Mnterhaltmigsblatt des vorwärts Nr. 229 Sonnabend den 25. November 1911 lZiaSdriilk verdolen.) 10] Die Guten von Gutenburg. Von Hermann Kurz . Am Sonntag saß der Simon im Schlüssel und trank feinen Schoppen. Der Bleicher war mich da und machte sich gleich hinter dem Simon her. Der Bleicher war ein eigener Kauz. Alles, was nicht festgemacht war und er so mitnehmen konnte, wo es auch war, das nahm er mit. Den Wald schaute er als Allgemeingut an. Jeder, der sich nicht seinen Braten daraus zu holen verstand, war für ihn beschränkt. Aber wer wie er mit dem Wild auch noch gleich das Holz mitgehen hieß, um den Braten über einem rechten und billigen Feuer gut zu schmoren, der war ein ganzer Kerl, der das Leben verstand und nie untergehen konnte. Der Bleicher fragte den Simon wie von ungefähr und auch aus lauter Teilnahme:„Hast Du heut nacht Ruhe im Walde, Simon?" Der Simon verstand seinen Fuchs. „Ich möchte keinem raten, in den Wald zu gehen, um was zu holen?" meinte der Simon und lächelte. Der Bleicher stutzte. „Hast Du Dienst, Simon?" „Und nicht nur ich allein, Bleicher." . Damit trank der Simon seinen Schoppen leer rind ging hinaus. Der Bleicher mußte gleich hinterher das Wasser ab- schlagen. Aber er tat dies eigentümlicherweise nicht auf den Misthaufen, sondern er ging vor die Haustür und schaute dem Simon nach. Und als er den Simon im Wald verschwinden sah. da kratzte er sich hinter den Ohren. In der Stube sagte er so nebenbei, wenn der Seppi komme, sollten sie ihm doch ausrichten, der Bleicher hätte Bauchweh und ginge nach Haus ins Bett, mit dein Spielen sei es nichts. Tie Leute im Schlüssel lächelten ein wenig und wußten um zu gut, wo dem Bleicher der Bauch weh tat. Doch keiner sagte laut, der Bleicher habe wildern wollen, denn beinahe ein jeder mußte selbst ein wenig vor seiner Tür fegen. Aber nicht nur der Bleicher, auch der Erhard hatte die Ohren gespitzt, als der Simon sagte, er hätte die Nacht durch Dienst. Denn auch der Erhard war heute in der Laune, ein Wild zu fangen, auf das er bislang gelauert hatte. Nur brauchte er nicht in den Wald zu gehen darum. Der Simon mochte kaum eine kleine halbe Stunde zum Schlüssel hinausgegangen sein, als der Erhard auch abzog, den Hut auf dem Ohr nnd ein Sträußchen daran. Hastig lief er dem Waldhüterhaus zu. Und auf einmal, wie die Liest so recht schöne Sachen träumte und sinnierte, stand der Erhard vor ihr. Und da fragte sich die Lest nicht mehr lange, ob sie wache oder träume. Sie küßte den Erhard wieder und ihr Blut wallte so heiß wie das seine. Sic hatte nicht umsonst so lange Zeit gedacht und gesehnt. Und da diesmal keine Tür zwischen den beiden war, konnte die Liest auch keinen Riegel schieben. Dafür aber wurde die Liest in jener Stunde so gut zur Frau wie die Madlcn vom Lächcufritz. Als der Simon eine kleine Strecke in den Wald gegangen war, blieb er stehen rrnd lachte eine Scholle vor sich hin. Die Sippschaft vom Bleicher war gehörig genug an der Nase herumgeführt.. So leicht bekam er nicht inimer Ruhe mit so wenig Mühe. Aber er ging noch einige Pfade ab, um auf einem Um- Wege zun: Walde heraus nach Hause zu kommen. Als er wenige Schritte vom Hanse entfernt war, der- warnte fein Hund und machte einige Sprünge auf die Tür zu. Dort blieb er leise knurrend stehen, uud die Haare sträubten sich auf seinem Rücken. Simon stutzte und rief den Hund, leise und vorsichtig klinkte er die Tür auf. Da hörte er verliebte Reden in der Kammer der Liesi und die Stimme des Erhard. Scham und Wut kamen über ihn. Unschlüssig blieb er eine Weile stehen. Dann wandte er sich leise ab und saß vor das Haus aus die Bank und wartete. Wilde Gedanken stürmten auf ihn ein und ein lohnender Haß gegen den Buben übernahm ihn. Er spannte mit hartem Rucke den Hahn seines Jagd- gewehrs. Und wieder dachte er'..ach. Tann begann er aufzulachen. Verbittert und hart. Und mit einem Ruck und hohuverzcrrtem Gesichte drückte er den Hahn des Gewehrs zur Ruhe. Tann stand er aus. Derben Tritts trat e- in das Haus ein. Mit einem Rucke riß er die Tür auf. Drinnen lag der Erhard im Bette bei der Liest. Ohne ein Wort zu verlieren, faßte der Simon den Burschen an und riß ihn zum Bette hinaus. Angstvoll schrie die Liesi auf. Der Simon aber gab dem Erhard gleich einem Hunde eine Tracht Prügel, und demütig nahm der Bursche die Schläge an. Er fühlte die überlegene Kraft des Alten. Ter Simon nahm, als er genug geschlagen hatte, den Erhard und warf ihn gleich einem besoffenen Luinpen zur Tür hinaus. Draußen gab er dem Burschen noch einen Fußtritt und sagte: „Wenn Du noch einmal kommst, dann jag ich Dir eine Ladung Schrot in den Hintirn und das zweitenial eine Kugel in den Schädel, du Hund!" Zerschlagen hinkte der stolze Erhard nach Hause und fluchte in sich hinein, voller Grimm, eine solch Versalzene Suppe gefressen zu haben. Drinnen in der Stube barg die Liesi voller Scham ihr glühendes Gesicht in den K'fsen und meinte zu vergehen. Aber der Alte legte seine Sachen weg und ohne ein Wort zu verlieren, ging er in seine Kammer; dort pfiff er den Hund zu sich und riegelte die Tür ab. Die Nacht durch dachte er seiner Schmach nach. Anfangs war Groll und Pein. Dann dachte er daran, daß in kurzer Zeit der Liesi Jugend dahin wäre und sie vor der Zeit Welt matt und abgelebt sei, eine zeitige Frucht des Gottesackers. llnd da wurde er milde. Er wollte nicht a» sich denken und vergeben. Es sollte diese Nacht der Liest Glück sein fürderhin, was auch die Folgen waren. Sie mußte ihr junges Leben in der Jugend dahin- geben, sich abschinden nnd welken. Darum sollte sie keine Schuld tragen. Und er dachte an verggngene Jahre. Er gedachte seiner Jugendzeit, da war er toll gewesen gleich einem. Und die Bärbel und er hatten auch nicht den Pfaffen gefragt, was tun und lassen. Und als der Tag kam und die Liest kummervoll einher» schlich und sich schämte, da sagte Simon zu ihr: „Laß das! Die Jugend will ihr Recht und das Blut ist Blut. Was»var, ist vergessen, trag's, was kommen mag!" und tinster sagte er noch:„Aber es ist das letztemal gewesen, das nächstemal wird's sein Totenbett, dein Freudenbett. Daran denk!" Und er ging weg wie immer, seinem Dienste nach. Aber zum ersten Male erwachte in Simon ein Gefühl des Unglaubens, des Hasses und Grolls gegen die Bestimmung Gottes. Hatte er denn sein Fleisch nicht lieb wie ein hoher und reicher Herr? Und warum durfte ein Lump iin reichen Kittel die Schiche an seinem reinen Gewände wischen? Nach Monaten waren der Erhard und die Madien schon längst ein Paar und hatten beinahe in die Ehe hinein ihre Erstgeburt gebracht. Ein flinker Storch! Aber auch die Liesi ging schwanger und gebar eine Toch- ter. Madien mußte sie heißen nach Simons Willen und zum Grolle des Erhard, dessen Weib und Kind denselben Namen trugen. So kam wieder ein Säugling in das Haus des Wald- Hüters. Und Simon fand auch die Mittel, uni dieses Kind zu ernähren. Darum machte der alte Schlüsselwirt, als er einmal hundert Taler in das Waldhüterhaus bringen wollte. eine herbe Erfahrung. Nie mehr wollte er dort versuchen, aufzuhelfen ans Nächstenliebe. Er begriff auch nicht, daß ein Mensch wie der Simon Geld ausschlagen konnte. Das lvar ja hirnverbrannt. Er hätte nicht so getan, er war nicht so
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28 (25.11.1911) 229
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