Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 78. t

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Sultana.

Dienstag, den 23. April.

Nachdruk berboten.)

Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Die Schlange nahm den ganzen Wortschwall mit Ruhe auf und wiegte sich weiter wie ein Schilfrohr.

1912

Heute hatte das Gespräch sich bloß um den französisch erzogenen jungen Arzt Si Taleb el Bidi gedreht, von dessen Intelligenz und Fortschrittlichkeit enthusiastische Franzosen fich viel versprachen, während seine vorzüglichen Verbindungen mit dem Hauptlager der arabischen Patrioten, der theologi­schen Welt, ihren Bestrebungen einer Verschmelzung der beiden Aber schon im nächsten Augenblick hatte der kazengeschmei- so weit verschiedenen Völker, die besten Aussichten eröffneten. Sige Zauberer sie gepackt und in den Kies geschleudert. Mit Sein Vater war nämlich einer der berühmtesten Professoren einer blizschnellen Bewegung, die sein Geheimnis war, strich der Bituna, der ehrwürdige und grundgelehrte Siek Ahmed er ihr über den Nacken. Sie lag wie tot. Triumphierend el Bidi, der, nach einem im Volksmunde kursierenden Ge­ergriff er sie beim Schwanz und hielt sie von sich ab wie rüchte, jeden einzelnen Band der großen Moscheebibliothek einen steifen unbeweglichen Gegenstand, wie einen funstfertig gelesen hatte und den Koran auswendig in gerader und um­geschnitten, bunten, schuppigen Stab, dessen Knauf mit zwei gekehrter Reihenfolge rezitieren konnte. falten, funkelnd schwarzen Diamanten geschmückt war.

Er wies direkt auf zwei Augen, die ebenso unbeweglich wie zwei leuchtende Edelsteine unter dem Schleier funkelten. Aber es war nicht die Angst vor der Schlange, die diese Augen blizen machte.

Während die ganze Versammlung von den Beschwörungen des Derwisch hypnotisiert stand, war Marcel in eine Welt entschwunden, in der er sich fremd fühlte, berauscht von einem Entschlusse, der ihn vor Angst schwindeln machte, und als der Kampf begann, wagte er, was er wagen mußte.

Er lehnte sich vornüber, was feiner auffallend fand, da er in der hintersten Reihe stand und nur mit Schwierigkeit den Produktionen folgen fonnte, und stahl seine Hände unter die Arme der Unbekannten, umfing sie mit bebender Bärtlich feit und zog ihre Schultern an seine Brust. Er fühlte ihr Herz hämmern, aber sie stieß keinen Laut aus und fuhr nicht zusammen. Selbst die Mutter bemerkte es nicht, als sie, wie um ihren Haït zu ordnen, leise die rechte Hand erhob und seine Linke, die unter Schleiern und Draperien versteckt war, an ihr Herz preßte.

Der Zauberer warf seinen schuppigen Stab von sich und dieser wurde wieder zur ringelnden Schlange, die ihren dun­felen Schlupfwinkel aufsuchte.

Marcel zog die Hände zurück und entfernte sich, um keine Aufmerksamkeit zu erregen; er fühlte seine Wangen glühen wie Feuer.

Ein livrierter Araber, der ihn beobachtet zu haben schien, stellte sich ihm halb in den Weg, einen drohenden Blick auf ihn heftend, den er nicht beachtete.

Hinter ihm löste der Kreis sich auf, und die beiden Frauen verschwanden wieder im Gewimmel.

Ein arabischer Herrschaftswagen hatte lange vor der Friedhofstür gehalten. Marcel sah nicht, wer einstieg; be­merkte aber, daß der erzürnte Livrierte neben dem Kutscher Plaz nahm, ehe der Wagen durch Bab el Aua dahinrollte.

Er ging heim, ohne einen weiteren Versuch zu unter­nehmen, der Unbekannten zu folgen.

Es war eine Stimme in seiner Brust, die ihm sagte: diese Frau wird mich suchen; denn sie weiß, daß ich sie nicht finden kann.

Es war nicht mehr derselbe Marcel, der am frühen Morgen von daheim fortgegangen war. Die ganze Welt um ihn her schien ihm verändert.

Er fühlte sich nicht wie der Prinz in einem beginnenden morgenländischen Märchen.

Nurs kindliche Worte sangen ihm im Ohr und dünkten ihm tief wie Brunnen.

Er fragte sich selbst, ob nicht ein neuer Ernst heute in sein Leben eingedrungen sei und die geheimnisvollen Linien feines Mannesschicksals gezogen habe.

3.

Unmittelbar nach dem Sonntagsfrühstück ging Marcel hinauf in das große fühle Atelier im obersten Stockwerk der Villa und ließ sich in einem bequemen Streckstuhl aus Korb­geflecht nieder.

Es waren keine anderen Gäste unten als der Leiter der amerikanischen Mission, Pastor Green; aber gerade dieser blonde Nazarenerkopf mit den affektierten Schmachtloden war ihm widerwärtig wie kaum ein anderer.

Selbstbewußt und allwissend in seiner Konversation hatte er Frankreich und allem französischen Wesen von jeher einen verhüllten Giftstachel zugekehrt.

Nun hatte es sich aber komischerweise ereignet, daß eben dieser seines Freidenfterums wegen verschriene Si Taleb auf Bilgerfahrt nach Mekka gezogen war, um sich von all der Besudelung, die ein Verkehr mit den christlichen Hunden nun einmal mit sich brachte, gründlich zu reinigen, und die Heim­reise über El Kuds und Stambul genommen hatte, wo er eine zwölfjährige milchweiße Cirkesserin für sich selbst und eine dito für seinen alternden Vater gekauft hatte, der bereits von fünf Frauen geschieden war, weil sie aus purer Lange­weile wegen seiner übergroßen Gelehrsamkeit, wie es hieß- leichtsinnig geworden waren.

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Bei seiner Heimkehr fand Si Taleb jedoch das größte Licht Magrebs erloschen; sein Vater war gestorben, vielleicht aus Sehnsucht nach seiner Braut.

Es war nicht mehr als dreißig Jahre her, seit jeder Tunese, mit ein wenig Selbstachtung wenigstens, eine seiner Frauen aus Stambul heimführte. Aber das französische Regiment hatte die arabische Aristokratie arm gemacht. Diese üppigen Frauen mit der reinen Perlmutterhaut waren eine feltene Ware geworden. Darum gab es manch schlaflose Nächte und Perlmutterträume in all den vornehmen Häusern, wenn man, von dem Abendgebet in der Moschee heimgekehrt, einen Räucherduft von Lobpreisungen der jungen Huri mit sich nahm, die Witwe geworden, noch che sie Hochzeit gefeiert hatte. Selbst die ältesten Zurbane saßen nachts wach und erfannen Verse, in denen sie ihre Schönheit priesen. Die, wohlgemerkt, niemand gesehen hatte.

Si Taleb wagte es aus Rücksicht auf seine französischen Freunde nicht, zwei Frauen zu nehmen.

Si Taleb, der Apostel des Franzosentums unter den Arabern, bot fast seine Mutter feil.

So hatten Pastor Greens Worte die Situation zuge­spitt, während Marcel blutrot, aber stumm diese schaden­frohe Verhöhnung seines Vaterlandes mit angehört hatte.

Seine Mutter aber hatte die Wangen verzogen, so herz­lich es ihr nur gegeben war. Richtig lachen, mit den Augen lachen konnte sie ja nun einmal nicht.-

Marcel zündete eine Zigarette an und begann auf und ab zu gehen, um seine Gedanken zu zerstreuen; wozu sich immer und immer wieder von denselben Dingen quälen lassen!

Hier oben pflegte er das Gleichgewicht seiner Seele wie­derzufinden. Seine Mutter mied das Atelier, für ihn war es das Heim. Stillschweigend war es sein Arbeitszimmer geworden, der einzige Raum in der großen Villa, in der er fich wahrhaft wohl fühlte.

Der ansehnliche Raum besaß nur ein einziges, dafür aber ungeheuer großes, hochsitzendes Fenster, das gegen Norden ging, so daß er stehend den unvergleichlichen Belvedere- Park und Afklimatisationsgarten überblicken konnte. Saß er bei seiner Arbeit oder versant er in Träume, so störte ihn keine Aussicht, denn er sah nur den Himmel. An der hintersten Wand führte eine breite Flügeltüre hinaus zu einer beschüßten, blumengeschmückten Terrasse, die gegen Süden lag. Die Villa war ja für einen Brustkranken erbaut worden. In den fühlen Wintermonaten lag der Vater hier draußen und ge­noß die Sonne, und wenn er nicht arbeitete, so wurden die Flügeltüren weit geöffnet, um das Atelier durch die ein­strömende Sonne zu durchwärmen.

Als Marcel von dem Raume Besitz nahm, hatte er seinen folossalen Arbeitstisch in vollem Mahagoni dicht unter das Fenster rücken lassen; sonst blieb alles unverändert wie au