Nach Eintritt der Dunkccheit— das ist recht; denn der Fall selbst beleuchtet wie ein Scheinwerfer die ganze Armee. In der Stille— auch dagegen ist nichts zu erinnern; der Rekrut Ehmers- leben braucht keine Grabrede und auch kein Denkmal. August Winnig. (Rackdruck verbolen.) Das paradoxe und das Wunderbare. Von Prof. Ernst M a ch. (Schluß.) Jede auffallende Veränderung am Futterplatz der Vögel er- regt deren Sorge; ein Blatt Papier , ein neues Brett verscheucht sie, bis ein hungriger kleiner Held es wagt, mit seinem Beispiel voranzugehen. An dem Käfig meines zahmen Sperlings darf nicht die geringste Aendcrung vorgenommen werden, ohne seine Behag- lichkeit zu stören. Wenn das Tier auf dem Tisch herumhüpft, be- achtet es den ruhig daliegenden Serviettenring nicht; sowie aber dieser durch irgendeinen Anstoß ins Rollen gerät, nimmt der Vogel sofort eine drohende oder entsetzte Kampsttellung ein und hackt mächtig auf den Ring los, wenn er in seine Nähe kommt. Mit jedem neuen auffallenden Körper kann man das Tier erschrecken und verscheuchen. Es klingt gar nicht so unwahrscheinlich, daß ein zum Angriff bereiter Tiger Reißaus nahm, als eine zu Tode erschrockene Dame ihren Sonnenschirm gegen ihn ausspannte. Oft sind die Tiere scheinbar mutig aus Entsetzen, so wenn ein kleiner schwacher Vogel die ihn fassende Hand�beißend bearbeitet. Gar manche Spinne, Raupe oder ein anderes harmloses Tierchen wird von mancher überempfindlichen Dame nur aus Entsetzen zertreten. Wenn nun ein Mensch durch eine ungewohnte Beobachtung überrascht, befremdet oder erschreckt wird, so kommt es auf seine Denkfähigkeit an, ob er wie der Wilde vor dem phowgraphischen Apparat die Flucht ergreift, oder ob er versucht, das Neue, durch das schon Bekannte, wie in den obigen Beispielen dargelegt, zu begreifen. Je nach der Stärke seiner intellektuellen Erschütterung steht er in der Mondfinsternis ein beängstigendes, unverständliches oder phantastisch ausgelegtes Wunder, oder er entschließt sich. in einer sorgfältigen Vergleichung seiner Erinnerungen die Auf- Ilärung zu versuchen, d. h. die Gleichmäßigkeit der Auffassung des Alten und des Neuen herzustellen. Für die meisten Tiere liegt in der Scheu, in der Furcht vor dem Neuen ein wichtiger, förderlicher Schutz vor unbekannten Ge- fahren, der für diese Tiere desto wichtiger ist, je seltener sie Ge- Icgcnheit haben, in einem langen Leben oft verwertbare Erfahrun- gen zu sammeln. Was nützt einem kleinen Vogel, den schon ein Habicht in den Klauen hat, noch diese Erfahrung? Wann lernt eine Fliege die Spinne und ihr Netz kennen? Sie fliegt einmal aus dem dunklen Gebüsch durch eine Lücke ins Helle. Plötzlich fühlt sie sich von Fäden, die sie kaum sehen kann, umstrickt, dann weiter eingeschnürt, und schon steckt in ihrem Leib der hohle Dolch, durch den sie ausgesaugt wird. Für solche Tiere ist wohl der Instinkt wichtiger, alles was in der Lust fliegt oder sich sonst bewegt, furcht- sam zu meiden. Jeder, der Falter und andere Insekten sammelt, weiß, wie sehr er darauf achten muß, sich nicht zwischen seine Beute und die Sonne zu stellen, damit nicht sein Schatten das Tier der- scheuche. In früher Jugend steht das Denken des Kindes jenem der Tiere sehr nahe, und auffallende Beobachtungen sind da auch von einer nicht nur intellektuellen Erregung begleitet. Ich erinnere mich, daß ich in einem Alter von etwa 3 Jahren erschrak, als ich die Samenkapsel einer Balsamine drückte und diese sich öffnend nicincn Finger umfaßte. Sie erschien mir belebt, als ein Tier. Achnlich muß ein plötzlich in einer Falle gefangenes Tier fühlen. —- Im Alter von 5 oder 6 Jahren sah ich einmal, vor mir in der Luft schwebend, ein schönes, farbiges und andersfarbig gesäumtes Blättchcn, das bald sich vergrößernd von mir entfernte, bald sich verkleinernd näherte, bald sich hob, bald sich senkte, so daß ich es nicht ergreifen, nicht erhaschen konnte. Der ganze Vorgang er- schien mir geradezu als ein Wunder, bis ich endlich merkte, daß das Ding in meinem Auge sei. Es war wahrscheinlich ein Bleu- dungsbild von einem in der Sonne glänzenden Gegenstand, das sich mit meinen Augen bewegte, mit Aenderung der Konvergenz sich näherte und entfernte. Sehr den Intellekt betäubend und störend, sonst aber auch ge- mütlich erregend, wirkt die Vorstellung von einer dem eigenen I ch analogen, unkontrollierbaren, etwa feindlichen Macht, die bei einem ungewöhnlichen Ereignis Einfluß nimmt. Wenn ich meinem zahmen Sperling, den ich nun schon 7 Jahre beherberge und der mich sehr gut kennt und mir befreundet ist, des Abends in der Dämmerung in die Nähe komme, so sträubt er die Federn, fängt an zu fauchen und sich ganz entsetzt zu gebärden, gerade so, als ab er einen Feind oder ein feindliches Phantom erblicken würde. Bei einem im Freien lebenden Sperling , der jede Nacht van irgendeinem Ungetüm angegriffen und gefressen werden kann, ist dies ein ganz natürliches Verhalten. Es scheint dies eine an- geborene ererbte Furcht vor Feinden zu fein, die ganz den Eindruck der Gespensterfurcht macht. Tie Furcht unserer Kinder im Dunkeln können wir kaum anders auffassen. Eine kleine Nichte von mir.> die bei Tag sehr lüstig und lebhaft Hcrümwettcrte, pflegte sich abends still auf das Sofa zu setzen und die Beine hinaufzuziehen. Auf die Frage, warum sie dies tue, kam die Antwort: damit ihr der„Fuchs" nicht die Füße abbeiße. Ein kleiner, sonst sehr intelli-- genter Junge gestand mir, er fürchte sich so sehr, wenn er bei Nacht das Kindermädchen schnarchen höre. Auch die Gespenstcrfurcht der Erwachsenen ist Wohl noch ein Rest jener des Sperlings nur hat letztere den Vorzug, daß sie auf realer Grundlage beruht. Ein Herr übernachtet in einem Hotel, wird aber aufmerksam gemacht, daß es in diesem Raum nicht ge- heuer sei. ein anderer sei aber leider nicht mehr zur Verfügung. Er legt sich lachend und ruhig zu Bett. Nachts erwacht er. fühlt aber, als er sich umdrehen will, seinen linken Arm festgehalten. Es gruselt ihn schon, doch gelingt es ihm noch, mit dem freien Arn» Licht zu machen. Ein Haien an der Wand hielt das Hemd und durch dieses den Arm fest. Der Intellekt und auch das Gemüt waren hierdurch entlastet.— In irgendeiner Gegend hatten die Bauern die Gewohnheit erworben, alles abzuschwören. Der ver-> zweifelte Gerichtsbeamte saßt sich ein Herz und verbindet ein- mal, einen Meineid erwartend, das beim Schwur zu berührende Kruzifix mit einer geladenen Leidener Flasche. Der Schwur unter- bleibt, und die Meineide sollen seither in jener Gegend sehr jelten. geworden sein.— Eine Kellnerin wird gehänselt, sie hätte nicht den Mut, jetzt bei Nacht aus dem Beinhause des nahen Friedhofs einen Schädel zu holen. Sie macht sich jedoch ohne Zögern auf dm Weg. Sie ergreift einen Schädel. Da tönt es mit Grabesstimme: „Laß mir meinen Kopfl" Sie greift nach einem andern. Wieder eine warnende Stimme.„Ach was. Du Teppl Du hast nicht zwei gehabt." Die stramme Maid, wohl mit den Geistern der Finsternis vertraut, hatte kalten Blutes die Gleichheit der stimmen erkannt und enteilte mit dem Schädel. Also, ruhig Blut, lieber Leser, wem» Dir auch.einmal eine Gespenstergeschichte passiert l Camille F l a m m a r i o n, der angesehene Schriflsteller, be- handelt in seinem Buch„Das Unbekannte und die psychifcheir Probleme" eingehend die Gefpenstererscheinungen, versucht sogar statistisch sl) nachzuweisen, daß die Gespenster keine Fabel sind. Das Buch hat übrigens zwei ausgezeichnete Kapitel, die jeder lescr» sollte: 1. die Ungläubigen und 2. die Gläubigen. Tie Menschenindividucn, obgleich sie nicht mehr organisch mit» einander zusammenhängen, wie die Individuen eines Polypen» stockes, der gewissermaßen nur e i n Individuum höherer Ordnung ausmacht, stehen dennoch in dem stärksten leiblichen und seclischm Zusammenhang. Sie leben mit- und füreinander, denken an- und füreinander, ja sie können einzeln weder leben noch denken. Diese merkwürdige Tatsache will erkannt und weiter erforscht sein. Ob außerdem ausnahmsweise noch ein abnormaler, sozusagen unterirdischer psychischer Zusammenhang zwischen einzelnen Individuen besteht, wie C. Flammarion behauptet, scheint mir dem allgemeinen Zusammenhang gegenüber gar nicht von Belang. Fanderlpracbe und Schuldeutfcb* Bon Karl R ö t t g c r. Das ist ein Thema, dem nicht nur die Lehrer, sondern auch die Eltern nachgerade ihre Aufmerksamkeit widmen sollten. In den Kreisen der Lehrer hat die Kinbersprache zumeist ihre Aner- kennung errungen— lvenigstens theoretisch. Sie ist„im Prinzip" anerkannt worden—• d. h. man brandmarkt die Kindersprache nicht mehr so ohne weiteres als falsche Sprache. Ausnahmen gibt es natürlich immer noch. Wieweit man aber nun praktisch der Ent. ioicklung der Kindersproche freien Lauf läßt, das kann man viel» leicht daran erkennen, welche Sprache in den Schulen heimisch ist. Leider kann ich dq� Picht Stenogramme von der Sprache irgend, welcher Lehrer in den Schulstunden bringen(was ja sicher das beste wäre), trotzdem läßt sich die Sprache der Schule in etiva feststellen. Wir wollen dabei annehmen, daß die von den Lehrern in den Unterrichisstunden gesprochene Sprache besser ist, als die man inl den Schul- und Präparationsbüchern findet. Denn die ist durchweg schlecht. Und meist so schlecht, daß man notgedrungen davon reden muß.— In einem Aufsatz von der Sprache in der„Sonde" habe ich darauf hingewiesen, welche Wandlungen in der Anschauung über den Ursprung der Sprache und über das Wesen der Sprache wir in diesen Jahren gerade durchmachen. Ich denke mir, wenn ich einmal die Kindersprache in Beispielen zusammen mit der Päda» gogensprache(das gibt es nämlich— leider!) zeige, wird manches klar werden.— Ich gebe zunächst eine Reihe Beispiele der Kindcrsprache. Hier die Erzählung eines etwa Vk-jährigen Jungen, die ich nachschrieb: ..„da läßt der Potifar 2 Pollezistcn kommen und läßt Josef ins Kittckien stecken. Der Bäcker und der Schenke kam auch rein. Der hat fürn König immer die Plätzen gebacken, und der Schenke hat den König immer Wein eingeschenkt. Am andern Morgen—(des Nachts haben se was geträumt)— da hat er gefragt, warum seid ihr so traurig. Da haben sie im das erzählt. An einen Wcinstock, da waren drei Aeste dran und drei Weintrauben. Und er hätte sie abgepflückt und in ein Glas laufen lassen— den Saft— Da hat der Josef gesagt, was das bedeuten soll, die Aeste bedeuten drei Tage und in die drei Tage kommste raus und wirst dasselbe was du gewesen bist. Und da hat der Bäcker seinS erzählt. Der Bäcker hat gesagt, er hätte drei Körbe auf dem Kopfe und in den obersten
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29 (4.4.1912) 67
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