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Marcel wollte aufstehen, um ihr feinen bequemen Stred-] stuhl anzubieten, aber sie hieß ihn mit einer abwehrenden Handbewegung sitzen bleiben.

Begleitest Du rich in den Sigungssaal?" S10ch habe nicht daran gedacht."

"

Ganz wie Du willst."

Sie ließ sich ruhig ihm gegenüber auf einem Taburett nleder und hob den Schleier. Ein langes, schmales, aber blut­reiches Gesicht mit einer Nase wie ein Pflugeisen, mit dünnen Lippen und stark vorspringendem Kinn wurde sichtbar. Das Haar, das an den Schläfen zum Vorschein kam, war fast ge­bleicht, augenscheinlich lange vor der Zeit.

" Ich fam übrigens herauf, um Dir zu sagen, daß ich Deinen Wunsch, nach Paris zu gehen, gewähren will; und dafür hast Du Pastor Green zu danken. Er meinte, die Melancholie, mit der Du mich in diesem letzten halben Jahre quälteit, jei nicht so sehr Trauer als der Uebergang von dem regelmäßigen Leben im Lyzeum zu einer Freiheit, die Du noch nicht zu benügen verstehst. Er findet es am vorteilhaftesten für Dich, wenn Du Dein Elternhaus verläßt und wieder bald möglicht in regelmäßige Arbeit zu kommen trachtest. Auch darin ist er derselben Ansicht wie Du, daß die Sorbonne vor­zuziehen wäre. In Paris wirst Du auch Gelegenheit haben, passende Freundschaften zu schließen, was Dir ja in einer jungen Kolonie, wie Tunis es ist, schwer fallen dürfte. Pastor Green bot sich sehr liebenswürdig an, Dich einer ausgezeich­neten Familie in Paris zu empfehlen, bei der Du wohnen fönntest. Er hofft sicher, daß sie Dich auf seine Empfehlung

aufnehmen wird.

Marcel saß anscheinend ruhig und hörte der Mutter zu, während eine Flut heftiger Gefühle in seinem Innern wogte. Baris zieht mich nicht mehr."

Desto ruhiger lasse ich Dich reisen."

disch bleibe in Tunis , wie Du es wolltest."

( Fortsetzung folgt.)

Gewiffen.

Von J. Potapento.

( Schluß.)

Diese Unvorsichtigkeit bestand darin, daß Waldemar rechtzeitig den Wunsch geäußert hatte, seinen Dienst als Einjährig- Freiwilliger anzutreten. Wenn das nicht gewesen wäre, so hätte man ihn vom Militärdienst ganz befreien fönnen. Er hat zwar kein physisches Gebrechen, aber es kommt ganz darauf an, von welchen Standpunkt man die Sache betrachtet.

,, Nein, das ist schrecklich." sagte die Mutter. Bedenke, ein ganzes Jahr... nein, Waldemar, wir werden nach Petersburg fahren, und ich werde es doch versuchen. Du wirst Diplomat

werden. Irgend ein zukünftiger Advokat oder Lehrer muß dienen, aber ein Diplomat leistet ohne dies genug für das Vaterland... nein, ich werde es unbedingt durchsetzen..

Waldemar brauste auf:

Mama, wenn Sie es fun, so verzichte ich auf jede Karriere und werde auf dem Lande leben

" D, das hätte noc) gefehlt! Wenn Menschen wie Du auf dem Lande wohnen wollten, wer würde dann die höchsten und ver­antwortungsvollsten Posten befleiden? Etwa Reute wie Dein Wassia? Aber glaube mir, diese würden ihr Vaterland um tausend Rubel verraten..

Mama, was reden Sie! Das kann ich nicht hören.... Aber ja, ja! Und das ist sehr begreiflich; denn tausend Rubel ist ein ganzes Vermögen für sie. Deshalb sag' ich ja, daß die höchsten Bosten nur die bekleiden können, die von ihren Ahnen materiell und geistig bedacht sind.

Jm November legte Waldemar die Uniform eines Garde­regiments an. Ach, dieser Militärdienst brachte ihm auch viele eigenartige Verstimmungen.

Hier machte er die Bekanntschaft zweier Einjährigfreiwilligen, die im letzten Jahre die Universität absolviert hatten. Wassia war nicht unter ihnen, denn er war von der Universität zur Ausbildung nach dem Ausland geschickt worden. Es waren zwei recht liebe, anständige junge Leute, der eine ein zufünftiger Advokat, der andere, Milchanow, wollte in das Ministerium des Aeußern eintreten. Sein Vater war Arzt in irgend einer einen Provinzstadt. Wir werden zusammen dienen," sagte ihm Waldemar. Ich trete eben­falls in das Ministerium ein."

Aber Sie sind Lyzeist?"

Ja, ich habe das Lyzeum absolviert; aber ich wähle die diplomatische Karriere, weil mein Vater ebenfalls Diplomat war. Es ist Tradition in unserer Familie."

Um so mehr wird sich unser Schicksal von einander unter­scheiden..."

-

Warum?"

Dienst, weil er mich interessiert; ich habe das Völkerrecht und alles Eben deshalb, weil ich keine Tradition habe. Ich wähle diesen was dazu gehört, gründlich studiert... aber Sie werden rascher vorwärts kommen als ich, und wir werden uns auf diesem Wege wahrscheinlich nie begegnen..."

Waldemar stammelte etivas, obwohl er im Innern wußte, daß der Kollege recht hatte. Er fühlte sich so verlegen, daß er sich Mühe gab, mit ihm so wenig als möglich zusammenzutreffen. Dazu famen noch andere Beobachtungen.

Die zwei Einjährigfreiwilligen wurden sehr nett behandelt. Man sprach sie per" Sie" an, reichte ihnen die Hand. Aber ihre Annäherung ging nicht über den Leutnant heraus. Die höheren General begegnete, lud er ihn sofort zu sich zum Dejeuner ein. Offiziere nickten ihnen nur mit dem Kopfe zu. Als Nelidsky seinem Sie find Lyzeist? Ja, ja, natürlich.. ich fannte Ihren seligen water... Ihre Mama ist eine geborene Karelina? Dann sind wir sogar ein wenig verwandt... Mein Cousin ist mit einer Karelina, einer Nichte Ihrer Mama, verheiratet.

Und Waldemar fühlte sich in diesen Kreisen ganz wie zu Hause; um so unangenehmer war es ihm, mit den zwei Universitätseinjäh einen verhängnisvollen Irrtum hineingeraten war, etwas, das stärker rigen zusammenzutreffen. In seiner Seele lebte etwas, das durch war als die Mama, als er selbst und die Familientradition. Er hätte sich gerne dieser schweren Last entledigt, fonnte es aber nicht, und sie verbitterte ihm alle Vorzüge und Erfolge.

Milchanow war schon einige Male im Karzer gewesen. Waldemar fam oft zu spät zu den Uebungen, wurde aber mit einem nach fichtigen Lächeln der Vorgesetzten empfangen: Was soll man mit Ihnen machen? Sie werden ja ohnehin nicht lämpfen, Sie werden mit diplomatischen Noten schießen"

Auf diese Weise fiel ihm der Militärdienst nicht schwer. Im Sommer waren Manöver, aber man gab ihm zu verstehen, daß er fich frank melden fönnte. Er hatte teine Lust im Staube au waten, und beherzigte den Rat...

Im Herbst legte er den Militärrod ab.

III.

Er trat ins Ministerium ein und begegnete Milchanow, der die. Uniform trug.

"

Warum tragen Sie die Uniform?" fragte er. Ist es denn Vorschrift? Viele tragen nur ein Sakko.

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Milchanow lächelte. Sie werden ein Salfo tragen," sagte er. " Ich verstehe Sie nicht. Wir dienen in einem Staat und in einem Ministerium

"

Gestatten Sie, daß ich Sie frage, um wie viel Uhr kamen Sie heute ins Amt?"

" Ich habe mich heute ein wenig verspätet. Gewöhnlich komme ich um ein Uhr, aber heute habe ich mich verschlafen, ich hatte keine Zeit zu frühstücken und fam um zwei."

um

"

Und was hat Jhr Vorgesetter dazu gesagt?"

Nichts. Der General ist um drei Uhr gekommen."

" Dafür ist er ein General. Mir ist befohlen worden, unbedingt elf zu kommen und bis vier, halb fünf zu bleiben." Wie? Und das Frühstück?"

" Ich frühstücke hier. Ein Butterbrot und ein Glas Tee."

"

Das ist mir unbegreiflich.

" Ja, Herr Nelidsfy, nur, weil ich keine Tradition habe..." In der Tat bemerkte Waldemar bald, Laß im Ministerium die Beamten in zwei Kategorien eingeteilt waren: die einen arbeiteten wie Lasttiere, famen zeitig, gingen spät fort, schrieben Manuskripte und übersetzten sie in allen möglichen Sprachen. Die anderen kamen, wenn sie wollten, rauchten, erzählten französische Anekdoten und taten nichts. Und als er sie näher ins Auge faßte, erfuhr er, daß diese das Lyzeum oder andere privilegierte Schulen absolviert hatten, aus vornehmen Familien stammten und mit Traditionen" ausgestattet waren. Er selbst gehört zu den letzteren.

Waldemar Nelidskys Lage war ungemein peinlich. Er hielt eine solche Arbeitseinteilung für ungerecht. Milchanow zum Beispiel war ein sehr ernster und gebildeter Mann. Er beherrschte die fremden Sprachen viel besser als alle Lyzeisten und Traditionellen", man schätzte ihn dafür und bürdete ihm die ganze Arbeit auf. Die anderen Beamten mit Universitätsbildung waren ebenfalls sehr ge­wissenhafte und gute Arbeiter. Waldemar protestierte innerlich gegen seine Bevorzugung, andererseits gefiehl ihm aber die Art feines Dienstes, das heißt der Müßiggang , sehr gut. Eigentlich konnte er auch gar nicht arbeiten, denn er war nicht an die Arbeit gewöhnt. Als er seine Gedanken einem älteren Beamten, mit dem er gut bekannt war, mitteilte, antwortete dieser:

Sie finden das ungerecht? Ich bin vollkommen mit Ihnen einverstanden."

,, Aber warum ist es so?"

Nun, jeder fann es nach Belieben ändern. Wollen Sie nicht pünktlich um elf Uhr ins Amt kommen?

Aber was fällt Ihnen ein, ich stehe um zwölf auf" 30

.. wollen Sie diese Sache nicht behandeln? Ich stelle Ihnen Arbeit genug zur Verfügung, wenn Sie wollen.. Aber ich werde dabei einschlafen oder alles verdreht machen. So

ich bin auch ganz überzeugt, daß Sie alles verdrehen würden. Aber im Ministerium gibt es viel zu tun, man muß viele Schriftstücke abfassen, jemand muß es tun? Und nun machen