Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 112.

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** Sultana.

Donnerstag den 13. Juni.

( Nachdruck berboten.)

Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Sultana wollte nicht gehen, ehe sie Frau Barrière ge­sprochen hatte. Auch Pastor Green näherte sich apostolisch lächelnd, um die Damen zu begrüßen. Er witterte schon eine Befehrung.

Sultana erzählte, daß sie auf Besuch in Gaffa sei und einige Wochen bleibe.

Sie rechnete darauf, daß Frau Barrière diese Nachricht an Marcel weiterbefördern werde.

Das ganze Haus nahm lebhaften Anteil an Abdallahs Rummer über seine finderlose Ehe; die Eltern sahen ja vor­aus, daß dies früher oder später mit einer Verstoßung enden müsse. Und wer würde dann die Unfruchtbare heiraten?

Lalla Dierida hatte nicht viel Butrauen zu Si Sadok, den Sultana besucht hatte. Das war ja bloß ein unwissender Bauernheiliger, ja vielleicht noch obendrein ein rechter Schwindler.

Nein, da hatte man ja Sidi Fathallah in nächster Nähe bon Tunis . Er war sogar jezt noch, lange nach seinem Tode, ein anerkannter Spezialist in diesem Fache. Diejenigen, denen nicht einmal er helfen konnte, mochten sich jede andere Mühe sparen. Für sie war alles aus! Allahs Ungnade lastete auf ihnen!

Es wurde also beschlossen, zu Sidi Fathallah zu wandern. Sultana bestimmte, daß es an einem Freitag sein solle.

An frühem Morgen waren fie auf und fuhren im Wagen auf der Straße, die sich zwischen dem Salzfee El Bahira und dem Kirchhof Sidi bel Hassen hinzieht, gegen Hammam Lif .

Nach einer halbstündigen Fahrt stiegen sie aus und wandten sich an einen Araber, der an der Straße ein fleines dürftiges maurisches Café für Kameltreiber und ähnliche Leute unterhielt.

Bei ihm opferten Sidi Fathallah einen Hahn, worauf die kleine Tochter des Wirtes sie an die Stelle führte, wo die Beremonie vor sich gehen sollte.

Auf halber Höhe des Felsens hielten fie bor einer schmalen blankpolierten Abdachung von einigen Metern Länge

Sie sah aus wie eine Schleifbahn und war nicht weniger glatt. So zahlreich waren die unfruchtbaren Frauen, die hier Hilfe fuchten, daß sie den Felsen blankgescheuert hatten wie einen Spiegel.

Mabruka hielt sich schen an einer Seite; denn welche Folgen konnte es nicht haben, wenn man auf diese gefähr­liche Rutschbahn geriete!

Sultana dagegen legte sich nach Vorschrift auf den Magen und rutschte hinab, während sie gleichzeitig Sidi Fathallah eine Bitte zuflüsterte, die Kur, der sie sich nur den Eltern auliebe unterwarf, wirkungslos zu machen.

Auf dem Rückwege ließen sie den Wagen vor Sidi bel Hassen halten, wo Sultana ihrer Großmutter Grab besuchen wollte.

Vor allem aber rechnete sie darauf, Marcel zu treffen, und diesmal wurde sie nicht enttäuscht.

Schon als Nur nach seiner Rückkehr von Gafsa Marcel er­zählte, daß es seine Schwester Sultana gewesen, die er auf dem Friedhof getroffen und im Korridort gesehen" hatte, war dieser sich augenblicklich klar geworden, daß dies als ein vorsichtiger und klug erdachter Gruß jenes Weibes aufzufassen sei, das nach wie vor eine solch starke und seltsame Macht auf sein Herz übte. Dieser Gruß durchbebte ihn durch den Aus­drud von Sympathie, den er dareinlegte, fast wie eine förper­liche Berührung. Indessen bemerkte er, daß ein Beigeschmad von Enttäuschung zurückblieb. Es nahm dem Mysterium etwas von seiner Süße, daß es die Schwester Nurs gewesen, der er begegnet war. Es fekte seiner Phantasie Schranken, ohne ihm neues Wissen zu verschaffen oder ihm die Geliebte näher zu bringen. Es gab ihm die Gewißheit, daß sie ihm unwiderruflich verloren sei, aber zu seiner großen Verwunde­rung fühlte er, daß nicht dies ihm am meisten zu Herzen ging, bielleicht weil er sich schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hatte, fie, vor ihrer eigenen Kühnheit bange, wieder in die

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geheimnisvolle Dunkelheit des Harems zurückflüchten zu sehen.

Als die Mutter heimkam und erzählte, daß Nurs Schwester der Sigung beigewohnt und nachher mit ihr gesprochen habe, erkannte er sie wiederum an der diplomatischen Klugheit, mit der sie es verstand, ihm, ohne sich zu verraten, ihre Grüße zu senden. Nun wußte er, sie würde ihn suchen; irgend etwas würde geschehen.

Er geriet in eine Spannung, die ihn halb unzurechnungs­fähig machte und ihn weder Tag noch Nacht Ruhe finden ließ. Er trieb sich draußen in der Stadt umher und speiste in Restaurants, um sich der Mutter gegenüber nicht zu ver raten.

Freitags ging er zu früher Morgenstunde wie zu einem verabredeten Stelldichein nach Sidi bel Hassen.

Als die drei Frauen anlangten, ging er dicht vor der Friedhofpforte auf und ab, aufmerksam alle zuströmenden Frauengestalten musternd.

Während Sultana vorbeistrich, fragte sie ihre Mutter so laut, daß er es hören mußte:

st dies nicht Marcel Barrière?" Diese Worte zuckten wie ein Feuer durch sein Gebein. Alle seine Nerven brannten. Nun erkannte er auch den Gang und die aufrechte Haltung..

Er hielt sich entfernt und beschränkte sich darauf, sie im Auge zu behalten.

Einen Kriegsplan hatte er nicht und wagte nichts zu unternehmen aus Furcht, sie zu kompromittieren. Es mußte ihre Sache bleiben, zu handeln.

Sie feyten seine Geduld auf die Probe, indem sie den Gipfel des Hügels erstiegen, um die Zäuia aufzusuchen.

Er setzte sich zwischen den Blumen nieder und wartete; denn dort oben, wo er nichts zu tun hatte, hätte er bloß Auf­merksamkeit und vielleicht sogar Argwohn erregt.

Endlich, endlich sah er sie auf dem Wege herabkommen. Ohne bestimmten Blan, ohne im Grunde selbst zu wissen warum, ging er hinüber zu der Stelle, wo sie ihm zum ersten Male ihr Antlig gezeigt hatte. Er ging ganz langsam etwa fünf Minuten, ohne den Mut zu finden, sich umzukehren.

Endlich hörte er Frauenstimmen sich nähern. Es sauste ihm vor den Ohren vor Spannung. dem engen Pfade folgten? Ob es nur auch die richtigen Drei waren, die ihm auf

Er hielt es nicht länger aus, sondern blieb stehen, um ein Ende zu machen, und blickte gerade vor sich hin, als hätte irgend etwas seine Aufmerksamkeit erregt.

Nun strich die erste vorbei, indem sie seitwärts in das Gras auswich. Eine zweite folgte knapp hinter ihr. seiner Tasche. Ihm war zu Mute, als müßte er auf der Stelle Die dritte streifte ihn dicht, und er fühlte ihre Hand in in Tränen ausbrechen.

Regungslos folgte er dem Rhythmus ihres Ganges und ahnte die Linien ihres schlanken, schwanken Rörpers- bis zwischen Pfefferbäumen und Afazien verschwand. Er sah sich nach ein wenig Schatten um.

fie

Nicht weit von ihm stand einsam eine wilde Feige. Er setzte sich an ihre Wurzel und las mit zitternden Sänden Sultanas Brief.

24.

Schon zweimal war Marcel an Si Hamzas Haus vorbei. gegangen..

Es war unzugänglich und versperrt wie ein Gefängnis, tot wie alle die anderen Häuser, die mit ihren weißen gleich gültigen Mauern dastanden, ohne durch ein Fenster den Wunsch nach einer Verbindung mit der Welt zu erkennen zu geben. In der schmalen Gasse war ee drückend still wie in einem Gefängnishofe.

Wie leicht auch Marcel aufzutreten versuchte, so meinte er seine Schritte dröhnen zu hören, so daß er das ganze Stadtviertel aus dem Schlafe zu wecken fürchtete.

Sein schlechtes Gewissen ließ ihn in der nächtlichen Stille beunruhigende Laute vernehmen.

Es war wie zwischen Gräbern zu wandeln,