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alle möglichen Kleinen Berstreuungen mitzunehmen. Marcel aus Frankreich nach Deutschland entflohenen Hugenottenfamilie. heftete auf jede neuhinzutretende vornehme Araberin seinen glühenden Blick. Den Frauen aus dem Volfe brauchte er feine Aufmerksamkeit zu schenken; sie waren alle fenntlich an dem schwarzen Wolltuche, das dicht um den Kopf gewickelt war und das ganze Gesicht berbarg.
Sein Bater, preußischer Ingenieur- Hauptmann, starb in Neisse , als der dort geborene Knabe zwei Jahre alt war. Nach dem ersten Schulunterricht in Breslau kam er in das Potsdamer Kadettenforps; von da nach Berlin , wo sich seine militärische Erziehung vollendete. Erst 17 Jahre alt ging er als Unterleutnant in den Garnisondienst nach Mainz . Die Nähe Frankreichs , die von dort Nun trank der Zauberer unter leisem Beifalls gemurmel herüberwehenden Stürme der Volksbefreiung bei Ausbruch der und beklommenen Seufzern Wasser aus einem Eimer. Die Julirevolution erzeugten in dem jungen ideal- romantisch verSchlange erwartete ihn aufrecht sizend, aber es war jedenfalls flüger, die Kollekte einzuhein fen, ehe er sein großes Kunststück aufführte und die Zu hau sich fortstahlen.
So stelzte er auf den Zehenissen umber und sammelte die Münzen in das Tamburin.
Marcel, der in der hintersten Reihe stand, mußte sich weit borbeugen, um ihm einen Frank zu opfern. Gegen seinen Willen streifte sein Arm eine vor ihm stehende Frauengestalt. Sie leistete Widerstand; er meinte zu bemerken, daß sie sich gegen ihn zurücklehnte, und als er auf Arabisch eine Entschuldigung murmelte, antwortete sie leise und blickte durch den Schleier auf.
Es rieselte heiß durch alle seine Nerven. Wie unsichtbar sie auch unter dem Schleier war war fein Zweifel möglich: sie war es.
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Er fing die kurzen Bemerkungen auf, die sie mit Begleiterin wechselte.
hier
ihrer
,, Wir müssen gehen, mein Kind." Bloß einen Augenblick, Mutter!" " Dein Vater würde mich töten, wenn er uns hier sähe." ,, Er sieht uns nicht."
Der Zauberer hatte die Kollekte beendet und näherte sich der Schlange, die, sich selbstbewußt frümmend, ihren geschmeidigen Körper zur Verteidigung bereit von einer Seite zur anderen wand.
Die schmachtenden Flötentöne seufzten und stöhnten eine Ewigkeitsmelodie, trostloser und unendlicher als die Wüsten der Sahara . Je nachdem ihre blinden Urheber sich aufbliesen und rot wie Buter wurden oder gefühlvoll zurückfanken, fonnte diese Melodie betteln und bitten odr sich zärtlich einschmeicheln. Jedenfalls war sie bloß bestimmt, an die besseren Gefühle der Schlange zu appellieren, wogegen die Trommel, die nun in einer neuen Zaftart lärmte, ihr den unerbittlichen Donner der Gerechtigkeit in Aussicht zu stellen schien, wenn sie sich nicht gutwillig fügte.
Einstweilen erhitte der Zauberer sich zu einer schäumenden Wut, die vollkommen echt schien. Er biß sich die Finger blutig und zerriß seine Wangen mit den Nägeln; er zerrte an seinem Seligkeitsschwanze und gebärdete sich überhaupt, als sei dies Ungetüm im Staube der leibhaftige Teufel und er selbst der Erzengel , der ihn zu entleiben habe.
Anfänglich versuchte er es, das Reptil durch eine drohende Aufzählung all der ihm zur Seite stehenden starken Mächte zu lähmen. Er beschwor es bei allen mächtigen Marabus, namentlich aber bei seinem eigenen Schutzheiligen Sidi ben Aissa, der Steine in Brot verwandelte. Bei jedem Heiligen, den er nannte, küßten seine Zuschauer ihre rechte Hand und führten fie ehrfürchtig an die Stirne, während sie nach Art der Chorfnaben einen heiligen Refrain murmelten,
( Fortiebung folgt.)
friedrich von Sallet.
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anlagten Offizier republikanische Anschauungen. Es wurde ihm au eng im Waffenrod ; und das Gefühl der Unfreiheit steigerte fich, ähnlich wie bei Heinrich von Kleist , über den seinem künstlerisch gearteten Naturell aufgezwungenen Stand bis zur Verbitterung. Was Wunder, daß der dichterische Trieb und das brennende Streben, sich selbst über die notwendigen und erzwungenen Ver hältnisse Klarheit zu verschaffen, in Gedichten und Aufsähen explodierte! Namentlich die Aufsätze waren oft satirischen Inhalts; und als Sallet sich nicht versagen mochte, eine Satire, worin dem Unmut über die Leerheit und Trostlosigkeit des militärischen Bea rufs Ausdrud verliehen war, zu veröffentlichen, da wurde er in eine äußerst strenge Untersuchung gezogen, deren Ergebnis zuleht, durch den obersten Kriegsherrn bedeutend ermäßigt, auf zweimonatige Festungsstrafe lautete. Auf der Festung in Jülich , wohin Sallet im April des Jahres 1832 abging, faßte er den Entschluß, durch ernste wissenschaftliche Studien sein poetisches Talent auszubilden und auf bedeutende Gegenstände hinzulenken. Deshalb bereitete er sich in Trier , nachdem er feine Strafe überstanden hatte, zunächst für den Besuch der Kriegsschule vor.
Hier begann für ihn eine frische, jugendliche, hoffnungsreiche Dichterperiode, die infolge seines täglichen Umgangs mit Eduard Duller , dem hier damals redaktionell und schriftstellerisch tätigen Bolfs- und Freiheitsmann, träftigste Förderung erhielt. Duller wirkte durch aufmunterndes Urteil, treuen Rat, Veröffentlichung von Gedichten, Veranlassung zu kritischen Aufsäten, nicht wenig anregend und ermutigend auf den jüngeren Freund ein. In traulicher Stube oder auf einsamen Spaziergängen wurden die Hauptgegensätze des Lebens in religiösen und gesellschaftlichen Dogmen und Traditionen gründlich verfolgt, richtige Anschauungen festgestellt, im sprühenden Jugendmute Pläne und Hoffnungen ausgetauscht.
Um seine wissenschaftliche Ausbildung weiter zu fördern, begab Gallet fich au Ende des Jahres 1834 nach Berlin . Hier, auf der Ariegsschule, trieb er vornehmlich Geschichtsstudien und befreundete sich auch mit der Hegelschen Philosophie. Die anhaltende Beschäftigung mit trodner Gelehrsamkeit übte zunächst auf die poetische Produktivität einen hemmenden Einfluß aus. Alles era schien dem Dichter grau und düster. Und da er schließlich die militärischen Spezialborlesungen meistens schwänzte", so wurde er noch vor Ablauf des Kursus zu seinem Regiment nach Trier zurückverjet.
Abermals war es hier Duller , der ihn auf die vernachlässigten Pfade der Poesie zurückbrachte. Hatte er früher die Hoffnung ausgesprochen, ausschließlich das Drama zu kultivieren, jo erkannte er jetzt seine Mission als Lyriker. Zunächst bricht in der Produktion jener Periode der Verzweiflungskampf zwischen Idee und WirkHauptsächlich in einem allegorischen Märchen lichkeit durch. Schön Irla", das innerhalb zehn Tagen entstand, und worin Sallet die ringende Idee zum Siege führt, indem er sie aus der irdischen Welt wechselnder Gestaltungen sich durch die Gewalt der Sehnsucht in die Region der reinen Geistigkeit erhebt. Sallet steht da noch vollständig im Banne der Romantiker. Er ist es auch infofern, als er sofort ins Gegenteil umspringt. Sein um die gleiche Beit geschriebenes komisch- heroisches Epos Die wahnsinnige lasche" tann nämlich als eine Travestie jenes Erhebungskampfes gelten. Auf entgegengeseztem Wege führt hier der Dichter seinen Selden bis zur allerlegten Tiefe der Entäußerung von geistigen Beziehungen hinab. Aber es kündigt sich da zugleich doch ein Ge fundungsprozeß an, der in der Novelle Kontrafte und Baradore" greifbar wird. Der erkennbare Umschung in der Gedankenwelt Von diesem deutschen Lyriker, dessen hundertster Geburtstag des Dichters wurde auch für sein ferneres Leben entscheidend. Mit auf den 20. April fällt, barf gesagt werden, daß er wirklich ein Konsequenz forderte er 1838 seinen Abschied vom Militär und nahm Boet war und daß er sehr zu Unrecht, wenn nicht ganz und gar in Breslau seinen ständigen Aufenthalt. Hier schuf er im Geiste bergessen, doch ungebührlich übersehen wurde; obgleich von eine religiöser Befreiung sein Laien- Evangelium", ein Wert, auf das zelnen seiner Dichtertaten auch noch verschiedene Jahrzehnte nach er sein ganzes Sinnen und alle seine Kräfte richtete; sowie die feinem allzu frühen Tode lebendige Nachwirkungen ausgegangen streitbare Schrift: Die Atheisten und Gottlosen unserer Zeit". find. Erst im vorigen Jahre konnten wir uns mit seiner geist- Was Sallet als Publizist und Philosoph in den Atheisten nach allreichen Novelle ontraste und Paradoxe" beschäftigen, gemeinen Grundzügen feststellte und streng entwickelte, führte er die der Verlag Hans von Weber in München mit reizenden Jllustra- gleichzeitig, auf mannigfaltige einzelne Fälle der Gegenwart bea tionen neuerdings herausgegeben hat. Dies Werkchen ist auch zogen, in seinen politischen Gedichten mit schlagendem Wit insofern merkwürdig, weil Sallet in und mit ihm die Erkenntnis und feuriger Begeisterung aus. Immer mächtiger sehen wir ihn offenbarte, daß alle Flucht in die heiteren Gefilde wefenloser nun von den sozialen und politischen Zeitverhältnissen, insoweit Ideale nichts als ein Zeugnis geistiger Schwäche und Feigheit sei und nur der geschichtliche Boden der Menschheit für die Gestaltung der Jdee als notwendiger Schauplatz angesehen werden müsse. Diese Erkenntnis bildet fortan den eigentlichen Mittelpunkt der gesamten Wirksamkeit des Dichters während der letzten Spanne feines Lebens.
Eine Betrachtung seines Konterfeis zeigt ein feines, bon langLodigem Haupthaar umwalltes Profil. Unwillkürlich werden wir an Charrisso erinnert. Und es bieten sich zwischen den beioen nicht Flok äußerliche Vergleichspunkte. Gleich Chamisso entstammte auch 8... von Sallet emner infolge der Protestantenverfolgungen
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sie den Thronwechsel in Preußen mit den dadurch veranlaßten Bea wegungen betreffen, angezogen werden. Diese seine Satiren und Kampfgefänge sichern Sallet das Recht zu, einer der bedeutendsten, weil zielbewußtesten Dichter des Vormärz zu heißen. Er schritt aus der friedlichen Ruhe einer geradezu findlichen Natürlichkeit auf den Kampfplatz der Idee und des Lebens und rang sich mit Kraft und Klarheit bis zum Frieden eines pantheistischen Bewußta seins durch. Und weil er diese rein menschliche Entwickelung in fich vielleicht unter allen Dichtergeistern feiner Zeit am bündigstem dargestellt hat, gebührt ihm ein besonderer Blak. Ich reformiere," schreibt er einmal an Duller und zertrümmere die Rüge vom