— 3 Präsident: Wenn ich den Herrn Kriegsminister zu unter- brechen habe, so hat er zu schweigen(viele Stimmen rechts: Ohl Oh I Lebhaftes Bravo lmls), und zu dem Ende bediene ich mich der Glocke, und wenn der Herr Minister dem nicht Folge geben sollte, so verlange ich jetzt, mir meinen Hut zu bringen. KriegSminister: Jch habe gar nichts dagegen, wenn der Herr Präsident seinen Hut sich bringen lafien will, ich muft aber bemerken...(Große Unruhe und laute Hurufe von links.) Meine Herren, 360 Stimmen find lauter als erne. Ich verlange mein konstitutionelles Recht. Ich kann sprechen nach der Verfafiung. wenn ich will, und es hat niemand das Recht, mich 311 unterbrechen. Präsident(unter wiederholtem Zeichen mrt der Glocke): Ich unterbreche den Herrn Kriegsminister. Wenn der Präsident spricht, so hat hier jeder zu schweigen, und jeder, der hier im Hause ist, sei eS hier unten, sei eS auf den Tribünen, er hat dem Präfidenten Folge zu geben, und wenn hier wirklich etwas vor- gekommen wäre, was gegen die Ordnung des HauseS verstoßen hätte, so würde es meine Sache gewesen sein, das zu rügen. Ich habe das nicht getan, denn der Herr Borredner hat sich in seinem Recht befunden.(Bravo I links. Zischen rechts.) Jetzt erteile ich dem Herrn Kriegsministcr das Wort. . K r i e g s m i n i st e r: Ich muh bemerken, daß ich wiederholt protestiere gegen das Recht, welches der Herr Präsident sich der königlichen Regierung gegenüber nimmt. Ich meine, die Be- fugnis deS Herrn Präfidenten geht, wie schon bei einer früheren Gelegenheit gesagt worden ist. biS an diesen Tisch und nicht weiter I (Heftiger Widerspruch links und Zischen rechts.— Große lln- ruhe.— Der Vizepräsident von Bockum-Dolffs bedeckt sein Haupt und alle Mitglieder erheben sich, links unter lebhaftem Bravo!) Präsident von Bockum-DolsfS: Das heißt, die Sitzung ist für eine Stunde vertagt. ." Der auffäsfige Kriegsminister wurde nicht von Polizisten aus dem Hause geschleift. Vielmehr das Haus wurde hinaus- geschleift. Der Kriegsminister hatte die Szene provoziert. Man suchte einen Anlaß, um den Landtag nach Hause zu schicken. Und man wollte da? Parlament beseitigen, um— nach preußischer Art— in RechtSkormen das Gesetz zu verhöhnen. Die Preßfreiheit sollte gesetzwidrig aufgehoben werden. Die preußische Verfassung gestattet— während der Nichttagung— königliche Notverordnungen mit gesetzlicher Kraft. Folglich ließ man eben das Abgeordneten- hauS— nicht tagen. Das Staatsministerium Bismarcks erklärte, daß die Minister nicht unter der Ordnung des Hauses ständen. Wilhelm I. erließ am 20. Mai eine allerhöchste Botschaft, in der eS.der Würde Unserer Regierung nicht für entsprechend erachtet" wurde, daß.Unsere Minister als Vertreter der Krone den Verhandlungen des Hauses, unter LerzichUeistuna auf die rechtlich zustehende und verfasiungS- mäßig verbriefte selbständige Stellung gegenüber dem Hause der Abgeordneten und dem Präsidium desselben, beiwohnen." Am 27. Mai wurde der Landtag aufgelöst. Am 1. Juli erschien die P r e ß 0 r d 0 n n a n z, in der das Ministerium die Befugnis er- hält— entgegen Verfassung und Preßgrsetz— mißliebige Preßerzeugnisse zu verbieten:.Indem den verwerflichen Ausschreitungen einer zügellosen Presse Einhalt getan wird, wird die Preßfreiheit selbst auf den Boden der Sittlichkeit und der Selbstachtung zurück- geführt werden, auf welchem allein sie gedeihen und sich dauernd befestigen kann." Ein preußischer Minister lehnt sich gegen den Präfidenten auf— der Landtag wird aufgelöst— die Presse gewaltsam und gesetzwidrig unterdrückt. Das ist die wirklich preußische Auffassung von wirklichem Parlamentarismus. Aber dieser Fall erhält sein überbietendes Gegenstück. Nachdem die schrankenlose Schimpffteiheit der Minister fest- gestellt, wird den Abgeordneten die— Immunität ihrer parlamentarischen Reden entzogen; wird auch versucht, die Präsidial- gewalt zu vernichten._ Die CHabrrcbdiiUcbfccit und ihre Berechnung 1654 war eS, da wandte sich ein ftanzöfischer Kavalier de M e r6, der— wie eS auch heutige Kavaliere tun— dem Glücks- spiel mit Leidenschaft huldigte, an seinen Freund, den berühmten Mathematiker und Philosophen Blaise PaScal und bat ihn, doch berechnen zu wollen, wie der Spieleinsatz zu teilen ist, wenn zwei Spieler bei beliebigem Stand« eines Spieles übereinkommen. es abzubrechen. Derartige sich auf das Glücksspiel und die Wahr- scheinsichkeit deS Gewinnes oder deS Verlustes beziehende Probleme traten bereits bei den italienischen Mathematikern des 15. und 16. Jahrhunderts auf. Aber nur bei Pascal und seinem Freunde F e r m a t gewannen sie eine systematische Durcharbeitung, die dann eine Grundlage bildete für einen neuen Zweig der theoretischen Mathematik, die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Diese Rechnungsart hat heute eine Bedeutung, die sich der gute de Meie wohl nie träumen ließ. Statistik und Versicherungswissen- schast mit ihren zahlreichen Verzweigungen stehen und fallen mit 5— den Sätzen der W.-R. Die Methodik der experimentellen Wisien- schaften oerdankt der W.-R. ihre Theorie der Fehler; die Mechanik und theoretische Physik bauen darauf manche ihrer weit- tragendsten Theorien, und neuerdings findet die W.-R. ein weites Anwendungsgebiet in den noch gor nicht in ihrer ganzen Wichtigkeit abzuschätzenden Untersuchungen über die Gesetze der Strahlung und der Energieverteilung. Und'doch— trotz dieser glänzenden Stellung— gibt es wohl kaum einen anderen Zweig der Mathematik, der in seinen Grund- lagen anscheinend unsicherer wäre und an den.gesunden Menschen- verstand" beleidigendere Forderungen stellte als gerade die W.-R. Schon der Name allein. W.-R, erweckt die schlimmsten Zweifel. Die Wahrscheinlichkeit ist doch inr Gegensätze zu der Gewißheit das, was wir nicht sicher kennen, und das Unbekannte soll sich berechnen lafien I Wie eS im einzelnen trotzdem geschieht, kann der mathematisch interessierte Laie— mit elementarsten Vorkennwifien ausgestattet— in dem soeben erschienenen Werkchen: Otto Meißner , Wahr- scheinlichkeitsrechnung(Leipzig , B. G. Teubner. Preis 86 Pf.), nachsehen und nachprüfen. In Nachfolgendem wollen wir weniger den Inhalt des Werkes in seinen Einzelheiten wiedergeben— das wäre un- möglich—, als vielmehr durch Analyse einige pafiend gewählte Beispiele zeigen, daß die Sätze der W.-R., weit entfernt davon. einen bloß mathematischen Sinn zu haben, über die Natur der wifienschaftlichen Forschung überhaupt helle« Licht verbreiten. Nehmen wir gleich das klassische Problem der W.-R., daS sogenannte.Würfel-Problem". Wir würfeln mit einem Würfel; wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine be- stimmte Zahl, sagen wir 6, erscheint? Die einfachste Ueberlegung, die wohl von allen Würfelspielern, sei eS auch unbewußt, vollzogen wird, ist die: eine von den sechs Zahlen erscheint gewiß. Da jedoch kein Grund vorliegt, der das Ericheinen der einen Zahl vor den anderen begünstigt, so läßt sich auf die eine ebenso gut wetten wie auf jede andere. Die Wahrscheinlichkeit für jeden der sechs Fälle ist gleich groß. Die Mathematik kleidet diese Ueberlegung in zahlen- mäßige Form, indem sie sagt, daß die Wahrscheinlichkeit dafür, daß eine bestimmte Seite des Würfels bei dem einmaligen Würfeln er- scheint, gleich ein Sechstel ist. Was bedeutet nun dieser Satz für die WirNichkeit? Wollen wir damit etwa sagen, daß bei sechsmaligem Würfeln alle sechs Seiten nacheinander unbedingt erscheinen inüfien? Eine solche Behauptung würden wohl alle Spieler belächeln. Wohl aber läßt sich bei einer genügend großen Anzahl von Fällen dieser mathematische Satz in die Erfahrung übersetzen. Würfeln wir etwa 6000 Mal— und derartige Proben wurden tatsächlich verschiedentlich vor- genommen—, so kommt jede von den sechs Seiten beinahe KXX) (es können 690 oder 1010 sein) Mal vor. Was für eine Zauber« kraft wohnt also in jenem Satze, da er uns gestattet, derart in die Zukunft zu schauen? Um diese Frage dreht sich schließlich jede statisttiche Berechnung. Die erschöpfende Antwort daraus ist jedoch nicht so einfach, wie es den Anschein haben mag. Indes kann uns die Praxis deS Würfel- spiele? einige Winke für die Beantwortung geben. Der Spieker verlangt einen.guten" Würfel, d. h. einen Würfel von regelmäßiger geometrischer Gestalt und auS homogenem Material, das gleichmäßig nach allen Seiten hin verteilt ist. Er sorgt für eine möglichst ebene horizontale Fläche, auf die der Würfel fällt, er der- langt, daß aus dem Becher und nicht aus der Hand gewürfelt wird. kurz, er sucht alle G r u n d b e d i n g u n g e n des Spieles möglichst unveränderlich zu machen. Innerhalb dieser fest umgrenzten und vorbestimmten Bedingungen haben nun den freien Spielraum alle jene unzähligen Kräfte und Einflüsse, die das Ergebnis des Würfelns jedesmal so und nicht ander« gestalten. Diese Kräfte kennen wir im einzelnen nicht, wohl aber wissen wir, daß sie so vielfältig durcheinander gemischt sind,— man denke nur an die unfaßbar vielen Möglichkeiten für die Lagerung des Würfels im Becher I*— daß für jedes einzelne der sechs Resultate jede mögliche Kombination dieser Kräfte gleich gut in Frage kommt. Wir nennen dann diese Fälle gleich möglich. In der Bestimmung der gleich möglichen Fälle, in der eingehenden Analyse jenes eigentümlichen Gemisches von Wissen und Nichtwissen, das wir soeben an dem Beispiel des Würfelspieles kennen gelernt haben, besteht eine der schwierigsten Ausgaben der wissenschaftlichen Forschung, bei der der.gesunde Menschenverstand" sich des öfteren die ärgsten Blöße» gibt. Der nächste Schritt besteht nun darin, die Anzahl der sogenannten.günstigen Fälle' zu bestimmen. In dem oben besprochenen Beispiel mit einem Würfel war die Anzahl der möglichen Fälle 6, davon nur der eine dem Erscheinen der im voraus bestimmten Zahl günstig. Aendern wir, um mit den Begriffen des möglichen und günstigen Falles uns vertrauter zu machen, die Bedingungen des Problem« und stellen nunmehr folgende Frage: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit dafür, daß bei zwei- m a l i g e m Würfeln mit einem Würfe- die im voraus bestimmte Zahl— nehmen wir wiederum 6— zweimal erscheint? Die Anzahl der möglichen Fälle im ersten Wurf beträgt 6; jeder davon kann mit jedem der 6 möglichen Fälle deS zweiten Wurfes eine Kombination auS 2 Zahlen bilden. Die Anzahl der möglichen Fälle bei den 2 Würfen ist also 6 X V--- 86. Davon ist nur der eine Fall günstig, die gesuchte Wahlscheinlichkeit ist'/gg. Man kann demnach die mathematische Wahrscheinlichkeit eine? Ereignisses alS eine« Bruch
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29 (16.5.1912) 94
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