Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 26.
26]
thepac
Mittwoch, den 7. Februar.
( Nachdruck berboten.)
Pelle der Eroberer.
Der große Kampf.
Roman von Martin Andersen Nerö.
12.
1912
Federbett im Arm an ihm vorüber und verschwand in der Tür des Pfandleihers, sie sah sehr vergnügt aus. Waren sie vielleicht so fröhlich, weil sie sich einen kleinen Schmaus schafften, indem sie eine Reihe magerer Tage noch magerer machten? Nein, sie feierten ja ein Fest, weil die Weihnachtsstimmung in ihnen herrschte und sie feiern mußten, wie teuer fie es auch erkaufen sollten!
In dieser Nacht wurde ja Christus geboren. Waren die Leute deswegen so fröhlich und gut?
Belle wußte noch die meisten Bibelstellen von der Schule
Von dem Augenblick an, wo der graue Tag hineinbrach, lag ein eigener Ton über dem Summen der„ Arche", ein heiserer Eifer, der die Sorglosigkeit beiseite schob. Durch die langen finsteren Gänge tönte es von Scheuern und Schruppen, die Galerien und die dunklen Holztreppen bekamen ihre Behandlung mit Wasser. Weg da!" wurde jeden Augenblic von irgendwo her gerufen und dann galt es, sich vor der hinabströmenden Flut zu retten. Den ganzen Vormittag trieb das Waffer von einer Galerie zur anderen, wie über ein mühlrad. Aber jetzt lag die Arche da und fror in ihrer eigenen Reinlichkeit, mit einem Ausdruck, als wollte das alte Nest sich selbst nicht wieder kennen. Da war eine Gardine oder ein Stüd Mobiliar hinter dem Fenster verschwunden, es war zu Ehren des Tages ins Pfandhaus gewandert. Was hier fehlte, hing in Form von Erwartungen und Festfreude in den Ge- Jahren so festlich begingen. fichtern der Bewohner.
her auswendig. Sie hatten irgendwo in ihm gelegen, ohne ihn zu belästigen oder Platz einzunehmen, und hin und wieder tauchte einmal eine davon auf und half ihm seine Menschenfenntnis aufbauen. Aber von Christus selber batte er sein ganz persönliches Bild, von dem Tage an, als er als Knabe über den Befehl an die Reichen stußte: hinzugehen und alles zu verkaufen, um den Darbenden das Geld zu geben. Das ließen sie nun hübsch sein. Sie nahmen den großen Freund des armen Mannes und hängten ihn auf! Er erreichte nicht mehr, als eine Verheißung für die Armen zu werden; aber bielleicht war es diese Verheißung, die sie jezt nach zweitausend
So lange hatten sie geschwiegen und sich in Bereitschaft Aus den Kellerhälsen in dem Stadtviertel guckten kleine gehalten, gleich der Jungfrau aus der Bibel, und jetzt endlich Tannenbäume hervor und drüben auf dem Markt standen sie fam es ja. Jetzt endlich begann das große Evangelium den wie ein ganzer Wald an der Mauer des Zuchthauses entlang. Armen zu ertönen, es war ein guter Grund in dieser WeihIn den Fenstern der Kellerläden hingen Herzen und farbige nachtsfreude. Warum versammelte man nicht die Scharen Richter, und der Krämer an der Ede hatte einen mächtigen in der Weihnachtsnacht und verkündete ihnen das EvanWeihnachtskobold im Fenster aufgestellt. Er war aus rotem gelium? Dann würden sie alle die Bewegung verstehen und und grauem Wollzeug und trug als Bart ein ganzes Raßen- fich ihr sofort anschließen! Es wimmelte in Belles Kopf von fell. Auf den Treppenstufen der„ Arche" lagen die Kinder neuen starken Gedanken. Er hatte bisher nicht gewußt, daß flach an der Erde und scheuerten Gabel und Messer im Sand das, woran er teilnahm, so groß war; er fühlte sich im Dienst auf den Stufen. Ach, sagten sie und klopften sich jedesmal des Höchsten! an die Brust, wenn der Geruch von irgend etwas Gebratenem in den Hof hinausströmte. Jeden Augenblick mußten sie fort und für fünf oder zehn Dere einholen; es wollte kein Ende nehmen, alles das, was der Weihnachtsabend in Bereitschaft hatte. Wir kriegen richtige Notebeeten!" sagte ein kleines Kind und trällerte eine Melodie.„ Wir kriegen richtige Rotebeeten, ah, ah, ah!" Und dann wiegte sie ihren fleinen Körper hin und her, während sie scheuerte.
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Frederik!" rief eine scharfe Stimme aus einem der Gänge heraus. Lauf hin und hol eine Stiege Brennholz und ein Feinbrot zu zehn. Aber paß auf, daß der Krämer Dir die Stiege richtig abzählt, und fraß die Krumen nicht aus!"
Frau Olsen mit der warmen Wand briet Schweinebraten. Sie konnte den Herd ja nicht auf die Galerie hinausschleppen; so ließ sie denn den Braten anbrennen, so daß der ganze Hof mit bläulichem Qualm angefüllt war. Frau Olsen ihr Schweinebraten brennt an!" schrien zwölf Frauenstimmen auf einmal.„ Das kommt, weil der Schmortopf zu klein ist," antwortete Frau Olsen und steckte ihren roten Kopf durch das Holzwerk hindurch. Was soll ich armer Teufel tun, wenn der Schmortopf zu flein ist?" und Frau Olsens Schmortopf war der größte in der ganzen„ Arche".
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Kurz ehe die Dämmerung hereinbrach, ging Belle von der Werkstatt nach Hause. Er sah die Straßen und Menschen mit eigenen Augen an, die einen Glanz über alles ausgossen; es war die Weihnachtsstimmung, die ihm im Gemüt saß. Warum? fragte er sich unwillkürlich selbst. Es harrte seiner ja nichts Besonderes. Er mußte heute länger arbeiten als gewöhnlich und konnte den Abend nicht einmal mit Ellen zusammen verleben; sie hatte in ihrer Küche zu schaffen, um es für andere traulich zu machen. Wozu kam diese Stimmung zu ihm? Erinnerungen waren es nicht; so lange er zurückdenfen konnte, hatte er niemals Teil gehabt an einem so recht fröhlichen Weihnachtsabend, sondern hatte sich mit den Sagen begnügen müssen, die darüber im Umlauf waren. Und all die anderen Armen, denen er begegnete, waren in derselben Stimmung wie er. Das harte Fragen war aus ihren Gefichtern gewichen, sie gingen da und lächelten vor sich hin. Heute war nichts von dem bleischweren Druck zu spüren, der sonst über den Untertlassen brütete, gleich dem Vorboten eines Unwetters; glücklicher hätten sie nicht aussehen können, wenn all ihre lichten Hoffnungen eingelöst wären. Da kam eine Frau mit einem
Auf dem Marktplatz blieb er stehen und betrachtete still die Weihnachtsbäume, fie führten seine Gedanken zurück zu der Weide, auf der er die Kühe gehütet hatte und zu den kleinen Tannen. Er befam Lust, die Kinder zu überraschen und einen Baum zu kaufen; sie hatten die letzten Abende dageseffen und Tannenbaumschmud ausgeschnitten, und Karl hatte vier abgeschnittene Tannenzweige zu einem Weihnachtsbaum zusammengezimmert.
Bei dem Krämer faufte er Süßigkeiten und Weihnachtslichter. Der Krämer ging in Veranlassung des Tages auf den Zehenspigen und expedierte die kleinen, schmutzigen Göhren mit zierlichen Verbeugungen. Er gab etwas zu und vergaß ganz sein gewöhnliches: Du vergiß auch nicht, daß Ihr noch für zwei Lot Tee und ein Viertel Pfund Kaffee angeschrieben habt. Aber er mogelte wie gewöhnlich mit dem Gewicht. Marie ging mit aufgestreiften Aermeln und war sehr beschäftigt; sie warf alles hin und kam gelaufen, als sie den Baum sah. Der fann hier ja gar nicht mal stehen, Belle," rief sie und richtete ihn auf. Er muß abgeschnitten werden. Er muß ja noch abgeschnitten werden! Nein, wie hübsch der ist! Aber unten, Belle, unten! Zu Hause hatten wir auch einen Tannenbaum; Vater ging selbst in die Klippen und fällte ihn, und wir Kinder waren mit dabei. Aber dieser hier ist viel schöner!" Dann lief sie in den Gang hinaus, um es zu erzählen, plötzlich fiel ihr aber ein, daß die Jungen noch nicht nach Hause gekommen waren, und da stürzte sie wieder zu ihm hinein.
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Belle setzte sich an seine Arbeit. Von Zeit zu Zeit erhob er den Kopf und fah hinaus. Die Nähterin, die gerade drüben in Piepmanns altes Nest eingezogen war, schnurrte mit ihrer Maschine drauf los und sah sehnsüchtig zu ihm herüber. Sie war gewiß einsam; vielleicht hatte sie keinen Ort, wo sie den Abend zubringen konnte.
Die alte Fransen kam auf die Plattform und humpelte in ihren Flickenschuhen die Hühnerstiege hinunter. Das Tau entglitt ihren zitterndes Händen. Sie hatte einen kleinen Korb am Arm und das Portemonnaie in der Hand, sie sah auch so einsam aus, das alte Wurm! Jetzt hatte sie seit drei Monaten nichts von ihrem Sohn gehört. Frau Olsen rief sie an und lud sie zum Abend ein, aber die Alte schüttelte den Kopf. Auf dem Rückweg sah sie bei Belle ein.
" Heute abend kommt er," flüsterte sie entzückt. Ich habe