Hier war etwas von der Stimmung, die er aus den nächtlichen Wanderungen mit seinen römischen Kameraden über die Via Appia   kannte. Mit klopfendem Herzen blieb er stehen und lauschte, faßte neuen Mut und ging zum dritten Male an dem Hause vorbei. Da hörte er es wie ein leises Zischeln. Lautlos öffnete sich ein Türspalt, und er wagte näher- zutreten. Jdja, ia Marcel!" flüsterte es. Eine in eine Mlahfa gehüllte Frauengestalt nahm ihn bei der Hand und bat ihn. die Stiefel abzunehmen. Ihre lautlosen Schritte verrieten, daß sie selbst barfuß war und weder klirrende Geschmeide noch Knöchelringe trug. Er hatte darauf gerechnet, in der Driba zu bleiben, wo es nicht weit zur Türe war, falls Si Hamza den schlechten Einfall hatte, sie zu überraschen. Aber das Weib, das, wie er bald erkannte, Mabruka sein mußte, führte ihn die Treppe hinauf in das unbenutzte Gemach im ersten Stockwerke. Er konnte nicht die Hand vor den Augen sehen, solgte jedoch blind seiner Begleiterin, bis sie in dem großen Salon standen. Hier ließ sie ihn los und schien sich zu entfernen. Ein neues Flüstern hieß ihn willkommen, und ehe er noch Zeit fand, sich auf das Wie und Was zu besinnen, hatte eine andere weibliche Gestalt ihn unter einer Fanfare von Schmeichelnamen und kleinen beißenden Küssen in die Arme geschlossen. Als er endlich glaubte, zu Worte zu kommen, verschloß sie ihm den Mund mit ihren Lippen in einer Hin- gäbe, die ihn zu ersticken drohte und kein Ende nehmen zu wollen schien. Sind wir hier sicher?" waren die ersten Worte, die er hervorbrachte. Sultana lachte, an seine Brust geschmiegt, ausgelassen vor Glück, verwandelt, unkenntlich. Es war so unbändig, lustig, wie Marcel dastand, vor Schreck zitternd. Wer sollte uns hören? Ueberdies steht Mabruka unten und horcht. Sollte Vaier wirklich kommen, so pfeift sie zuerst. Dann führe ich Dich zu einer Treppe, die auf die Terrasse geht. Vor dort springst Du auf das Nachbarhaus hinalv läufst über die nächsten drei Häuser hin, hüpfst auf die Straße hinab und machst Dich aus dem Staube. Aber ich rate Dir, lieber im Zickzack laufen, wenn Vater schießt!" Während sie diese letzten Worte hinzufügte, lachte sie spitzbübisch. Sie hatte den verwegen lustigen Ton aus ihrer Kindheit wiedergefunden. (Fortsetzung folgt.) Geistiger DieMtaKl. Im Jahrgang 1856 desKladderadatsch" findet flch einToten- gespräch" zwischen dem eben in der Unlerwelt gelandeten Heinrich Heine   und einigen dort schon länger bebcimateten erlauchten Geistern, die gerne etwas von der Oberwelt erführen. Unter anderen kommr Thusnelda, die Cheruslersürstin, und läßt sich von Börne vorstellen, und es entwickelt sich dann folgendes Gespräch:Thusnelda  : Sagen Sie einmal, mein Bester, was ist denn das für eine borribke Affäre mit der Komödie, die man aus meinem Sohn gemacht, und in der man uns so formidabel kompromittiert hat? Heine: Sie meinen denFechter von Ravenna", meine Gnädige? Wie man behauptet, ist der echte Verfasser dieses Schauspiels ein Mann, der zu den wenigen lebenden Schriftstellern gebört, die auf den Namen eines deutschen Dichters Anspruch machen können. Nur Neid, Miß- gunst und bayerisches Bier können sein edles Talent verdächtigen. Thusnelda  : Der Schulmeister ist also der Plagiator? Heine: Darüber herrscht in gewissen Kreisen kein Zweifel mehr. Lessing: O du hohes, herrliches Gewölbe des unendlichen Himmels! Was ist aus der deutschen Literatur geworden?"--- Der Fall desFechters von Ravenna", auf den das obige Gespräch anspielt, wirbelte zu jener Zeit, also um 1855, sehr viel Staub auf. Der Dichter, Friedrich Halm  , hatte das Werk dem Burglheater anonym eingereicht, und es war auch an- genommen worden. Auch die Aufführung erfolgte ohne Autor- ncnnung, und man riet hin und her nach dem Verfasser. Grill- parzer, der doch wohl etwas davon verstand, äußerte:Das Stück konnten nur zwei Dichter gemacht haben: Halm oder ich; da ich nun weiß, daß es nicht von mir ist. muß es von Halm sein I Aber Halm leugnet hartnäckig." In Wirklichkeit ist das Werk vollkommen Halms geistiges Eigentum. Eines Tages aber macht ein bayerischer Schulmeister, Bacherl, der dem Burgtheater ein Stück,Die Cherusker  in Rom  ", eingesandt, Ansprüche an Halms Werk, das mit seiner durchaus unzulänglichen Arbeit wohl zufällige, im Stoffe bedingte Aehnlichkeiten aufwies. Journalisten sekundierten ihm, und für das Publikum war Bacherl der Dichter, als welcher er bei der Münchener   Aufführung desFechter" auch gefeiert wurde. Halm haben die nun nicht mehr zum Schweigen zu bringenden Plagiatvorwürfe arg zugesetzt. Lustig ist, daß gerade Lesfing in obigem Totengespräch ausruft, was ist aus der deutschen Literatur geworden", denn gerade gegen ihn ist vor einigen Jahrzehnten von irgend einen: herostratischen Gesellen, einem gewisseir Allbrecht, der in einem zehnbändigen Werke, das aber durch den Tod deS Urhebers an der Vollendung gehindert wurde, seine Behauptungen erhärten wollte, der Vorwurf gemacht worden, er habe sich in schamlosester Weise an fremdem geistigen» Eigentum vergriffen. So solltenDer junge Gelehrte  " aus 107. Minna von Barnhelm  ' aus 319,Miß Sara Sampton" aus 436, Emilia Galotti  " aus 499,Nathan  " aus 349 aneinander gehefteten Fetzen bestehen. Und Albrecht stellt die Parallelen aus Lessing   und den angeblich Bestohlenen gegenüber. Solche Art des augenscheinlich Naren wiffenschaftlich korrekten Beweises hat etwas Bestrickendes, und wenn schon Hindeutungen auf Remniszenzen und Anklänge in der Be- sprechung eines Dichterwerks bei den Laien oft genug einen falschen Eindruck hervorzurufen geeignet find, so ist das Publikum den Plagiatvorwürfen, namentlich wenn sie mit auscheinenden Beweisen gedeckt sind, gegenüber vollkommen wehrlos. Die Tatsache sieht fest: Uebernahme geistigen Eigentums hat immer staltgefunden, und selbst die Größten haben sich nicht gescheut, das Gute zu nehmen, wo sie es fanden. Ihr Werk wurde ihre Recht- fertigung. Sie nahmen vielleicht von einem armen Schlucker einen Satz, eine Seite, eine Szene, die ihnen gut geformt schien und die sie gerade brauchen konnten und verpflanzten sie in ihr Werk, wo sie nun ewig blüht, während sie dort, an ihrem Urspruugsort, dunkler Vergessenheit anheimgefallen wäre. Es kam ihnen nicht daraus an, daß jedes Wort des Werks original geprägt sei, wenn nur der Geist, der das Ganze belebt, original und von keinem entlehnt war. In einer Abwehr der Allbrechtschen Arbeit heißt es mit Recht:Wenn Allbrecht hunderte Gedankensetzen und Entlehnungen auch erforscht haben mag, für den Hauptpunkt ist er uns doch immer den Nachweis schuldig geblieben, woher Lesfing seinen Geist, seine Dichtkunst, seine blendende Stilistik gestohlen" hat. Für diesen Formprozeß schien der literarische Nach- richler in Hamburg   kein Verständnis zu haben, und doch liegt gerade hierin das Entscheidende des von ihm aufgeworfenen Streit- und Rcchtsfalles." Goethe, der selber eingesteht, daß er das Gute ge- nommen, wo es sich ihm bereit bot, entscheidet in dieser Angelegen- heit:Der Dichter darf überall zugreifen, wo er Material zu seinen Werken findet, und selbst ganze Säulen mit ausgemeißelten Kapitälen darf er sich zueignen, wenn nur der Tempel herrlich ist, den er damit stützt." Frühere Zeiten kannten überhaupt nicht den Begriff des geistigen Eigentums in der rigorosen Auffassung, die wir damit verbinden. Das geistige Gut des Schriftstellers war sehr wenig geschützt. Motive wurden keck übernommen, wie die Wanderungen der mittel- alterlichen Novellenthemen zeigen von Boccaccio   bis hinein in die deutschen Schwänke. Wie wenig für Shakespeare   oder Moliöre ein Schutz der Urheberrechte existierte, weiß man aus der Literatur- geschichte. Alles lag bereit und jeder nahm fein Teil. Was lag an dem minderwertigen, fremden Bettelgut, wenn man selbst ein Besseres darüber ausbauen konnte. Die Steine, die zurecht gehauen sind, braucht man nicht neu zu behauen! eS kommt nicht auf den einzelnen Stein, sondern auf die Architektur des Ganzen an. Erst die Entwicklung der Schriftstellerei zu einem den wirt- schaftlichen Erwerbsbedingungen unterworfenen Beruf, ich möchte sagen: die Industrialisierung der literarischen Tätigkeit läßt nach stärkerem Schutz des geistigen Eigentums verlangen. Mit diesen neuen Zuständen tritt aber auch erst der eigentliche geistige Dieb­stahl in Aktion; denn die Aneignung im obigen Sinne ist kein Dieb- stahl. Heute wird selbst der Größte wohl vorsichtiger sein in der direkten Uebernahme von Fremdem; aber diese Uebernahme hat ihre vollkommene Rechtfertigung in der neuen, als geistige Konzeption doch durchaus selbständige Leistung eines Eigenen, eines Schöpfers. Der verwerfliche geistige Diebstahl charakterisiert sich durch die bewußte Absicht der Täuschung zwecks Erringung eines Vor- teils, sei eS ehrgeizige Lustbeftiedigung, sei es materieller Ge« winn. Fremdes wird einfach mechanisch übernommen, oder auch nachgeahmt, um es als Eigenes ausgeben und sich auf diese Art einen Nutzen verschaffen zu können. Je häßlicher nun die Formen des literarischen Wirtschaftskampfes in seiner gesteigerten Spannung werden, um so häßlicher werden auch die Formen des Plagiats. Betriebskräftige literarische Großindustrielle beuten die Arbeiten Schwächerer aus. Man braucht nur nach Frankreich  hinüberzusehen, wo die arrivierten Herren der Bühne sich� ihre negres halten, ihre Schreibgesellen, die die Bühnenstücke auf den Namen ihrer Brotgeber zusammenkleistern. Oder der zu eigener Leistung Unfähige vergreift sich an fremder. Irgend jemand nimmt zum Beispiel ein bereits früher erschienenes Werk, das aber niemand kennt, verändert den Titel und schickt es an ein Journal. Das Werk, ein Roman, wird, wie es einmal geschah, gedruckt. Da meldet sich der wahre Urheber und das Blatt muß den Abdruck einstellen. Ein sogenannter Gelehrter schreibt ganze Essaybücher. Eines Tages kommt ein Literarhistoriker dahinter, daß diese Arbeiten aus älteren Werken jflatt abgeschrieben sind. Privatdozent Enders in Bonn   hat einmal imLilerar. Echo" einen derartigen Fall nachgewiesen. Auch die schöne Kunst, Bücher oder Artikel aus Zitaten zu machen, ist nichts anderes als Plagiat. Auch daS bewußte Nichtkenntlichmachen von Zitaten rückt nicht weit