Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 223.
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trojes hom
Donnerstag den 16. November.
( Nachdrud verboten.
Das waren die, welche hier einen Strohhalm sahen, den ihnen das Schicksal zuwarf. Sie hofften durch die paar Groschen Kostgeld die vielen Tage des Jahres einen Bissen mehr zu erhaschen. Dafür sollte ein hilfloses armes Wesen, ein Menschenkind, ein Kind, ein kleines armes unmündiges, mithungern. Sie wollten für sich selbst einen Bissen mehr erhaschen, um dem Kinde in früher Jugend den Körper zu schwächen, damit es einmal hinfallen sollte, wie Blumen im Mai nach Frost und Eis.
Und als der Polizeidiener die Leute einließ, da drängten fich alle in dem Saale oben zusammen. Im gleichen Saale, in welchem der Landesherr wenige Jahre vorher, als die neue Kirche eingeweiht wurde, auf die Ehre von Gutenburg getrunken.
Die zu vergebenden Kinder waren im Saale. Wie verschüchterte Tiere standen die größeren vor dem Tische, und ihre Augen gingen ängstlich und fragend von einem der Anwesenden zum andern. Als alles so weit war, läutete der Bürgermeister zur Ruhe. Er fragte, wer gesonnen fei, ein Angebot zu tun. Niemand sagte da ein Wort. Einer blickte den andern an, einer lauerte auf den andern, um ja nichts zu verderben. Der Bürgermeister drängte. Da trat der Lächenfrig, der reiche Bächter vom Meierhof, zu den Kindern heran. Er faßte die großen an den Armen und befühlte ihre Muskeln, riß ihnen den Mund auf und beschaute die Zähne. Die fleinsten ließ er unberührt, die hatten für ihn keinen Wert. Er brauchte Menschen, welche arbeiten konnten. Als er die zu bergebende Ware abgefühlt, wie der Schlächter das Schlachtvieh abfühlt, spuckte er verächtlich aus und trat zurück. Na, Lächenfrit?" fragte einer aus der Versammlung. Verächtlich zuckte der die Achseln und wandte sich zum Ausgang. Ueber die Schulter brummte er zu dem Frager zurück:
Ausgehungerte Bande! Probiere Dein Glüd, fannst sicher sein, die fressen Dich zum Land raus."
Der Bürgermeister brummte etwas vom Geschäft verderben auf diese Weise". Aber der Lächenfriz fuhr ihm über das Maul, er hatte schon zu viel Gemeindekinder gesteigert
und wußte was lands.
,, So ist's, basta!" fagte er verächtlich.
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Damit zog der Lächenfriz ab. Giftig schaute ihm ein altes Weib, die Meitäter, nach und sagte zu ihrem Nachbar: „ Ein Glück für die Kinder! Bei dem Zunzi, dem elenden, hält es ja tein senecht aus; er prügelt alle, geschweige denn die Kinder da, die kleinen, Gott behüt uns!"
Aber es schien, daß der Mann dem Weibe ihre volle Entrüftung nicht so ganz auf das Wort glaubte. Denn sie erzählten sich untereinander, die im Orte, besonders wenn der Wind heulte und im Advent die armen Seelen umgingen, die Meitäter hätt' es mit dem Teufel und tät den Kindern ein Leides an. Den Rossen flechte sie nachts 3öpfe in die Mähnen. Und jedweden, den sie draußen nach Betzeit antreffe, den blase sie mit giftigem Hauche an, daß der allemal den Mumpf bekomme. Und dies wisse ein jedes Kind im Orte, daß im Haufe der Meifäter immer ein Stüder zehn bis fünfzehn Raten herumgingen. Und dies sei nichts Natürliches, denn noch nie hätte man eine der Kazen miauen gehört. Endlich, als fein Mensch ein Bot tat, begann der Bürgermeister: Fünfzehn Taler das halbjährige vom Baschi für Kost und Pflege als Jahresentschädigung."
sch nimm's", sagte die Meitäter und sie strich dem Kind mit spigen Fingern über die Wange.
,, Weg da, Mei," herrschte sie ein Bauer im blauen Kittel an, das ist fein Braten für Dich, vierzehn Taler, Herr Bürgermeister, fürs Jahr."
Dreizehn", feifte die Mei.
Da wechselte die Frau des Jagdaufsehers und Waldhüters Haubensack, die Bärbel, mit einem Auswärtigen einen raschen Blick. Der Auswärtige nickte zustimmend.
Zwölf", bot da die Bärbel. Verwundert schauten der
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Mann im Mittel und die Mei sich um. Die Bärbel achtete beide nicht. Gierig hing sie einem Gedanken nach von vielem Gold und Schäßen und von bösen Geistern und dem unschuldigen Kinde, das der Teufel als Entgelt wollte. Auch der Fremde dachte daran und heiß brannte sein Auge von der verlangenden Glut nach Reichtum, die ihn erfüllte. „ Elf", bot der Mann im Rittel und schaute auf die beiden Frauen.
Behn", bot die Bärbel und hässig war der Ton ihrer e Bärb Stimme gefärbt.
Da ging der Mann im Kittel auf die Bärbel und sagte hastig zu ihr:
Hör, Bärbel, des Kindes Mutter und ich hatten uns einmal lieb gehabt und niemand bekommt die beiden Kleinsten als ich, und wenn ich noch zuzahlen muß."
" Behn zum zweiten, niemand, der weniger will? So ein fleines Kind lebt beinahe von nichts, also zum dri- zehn
zum
"
,, Neun", sagte der Mann im Kittel, der eben wieder näher trat.
Die Bärbel bot nicht mehr. Der Fremde gab ihr ein Zeichen und zeigte auf den Findling Unbekannt. Das war ja das gleiche und tat den Dienst auch.
Die Mei meinte giftig, daß die neun Taler nicht einmal die Seife für die Windeln zahlten und ob denn die Menschen ganz verrüdt ſeien.
Dieweil befam der Mann im Kittel den Säugling zum Preise von neun Talern zugeschlagen.
da
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"
Sechzehn Taler für das anderthalbjährige!"
Sechzehn", gab der Mann zu im blauen Rittel.
Er bekam das Kind, da die Leute einsahen, daß bei dem nichts zu wollen war.
So gingen auch die anderen größeren weg. Eines nahm der blaue Kittel noch um Gottes willen oben drein. Er mußte es nehmen, weil ihm das Herz wehe tat und er an vergangene Zeiten dachte, an Lindenbluft und stille Nächte und felige Liebe. An das Weh wegen der Buhlin dachte er nicht. Dafür konnten ja die armen Würmer nichts. Hätte es bei ihm gereicht und hätte er mit seinem Vermögen gleich wie mit seinem Verlangen rechnen können, die Kinder wären beijammen geblieben.
Preise für die Kinder schwankten zwischen zwölf und vierzehn So aber ging eines dahin, das andere dorthin. Die Zalern. Denn da fiel in Betracht, daß ein Bube von bald sieben Jahren sich zu mancher Arbeit anstellen ließ. Wenn man verstand, so ein Kind recht auszunüßen, dann konnte man sich eine Jungmagd sparen. Allerdings, was Besonderes wurde dann aus dem Buben nicht. Aber für diese Brut ist es immer am besten, wenn sie recht früh auf den Gottesacker kommt.
Als des Baschi Kinder alle an den Mann gebracht waren und da und dorthin auseinandergerissen wurden, unter wehem Weinen und Jammern der älteren Kinder, ging der Mann im blauen Kittel eilig weg. Die beiden kleinen Kinder trug er in einem Sad über die Schulter, eins vorn, das andere auf dem Rücken, wie man Saugferkel vom Markte nach Hause trägt. Das dritte führte er an der Hand, und hurtig lief das Kind neben dem fremden Manne her, der so gut mit ihm redete. Die Reihe der Vergebung kam nun an den Findling Unbekannt.
" Fünfzehn Taler", bot der Bürgermeister den Säug
ling an.
Vierzehn wollte die Meifäter haben und für zwölf wurde er der Bärbel zugeschlagen.
Als die Bärbel abzog mit dem Säugling auf den Armen, in eifriges Gespräch mit dem Fremden verwickelt und mit zukunftsfrohem Gemüte, schaute ihr die Meifäter nach.
Da ist etwas nicht recht bei der Bärbel", murmelte sie vor sich hin. Und grübelnd verließ auch sie das Rathaus. Sie nahm sich vor, zu schauen, was los ist mit der Bärbel. Denn sie fannte die Bärbel nur zu gut, um nicht zu wissen, daß bei der weder nächsten- noch Christenliebe das Treibende war. Zudem hatte die Bärbel vom Waldhüter schon genügend Kinder, und zwar von jedem Jahrgange Buben und Mädchen.