setzen. Dazu eine dritte, am schwersten zu ersiillende„ideale Forde-rung'. Der gute Opernleiter soll, ohne auf seinen Kassierer zu hören,die Borherrschaft Richard Wagners gegenüberallen älteren und neueren Kun st werken, so viel inseinen Kräften st eht, beseitigen helfen, er soll„dasfür den musikalisch-geistigen Horizont des Volkes schädliche Ueber-gewicht der Wagnerschen Schöpfungen' abwehren. Man sieht, derwahrhast gute Opernleiter hats nicht leicht. Er steht vorläufig jaauch nur auf dem Papier.Im Leben wird mit weniger idealen Faktoren gewirt«schaftet. Die Mißstände der bureaukratisch von ausrangiertenGenerälen, Hofmarschällen, Kamnierherren oder Zeremonienmeisternkommandierten deutschen Hoftheater sind in der Oper fast nochschlimmer wie im Schauspiel. Ein abschreckendes Beispiel, wie einmusikalisches Nationalinstitut nicht verwaltet werden soll, bietet ja' gerade die Berliner k g l. Oper. Die ehrliche, rücksichtslose,keinem System, sondern nur der Kunst dienende Kritik— man suchtsie in bürgerlichen Blättern aus tausend Gründen vergebens, sie istnur in unserer Parteiprefie noch zu finden!— hat oft eingesetzt,um Schäden im Betrieb der Opern von Dresden, Wien, München,Hamburg, Köln und andere» großen Stadttheatem aufzudecken,Schäden, die größtenteils tief im Wesen der kunstkapitalistischenOrganisation der modernen Geschäststheater mit ihrem Starsystembegründet lagen, aber neidlos mußte fie anerkennen, daß Berlinauch hier an der Spitze marschierte. Im preußischen Abgeordneten-Haus hat bekanntlich im vorigen Jahre Herr Kopsch den Mut gehabt.von parlamentarischer Stelle aus die teils auf Arroganz, teils aufUnfähigkeit gestützten Mißstände in der Leitung der Berliner kgl.Oper einer schonungslosen Kritik zu unterziehen. Er enthüllteoffen das schädliche System Hülsen-Haeseler mitseinem brutalen Unteroffizierton, dem Vorherrschen des engherzigstenBureaukratiSnmS nach Schema? über fachmännische InitiativesdaS schließlich die beiden genialen Dirigenten und OrganisatorenR. Strauß und Muck fortekeln mußte und dafür den Berlinern diebraven Kapellmeister von Strauß und Blech erhielt, mit seinen un-zulänglichen künstlerischen Ensemble-Leistungen, seinem verrosteten,überall nachhinkenden oder bei Novitäten daneben greifendenRepertoire, seinem ServiliSmus den Machwerken adeliger Dilettantengegenüber, seiner maßlosen Auslandspoussiererei, seinen hohen Ein«trittspreisen, seiner hochnäsigen Behandlung der nicht wohlmeinendenPresse usw. usw. Kopsch tat einen Schlag ins Wasser. Daspreußische Abgeordnetenhaus erklärte sich in dieser künstlerischenFrage für nicht.kompetent'. Die angegriffene Exzellenz arrangierteeine gefühlvolle Entrüstungsmatinee. Personal, rechtgläubige Presse,Photographen traten an. Hülsen nahm den Zylinder in die Hand,zerdrückte eine Träne k la Possart. wünschte nicht,„daß durch äußereEinflüffe auch nur der leiseste Schatten zwischen Ihm und SeinenMitgliedern bestehe', bedauerte die Abgeordneten-Jmmunilät, drohtezum Schluß mit Entlassungsgesuch. Und alles blieb beim Alten.Berlin WW., dem theaterbesuchendcn Geheimrats- und Börsianer-Milieu, ist's gerade so recht. Jedenfalls ist die Hoffnung aus-geschlossen, daß das ausschließlich der„Diplomatie' in derMusik', höfischer Kunstpflege und dem Unterhallungsbedürfniseiner zahlungsfähigen Oberschicht dienende Berliner Opern-Haus ein nationales. allgemeinen Kulturinteressen sachlichdienendes Kniistinslitut werden wird, so lange der Höfling Hülsenam Ruder ist. Traurig, nein eigentlich selbstverständlich ist es, daßsein bureaukratisches System heute noch von bürgerlichen BerlinerBlättern, sogar die linksliberale Presse einbegriffen, mehr oder»veniger verschämt gestützt wird. So erscheint auch der voneinigen geteilte Glaube, daß an der vornehmsten preußischen Operin Zukunft ernste deutsche Komponisten vom Range Pfitzners, Kloses,Thuilles, Wolf-Ferraris den Vorrang erhalten vor dilettierendenAristokraten k la Chelius, talentlosen Verfassern von Indianer-Opern und assyrisch-brandenburgischen Marlgrafen-Festspielen, allzuoptimistisch. Wie ernst eS dieses höchst merkwürdige Kunstinstitut,das nebenbei den Ehrgeiz zu haben scheint, alle durchgefallenen aus-ländischen Opern aufzuführen, mit seinen nationalen Pflichtennimmt, beweist sein aufdringlicher Leoncavallo-Kult. Es hatte nichtgenug mit der bösen Schlappe, die ihm seinerzeit der„Roland vonBerlin', die danebengelungene Hohenzollern-Huldigung des Stehcn-gebliebensten und dabei Strebsamsten unter den jungitalienischenBühnenkomponisten eingebracht hat, es nahm Signore Leoncavalloauch noch seine künstlerisch noch impotentere Blut- und Mordoper„Maja' ab. Es kam, was kommen mußte. Das Publikum quittierteden neuesten Reinfall Hülsens mit leeren Häusern.Da? Publikum, ja das Publikum! ES ist das Zünglein an derWage. Es hat ein Menschenalter lang die Opern WagnerS ignoriertlind verspottet und heute verlangt es das internationale AufführungS-Monopol für das Haus Wagner und die Bühnenleiter sind dazub:reit. Sind sie doch mehr oder minder abhängig von der groß-artigen Tantiemeanstalt Ren-Bayreuth.<Was von 1914 an sichändern dürste!) Aber welche Gefahr bedeutet dieses llebergewichtWagners für den Opernspielplan I Wird den nachkommenden Talentennicht alle Lebensluft genommen? Wird nicht das deutsche Kunstlebendurch den andauernden Genuß dieser schweren, dickflüssigen, fettenKost magenkrank? Wird nicht die unbeschwerte liebenswürdige leichteund frohe Spieloper nicht nur der Romanen, auch Lortzings undFlotows voni prätentiösen„nationalen Bühncnfestspiel' an die Wandgedrückt? Wenn aber erst einmal die Zeit kommt, da Gluck. Mozart.Weber, Verdi, Bizet, Rossini, Auber, Boieldieu, Donizetti undLortzing, Flotow, Götz und Nicolai der Majorität des mufik-verständigen Publikums weniger zu sagen haben wie RichardWagner, dann ist die Gölterdämmerung der deutschen Oper vorder Tür. Blickt auf Nietzsche, der das in Turin schon 1388 prophe-zeit hat!Wenn die ethische Aufgabe ernster Opernleiter z»„das unaufhalt-sanre Sterben der Werke, mit denen er arbeiten muß, möglichst zuhindern', nicht geleugnet werden kann, dann ist die Frage deSdeutschen Opernrepertoires eigentlich die Frage, welche Opernwerkeneuer und älterer Zeit zumeist des Schutzes gegen das erdrückendeWagnersche Kunstwerk bedürfen. Was die neuen Opern betrifft, sosollte sich der maßgebende Faktor für den dauernden Erfolgeiner Oper, eben das gebildete Publikum, ruhig der Führung dersachliche», parteilosen und fachmämlisch gebildeten Kritik anvertrauen.Es wird dann bald die Goldkörner aus dem Triebsand heraus er-kennen. Und die schon mit historischem Staub bedeckten alten Opern,die schon den Großvater erfreuten? Hier hilft nur eine zeitgemäßemusikalische und textliche Revision von fein abwägender künstlerischerHand(vergleiche die klassischen Bearbeitungen berühmter Opern-kleinodien durch Levi, Poffart, Kleefeld, Batke, Neitzel, Mottl, Wein-gartner. Mahler u. a. m.). so daß sie genießbar werden auch fürden anspruchsvollen, durch Wagners Schule hindurch gegangenenmodernen Hörer, der ins Theater geht, nicht um zu hören(Konzerteim Kostüm), sondern auch zu sehen, nicht mehr gütig zu übersehen.'(Löwenfeld.) Erst wenn all' der szenische Kitsch, das alte textlicheGerünipel über Bord geworfen und durch Vernunft, Sinn und Ge-schmack ersetzt ist, gilt das verblaßte und verblichene Opernbild alsgereinigt. Nun ist es zurückerobert auch für den, der von der Opermehr als Ohrenkitzel und textlichen Blödsinn verlangt.Da? von vielen erhoffte.Staatstheater' wird freilich nicht derRetter aus den gezeigten Nöten sein können. Auch hier wird dasHeil erst von der sozialen Kulturepoche zu erwarten sein, wenn einanderes Menschenmaterial die Theater füllt. I-oas.Kleines f einlleton.Medizinisches.Chirurgie der Blutgefäße. Bekanntlich ist es denChirurgen gelungen, Methoden auszuarbeiten, die es ermöglichen,sichere Gcfäßnähte anzulegen. Es gelingt, Stücke, die von einerSchlagader herausgeschnitten sind, in eine andere Schlagader, derman auch ein entsprechendes Stück des Gefäßrohres heraus-geschnitten hat, so sicher einzunähen, daß die genähte Schlagaderwie früher ihre Dienste tut. Die Gefäßnaht mit nachfolgenderguter EinHeilung des überpflanzten Stückes gelingt zuweilen auchdann, wenn man es einer anderen Tierart entnimmt. Schließ-lich kann man auch an die Stelle des aus einer Schlagader heraus-geschnittenen Stückes ein Stück Blutader einsetzen, derenWandungen viel dünner geartet sind als die Wandungen derSchlagadern.Da es nun aber in der Praxis nicht immer möglich wäre.für die schadhafte Stelle einer Schlagader ein entsprechendesStück einer anderen Schlagader oder einer Blutader von demselbenIndividuum zu gewinnen, und da die Ueberpflanzung von Gefäß»stücken von einer Tierart auf die andere und auf den Menschennicht dieselben guten Chancen bieten kann wie die Ueberpflanzungim Körper desselben Individuums, gilt es nun für die Chirurgenneue Wege zu finden, um schadhafte Blutgefäße ausbessern' zukönnen. Diesen neuen Weg hat der hervorragende ForscherAlexis Carrel betreten. Wenn auch alle Versuche, die bisherin der Gefäß-Chirurgie gemacht worden sind, einstweilen nochnicht praktische Erfolge gezeitigt haben, so darf man hier doch diebesten Hoffnungen für die Zukunft hegen.Der neue Weg, den Carrel bei seinen Versuchen im Rockefcllcr-Institut in New Uork eingeschlagen hat, besteht in folgendem: Erschnitt einem Hunde ein Stück der großen Bauchschlaga?er(derBauchaorta) heraus und befestigte in der Schlagader ein ent-sprechend� großes Glasrohr, deffen Innenwand er mit einerParaffinschicht überzogen hatte, um die Gerinnung des Blutes,wie sie bei Berührung mit dem Glas eintreten würde, zu vcr-hindern. Der Hund lebte sechs Tage. Bei der Sektion des Tiereszeigte es sich, daß an der Innenwand der Glasröhre, von denbeiden freien Enden der Schlagader ausgehend, eine Neubildungvon Blutgcfäßwand begonnen und recht weit fortgeschritten war.Carrel meint, daß die Neubildung der Blutgcfäßwand, wenn auchnur die der Jnnenschichten. bald vollendet wäre, wenn sich dasGlasrohr durch heftige Bewegungen des Versuchstieres nicht ver-schoben hätte. In einem zweiten Versuche nähte Carrel an dieStelle eines herausgeschnittenen Schlagadcrstückes ein Gummirohrein. Der Hund lebte 15 Monate! Als er getötet wurde, fandman die große Schlagader des Hundes wieder verwachsen! Eshatten sich von den freien Enden der angeschnittenen Schlagaderaus neue normale Jnnenschichten im Verlaufe des ganzen Gummi-rohres gebildet.— Zweifellos werden diese Versuche von Carreldazu beitragen, daß die Gefäß-Chirurgie in der Zukunft von wirk-lich praktischer Bedeutung werden wird._Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin.— Druck u. Verlag: VorwärtsBuchdruckereiu.Verlagsanstalt Paul Sliiger>KCo.,Berlind'>V.