Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 101.

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Sultana.

Mittwoch, den 29. Mai.

KNachdrud berboten.

Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Kam Abdallah von der Zäuia heim, so brachte er den Lageseinkauf mit und saß in der Küche und fah zu, wie Ma­bruka und Sultana das Mahl bereiteten.

Zweimal des Tages tamen vier alte Tempeldiener aus Ser Bäuia, um in Abdallahs Hauſe ihre Kustusmahlzeit ein­zunehmen.

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doch der höchsten von allen. Hier wohnte das fab man= fein Geschlecht von altem Blute, dessen Macht und Kultur ursprünglich auf Erde, das heißt auf Geld gegründet ge­wesen; ebensowenig ein Eräger hoher Bürden, wie die Tra­Dition je in jeder Religion schafft und anerkennt. Nein, der dies Haus baute, war ein Mann des Volfes, ein Beduine wie die anderen, aber von eben diesem Volke bezeichnet als einer von Allahs   nahen Freunden. Was war solch ein niederer Bauer im Vergleich zu einem Caïd von altent Namen. Und dennoch! Was bedeutete selbst der Ben gegen. über dem, der in dem um Allahs   Thron geschlossenen festen

Selbst wenn Abdallah in seinen handgeschriebenen Kom- Ringe stand? So streng wie in des Vaters Tagen war es allerdings mentaren des Storans las was eine seiner liebsten Be­schäftigungen war, so hatte er Sultana bei sich und ver- nicht mehr. Abdallah hatte gemildert und verschönt; er war Schmähte es nicht, sie über die hohen Dinge zu belehren, die ia von anderer Generation. Welcher Bettelmönch schrie wohl seine Gedanken füllten. Oft geschah es hierbei, daß er in ie feine Armut so laut aus, daß seine Nachkommen nicht einen geradezu efstatischen Zustand versant, in welchem alles Paläste bauten! Wenn Sultana ihrem Manne nicht Gesellschaft leistete, um ihn her verschwand. Oder er saß stundenlang da und starrte vor sich hin, als sei er bei Allah   und pflegte Nats mit gab das Haus ihr genug zu tun. Und noch mehr die Zäuia. ihm über die Zukunft der Welt. Dann haftete auch Sultanas Blid unbeweglich an ihm wie an einem Gößenbilde. Seit Es war mit den vier festen Pensionären nicht abgetan. dem Tage des Einzugs empfand sie eine grenzenlose Ehr. Alle, die in Abdallah einen Vater sahen, wußten, daß im furcht vor ihrem Manne. In der bloßen Hingabe unter Verborgenen eine Mutter für sie wirke, seine kleine find­seinen Willen war der Beigeschmack eines saeuen und fenti- liche Gattin, die sie nie zu sehen bekamen, deren leicht mentalen Rultus, welcher ihre Seele mit einer unbekannten vibrierendes Herz sie aber auf vielerlei Art fühlten, so oft Süße, einer Schwärmerei füllte, deren innerftes Wesen ihr fie dessen bedurften. selbst ein undurchdringliches Mysterium war. Was in anderen Religionen die frankhaft exaltierte Nonne fühlt, wenn sie die Hostie zwischen die Lippen nimmt, das empfand Sultana in gewissen Augenblicken ihrem Manne gegenüber. Aber wie hätte ein vierzehnjähriges Kind sich über so seltene und kom plizierte Empfindungen Rechenschaft geben fönnen!

Nur des Abends war Sultana häufig auf Mabruka allein angewiesen.

Bei den Zusammenfünften der Brüderschaft in der Bäuia, die sich unter Gebeten und liturgischen Tänzen bis weit in die Nacht erstreckten, war Abdallah unentbehrlich.

An anderen Abenden empfing er Scharen von Freunden und Brüdern, von Zureisenden, die seine Gastfreundschaft suchten, oder Bedürftigen, die um Nat oder Almosen baten. Denn sein großes Vermögen und die reichen Einkünfte, die aus seiner Zäuia flossen, erlegten ihm große Verpflichtungen auf: er hatte ihnen allen ein Vater zu sein. Von diesem Strom von Menschen sah Sultana nichts. Sie gelangten nicht weiter als zur Driba, dem großen Saal des Vorder­Hauses, von dem aus in das Heiligtum des Hauses, den Hof und die darin mündenden Gemächer kein Zugang führte. Das Haus selbst hatte Sultana enttäuscht.

Obwohl Abdallah viel reicher war als ihr Vater, war sie besseres gewöhnt.

Es gab in diesem Hause nur einen Hof, und der Säulen gang fehlte, obwohl er hier, wo die Sonne weit heftiger brannte als in Tunis  , gute Dienste getan hätte. Die Stuben waren niedriger, und statt der reichgeschmückten Balfen, die die schmalen fänglichen Seitengemächer ihres Vaterhauses trugen, begnügte man sich hier mit rohen, unverarbeiteten Palmenstämmen.

Im Hofe vermißte sie die traulich plaudernden Spring­brunnen, den verfeinerten Sinn für Blumenpracht und archi­tektonischen Schmuck. Mitten im Hofe recte eine herrliche Phönirpalme mit rosenumoundenem Stamm ihr Haupt hoch über das Haus eine andere Zierde gab es nicht.

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So war auch die spartanische Ausgestaltung der Ge­mächer Ausdrud eines strengen notdirftigen Bauernge­schmacks, der von einem Hause nichts Besseres fordert als Herberge für die Nacht und keinen bequemeren Sig fennt als die bloße Erde. Die wenigen schwerfälligen Möbel, die weit verstreut standen, waren leicht zu transportieren, und die Fayence der Wände vertrug Wasser, so daß man sie sowohl zum Schutz gegen Ungeziefer und Insekten wie gegen die Size der Sommermonate- mit Eimern falten Wassers überspülen konnte.

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Alles in diesem Hause wies darauf hin, daß es der Sis einer besonderen Art von Aristokratie war, der einfachsten und

Es wurde in Abdallahs Hause für viele Münder gekocht, und viel Zeug wurde genäht und fortgetragen. Mabrufa fannte den Weg zu manch armer Stube oder verrauchter Gurbi, wo Kranke lagen und schmachteten.

Sie tam zurück mit leerem Halfatorbe, aber den Kopf voll von allerhand Schicksalen, die Sultanas Phantasie be­schäftigten. In dem geschlossenen Hofe, in dem die junge Herrin saß, war Mabruka das Auge, durch das sie die Welt beobachtete. Und wiewohl eingesperrt wie in einem Ge­fängnis, wußte sie bald mehr von Gaffa als alle diejenigen, die da draußen frei umherwandelten.

Sie merkte bald, daß es kein Nein in Abdallahs Munde gab, wo es zu helfen gab. Ein solcher Reichtum berauschte fie und gab den beiden Gatten zugleich gemeinsamen Stoff zur Erörterung, menschliche, irdische Interessen, die sie er­wärmten und einander ganz nahe brachten. Und wie selig war es nicht zu geben!

Sie fühlte, wie eigenes Glück aus ihrer Tätigkeit sprog. Es erlaubte ihr so vieles zu vergessen, was ja doch nur in Tränen endete. Und es entflammte ihre kindliche Energie, so daß sie nach neuen Aufgaben auszuspähen begann, noch ehe fie fie riefen.

In all diesen praktischen Dingen gab der mehr geistig veranlagte Abdallah seiner Frau ganz freie Hand. Vierzehn Jahre alt, hielt sie Menschenwohl und wehe in ihren kleinen Händen.

Aber das erzog und adelte; reifte und vergrößerte ihren Gesichtskreis.

Niemals hatte Menschenwohlfahrt in Gafsa   sicherer und in weicheren Händen geruht.

Sie hatte unter manch anderen Sorgen einen Herzens­fummer. Sie entbehrte ihre Raße, die sie der langen See­reise nicht hatte ausfeben wollen,

Abdallah brachte ihr Turteltauben und Stieglite in ver. goldeten Bauern. Aber was half dies! Die konnte tie ja nicht in ihren Armen halten und an ihre Brust drücken und an ihre Wange schmiegen. Sie konnte sie nicht mit in ihr Bett nehmen. Sie saßen nur da und piepten und wollten hinaus und machten ihr das Herz schwer.

Da kam aber Abdallah eines Morgens von der Zäuia heim mit einer Gazellenkig, die ein durchreisender Nomade ihm als Geschenk mitgebracht hatte.

Die Gazelle hatte Augen wie Nur und einen so weichen Mund! Sie durfte im Hofe umherspazieren wie ein Freund der Familie. Alle die Geheimnisse, die nicht einmal Mabrufa hören durfte, hörte sie so teilnehmend an. Es war cine Ga selle von Herz und Gesinnung und ungeheuer weltflug. Die Stage, das große Herzeleid, war in acht Tagen treulos ver­