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Berge, hinter denen sich die schimmernde Kette der Schneegipfel erhob, die von weitem dicht geballten weißen Wolkenmassen glichen. Butler schaute nach den Bergen hinüber, sog die frische Luft in vollen Zügen ein und war von Freude darüber erfüllt, daß er gerade er lebte, noch dazu an einem so herlichen Orte.
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Ein flein wenig freute es ihn auch, daß er sich gestern so trefflich gehalten hatte, beim Hinmarsch sowohl wie namentlich beim Rüdmarsch, der sich ziemlich unangenehm gestaltet hatte. Auch die Erinnerung an den gestrigen Abend bereitete ihm Freude wie er nach dem fühnen Marsche mit den Kameraden von Maria Dmitrijewna, der Freundin Petrows, bewirtet worden war, und wie sie mit allen, namentlich aber, wie ihm schien, mit ihm so lieb und nett gewesen war. Mit ihrem tollen Haar, den breiten Schultern, dem bollen Busen und dem strahlenden Lächeln in dem mit Sommersproffen übersäten, gutmütigen Gefichte übte fie unwillkürlich auf den jugendlichen, fräftigen, ledigen Butler einen starten Eindrud aus, und es schien ihm, daß auch er ihr nicht gleichgültig sei. Er war jedoch der Meinung, daß es eine Schlechtigkeit gegenüber dem gutmütigen, braven Kameraden getresen wäre, wenn er sich Maria Dmitrijewna genähert hätte, und so verkehrte er mit ihr auf durch aus anständigem, ehrerbietigem Fuße. Und er freute sich darüber, daß er sich in diesem Punkte zu beherrschen wußte.
Eben, wie er auf der Straße daherschritt, dachte er hierüber nach, als seine Gedanken durch deutlich vernehmbares Pferdegetrappel, das auf der staubigen Straße näher und näher kam, abgelenkt wurden. Es mußte ein größerer Reitertrupp sein, der sich da auf ihn zu bewegte. Er blidte auf und sah am Ende der Straße eine Schar von Reitern: an der Spike von etwa zwanzig Rojaten ritten zwei Männer, der eine in einer weißen Tscherkeska und einer hohen, turbanumschlungenen Lammfellmüze, der andere ein ruffischer Offizier, brünett, mit einer Ablernase, in reichem Silberschmud an Kleidern und Waffen. Der Reiter im Turban saß auf einem prächtigen Fuchs mit kleinem Kopfe, schönen funkelnden Augen, weißer Mähne und ebenjolchem Schweife. Der Offizier ritt ein großes, schmudes, tarabachisches Pferd. Butler, der sich gut auf Pferde verstand, wußte das treffliche Tier des Turbanträgers fogleich richtig einzuschäßen und Elieb stehen, um zu hören, wer diese Leute wären.
Der Offizier wandte sich an Butler und fragte: 3ft dies das Haus des Plahkommandanten?"
Er sprach das Russische mit etwas fremdartiger Betonung, and man hörte ihm sogleich an, daß er nicht von russischer Herkunft
war.
Butler bejahte feine Frage.
„ Wer ist denn dieser da?" fragte Butler, an den Offizier herantretend und nach dem Manne im Turban hinüberblinzelnd. " Das ist Chadschi- Murat. Er ist hierher geritten und wird beim Platkommandanten bleiben," sagte der Offizier. Butler hatte von Chadschi- Murat und seinem Uebertritt zu den Russen gehört, doch hätte er nie erwartet, daß er ihn hier, in der kleinen Grenzfestung, zu Gesicht bekommen würde.
Chadschi- Murat warf ihm einen freundlichen Blick zu. Sei willkommen- fottilda," sagte Butler, mit seinem bißchen Tatarisch prahlend.
Sa- ubul," antwortete Chadschi- Murat topfnidend. Er ritt an Butler heran und reichte ihm die Hand, an deren Fingern die Reitpeitsche hing.
Der Kommandant?" fragte er.
" Nein, der Kommandant ist im Hause, ich will ihn rufen," sagte Butler zu dem Offizier, ging die Treppe hinauf und suchte die Tür zu öffnen. Die auf die Paradetreppe", wie Maria Dmitrijetna sie nannte, hinausgehende Tür war indes verschloffen. Butler flopfte dagegen, und als niemand im Hause fich meldete, ging er um das Haus herum und trat von der Hintertreppe aus ein. Er rief seinen Burschen, und als dieser sich nicht meldete und ebensowenig zu finden war wie der Bursche des Majors, begab er sich nach der Küche. Maria Dmitrijewna hantierte hier, ganz rot im Gesichte, mit einem Tuche auf dem Kopfe und die Aermel über den runden freißen Armen hoch aufgestreift, eifrig herum fie war gerade dabei, den flachgerollten Teig, der ebenso weiß war wie ihre Arme, in fleine Streifen zu schneiden und daraus Pasteten zu bereiten. ( Fortsehung folgt.)
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Zum 100. Geburtstage von
Berthold Huerbach.
Zwischen dem fünften bis ficbenten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts gab es im deutschen Bürgertum ein entzüdtes Schwärmen für sogenannte„ Dorfgeschichten". Das war damals ein funkelnagelneues Genre und wurde Mode". Dies um so mehr als auch gerade das allgemeine Reifefieber erwachte. Nicht daß die Ströme fremde wie inländischer Touristen sich auf Norddeutschland beschränkt hätten, wie bisher; nein, jest ergoffen fie fich rheinaufwärts. Man hatte plöhlich die wunderbare Pracht des Süddeutschen Landschaftsbildes entdeckt und die Bevölkerung allda, inmitten einer reichen nahezu tausendjährigen Kultur. Das alles
war wohl schon früher von manchen wissenschaftlichen Männern bemerkt und berbucht worden. Aber noch war der Natursinn und das fulturelle Interesse nicht in die breiteren Schichten gedrungen. Beides mußte erst erschlossen werden. Diese höchft dankbare Aufgabe übernahm mit einem Male die Dorfgeschichte. Und der Begründer dieser neuzeitlichen Gattung hieß Berthold Auer bach . Daß es gerade ein Jude sein sollte, mochte damals dem begrenzten Untertanenverstande noch als höchst sonderbar erscheinen. Indes man war um so williger, umzulernen, von alten Rassen borurteilen loszukommen, als Auerbach sich seines schwarzwäldle rischen Heimatvoltes warmherzig annahm.
Berthold Auerbach , am 28. Februar 1812 au Nordstetten ( Würt temberg) geboren, studierte in Tübingen , München und Heidelberg zunächst Jurisprudenz und Theologie, dann Philosophie. In burschenschaftliche Untersuchungen verwidelt, war er zwei Monate lang Gefangener auf dem Hohenasperg , wo ja auch einst der geniale Dichtermusiker Schubart eine siebenjährige furchtbare Kerkerhaft hatte verbüßen müssen. Darauf lebte Auerbach in rheinischen Städten, am längsten in Mainz ; dann in Weimar , Leipzig , Dres den , Berlin , Breslau und Wien , bis er 1860 bleibenden Aufenthalt in Berlin nahm. Die erste Etappe seiner schriftstellerischen Tätig keit wird durch die aus dem Lebensgebiet des Judentums geschöpften Romane Spinoza " und" Dichter und Kaufmann" bezeichnet. So ward er der Urheber eines neuen literarischen Genres, nämlich der nun ungemein zahlreich folgenden Geschichten aus dem jüdischen Familienleben und noch viel mehr durch seine Schwarze wälder Dorfgeschichten".
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Ein ganz unbekannt gebliebenes Feld war die deutsche Dorf geschichte zwar nicht; denn sie reicht bis ins Mittelalter zurück und war auch in neuerer Zeit von Jung- Stilling, Pestalozzi , Brentano und Immermann gepflegt worden. Ja, und in der Schweiz hatte erst fürzlich der Pfarrer Albert Bizius( Jeremias Gotthelf ") mehrere kraftvolle naturalistische Dorfromane( Uli der Knecht" " Uli der Bächter" usw.) geschaffen; sie waren jedoch noch in Deutsch land so gut wie unbekannt. Von dieser Seite aus wurde indessen Auerbach am wenigsten oder gar nicht beeinflußt. Ausschlaggebend mögen wohl die Elsässischen Dorfgeschichten" von Alexander Weil gewesen sein, die gerade in die Deffentlichkeit traten, als Auerbach in seinem Roman Dichter und Kaufmann" das Ber mögen seiner poetischen Begabung eben erprobt hatte. Gleichviet jedoch, von wem die unmittelbare Anregung ausgegangen ist: die Dorfnobelle zur künstlerischen Vollendung erhoben zu haben, ist Auerbachs dauernder Ruhm. In ihr fand er sich auf seinem Heimatsboden zurecht, und aus diesem erwuchs ihm die Straft für die Gestaltung des landvolklichen Lebens. Die ungeheure Wirkung seiner Schwarzwälder Dorfgeschichten " auf das zeit genössische Lesepublifum läßt sich mit der des Goetheschen Werther" bergleichen; denn sie machten, in die meisten Kultursprachen übersetzt, die Runde über den halben Erdkreis. Den allerhöchsten Ausbruck dieser Begeisterung. bildet zweifellos Freiligraths bekanntes Gedicht an Auerbach , Man würde aber sehr irren, wenn man an nehmen wollte, Auerbach hätte durch seine Dorfnovellen nur die touristische Erschließung der engeren Heimat bezwecken wollen; denn dann würde er sich in nichts von seinem Nachahmer Maximilian Schmidt unterscheiden, dessen bayerische Waldromane nichts weiter als schablonenhaft gemachte Hans- und- Gretel- Geschichten find. Sondern Auerbach ging von weit höheren Gesichtspunkten aus. Ihm war es darum zu tun, für die Armen und Unterbrückten, selbst für verbrecherische Kreaturen zu kämpfen. Er scheute dabei vor einer wahrhaftigen Schilderung der Zustände und der Landbewohner nicht zurüd. Sonach fonnte es ihm auch nicht beifallen, das dörfische Leben in die Farben arkadischer Unschuld zu tauchen. Wohl liebt seine über alles gütige Art das Holdselige und Barte in feinen Gestalten, zumal bei Mädchen und Frauen, wohl schwelgt er, der die Natur so tief ins Herz geschlossen, förm lich in malenden Worten und Vergleichen, wohl pflegt er gern beim Glüce braver Menschen zu verweilen; aber gleichzeitig und eigent lich überwiegend bringt er doch heftige Schmerzen und er schütternde Schidfalsfügungen. Wenn wir eine Anzahl mit we niger Glück gestaltete Beitromane von vornherein ausschalten, so bleiben der eigentlichen Dorfgeschichten noch immer etwa ein Duzend Bände.
Bon seinem Geburtsort Nordstetten , wo Auerbach auch begraben liegt- er starb zu Cannes am 8. Februar 1882- ist er ursprüng lich ausgegangen. Er hatte sich die Aufgabe gestellt, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern, Erstaunlich ist dabei die Mannigfaltigkeit der den Novellen au grunde gelegten Stoffe. Solchen, die nur persönlichen Schicksalen gelten, reihen fich solche an, die bald den Protest der Landbewohner gegen eine ihnen aufgedrungene polizeistaatliche Kultur", bald gegen die Bevormundung der katholischen Klerisei aufzeigen. Andere Erzählungen( Sträflinge"," Das Nest an der Bahn", Florian und Creszenz"," Ein eigner Herr"," Diethelm von Buchenberg") behandeln sozialethische Motive. Wieder in anderen wird der verderbliche Wahn des Bauernvolfes gegen die Unteilbarkeit der Güter oder seine Abneigung gegen den rationellen Betrieb der Landwirtschaft töftlich abgewandelt. Gern schildert Auerbach Brosi und das Leben von Handwerkern, so den Maurer( in Moni"), den Mujifanten( in" Geigerleg"), die Schwarzwälder Uhrmacher( in„ Edelweiß").
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Daß der Dichter trok aller realistischen Kleinmalerei der dörflichen Verhältnisse seine Landgestalten in einer idealisierten Aufe