Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 91.
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Sultana.
Sonnabend, den 11. Mai.
( Nachdruck berboten.)
Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Ich suche Nur," fuhr Marcel fort, dessen Stimme vor Erregung bebte.
rufen.
" Ich auch," erklärte Abdallah eifrig und begann zu Es lag übrigens feine irgendwie verständliche Ursache vor, über Nurs gegenwärtigen Aufenthalt im unklaren zu sein. Aus seinem großen unbeleuchteten Gemach im inneren Hofe drang lautes Sprechen und Lachen und verriet, wo die Gesellschaft sich aufhielt und daß sie sich nicht eben langweilte. Eine der Damen sang zur Begleitung der Derbuka und unter wiederholten Lachausbrüchen ein Lied offenbar war es nicht mehr Spaniens Eroberung, die sie besang und die kleinen schwarzen Kobolde waren, wie man hören fonnte, ihrer Bossenstreiche noch nicht müde geworden.
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Auf Abdallahs Ruf schoß nur aus dem Dunkel hervor, plößlich von Gewissensbissen befallen, als er die Stimme Marcels hörte, dessen Unterhaltung der Alte ihm so besonders ans Herz gelegt hatte.
Er begleitete Marcel weit hinaus durch die Stadt, um ihn bergessen zu lassen, welch schlechter Wirt er gewesen, durch ein Labyrinth schmaler stummer Gassen zwischen weißen Hausmauern, die so gut wie fensterlos waren. Jede Tür war offen und von einer Lampe erleuchtet. Drinnen saßen Frauen in allen Hautfarben. Nuc kannte sie alle beim Vornamen und wechselte mit jeder ein paar Worte.
Wir hätten eine anderen Weg gehen können," meinte Marcel mißmutig.
Ja, aber dieser ist der kürzeste."
Das war nicht eben die nackte Wahrheit, aber Nur legte Wert darauf, sich in dem einzigen wachen Viertel der Stadt in Gesellschaft eines vornehmen jungen Franzosen zu zeigen. Nach einer langen Pause fragte Marcel: Sind Beduinenweiber in Deines Vaters Haus?" Warum frägst Du danach, Marcel?"
Es kam mir vor, als hätte ich eine flüchtig gesehen." „ Das ist Mabruka gewesen, die im Hause Dienst leistungen berrichtet. War sie nicht groß und schlank und trug sie nicht große Ohrringe?"
„ ša.
"
Bei Bab el Hrada nahm Nur Abschied, um eiligst zu seinen Gästen und Damen heimzukehren.
Marcel ging die Hälfte des Weges nach Karthago , ehe er sich entschließen konnte, heimzugehen und sich niederzuLegen.
Einsam unter dem leuchtenden Sternenhimmel durch lebte er den Abend nochmals in seiner Phantasie.
Der ungestüme Kuß, den er empfangen, war der erste, den er je von einem Weibe erhalten hatte.
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seine leibliche Größe wirkte, hatte ihm gern geglaubt. legt bat er um das Darlehen mit einer gewissen imponieren den Ruhe, die zu verstehen gab, daß er ihr seinerseits unschäzbare Dienste anzubieten hätte. Sie bat sich Bedenkzeit aus, aber nach einer langen Unterredung mit Pastor Green und einer flüchtigen Untersuchung von Hamzas Vermögens verhältnissen fand sie sich genügend sichergestellt und willigte ein. Der Mission zuliebe wollte sie sich einen so mächtigen lockenden Fata Morgana als ein großer Christoffer der Jetzt Mann zu Dank verpflichten. Schon sah sie ihn in einer ver zeit an der Spize einer unübersehbaren Schar befehrter dismus. Erst als alles geordnet war, erzählte sie die Sache Turbans auf dem Wege zu dem alleinseligmachenden MethoMarcel; dieser antwortete nur in einem stillen verständnis. vollen Lächeln, welches sie verfolgte und mehrere Tage
nervös machte.
griff ob des schier unerhörten, stet3 steigenden Preises, den Während all die schmachtenden Freier Verwirrung er man für die Schöne forderte, hatte Hamza mit einer föniglichen Armbewegung das Geld auf den Tisch gelegt, und der funkelnde Rubin , den alle besigen wollten, war in seinen Turban gefallen.
Bomp und Pracht ihren Einzug in seinem Hause gehalten, Den vorigen Abend hatte die junge Cirkesserin mis aber die strenge Tradition gestattete ihm nur, seine Gattin zu begrüßen und seine Augen einen furzen Moment mit ihrer blendenden Schönheit zu füllen.
Die Nacht verbrachte er in einer arabischen Badeanstalt, die er für sich und seine neidischen Freunde gemietet hatte.
Den ganzen Tag mußte 3leira in ihrem Brautpuß auf einem Throne sizen, um den Frauen des ganzen Viertels, bekannten und unbekannten, Gelegenheit zu geben, ihre Schönheit zu bewundern.
Endlich aber war die Sonne so gnädig gewesen, unter
zugehen.
Mabruka kam aus der Brautkammer und meldete Hamza, Zleira sei im Bette.
Bleira erwartete ihn!
Bleira war sein!
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Sultana war eben von ihrer Tante heimgekommen, wo fie zwei Tage mit der Mutter gewohnt hatte, denn es ziemte sich nicht, daß ein junges Mädcher bei einer Hochzeit zugegen war.
Sie war blaß und mager geworden. Seit Nurs Gesellschaft war kein Schlaf in ihre Augen gekommen.
Alles Unglück der Welt hatte sich gegen sie verschworen, und jedes einzelne traf betäubend wie ein Keulenschlag vor den Kopf.
Aerger als alles aber war die Enttäuschung über Marcel. Sie hatte darauf gebaut, daß ein Wink, ein Wort von ihr genügen würde, ihn alles aufgeben zu lassen, um mit ihr zu fliehen, gleichviel wohin, nur fort von dem Elternhause, fort von diesem Vater, den sie haßte.
Sie hatte sich als Beduinerin gekleidet, um die Flucht Dieser Kuß hatte ihn abgestoßen. Er wollte ihn ver- zu erleichtern in dieser Tracht konnte sie auch nachts überall gessen. Aber er vermochte ihn nicht aus den Gedanken zu umherwandern, ohne Aufsehen zu erregen. bringen.
Ach, wäre doch sie es gewesen, die sich nicht mehr sehen ließ! 8.
Die Sonne war kaum untergegangen, als Si Hamza dem ganzen Hause Ruhe gebot; er wollte seine Gattin zum ersten Male besuchen.
Er fühlte sich glücklich wie der Großmogul selbst. Seinem Willen war Genüge geschehen.
Er hatte den Sieg davongetragen über sein eifersüch tiges Eheweib, von dem der Kadi in gerechter Weisheit ihn befreit hatte.
Er hatte über den Juden Bembaron triumphiert, indem er sich ohne dessen Hilfe die zehntausend Frank verschaffte. An dem dem Feste folgenden Tage hatte er Frau Barrière einen Besuch abgestattet. Er hatte sie von dem großen Einfluß unterhalten, den er auf die arabische Berölferung ausübte, und Frau Barrière, auf die vor allem
Sie hatte ihm ihren Mund gereicht und war verschmäht worden. Er, der sie in einer offenen Versammlung an seine Brust gezogen, sie hierdurch den größten Gefahren ausgesetzt hatte, er stieß sie nun verächtlich von sich!
Daß Marcel sie nicht erkannt haben konnte, war ein Gedanke, der ihr gar nicht kam.
Ihre Verliebtheit schlug jäh in das Gegenteil über. Marcel war ebenso feige, wie er dünn, ebenso verderbt, wie er bleich war. Er hatte mit ihr gespielt, hatte bloß die süße Spannung eines Augenblicks genießen, ihre Sehnsucht weden, ihr Verheißungen machen wollen um sie dann zu verraten und feige seiner Brantwortung zu entfliehen.
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Diese Gefühle erhielten Nahrung, als sie doch ohne ihren Herzenskummer zu verraten aufs neue Gelegenheit hatte, mit ihrer Mutter zu sprechen. Als es an den Tag kam, daß einzig und allein Madame Barrière Hamza berholfen hatte, Bleira heimzuführen, um deretwillen Dierida ver stoßen wurde.