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gefangen, ihn zu hezen! Weißt Du wohl noch, wie er aus der Flasche trant? Früher hatte er sich immer so ordentlich gehalten. Du hast ja auch gesehen, daß wir aus der St. Hans­Straße herausgeschmissen wurden, die Bewohner verdrängten uns. Hast Du das nicht gesehen? Ach, Ihr Henfersknechte! Ueberall habt Ihr ihn verfolgt, ihn wie ein Tier geheßt, auf ihn gestichelt und ihn zu Tode gequält! Wenn er in eine Wirtschaft hinunter ging, dann standen die anderen so­fort auf, und der Wirt mußte ihn bitten, zu verschwinden. Aber er hatte mehr Ehrgefühl als hr! Ich bin mit Pest be­haftet, sagte er, und eines Morgens hatte er sich aufgehängt. Ach, wenn ich doch den lieben Gott bitten könnte, daß er Dich treffen möchte!" Sie hatte keine Tränen, ihre Stimme war trocken und heiser.

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,, Das brauchst Du nicht mehr zu tun," sagte Belle bitter. Er hat mich getroffen! Aber Deinem Mann habe ich nichts Böses gewollt; die beiden Male, wo ich ihn traf, wollte ich ihm helfen. Wir müssen ja zum Besten aller leiden, und mein eigenes Glück ist auch in Scherben gegangen. Er brach plößlich in linderndes Weinen aus.

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" Das sollten sie nur sehen die Arbeiter, daß Pelle weint; dann würden sie wohl nicht Hurra rufen, wenn er kommt!" rief sie höhnisch aus.

Ich habe noch zehn Kronen, willst Du sie haben?" sagte Belle und reichte ihr das Geld.

Sie nahm es zögernd.

Das solltest Du wohl für Frau und Kinder gebrauchen, das ist ja Deine Unterstüßung aus der Kasse!"

Ich habe keine Frau und Kinder mehr. Nimm es nur!" Großer Gott! Ist Deine Häuslichkeit auch dabei drauf gegangen! Ronnte Belle es nicht einmal zusammenhalten? Ja, ja, es ist ja nur natürlich, daß der, der sät, auch erntet!" Belle ging seiner Wege, ohne zu antworten. Das un­gerechte Urteil dieser Frau betrübte ihn mehr, als ihn der Beifall der Tausende erfreut hatte. Aber es rüttelte ihn auch zu starkem Protest auf. Da, wo sie schlug, fonnte er nicht getroffen werden; er hatte nicht seine eigenen fleinen Ange­legenheiten gepflegt, sondern ehrlich und redlich der großen Sache gedient und sie zum Siege geführt. Die Gefallenen und Verwundeten hatten fein Recht, ihn anzuflagen. Er hatte mehr verloren als irgendein anderer, alles hatte er ver­

loren!

Mit kummerbelastetem Gemüt, aber wunderbar ruhig, ging er nach der Norderbrücke und mietete sich in einem billigen Logishaus ein.

( Fortsetzung folgt.)

Gift.

Von Hans han.

( Nachdruck verboten.)

Die Angeklagte war ein Mädchen von sechzehn Jahren; ein auffallend gutgewachsenes Geschöpf, mit voller Brust und starken Hüften, das selbst in der schlechtfißenden Gefängniskleidung den allerbesten Eindruck machte. Ihr Gesicht, obwohl verweint und schmerzverzogen, hatte den sanften Zauber der Hingebung, die blauen Augen blickten flehend zu den Richtern hin, für deren Objektivität man fürchten mußte, dem Reiz dieses ein wenig vollen, finnlichen Gefichtes gegenüber.

Auguste Balzer, die in der Anklagebant stand, drückte mit den beiden kräftigen Händen die Löckchen an den Schläfen fest und öffnete den Mund, diesen purpurroten, lebensvollen Mund, dem man seinen Schmerz nicht glauben mochte. Aber sie sprach nicht. Der noch junge Vorsitzende strich mit der schlanken, für einen Mann eigentlich zu schmalen Hand über den dunkelblonden Schnurr­bart; fein vornehmes Gesicht wollte unbewegt aussehen; aber die ein wenig blasierte Stimme konnte den weichen Klang nicht ver­Ieugnen, als er sagte:

Nun, etwas müssen Sie uns doch darüber sagen, Ange­Hagte!... Sie geben selbst zu, die Sublimatpastillen besessen zu haben, freilich nicht die Baldriantropfen, in denen Sie das Gift aufgelöst haben, um es der Getöteten leichter beibringen zu können. Diese Tropfen kann man aber jederzeit in einer Apotheke kaufen. Wie sind Sie denn zu den Sublimatpastillen gekommen?"

Ich habe bei Hern Mannhuber gedient, und der hatte... fie stockte schon wieder.

Der Vorsitzende niďte.

Jawohl, der hatte ein Drogengeschäft, das wissen wir. Die Anklage nimmt nun an, daß Sie aus dem Laden des Drogisten, deffen Kinder Sie ja bis in die letzte Beit noch besucht haben und wo Sie jedenfalls auch gut Bescheid wußten, das Gift entwendet

haben, zu dem Zwecke, Frau Schwarz, von der Sie sich schlecht be. handelt glaubten, aus der Welt zu schaffen?"

verneinende Bewegung. Das Mishen, offenbar wenig redegewandt, machte nur eine

Wenn dem nicht so ist, so müssen Sie uns doch jedenfalls eine Erklärung geben! Wir lassen Ihnen ja Beit! Bielleicht ist Ihnen das alles nicht mehr so im Gedächtnis.... Denken Sie doch nach!... Hat Ihnen jemand das Gift gegeben oder haben Sie es sich genommen?"

Auguste schüttelte ihren lichten, blonden Kopf.

Geduld man bewundern mußte und der es so in der Tat fertig Sie haben es nicht genommen?" sagte der Präsident, dessen bekam, das Mädchen zum Reden zu bringen. Sie holte erst noch einmal tief Atem. nein. sie wurde sehr rot, der vorige

,, Nein, Herr.

Gehilfe, der hat's mir jegeben!"

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Aha!" Der Richter lächelte liebenswürdig. Das haben Sie bei den Verhören auch schon gesagt.... Sie hatten also ein Ver­hältnis mit ihm?" Das bis in die Stirn gerötete Gesicht sentte sich immer tiefer, man sah nur die blante, blonde Haarfülle, auf welche durch die hohen Saalfenster ein Strahl der Nachmittagssonne fiel.

Wollte er Sie denn heiraten?" fragte der Vorsitzende, in dem angesichts des prächtigen Geschöpfes der Mann lebendig wurde und bielleicht, wenn auch nur unbewußt, der Neid auf den sozial Tiefer­stehenden, der strupellos genommen hatte, was sich ihm bot. Die Schöne sagte nichts.

" Da wollten Sie dem wohl auch schon ans Leben?"

In dem Gesicht des Mädchens, dessen Farben die Gefängnis­luft nicht hatte bleichen können, kam ein Lachen auf.

" Ich hab'n doch lieb jehabt!" fagte sie einfach. Dieser Richter hatte ein feines Gefühl. Schon in den regel­mäßigen Zügen der Angeklagten hatte sein Kriminalinstinkt nicht Idee des Giftmordes in das Geficht des Verbrechers gräbt. eine einzige von jenen Spuren finden können, die die grausame Ihre Stimme war klar und in den wenigen Worten, die sie hören ließ, flang die Kraft der Ueberzeugung. Aber," dachte der, der hier mit ein paar anderen über ein Menschenleben richten sollte, man lernt nie aus... und in einem Weibe kennt die Verstellung keine Grenzen!"

schwarzen Barett jetzt die Angeklagte maß, füffisanter, miß­Und so wurde der Ausdruck, mit dem der Mann mit dene trauischer, ja feindseliger.

Sie haben sich nun sehr geschickt von den drei Gehilfen, die bei Herrn Mannhuber angestellt waren, gerade den herausgesucht, den wir absolut nicht auffinden können. Er meldet sich auch nicht, obwohl ihm für ein Delikt, das er begangen, Straflosigkeit zu gesichert worden ist!"

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,, Er hat ja auch nich jestohlen," sagte das Mädchen. So?. Sie wissen das? Nun, das interessiert uns hier" nicht. Tatsache ist, daß der einzige Mensch, der Sie entlasten tönnte, nicht aufzufinden ist.... Wenn ich nun frage, wozu Sie sich das Sublimat haben schenken lassen," die Stimme des Fragen­den flang jezt härter, fein Geficht hatte die Nachgiebigkeit verloren, so werden Sie uns wohl abermals eins Ihrer Märchen auf­binden?"

Das Mädchen strafte den Mann durch sein Schweigen Lügen. Also wozu wollten Sie das Gift? Am Ende sich selbst das Leben nehmen, wenn Ihnen Ihr Liebster mal untreu wurde?" " Ja," sagte Auguste.

Jemand im Zuschauerraum lachte. Die Angeklagte wandte den Kopf und sah starr dorthin, woher das Lachen fam.

" Die Zeugen haben nun in der Voruntersuchung ausgesagt," fuhr der Richter fort, daß Sie vom ersten Tage an mit der Frau Schwarz im Streit gewesen sind."

Auguste schüttelte den Kopf.

Das wollen Sie also in Abrede stellen?"

,, Nein. ich... ich. ich nicht... Sie hat immer ge­schimpft... aber es war gar nicht so schlimm... bloß sie konnte nicht anders, wenn man tat, was sie wollte, dann ich habe mir ja solche Mühe gegeben und sie hat gesagt,' ne bessere hätt' sie noch gar nicht jehabt!"

Jest lachten mehrere Leute dort drüben, wo hinter der Zeugen bank eine dichtgedrängte Menge von dunklen Figuren wie ein riesiges Untier herüberstarrte auf ein Todesurteil wartend. Der Borfizende verbat sich jede Aeußerung. Als er wieder auf die An= geklagte blidte, weinte Auguste.

" Daran hätten Sie früher denken sollen," sagte er nun wieder milderen Tones, eh' Sie sich zu so einer schrecklichen Tat ent­schlossen."

" Ich war's doch aber nich!" Zum erstenmal fuhr sie auf, flang ihre Stimme trokig, ich hab' sie ja nich verjiftet, die Frau!": Das war dem Vorsitzenden lieb. Er konnte jetzt scharf und energisch werden. Seine Stimme flang wie Stahl, als er sagte: " Gut. Wir werden die Zeugen hören! Der Zeuge Schwarz!" Ein Mann erhob sich von der Zeugenbant, unter Mittelgröße, start, etwa vierzig Jahre alt.

Kommen Sie hierher!... so... und sprechen Sie mir nach: Ich schwöre... bei Gott dem Allmächtigen.

Die Zuschauer sahen den auffällig langen Arm, den der, die Gidesformel Saz für Sat Nachsprechende mit zwei emporgereckten Fingern hoch in die Luft hielt; sie sahen auch die großen Ohren