Nnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 67. Donnerstag den 4. April. 1912 !l?!aKl>ruit xerbottn.) 67] pelle der Gröberer. Der ßrofte Kampf. Roma» vonMartinAndersenNexZ. 35. Die letzten Verhaltungsmaßregeln der Arbeiter versetzten die Stadt in furchtbare Empörung. Sie bekamen mit einem Schlag die ganze Oeffentlichkeit gegen sich: die Presse wütete und stieß Drohungen aus. Selbst die freisinnigen Blätter machten geltend, daß die Arbeiter die Gesetze der menschlichen Humanität überschritten hätten. Aber derArbeiter" machte kaltblütig darauf aufmerksam, daß es sich für die Unter- klassen um Leben oder Tod handelte. Sie seien bereit, bis zum äußersten zu gehen; sie hätten es noch in der Hand, Wasser und Gas abzusperren die Betriebsmittel und die Lebensmittelversorgung der Hauptstadt. Da wandte sich der Druck gegen die Arbeitgeber, irgend- wo mußte man sich ja Luft schaffen. Wofür wurde denn im Grunde gekämpft? Um eine ganz einfache Machtfrage l Sie wollten allein bestimmen und Hand- und Halsrecht über ihre Arbeiter haben. Die Finanzleute, die hinter den großen Unternehmungen standen, hatten die Sache jetzt auch satt. Es wurde nachgerade eine teure Geschichte, und der Vorteil, der daraus erwuchs, wenn daS Zusammenhalten der Arbeiter zerbrochen würde, war nicht groß, sobald die Industrie gleich- zeitig vernichtet würde. Pelle sah, wie daS Werk wuchs, während er in den kleinen Straßen umherging und nach Vater Lasse suchte. Jetzt also vollzog sich die Sache von selbst, und er konnte ruhen. Eine unendliche Last war von seinen Schultern ge- nommen, und nun wollte er auch die Erlaubnis haben, die Ueberreste seines eigenen Glückes zu sammeln und endlich einmal etwas für den sein, der sich immer für ihn geopfert hatte. Jetzt wollten er und Lasse eine Wohnung zusammen nehmen und das alte Zusammenleben wieder aufnehmen: er freute sich darauf. Vater Lasses Gemüt war doch das einzige. was niemals an dem seinen zerschellen konnte, sondern das durch alles hindurch gehalten hatte: es war wie die Liebe einer Mutter. Lasse hauste nicht mehr in seinem Nest hinter der Bäcker- straße. Das alte Frauenzimmer, mit dem er zusammen gelebt hatte, war vor kurzem gestorben, und da war er ver- fchwunden. Pelle fragte sich weiter und. bekannt wie er unter den Armen war, wurde es ihm nicht schwer, die Spur des Alten zu verfolgen, die allmählich nach Kristianshafen hinauswies. Während seines Forschens stieß er auf viel Elend, das ihn aufhielt. Jetzt, wo sich der Kampf selbst abspielte, sprang ihm die Not in die Augen, und altes Mitleid quoll stark in ihm auf. Er half, wo er konnte, stampfte Auswege aus der Erde, mit seiner gewohnten Energie. In derArche" selbst war Lasse nicht gewesen, aber irgend jemand hatte ihn in arger Verfassung auf der Straße gesehen: wo er sich aushielt, wußte niemand.«Hast Du schon in den Kellern desHandelshauses" da drüben nachgesehen?" fragte der alte Nachwächter,da hausen viele in diesen schlimmen Zeiten. Jeden Morgen um sechs Uhr schließe ich den Keller auf, und dann rufe ich hinunter und warne sie, da- mit sie nicht gefaßt werden. Wenn ich dann glücklich weg bin, kommen sie herauf geschlichen. Mir ist, als hätte ich von einem alten Mann gehört, der da unten liegen soll, aber sicher bin ich nicht, denn ich habe ja Watte in den Ohren. Da- zu bin ich in meiner Profession gezwungen um nicht allzuviel zu hören!" Er ging mit Pelle hinüber. DasHandelshaus", das im achtzehnten Jahrhundert das Palais einer der großen Kristianshafener Handels- familien gewesen war, war jetzt Speicher: es lag nach einem der Kanäle hinaus. Die tiefen Keller, die sich ganz unter dem Wasserspiegel des Kanals hinzogen, lagen jetzt unbenutzt da. ES war stockdunkel und unwegsam da unten, die Luft legte sich fressend auf die Stimme. Sie leuchteten zwischen den Pfeilern herum, hier und da fanden sie ein verlassenes Nacht« lager aus Stroh. Hier ist niemand," sagte der Wächter« Pelle rief und hörte ein schwaches Räuspern: tief drinnen! in einem der Mauerlöcher lag Vater Lasse auf einer Matratze� Ja. hier liege ich und warte auf den Tod," flüsterte er.Jetzt währt es nicht mehr lange: die Ratten haben schon ange« fangen, an mir herum zu schnüffeln." Die naßkalte Luft hatts ihm die Stimme genommen. Er war überhaupt in jammervoller Verfassung, abe« Pelles Anblick belebte ihn doch so weit, daß er auf den Beinen! stehen konnte. Sie brachten ihn nach derArche" hinüber, der alte Nachtwächter trat ihnen seine Stube ab und zoz selbst zu der Witwe Johnsen hinauf. Da er de? Tages schlief und des Nachts auf Arbeit war, ließ es sich einrichten, obwohl sie nur ein Bett hatte. Als Lasse in das warme Bett gekommen war, lag er dai und zitterte: ganz klar im Kopf war er nicht. Pelle'wärmte Bier, der Alte sollte eine Schwitzkur durchmachen: von Zeit zu Zeit setzte er sich an das Bett und sah den Vater be- kümmert an. Lasse lag da und klapperte mit den Zähnen, die Augen hatte er geschlossen: hin und wieder versuchte er zu sprechen, konnte aber nicht. Der warme Trank half ihm ein wenig, das Blut strömte wieder in die toten, eiskalten Hände, und die Stinime brach sich Bahn. Glaubst Du, daß wir einem strengen Winter entgegen- gehen?" fragte er plötzlich und wandte sich nach der Seite um. Wir gehen jetzt dem Sommer entgegen, lieber Vater," erwiderte Pelle.Aber Du mußt nicht mit dem Rücken bloss liegen." Mich friert so schrecklich, beinahe so, wie ich im Winter gefroren habe; das möchte ich nicht gern noch mal durch- machen. Die Kälte greift mir so in das Rückgrat hinein. Großer Gott, die armen Leute, die auf See sind!" Um die brauchst Du nicht besorgt zu sein, sieh nur zu, daß Du wieder gesund wirst: heute haben wir Sonnenschein und schönes Wetter auf See!" Laß mir dann doch ein wenig Sonnenschein hier herein." sagte Lasse gereizt. Da ist eine große Brandmauer vor dem Fenster, Vater," sagte Pelle und beuge sich über ihn nieder. Na ja, ich werde wohl schon fertig werden, das bißchen Zeit, das rch noch iibrig habe! Und dem Nachtwächter kann es ja egal sein; der wacht des Nachts und sieht die Sonne doch nicht. Das ist eigentlich ein merkwürdiger Beruf! Aber es ist ja gut, daß jemand über uns wacht, während wir schlafen." Lasse lag da und wackelte ungeduldig mit dem Kopf. Ja, sonst kämen sie wohl in der Dunkelheit der Nacht und nähmen uns unser Geld," sagte Pelle scherzend. Ja, das würden sie wohl tun!" Lasse versuchte zu lachen.Wie steht es denn mit Deiner Sache, Junge?" Die Verhandlungen sind im Gange; gestern haben wir die erste Versammlung abgehalten." Lasse lachte, so daß es in seinem Hals siedete.Dann haben die Feinen den Most doch nicht länger vertrage» können! Ja, ja, ich habe ja Bescheid gewußt, wenn ich auch da unten krank in der Dunkelheit gelegen habe. Des Nachts, wenn die anderen hereingeschlichen kamen, erzählten sie mir davon: dann haben wir ordentlich gelacht über Deinen Ein- fall. Aber mußt Du denn nicht bei den Verhandlungen da- bei sein?" Nein, ich habe mich entschuldigt, ich habe keine Lust, da zu sitzen und an den Enden eines Paragraphen zu zerren. Jetzt will ich auch bei Dir sein, und dann wollen wir beide es uns gemütlich machen." Ich bin bange, daß wir nicht mehr viel Freude von- einander haben werden. Junge!" Du bist ja jetzi wieder ganz munter. Morgen sollst Du sehen..." Ja nein, der Tod betrügt nicht. Ich habe den Keller nicht vertragen können." Warum hast Du das auch nur getan. Vater? Du. wußtest doch, daß Dein Platz zu Hause dastand und auf Dich wartete."