. Doch zeigte sich immer noch keine Spur zur Abschiebung. Da begann einer der Stadtväter nach dem andern ein dummes Gesicht zu machen.
Aber sie wollten noch nicht flein beigeben. Wohl faßten sie den vielsagenden Beschluß, selbstverständlich in geheimer Versammlung, die Rationen des Findlings auf das Notwendigste zu beschneiden. In dem Sinne bekam die Hebamme Bescheid durch den Ratschreiber.
1911
die Näte selbst ja teine Kosten durch den Findling und das war nun ihr Trost. Aber da kam dem dummen Steffen, der schon seit dreiundzwanzig Jahren Gemeinderat war und in dieser Zeit noch nichts gesagt hatte als ja und nein im Rate der Weisen, ein Gedanke, gleich einer Offenbarung.
Und jubelnd nahmen die Räte von Gutenburg diesen Gedanken auf und begannen alsobald danach zu handeln.
Sie sandten ihren Ratschreiber an den Bürgermeister von Altenberg , der ein großer Frauenfreund und harter Junggeselle war, mit offizieller aber dennoch vertraulicher Ordre.
Der Bürgermeister von Altenberg hörte mit immer wachsenden Erstaunen dem Ratschreiber von Gutenburg zu. Als aber der Natschreiber auf das Gebiet des Liebeslebens tam und auf die unehelichen Kinder, da läutete dem Bürgermeister von Altenberg im geheimen das Gewissen. Darüber wuchs dem Ratschreiber der Mut.
Er ging mit ganzer Macht ohne Diplomatie auf das Bolle los und sagte dem Altenberger Herrn:„ Die Gemeinderäte von Gutenburg wissen genau, daß der Findling des Altenberger Bürgermeisters illegitimer Sohn von der ver rückten Landstreicherin her ist."
Dem ehrenwerten Bürgermeister schwoll bei dieser Eröffnung die Zornesader auf der Stirn zum Plazen an, und er warf den Ratschreiber von Gutenburg mit eigener obrigfeitlicher Hand zur Tür hinaus. Es sette Beulen und hinkende Beine beim Ratschreiber, der eigentlich unschuldig war und nur tat, was er mußte, und deshalb der Prügeljunge wurde.
So scheiterte auch dieser Feldzugsplan der Obrigkeit von Gutenburg. Aber diese wollte sich doch nicht ungerächt derart behandeln lassen von dem Altenberger Bürgermeister. Darum wurden die Debatten in sämtlichen Wirtshäusern akut, und was vorher nur geflüstert und gewispert wurde, aber jedermann schon zur Genüge bekannt war, dies alles wurde nun herausgebrüllt.
Der Altenberger Bürgermeister aber verbündete sich mit den Gegenkandidaten der Gutenburger Gemeinderäte und deren Bürgermeister.
So kam die Swietracht in die Stadt der Gutenburger. und die obrigkeitsfeindliche Partei, der natürlich die Gegenkandidaten der Obrigkeit angehörten, wurden von sämtlichen Nachbargemeinden unterstützt, allen voran die Altenberger mit ihrem Bürgermeister.
Als der Zustand in Gutenburg nach einigen Schlägereien und anderen schönen Taten derart auswuchs, daß davon geredet wurde, man solle fürderhin Gutenburg nur noch Schlechtenburg nennen, da griff der Oberamtmann ein. Er erklärte in der Findlingsangelegenheit Schluß, mit der Begründung, daß umstrittener Findling Gutenburger Bürger sein müsse, mall
So unterlag die alte Obrigkeit der Gutenburger. Nach den Neuwahlen sollte fein einziges Mitglied der alten Regierung das Rathaus von innen betrachten, keiner wurde gewählt, sämtliche Gegenkandidaten siegten.
Aber die Hebamme hatte in Berechnung und hinsichts der Findlingseinnahmen einen Ader gekauft in Fröschenloch, dort wo für die Gutenburger Jugend der Storch die fleinen Kinder herholt. Mir nichts dir nichts wollte nun im Angesicht des Ackers diese so wichtige Frau in der Gemeinde von Gutenburg nicht auf das Geld verzichten. Darum nahm sie in einer Sitze den Findling auf den Arm und schob zum Bürgermeister ab. Dem legte die Hebamme, wenn nicht die alte Summe auch in Zukunft bezahlt würde, ihren Dienst als Aber das Herbste für alle diese leidvollen Streiter im Findlingsmutter in die allgewaltigen Hände. Ihre Sehn- Kampfe war des Findlings Taufe. Mit großem Gepränge fucht nach dem Ader kleidete sie in das faltige Gewand der wurde er in der Ortskirche getauft. sstied Nächstenliebe, das so große Taschen hat, und gab ihrer Stimme mütterliche Würde, wenn auch etwas laut und wütend. Der Bürgermeister war wie vor den Kopf geschlagen und auf den Mund gefallen im Anblick der resoluten Heb
amme.
Auch plagte ihn die Furcht, an Riebe und Stimmen unter den Bürgern verlustig zu gehen, gerade wo die Neuwahlen vor der Tür waren. Darum hieß er die Hebamme den Findling wieder mitnehmen, und versprach feierlich sein möglichstes zu tun.
Ing
Also zog die Hebamme um einen Ader reicher und zufrieden ab. Der Bürgermeister rannte nach dem Rathaus und ließ die Räte zur Sigung zusammentrommeln.
Der Bürgermeister von Altenberg in feiner ganzen Größe war erster Bate und bekam große Ehre angetan. So bürgerte sich der Findling in Gutenburg ein. s Die Zaufe des Findlings und alles das andere, was so drum und dran hing und damit zu tun hatte, fam aber nicht so ohne weiteres zustande.
Der neue Gemeinderat von Gutenburg, der den Findling vom alten übernommen, hatte vorher noch einen ganzen langen Abend den Schein seiner Weisheit leuchten zu lassen. Und daß diese Weisheit in reinen Strahlen leuchten mußte wie der Mond, wenn er rund und voll ist, war allen Gemeinderäten tlar. Denn der alte durchgefallene Gemeinderat lag auf der Lauer, um sich auf den neuen Rat zu stürzen, sobald eine Gelegenheit sich bot.
Und da zeigte sich nun in dieser Sizung, daß die Stadtbäter den Kopf ganz verloren hatten und am Ende waren mit Aber der neue Gemeinderat war seinen Aufgaben geihrer Kunst. Sie wollten den Entschluß fassen, den Findling wachsen. Nach langem Hin und Her begann man sich über in ihren Gemeindeverband aufzunehmen und zum Kostgeld die Zukunft des Findlings zu beraten. Auf das erste galt an den Wenigstnehmenden zu vergeben. Schließlich hatten' es, dem Buben einen rechtschaffenen Christennamen zu geben.