Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 89.
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Sultana.
Donnerstag, den 9. Mai.
( Nachdruck berboten.)
Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Marcel wurde es nicht müde, Abdallah anzusehen. Wenn er sprach, leuchteten zwei ferngesunde Zahnreihen doppelt weiß in der dunklen Bronze des Antliges. Es war, als betrachte man ein Kunstwerk.
Als das Dunkel einfiel und farbige Laternen in dem vornehm geschmückten Marmorhofe angebrannt wurden, reute Marcel nicht mehr, zu dem Feste gegangen zu sein. Obwohl für niemanden als für Marcel Wein auf dem Tische stand der Koran berbietet den Arabern den Wein genuß, war nun, da alle satt waren, Stimmung in die Gesellschaft gekommen.
Sie sprachen leise, sie blickten mit funkelnden Blicken um sich her, als hätte die Enthaltsamkeit vom Wein die Fähigkeit in ihnen erzeugt, sich in bloßer Schönheit zu be
rauschen.
Während die Tische aus dem Patio fortgetragen werden, versammeln sich alle in dem großen Saale der unteren Etage des Vorderhauses.
Hier erscheint plötzlich Si Hamza, um seine Gäste zu begrüßen.
1912
Eigentümlich war die Form des Saales. Ein länglicher Raum, nahm er die ganze Breite des Hofes ein und erweiterte sich mitten vor der Eingangstüre zu einer fünf Meter tiefen, viereckigen Nische von der Breite des Zimmers. Legte man drei Würfel nebeneinander und den vierten auf den mittleren, so hatte man also die Kontur, die den Grundplan des Saales darstellte. Dieser hatte folglich drei Außenseiten, von deren mittlerer man die beiden anderen nicht sehen konnte. Vielleicht war eben dies die Absicht des Architekten, denn an jeder dieser Seiten stand ein pomposes venetianisches Ehebett. Es stand be- affade mit den bis an die Decke reichenden Goldsäulen und der Quer in der ganzen Breite des Saales, wandte aber seine machte übrigens die Auffassung des Arabers verständlich, der, schweren Seidenvorhängen dem Raume zu. Seine Ausstattung weit entfernt von dem Schicklichkeitsgefühl der Europäer, ein Bett ungeniert mitten in einen Prachtfaal postiert. Die ganze Nische trug den Charakter eines fofetten kleinen Damenboudoirs mit breiten weichlichen Divans auf allen drei Seiten und einem niederen syrischen Tische aus Ebenholz mit ziselierter Silbereinlegung. Den ganzen Fußboden bedeckten Teppiche in den echten antifen Farben und Mustern aus Keruans guten Zeiten. Die Wände waren mit feegrüner Fayence bekleidet und oben lief ein Fries mit Koransprüchen in ultramarinblauer fufischer Schrift. Die weiße, von einem ungeheueren Sigenüberwurf von Arabesken bedeckte Studwölbung, deren Rippen in fühn abfallenden Stalaktiten mündeten, war ein Stunstwerk für sich. In der Mitte des Saales erhob die Wölbung sich zu einer Kuppel mit Lufarnen aus farbigem Glas. Die Möbel waren nicht disharmonisch wie in den meisten Harems, die nun durch Lehnstühle und große Spiegelschränke fizilianischen Ursprungs berunstaltet werden. An einer Wand stand eine ungeheuere Truhe, grün mit knallroten Blumenornamenten; an der entgegengesezten erhoben fich zwei Etageren mit venetianischen Gläsern. Der ganze übrige Raum war frei; nur in den Eden standen ein Tischchen und ein ausgehauenes, umfangreiches Bronzefohlenbecken mit spiß zulaufendem Deckel, beide leicht zu transportieren. An der Wand über Si Hamzas Bett hing ein Prachtsattel mit in den Steigbügeln befestigten Sporen und ein Paar rote Saffianreiterstiefel. Silberdamaszierte Pistolen und veraltete Gewehre mit eingelegten Kolben und Läufen von unglaublicher Länge schmückten da und dort die mit Gewebe überzogenen Wände. Auf einem Ehrenplate hing ein funstfertig geschmiedeter mittelalterlicher Torschlüssel, einen ganzen Fuß lang, nach der Familientradition der Schlüssel zu dem taſtell in Andalusien , das das Geschlecht El Askari besessen hatte, ehe es aus Spanien vertrieben worden war. Unter der Dede lief ein schmales Regal oder Gefimse, auf welchem Kannen und Teebretter aus getriebenem Silber und blaue dekorierte Fayencebasen aus Nabeul aufgestellt waren.
Dies kommt Nur vollständig unerwartet. Er wirft feinen Bernus über Abdallahs Kopf und bringt ihn aus dem Wege; denn er hat seinen fünftigen Schwager auf eigene Hand eingeladen, um Sultana Gelegenheit zu geben, ihn zu sehen. Er war nämlich überzeugt, daß sie sich dann gleich trösten würde.
Hamza unterhält sich nur mit Marcel, den er mit Komplimenten überhäuft, so daß dieser kaum zu Worte kommt. Er fühlt sich ganz ermattet von dieser überströnten den Liebenswürdigkeit, deren Ursache er sich überdies nicht ganz erklären kann.
Die beiden kleinen Mohrinnen bieten den in kleinen Gruppen umherstehenden und erwartungsroll plaudernden Gästen Kaffee, Eiswasser und Zigaretten an.
Endlich hört man einen Wagen draußen auf der Straße halten.
Si Hamza öffnet selbst.
Er nimmt sich nur Zeit, die vier jüdischen Länzerinnen bertraulich zu begrüßen und willkommen zu heißen.
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Während Nur seine Verpflichtungen übernimmt, nimmt Si Hamza von seinen Gästen Abschied zur größten Erleichterung der Jugend. Auch er muß die Nacht in Dar sofna 6'hosna bei seiner Gattin verbringen, um seinen Chekontrakt nach dem Buchstaben zu erfüllen.
Nachdem die Tänzerinnen bewirtet worden und die drei jüdischen Spielleute angekommen waren, begann die Musik in dem großen Borderhaussaale. Aber der ungeheure leere Raum warf den Schall drei- und viermal zurüd. Der Kopf der Zuhörer wurde wie eine Schmiede, aber die Musik konnte man nicht unterscheiden. Erst weit auf der Straße draußen löste sich der Spektakel in Melodien auf, was eine Anjammlung herzensvergnügter Neger bewies, die nach dem richtigen Taft der Weise obitöne Tänze tanzten.
Nur beschloß infolgedessen, das Fest in die an den Marmorhof stoßenden Gemächer zu verlegen, was auch den weite ren Vorteil hatte, daß der Lärm nicht so sehr auf die Straße dringen konnte.
Man ließ sich in dem ersten Saale nieder, in demselben Raume, in welchem die Eltern zu schlafen pflegten.
Marcel fühlte sich immer noch wie ein Frosch im Meere; aber nachdem er sich erst entschlossen, bloß passiver Zuschauer zu sein, fand er reichlichen Stoff für seine schönheitsdurstige Seele.
Er saß abseits und beobachtete, dachte, war eitel Auge und Ohr. Das einzige, was er wünschte, war, taub zu sein, denn die Musik war barbarisch, alles dagegen, was er vor sich sah, so charakteristisch, der Raum selbst so berführerisch raffiniert, so iippig lockend wie der Orient des Märchens es nur sein kann,
Die Gäste in ihren bunten orientalischen Trachten gaben dem Bilde Leben. Sie lagen oder saßen stumm lauschend in fleinen Gruppen auf den Teppichen des Fußbodens, in malerische, anmutige Stellungen versunken, die das Geheimnis der Araber find.
Zwischen all diesen trägen Paschas fuhren die schwarzen fleinen Mädchen umber wie zwei Kobolde, die den Menschenfindern allerlei gute Gaben bringen. Für diesen hatten sie ein Glas mit Pfefferminz, für jenen Eiswasser mit Granatenfaft oder eingelegten Erdbeeren; für Ledermäuler eine Silberschüssel voll Rahat Lukum mit Mandeln oder kandierten Rosenblättern. Trotz der fürstlichen Gewänder, mit denen Sultana sie ausgestattet, waren sie Repräsentanten des Straßenwiges und der zweifelhaftesten Einfälle. Sie hatten die Aufgabe, den Saal zu parfümieren, was sie in der Weise besorgten, daß sie den Mund mit Jasminessenz füllten und ihn als Brunnen, die Gäste als Zielscheiben betrachteten. Den letten Mundvoll schluckten sie, wobei sie als äußeres Kennzeichen des brennenden Wohlbehagens, das ihren schwarzen Leib durchrieselte, die Augen verdrehten. Ihre beliebteste Kunst bestand aber in gewissen schnurrigen Zanten, die sie auf der Straße gelernt hatten. Sie schmolzen damit sämtliche Wachsmasken, bis diese sich zu einem breiten Lachen verzogen. Die Nische blieb den Kindern Israels serviert.
Auf dem einen Divan saßen der Reihe nach die vier