Tochter des Guienburgcr Bürgermeisters gefunden habe. Beide schnarchend im Bette, nebeneinander. Etwas Böses war natürlich nicht vorgekommen, das wußten alle. Bei dieser Be- teuerung gaben sie sich aber regelmäßig einen Knisf in die Seite und grinsten dazu. Auch sonst seien viele Leute in fremden Kammern erN an jenem denkwürdigen Morgen. Darum wurde in kurzer Zeit nach dem Fest Hochzeit Hochzeit gefeiert. Unter diesen Hochzeiken war iauch des Gutenburger Bürgermeisters Töchterlein, das der Jakob aus dem Kreuz als Frau heimführte. Der beliebte Bürgermeister von Altenberg war Brautführer. Noch einige andere Kuriositäten geschahen. Es sprang unter anderem die Frau des Frcien-Baschi in den Nl)ein. Man hatte ihr wenige Stunden vorher des Morgens»ach dem Feste ihren Eheherrn mit eingeschlagener Hirnschale nach Hause gebracht. Sie sollte zwar schon lange nicht mehr ganz recht im Kopfe gewesen sein, meinten verschiedene Guten- burgcr Weiber. Die vertrauliche Mitteilung der Bas von nebenan, man hätte den Baschi vor dem Kammerfenster von des Salmenwirts Saumagd gesunden und gleich darauf den Rosser aus dem Salmen vermißt, gaben der Frau den Rest. Gleich nachher war sie auf und davon gegangen, das dumme Luder, ins Wasser. Keine vernünftige Frau in ganz Guten- bürg konnte dies begreifen, zur Ehre der Ortschaft sei dies nicht vergessen. Von dieser Sache war ein ganz ekelhafter Rest auf dem Trockenen geblieben. Das waren die sieben Kinder des Baschi, die ihm sein Eheweib in sechseinhalb Jahren geboren hatte. Und was dem Faß den Boden noch vollends ausschlug, das war die Armut im Hause des Baschi. Aber mit raschem Griff und kühnem Geiste, wie dies sich so geziemt für Männer, die an der Spiße stehen und mehr auf die Vernunft und Schonung des Geldbeutels als auf Gefühl horchen, handelte die Obrigkeit von Gutenburg. Sie taten, was landauf und ab getan wurde und noch viel, vielmal aufs neue geschieht, sie beschlossen, mit dem Find- ling zusammen an einem Tage auch des Baschi Kinder an den Wcnigstnehmenden zu vergeben. Alsobald ließen sie den Polizeidiener mit der Glocke her- umziehen. Es wurde ausgeschellt, daß am Montag vor dem Rathause der Findling Unbekannt und sieben 5tinder des Freien-Baschi im Alter von einem halben bis zu seckBeinhalb Jahren an den Wenigstnehmenden zu Kost und Schlafen sowie zur freien Benützung des Uebernehmers für Arbeit und ähnlichem vergeben würden. Am Montag gleich nach dem Mittagessen beganncm sich die Unternehmungslustigen vor dem Rathause einzufinden. Sie gehörten durchwegs zu den Menschen, denen das Leben und die Leidenschast mit hartem Griffel die Menge ihres Gefühls und ihrer Härte auf das Geficht geschrieben hat. Nur war leider des Gefühles so wenig. Härte, Gewinnsucht, Neid, Geiz waren da zu lesen, bei einigen auch Hunger, Not, Kummer und Kampf um das Leben. (Fortsetzung folgt.) So bat ein jecler feinen Kummen 5] fßoa D. A i S m o n. •VIII. Den folgenden Tag war Lasar Mironowiisch vorzüglicher Laune. Er sang und tänzelte und schcrzlc. neckte seine Frau mit der Drohung, er werde eine Chilenin heiraten und versank nur zeit- weise in tiefeS, verträumtes Sinnen. Dann aber fiel ihm die Lewitina ein. ihre hungernde Familie und der todkranke Sohn, und sie taten ihm plötzlich leid._ Er zog sich an, nahm eine Droschke und trug ihnen selbst das Geld hinaus, das er ihnen gestern ,n der Aufwallung seines Zornes vorenthalten hatte. Die Lewitina empfing ihn schweigend, mit dem gleichen ver- härmten Gesicht und dem Ausdruck tiefen Gravis in den dunklen Augen. In der Wohnung war es finster und kalt. Es roch nach Kreosot, Nässe und Schimmel, und obwohl man weder Klagen noch Seufzer hörte, spürte man doch aus allem die Anwesenheit des Schwer- kranken. „Da haben Sie Ihre fünf Rubel," sagte Lasar Mironowiisch, „Es ist Zalt hier.... Kein Holz?.,. Nun, da haben Sie noch drei Rubel. Die sind so... extra... Komische Frau, Sie; müssen Sie denn auch gerade kommen und mich reizen, wenn ich Aerger und Kummer habe? Oder meinen Sie, weil ich reich bin. hätte ich keinen Kummer? Meinen Sie das?... Ach, meine Liebe, Kummer, will ich Ihnen sagen, hat ein jeder. Ein jeder von uns hat sein Päckchen. Das sollten Sie eben Ihren Kindern klarmachen,... Dann geht Ihnen vielleicht ein Licht auf. Denn so haben Sie ja nichts, als diesen Ihren Sozialismus. Aber das machen Sie ihnen mal klar— ja— das eben ein jeder sein Päckchen hat, und daß man, wenn man sie einzeln abwiegen wollte, noch gar nicht weiß, wessen das schwerere ist... Nun, schon gut, schon gut.... Ich schicke Ihnen noch Wein... ausländischen... der stärkt... Ich gebrauche ihn selbst." Lasar Mironowitsch blieb nicht lange. Nach einigen Anweisungen, wie man den Kranken anheben müsse und wie man den Ofen heizen müsse, um die Stube mir wenig Holz warm zu kriegen, fuhr er davon.— „Welch ein Rindvieh, dieser chilenische Konsul," sagte der Stadt- Hauptmann inzwischen zu seinen Beamten.„Eine Amtskracht braucht er! hähähähä... Kniehosen und Achselklappen, ja wo- möglich Säbel und Patronentasche... dieser brasilianische Horn- ochse! Er sollte, weiß Gott , eine Tracht kriegen, die er sobald nicht vergißt..." So ging die Zeit, und Lasar Mironowitsch war nach wie vor heiter und guter Dinge. Zum Frühling, hoffte er, würde dei Angelegenheit geordnet sein, die Amtstracht gestickt und genäht, und zu Ostern konnte der chilenische Konsul dann in Gala in offener Equipage zum Dom fahren. Wie würde nun bloß die Tracht selbst ausfallen? Lasar Mironowiisch schloß die Augen und malt« sich die kühnsten Dinge aus.... Auch mit seiner Gattin unterhielt er sich über diese Frage; Klara Moissejewna aber war vor allem darauf erpicht, daß er sich photographiereu lasse; nach dieser Photographie wollte sie dann von einem Schüler der Kamstsckmlc ein großes Bild machen lassen. O. sie würde schoik einen möglickst Bedürftigen finden, irgend so einen armen, verhungerten Schlucker, der eS ganz billig machte, am Ende sogar noch in Oel .... „Ich will aber auch mit auf das Bild," sagte sie. .Gewiß. Du auch. Wir lassen«in Familienbild machen." „Ja. aber auf ein Bild sollst Du auch allein, in ganzer Größe und voller Tracht." Lasar Mironowitsch arbeitete inzwischen in der Nudelfabrik, überwachte den Bau des Lazaretts und regte sich, wie stets, von früh bis spät, und alles war ihm recht und nichts fiel ihm schwer, wußte er doch genau, daß das Schriftstück des Stadthauptmanns nun in Chile war, daß man dort die Frage eingehend erwog und — schließlich in gewünschtem Sinne entschied. „Wohlverstanden," sagte er,„es geht ja nicht um den Ehrgeiz allein. Nein, es kommt auch dem Geschäft zugute, daß ich Konsul bin. Man genießt nun mal mehr Ansehen, beim Publikum sowohl wie bei den Behörden. Ich nehme nur an. ich bewerbe mich um eine Lieferung... oder der Junge soll ins Gymnasium unter Um- gehung der Prozentnorm. Ja, schließlich selbst bei einem Progrom, den Gott verhüten möge." „Ja...." stimmte Klara Moissejewna bei und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, während sie unwillkürlich daran dachte. in welch grausigen Hausen von Scherben und Trümmern die wilde Horde vor vier Jahren die ganze Wohnung verwandelt. „Endlich mal wird man ruhig leben können. Zum mindesten wird man nicht umgebracht." All diese Erwägungen spannen schon jetzt ein breites Band von Ruhe und Frieden um der'Eheleute ZipkeS Gemüt und Herz. Jeden Montag stellte sich die Lewitina ein, um ihre Unter- stützung abzuholen. Sie stand wie immer an der Schwelle und seufzte leise; mit ihrem Boris wurde e? von Tag zu Tag schlechter; er war nun zum Skelett abgemagert und kämpfte seit Tagen im Fieber mit einem riesigen grauen Vogel, der die Fänge in seine arme Brust schlug und ihm den Atem nahm.... .„Schon gut, schon gut, da nehmen Siel... Da haben Sie noch einen Rubel!" sagte Lasar Mironowitsch.„Ein armer Ver- wandter ist wie ein Speicker mit Löchern: schütt in ihn hinein, was du willst, er wird nie voll.... Da haben Sie noch drei Rubel extra.... Nun. nehmen Sie schon! Ich werde nicht arm. Es ist. gottlob, noch was da!" Im Flur ober holte Frau Zipkes die Lewitina ein und steckte ihr noch ein Glas Eingemachtes oder eine alte Jacke für die Kinder zu. „Sie hat es wirklich schwer." sagte sie bisweilen zu ihrem Mann.„Die Kinder siechen eins nach dem anderen hin... Ich weiß gar nicht, wie sie es erträgt...." „Gott mit ihr!" sagte der Konsul.„Mag sie zusehen! Kummer—? Ein jeder hat seinen Kummer. Ich versichere Dich. daß es niemanden gibt, der nicht Kummer hätte. Ja, ja.... Ein jeder trägt eben sein Päckchen...." Er verabschiedete diese völlig überflüssigen Gedanken und kehrte zu seinem Lieblingsthema zurück Vielleicht war die Antwort CbileS schon unterwegs.... Ucber die See stampft der Dampfer daher und auf dem Dqmpfer liegt in einem großen Kuvert— in einem besonders ver- ssegelten Beutclchen— der Bescheid.... Fragte sich imr: wie sah die Amtstracht selber au«?
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28 (15.11.1911) 222
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