_»Ich ne, Pelle hat so viele Zungerzeiten mit uns Armen durchgemacht: er ist keiner von denen, der alte Freundschaft übertüncht!" antworteten sie sich selbst. Erst jetzt, wo er dieArche" verließ, fiel ihm ein, daß buch er Abschied zu nehmen hatte. Es war die herzliche Ge- »neinschaft mit all seinesgleichen, ihr lichter Glaube an ihn, und sein eigener Glaube an seine Aufgabe dort: es hatte eine eigene Freude in dieser halbverkümmerten Sorglosigkeit in der Gemeinschaft und in dem Kampf gelegen. War er nicht gewissermaßen der Prinz der Armut, zu dem sie alle aufsahen und von dem sie erwarteten, daß er sie in das Un- gewöhnliche hineinführen sollte? Und konnte er es verant- Worten, die Vielen um seines eigenen Glückes willen im Stich zu lassen? Vielleicht war er wirklich ausersehen, die Be- wegung durchzuführen, als einziger, der es konnte. Dieser Glaube hatte die ganze Zeit hindurch schwach in Pelle gedämmert, hatte hinter seiner Ausdauer im Kampf gestanden und hinter all der Freude, mit der er die Ent- behrungen trug. Jetzt, wo er sich bewußt formte, verwarf er ihn als Hochmut, nein, so aufgeblasen war er nicht! Da waren genug, die außer ihm die Sache durchführen konnten, und das Glück hatte bei ihm angepocht.Geh vorwärts. Pelle!" sagt es in ihm.Was ist da noch zu besinnen? Du hast nicht das Recht, das Glück von Dir zu stoßen! Willst Du Dein eigenes Verderben, ohne den anderen zu nützen? Du bist ein guter Kamerad gewesen, aber hier trennen sich eure Wege. Gott selbst hat Dir das Talent gegeben, schon als kleiner Junge übtest Du es ja: niemand hat Nutzen da- von. daß Du im Elend bleibst. Wähle jetzt Deinen eigenen Weg!" Ja, Pelle hatte bereits gewählt! Er wußte sehr wohl, daß er das Glück annahm, was auch alle Welt dazu sagen mochte. Es tat ihm nur weh, die anderen dasitzen zu lassen! Er war viel zu herzlich mit der Armut verbunden, so schwer solidarisch fühlte er sich, daß es schmerzte, sich loszureißen. Durch die gemeinsamen Sorgen war er Mensch geworden, und der Kampf hatte eine eigene glückerfüllte Kraft gespendet. Nun kam er also nicht mehr zu den Versammlungen! Es war so sor�erbar, daß er fortan dort nichts mehr zu schaffen hatte, sondern auf die andere Seite gehörte, er, Pelle, der der lichte Brand gewesen war. Nun. sie im Stich lassen würde er nie, das wußte er; selbst wenn er hoch empor stieg und in der Beziehung hegte er keinen Zweifel. so würde er doch immer für die alten Genossen fühlen und ihnen den Weg zu guten Verhältnissen zwischen Arbeitern und Arbeitgebern weisen. Ellen merkte seinen Ernst, vielleicht ahnte sie auch die Gewissensbisse: sie wollte ihm helfen, sich darüber hinwegzu- setzen.Wollen wir Deinen Vater nicht schon morgen zu uns nehmen?" sagte sie.Er kann ja im Wohnzimmer auf der Chaiselongue liegen, bis wir die neue Wohnung be- kommen. Es ist unrecht, ihn so da herum gehen zu lassen, und in Deiner neuen Stellung kannst Du das auch gar Nicht tun." 27. Die Unruhe nahm ringsumher auf den Arbeitsplätzen zu: niemand, der etwas in der Organisation zu schaffen hatte, fühlte sich so recht sicher. Es war offenbar die Absicht, die Arbeiter zum äußersten zu treiben und sie dahin zu bringen, daß sie den Frieden brachen.Sie wollen die Fachvereine zer- trünimern, um uns die Butter wieder vom Brot nehmen zu können," sagten die Arbeiter.Sie meinen wohl, daß das jetzt leichter geht, da uns der Winter dankbar für eine trockene Kruste gemacht hat. Aber das sollen ausgestunkene Lügen werden!" Die Erbitterung brodelte stärker und stärker in den Massen: überall waren sie kampfbereit und wünschten nichts lieber, als drauflos zu schlagen. Die Frauen weinten und graulten sich, die meisten begriffen nur, daß die Not des Winters jetzt wieder von vorne anfangen sollte. Sie unter- nahmen verzweifelte Schritte, um vorzubeugen, warfen ein 'Umschlagetuch um und rannten auf die Kontore, zu den Fabrikbesitzern und flehten sie an, doch das Unglück abzu- wenden. Vom Zentrum wurde beständig zu Ruhe und Vor- ficht ermahnt. Alles hing davon ab, daß man der Oefsentlich- keit gegenüber das Recht auf seiner Seite behielt. Pelle wurde es nicht schwer, zu verfolgen, was vor sich ging, sonst stand er ja jetzt außerhalb des Ganzen. Er ging in seinem guten Anzug und in Schuhen mit Gummizügen zur Arbeit, brauchte erst um sieben anzu'treleü, während die anderen schon um sechs da sein mußten, das verschob sofort den Gesichtspunkt. (Fortsetzung folgt.) Kalfaktor KumKe. Von Hans H yan. Die Frühlingssonne schien durch das hochliegende Zellenfcnstcr auf den Tisch des Gefangenen, der mit Zigarrenmachen beschäftigt war und eben dieRapper" auf ihre Festigkeit prüfte. Er zog die in weiße Kartontüten gehülltenWickel" zwischen den drei in schmalem Zwischenraum übereinander geordneten Brettern der Presse" hervor und sing, sie befühlend, an, die schon trockener» auszusortieren. Nun holte er sein Leinwandpaket mit denDeck- blättern" auS der Kiste, die rechts neben dem Arbeitstisch stand» und legte ein? der großen, zarten und feucht gehaltenen Tabak- blätter auf das glatte Brett, das er vor sich hatte, um mit geschick- ter Hand dieDecke" zu schneiden und in einer einzigen, flinken Bewegung den Wickel einzurollen. Er hatte eben dieSpitze" mit dem Zichorienkleister�geklebt" und die erste Zigarre, beschnitten» fortgelegt, als das Schloß in der schweren Zellentür ging wie es dem Gefangenen schien, leiser als gewöhnlich... Kam denn jetzt, so dicht nach dem Mittagsessen, der Aufseher? Da schlief der doch für gewöhnlich'n bißchen... Aber die Tür öffnete sich und herein trat der Kalfaktor. Er blieb an der Tür stehen. Der Gefangene war in einem großen Schreck beim Anblick der blauen Gefängniskleidung zusammengefahren, obwohl er solche dock» selbst am Leibe trug. Seine Hände, mit denen er an der ver- waschenen Arbeitsschürze fingerte, die beiderseitig an den Tisch- ecken festgehackt war, um das Herunterfallen des Tabakabfalles auf den Zementfutzboden zu verhüten die Hände des Gefangenen zitterten. Bumkel" sagte der Kalfaktor, sein Geficht hatte tausend Fal­ten um die Nase herum,Mensch, steh uff, wenn de mit'n Vor- jesetztcn sprichst!" Der noch junge Zuchthäusler am Tisch erhob sich zitternd. Seine matten und ein wenig entzündeten Augen hefteten fich neugierig und furchtsam auf den Kalfaktor, der in die Zelle trat, als wenn er wirklich ein Beamter und Vorgesetzter wäre. Weswejen biste hier? Wat haste jemacht?" inquirierte Bumke. Der andere atmete schwer. Aber in seinem spitzen, käsigei» Gesicht schien sich eine Art von ZNderstand zu regen. ,... geht ja keinen was an!" sagte er schließlich murrend. Ick komme in Ufftrach von 82 und 207! Varstehste? 82, da liegtPlinse", ooch jenannt.Schnauzenschulze", un 207, det i» Karl der Jroße"! Js Dich der Zusammenhang nu klar?" Der Kleinere, der die blaue Schürze jetzt losgemacht hatte vom Tisch und sie vor seinem mageren Körper mit den dünnen Händen zusammenhielt, der blickte an dem Fragesteller vorbei nach der halboffenen Zellentür, als hoffte er von dorther einen Beistand. Du mecnst, der Affe wird kommen?" Bumke lächelte und die Falten au diesem großen, kahlgeschorenen Schädel wurden unzähl- bar.»Da beruh'je Dir man, mein Sohn, der kommt nick»! Bor - leifig wenichsten nicht!... varstehste? der pennt! den hält der liebe Jott de Oogen zu, for'ne halbe Stunde!... Der kann uns nich steren!... Uff ihm kannst Du also ooch nich hosten, varstehste? ... un nu los! sage, wat Du jemacht bast, westerwejen Du hier bist!" »Wejen Einbruch..." Det iS nich wahr! Du traust da' ja keene Kommode uffzu- machen, un wenn der Schlisse! drin steckt! Jibb de Wahrheet de Ehre, sag' ick Dir, varstehste!... Denn wenn ick Dir erst an't Jedächtncs tippe, denn denkste, Du mutzt de Zijarren mit de Veens drehen!... Eule!" Und wie der Kleinere immer nur vor Angst und Empörung leise schnaufte und die Luft durch die platten Nasenlöcher blies» gleich einem unwilligen Tier, gab der Kalfaktor ihm mit der linkei» Hand eine leichte Backpfeife und meinte: Vorschuß!... vostehste!... Aber ick will Da' die Sache aleichtern!... Du bist rinjekomm, weil de Dummheeten jemacht hast mit'n kleenet Meechen!... Ja, ja, wir find janz jenau in- formeriert ieber Dir. varstehste!... sonst hätte Dir de Polente nicht injestochen!... Du bi't ebent'ne janz jewehnliche Nummer! ... Du!... Mit Dir kann de BeHeerde keene Bilder nich raus- stechen? Du vaderbst se det janze Jemälde mit Deine Fassade? Un wenn Du ooch noch so ville ansten'je Menschen in't Kittchen bringst, wo weiter nischt jemacht haben, wie'n bisken den sojenann- t»n Eijentumsbejriff varrickt! Jawoll!... halt'S Maul?... rede keen Ton!... Du bist'n Achtjroschenjunge un weiter janischt, varstehste!" Ich habe keinen anjezeigt!... ich nich?..." wollte sich der Jüngere verteidigen. Doch der Kalfaktor strich mit einer einzigen Gebärde seiner unförmigen, mit schwarzen Nägeln bewehrten Krall « jedes Wort förmlich aus der Luft.