Würden sie einen Dreispitz bestimmen? Oder gar einen Helm?» So ein Helm ist nämlich durchaus nicht zu verachten, besondere einer mit Federbusch. Wenn diese Federn nun noch gefärbt— oder gar lange Strauhenfedern sind, so ist ein Helm unter Umständen sogar noch bem Dreispitz vorzuziehen. Es zeigt stch also, daß ein Jude, wenn er sich anständig bc- nimmt und Grips hat, selbst in Rußland noch leben kann. Unzufrieden sind die Revolutionäre, Hungerleider und Kon- sorten. Gewiß bedrückt man den Juden, wer wollte das leugnen? Hierhin kann er nicht, dahin kann er nicht, dies ist ihm versperrt und das ist ihm verboten, Sie werden ihn noch so in die Enge treiben, daß er überhaupt nicht mehr japsen kann.... Aber schinden sie denn nicht das eigene Volk ebenso? Tie eigenen ver- hungerten Bauern draußen in den Dörfern? Oho! Steuern und abermals Steuern, und dabei kein Vieh und kein Land und keine Ausficht auf Besserung und nichts als Beschränkung und Knuten.... Dem Juden geht es zwar noch schlechter, noch zehnmal schlechter... dennocb: wer sich zu benehmen versteht und wer anständig und menschlich und höflich ist, dem geht es schließlich überall gut. O, dem geht es vorzüglich! � Alles in allem fühlte sich Herr Zipkes also recht wohl. Ermüdend und langtveilig war nur das Warten und zeit- weise schüttelte er ob der chilenischen Bummelei bedenklich den Kopf. Der Bescheid blieb noch immer aus. Herr Zipkes hätte fürs Leben gern beim Stadthauptmann an- gefragt, ob denn noch immer keine Antwort da sei und ob sich die Sache denn absolut nicht beschleunigen laffe. Er verschob diese Anfrage von Tag zu Tag. Gerade um diese Zeit nämlich bildete eine Reihe neuer wüster Tollheiten SheltuchinS das Stadtgespräch. Sei es, daß die Nervenkrankheit des Gctvaltigen sich ver- schlimmerte, sei es, daß der nahende Frühling so anstachelnd auf ihn wirkte, Tatsache war, daß kaum ein Tag verstrich, an dem er nicht etwas Neues ausheckte. Heute verprügelte er im Erfrischrmgsraum des Theaters irgend- eine bekannte Persönlichkeit, morgen gab er plötzlich Befehl, die schönsten Linden des Boulevards zu fällen, übermorgen verlegte er ein öffentliches Haus von den Außenbezirken in den Kernpunkt der Stadt, direkt neben das Mädchengymnasium. Die ganze Stadt sprach entrüstet von ihm und seinen Streichen. Lasar Mironowitsch allein blieb taub und stumm. Sollte er sich um all und jeden Tratsch kümmern? Es war ja doch nur Schwindel. Was aber die Hungerleider und Skribifaxe betrifft, die ihn Tag und Nacht bemäkeln und bekritteln, so würde ich an seiner Stelle mit ihnen kurzen Prozeß machen. Windbeutel. Spiegel- fechter, Sozialdemokraten!... Karl Marx steckt ihnen im Sinn. nichts weiter,— ganz wie diesem verdammten Boriska Lewitin— und vor Uebermüt wissen sie überhaupt gar nicht mehr, wen sie ankläffen und herrmterreißen sollen.... „Diese Schwefelbande wird noch einen Pogrom anzetteln," sagte Lasar Mironowitsch zu seiner Frau. „Ja, so kommt es noch," bestätigte Frau Zipkes.„Ewig— aber auch ewig haben sie diesen Mann beim Wickel. Das ist Preß- freiheit.... Dich haben sie ja auch schon heruntergemacht. Pack, miserables..." In der dritten Passionswoche endlich riß dem Konsul die Geduld. Er warf sich in Wichs und fuhr hinauf zum Stadthauptmann. X. „Aha, in Sachen der Amtstrocht—?" fragte Sheltuchin. „Zu Befehl, Exzellenz! Hat sich Chile vielleicht schon ge- äußert?" „Chile schreibt gerade.. Vor Zipkes Augen begann es zu flimmern... er hatte ein Gefühl, als wüchsen ihm Flügel... „So haben Exzellenz Nachricht?" „Aber natürlich" Der General erkundigte sich nach dem und jenem, klopfte dem Konsul freundschaftlich auf den Bauch, fragte ihn ob er denn so schrecklich viel fresse, daß er einen so unerhörten Wanst habe und sagte zu guter Letzt: „Der endgültige Bescheid wird in nä-dster Zeit eingehen. In allernächster Zeit.... Sie werden zufrieden sein." Nach dieser Zusicherung erachtete der Konsul den Moment zur Ausführung seines reiflich erwogenen Planes für gekommen; er versenkte also snicht ohne entsprechende Feierlichkeit) die Rechte in die innere Rocktasche und Hub also zu sprechen an: „Euer Exzellenz! Von dem untertänigsten Wunsche beseelt, meine schwachen Kräfte in den Dienst der Euer Exzellenz Pro- tektorat unterstehenden Wohltätigkeitsbestrebungen zu stellen und diese in oll und jeder Weise zu fördern und zu unterstützen, gebe ich mir. als Konsul und Mitglied des diplomatischen Korps, hier- mit die Ehre, Euer Exzellenz ergebenst zu bitten, mein bescheidenes Scherflein für das den Bedürftigen und Armen zu spendende Oster- mahl allergnädigst anzunehmen." Mit diesen Worten zog Herr Zipkes(wiederum nicht ohne Feierlichkeit) seine Briestasch« hervor.... (Schluß folgt.) Maurice Meterlincl?. Von Friedrich v. Oppeln - Bronikowskk. Nicht ganz überraschend kommt die Kunde, daß M. Marter- linck den Nobelpreis für Literatur erhalten hat. Wie von seiner Aufnahme in die französische Akademie, redete man schon seit ein paar Jahren von dieser internationalen Ehrung. Ungewöhnlich ist daran nur, daß der Literaturpreis diesmal keiner gealterten. sanktionierten, dem Streite der Meinungen entrückten Literatur- grüße zuteil wird, sondern einem Manne aus der Höhe seines Schaffens und seiner Ersolgc, der erst im kommenden Jahre seinen 50. Geburtstag begeht, einem, der vor noch nicht langer Zeit als „Eindringling" und Neuerer galt, und der wegen der düsteren Mystik seiner Jugendwcrke noch heute von vielen scheu gemieden oder offen verhöhnt wird. Man fragt sich vielleicht mit Besorgnis, ob denn die nervcnquälende Kunst des„Eindringlings" oder die gehäuften Schrecknisic der Prinzessin„Maleine" dem europäischen Geschmack von heute schon, so kongenial erscheinen, daß der Dichter einer derartigen Ehrung für wert befunden werde. Und doch irren, die dies glauben; denn gewiß gilt diese Ehrung vor allem dem späteren Maeterlinck , dem. zartfingrigen Entschleiercr der Ge- hcimniffe des Biencnstaates und dem Philosophen abgeklärter Lebensweisheit, dessen stille Bücher nur eine kleinere Gemeinde befitzt als sein laut bewundertes Renaissancedrama„Manna Vcrnna" oder sein heißumstrittenes strudelköpfigcs Erstlingsdrama „Maleine". Maeterlinck hat sich die Möglichkeit dauernder Popri- larität selbst erschwert, indem er, den Weg der EntWickelung be- schrettend, seine ersten Anhänger verließ und auch die zweite, große Gruppe von Bewunderern, die in ihm den kraftvollen, erfolgreichen Theaterdichter iahen, durch neue stillere Gaben enttäuschte. Und so ereignete sich denn nach dem Monstrccrfolge der„Manna Vanna", als er seine klassisch stilisierte„Joyzrlle" in die Welt setzte, etwa das gleiche wie vor vier Menscbenaltern, als der Dichter des „Götz" und..Werther" seine klassisch kühle„Iphigenie " aus Italien über die Alpen sandte. Es bedurfte einer völligen Umorientierung, und die Folge war eine Abkühlung. Kaum ein Dichter der Moderne, sein Landsmann, der große Lyriker Verhaeren ausgenommen, zeigt eine gleich geschlossene, konsequente EntWickelung wie Maeterlinck . Er hat sich aus dem userlosen Mystizismus und Pessimismus seiner Jugendwerke zu einer konkreten, lebensfrohen Kunst, einer höchsten philosophischen Weltbejahung durchgerungen, so daß er jetzt im fünfzigsten Lebens- jähre als ein Fertiger und Vollendeter dasteht. Deshalb kann man auch heute schon das Fazit seines Lebens ziehen und seine EntWicke- lung von ihren Anfängen bis zu den letzten Konsequenzen verfolgen. Die Wurzeln seiner Kraft liegen auf niederdeutschem Boden, in dem mystischen Brabanter Weltwinkel, aus dem vor Jahr- Hunderten eine der größten Malerschulen der Welt hervorgegangen ist. German- schc Herkunft und Innerlichkeit kennzeichnen sein Wesen und haben ihm von jeher die Sympathien der germanischen Welt gesichert; er selbst hat sich stets als Germanen empfunden. Die Größe Shakespeares hat er immer wieder den in diesem Punkte von alters her schwerhörigen Franzosen gepredigt; in die deutschen Klassiker hat er sich schon als Schüler versenkt; vor allem aber hat er sich mit der deutschen Romantik vertraut gemacht. Seiner Hinneigung zur alten deutschen Mystik und ihrem Erneuerer Schopenhauer verdank! er einen guten Teil seiner Ideen bis hinauf zu seinem neuesten Märchendrama„Ter blaue Vogel". Aus dem deutschen Märchen nahm er bereits den Stoff seines wildgenialen Erstlingsdramas..Maleine", bei dem überdies Shakespeare Pate gestanden hat. Andererseils brachten ihn die sozialen und politischen Verhält- nisse seiner belgischen Heimat ebenso dem romanischen, speziell dem französischen Kulturkretse nahe, dessen Sprache er schreibt und dessen gewaltiger Schallboden Paris ihm frühzeitig eine Beachtung sicherte, die er als holländischer oder flämischer Schriftsteller nie gesunden hätte. Deutsche Seele und französische Geistesbildung, diese Synthese, die ein Nietzsche als das wünschbarste Ziel hinstellt«, ist ihm von einer gütigen Fee aus den Lebensweg mitgegeben worden und hat in ihm ihren glänzendsten Ausdruck und ihre vollste Durchdringung gefunden. In einer Zeit der Gärung und Unzufriedenheit steht Maeter- linck heute als eine in sich ausgeglichene, glückliche Natur da. glücklich nicht nur durch die äußeren Lebensumstände: sorgenlose Unabhängigkeit, frühen Ruhm und ein glückliches Heim, sondern auch innerlich beglückt durch einen festen und sicheren Willen, der ihm sein Tun und Lassen varzeichnct, durch ein ruhiges Streben und entschlossene Daseinsbejahung, als einer, der nur aus der Ferne wirkt und sich allem entzieht, was seine Kreise stören kann, der aber just dadurch zu einen, Trost und Leitstern für viele geworden ist, zu einem neuen Emerson, der seelisch Verstimmte wieder mit dem Leben aussöhnt. Drei Dinge haben zu seiner Lebensgestaliung am mächtigsten beigetragen: der Sport, die Natur und der Einfluß einer Frau. Als kräftiger und gesunder Mann war er von jung auf ein eifriger S p o r t s m a n n, der sich im Degen- und Faustkampf übte, Rudern und Wandern liebte und, dem Zuge der Zeit folgend, vom Zwcirad zum Auto übergegangen ist. Das zweite ist seine Naturliebe, die ihn bald zu myfti» scher Versenkung in die Rätsel des Alls, bald zu strenger Verstandes»
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28 (15.11.1911) 222
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